Soto-shu

Soto-shu

Sōtō (jap. 曹洞宗 Sōtō-shū) ist eine Richtung des Chan- und Zen-Buddhismus. Mit ca. 14.700 Tempeln und 8 Millionen Anhängern ist die Sōtō-Schule neben der Rinzai-shū und Ōbaku-shū die größte der drei japanischen Hauptrichtungen des Zen und eine der größten Gemeinschaften des Buddhismus in Japan überhaupt.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Die Sōtō-Schule sieht ihre beiden Gründerväter in den chinesischen Chan-Patriarchen Tōzan Ryōkai (chin.: Dongshan Liangjie) und dessen Schüler Sōsan Honjaku (chin.: Caoshan Benji), aus deren Namen sich der Name der Schule ableitet (chin. Caodong).

Der japanische Zen-Meister Dōgen Kigen (1200–1253) übertrug die Tradition der Sōtō-Schule aus dem Kaiserreich China nach Japan und begründete mit dem Aufbau des Eihei-Ji 1243 den ersten Haupttempel der Sōtō-Schule auf der Insel. Der zweite Haupttempel Soji-ji wurde 1321 von Keizan Jokin (1268–1325) eröffnet.

Dōgen war eigentlich ein Tendai-Mönch. Bereits mit 13 Jahren trat er als Novize in den Orden auf dem Berg Hiei ein und studierte später ab 1217 (zwei Jahre nach Eisais Tod) unter Eisais Dharma-Nachfolger Myōzen. Gemeinsam mit diesem reiste Dōgen nach China und lernte unter Rujing (jap. Tendo Nyojo) (1163–1228). Es wurde später geschrieben, er habe dort sowohl eine ungewöhnlich tiefe Einsicht als auch Erleuchtung erlangt. Über seine Aktivitäten nach der Rückkehr nach Japan 1227 ist wenig bekannt, er übernahm jedoch einige Jahre später einen von der Hauptstadt abgelegenen Tempel (den er später Kōshō-ji nannte) und richtete dort eine Meditationshalle nach neustem song-zeitlichen chinesischem Vorbild ein, die ihm mehr und mehr Besucher und Schüler brachte. In seinen Schriften ab dieser Zeit zeigen sich die Besonderheiten seiner Praxis und Lehre, etwa Shikantaza, Hishiryo, Shinjin datsuraku. Er setzte auch die Praxis des zazen mit der Buddhaschaft gleich. Dōgen bezeichnet in seinen Schriften nur Myōzen (der in China starb) und Rujing als seine „senshi“ (früheren Lehrer).

Im Jahre 1244 verließ Dōgen den Kōshō-ji und zog auf Einladung einer lokalen Kriegeradels-Familie ins abgeschiedene Echizen. Das Kloster, das er dort übernahm und ausbaute, nannte er Eihei-ji. Außer der Halle für zazen übernahm Dōgen auch andere Bestandteile des Klosteraufbaus und der Mönchsorganisation aus Song-China. Er ordnete nach chinesischem Vorbild Riten für übernatürliche Wesenheiten des Klosters an.

Dass die Gründung neuer buddhistischer Schulen und Gruppen schnell von etablierten Kreisen aus als Häretik betrachtet werden konnte, zeigt das Schicksal der Daruma-shū, die Nōnin (nicht datiert) begründete. Ihr Kloster wurde von sōhei (Mönchskriegern) vernichtet. Einige der versprengten Daruma-Mönche schlossen sich später Dōgen an und standen so in zwei Dharma-Traditionslinien. Unter einigen dieser direkten Schüler Dōgens lernte auch Keizan Jōkin, der den später wichtigsten Kopftempel Sōji-ji gründete. Keizan bezog sehr oft seine Laienunterstützer (lokale Landadelige und breitere Schichten des Volkes) in seine Überlegungen und Praktiken ein, indem er die strengen Lehren von Dōgen (wenngleich wir über dessen Verhältnis zur Laienschaft eben kaum etwas wissen, außer dass auch Dōgen angeblich übernatürliche Wunder bewirkte) abmilderte und verschiedene andere religiöse Bereiche integrierte. Hierzu gehören das Herbeiführen von diesweltlichen Wohltaten (genze riyaku), Bestattungen, Elemente der jeweiligen Lokalreligionen (z.B. die Berggottheit Haku-san) und allgemein in Japan verbreitete und zu diesem Zeitpunkt anerkannte Praktiken des mikkyō, also der Shingon- und der Tendai-Schule, sowie den weniger offiziell anerkannten, aber weitverbreiteten Gruppen von Bergasketen (Yamabushi, Shugendō).

Sōtō verbreitete sich in den folgenden Jahrhunderten sehr stark, oft indem sie unbesetzte Tempel und Schreine besetzten, lokale kami, Geister und andere Wesenheiten exorzierten oder zum Dharma bekehrten. Von wenigen elitären Mönchen und Klöstern abgesehen, unterschieden sich die Praktiken bald kaum noch von denen anderer buddhistischer Schulen. Verschiedenste übernatürliche Wesenheiten wurden in den Klöstern von der Bevölkerung verehrt, die Mönche führten verschiedene Rituale (zazen, Rezitationen, mikkyō-Praktiken u. ä.) durch, um genze riyaku, diesweltliche Wohltaten, auf die Laien und das Mönchswesen zu übertragen. Auch Bestattungen waren Hauptaufgabe der Klöster. Die Laienunterstützer des Sōtō waren größtenteils der lokale Kriegeradel in entlegeneren Gebieten, aber auch die dortige Bevölkerung. Entsprechend sind die Klöster von lokalen Einflüssen durchdrungen.

Die Stellung der Dharma-Traditionslinie war vermutlich der wichtigste Faktor der Identität der Sōtō-Schule. Wichtige, aus heutiger Sicht zentrale Texte (u. a. Kōan und Dōgens Werk), wurden wie andere Statusobjekte (Roben, shari-Relikte verstorbener Meister, viele Statuen) zunehmend geheimgehalten und nur in direkter Linie weitergegeben. In eigenen Veröffentlichungen der Schule steht, dass heutzutage nur in etwa 30 von rund 15000 Klöstern Trainingszentren für zazen existieren. Zazen wurde während der gesamten Geschichte Japans auch als mächtiges Ritual zur Ansammlung spiritueller Kräfte gesehen: Die drei Bitt-Tempel, an denen Japaner um diesweltliche Wohltaten bitten, gehören zu den wenigen Ausbildungszentren für zazen.

Lehre

Die Hauptlehre der Sōtō-Schule besteht in der Lehre von der immanenten Buddhanatur aller Wesen sowie der Identität von Übung und Erleuchtung. In Unterscheidung zu den anderen buddhistischen Schulen des Mahayana wird in allen Schulen des Zen-Buddhismus ein größeres Gewicht auf die meditative Praxis gelegt - in der Sōtō-Schule speziell auf die Praxis des Zazen (Shikantaza: „nur Sitzen“).

Praxis

Mönch der Sōtō-Schule

Shikantaza

Im Mittelpunkt der Praxis des Sōtō-Zen steht Shikantaza oder Zazen, des einfachen Sitzens: Man sitzt auf einem Kissen (Zafu) zumeist im Lotossitz (kekka fuza), bei dem die Beine so gekreuzt sind, dass die Füße auf den Oberschenkeln liegen. Das Zafu sorgt dafür, dass eine aufrechte Position erhalten bleibt. Das Becken ist dabei ein wenig nach vorne gekippt, so dass die Wirbelsäule gerade ist. Der Kopf wird so gehalten, dass das Kinn herangezogen wird. So wird die Nackenwirbelsäule gestreckt. Die auf dem Boden aufliegenden Knie bilden mit dem durch das Zafu erhöhte Gesäß eine stabile Position. Gegebenenfalls sitzt man auch im halben Lotossitz (hanka fuza), bei dem nur ein Fuß auf dem Oberschenkel des anderen Beines liegt. Oder man sitzt im Fersensitz (seiza) ohne Zafu. Die Hände liegen im Mudra der Meditation über dem Schoß etwa in der Höhe des Bauchnabels. Die Daumenspitzen berühren sich leicht und die Daumen bilden eine gerade Linie. Dies ermöglicht die Kontrolle der Aufmerksamkeit während des Zazen: Kippen die Daumen nach vorne oder nach unten, so ist man schläfrig (Konchin), wenn die Daumen mit der Zeit angespannt werden und nach oben zeigen, so ist man verkrampft (Kenhen). Beides sind Kennzeichen der Unkonzentriertheit. Während des ganzen Zazen ist man stets bemüht, immer wieder zur Haltung zurückzukehren, und damit den Geist zurückzuholen und nicht irgendwelchen Gedanken nachzuhängen. Durch fortwährende Übung von Beobachtung und Konzentration öffnet sich das Bewusstsein. Das Hishiryo-Denken („Denken aus dem Grunde des Nicht-Denkens“) kann erscheinen. Zazen wird unterschiedlich lange betrieben, meist in zwei Perioden von etwa 30-50 Minuten.

Kinhin

Ein weiterer Punkt der Praxis im Sōtō-Zen ist das Kinhin, die Meditation im Gehen: Man geht pro Atemzug einen Schritt. Beim Einatmen schreitet man entschlossen nach vorne. Ein Schritt ist nur etwa einen halben Fuß breit. Beim Ausatmen verlagert man das gesamte Gewicht auf den vorderen Fuß. Die Fußsohlen beider Füße bleiben auf dem Boden. Der vordere Fuß bildet mit Wirbelsäule und Kopf eine Linie. Man streckt den Scheitel gegen den Himmel und den vorderen Fuß gegen die Erde. Die Arme werden vor dem Körper so gehalten, dass die linke Hand eine Faust bildet, welche von der rechten Hand umschlossen wird. Die Hände werden gegeneinander in Höhe des unteren Brustbeins gehalten, die Ellenbogen zeigen zur Seite. Im Mittelpunkt beim Kinhin steht das Ausatmen, man atmet ruhig und langsam aus. Das Einatmen erfolgt dann automatisch, begleitet vom nächsten Schritt. Kinhin wird in der Regel etwa fünf Minuten gemacht und findet zwischen zwei Zazens statt.

weitere Aspekte

  • Während des Zazen werden gelegentlich Kyosaku verwendet. Ein Kyosaku, übersetzt etwa Stab der Erweckung, ist ein vorne abgeflachter Holzstab. Der Leiter des Zazen oder ein Gehilfe benutzt diesen Stab, um durch kurze kräftige Schläge auf die Schultern (die Muskelstränge rechts und links der Wirbelsäule, nicht auf die Schulterblatt-Knochen selbst) bei den Übenden die Konzentration wiederherzustellen bzw. zu erleichtern. Dies ist keineswegs eine Bestrafung, denn Kyosaku wird nur gegeben, wenn der Übende selbst darum bittet, indem er in Gasshō-Haltung verharrt. Die Schläge auf die Schultern bewirken ein Wachwerden, eine Erhöhung der Konzentration. Man fixiert im Geist die Punkte auf den Schultern.
  • Kusen werden die Unterweisungen genannt, die der Meister oder Godo während des Zazen gibt, um den Geist zu führen.
  • Vor nahezu jeder Handlung beim Zazen wird ein Gasshō gemacht. Dabei werden die Handflächen aneinandergelegt, und man verbeugt sich kurz. Diese Praxis bewirkt ebenfalls, dass man sich sämtlicher Handlungen bewusst wird. So kann es sein, dass man während Zazen ein Jucken verspürt. Wenn man, bevor man sich kratzt, ein Gasshō macht, dann vergegenwärtigt man sich sein Tun und handelt nicht reflexartig.

Zeremonie

Unter den buddhistischen Texten, die im Soto-Zen rezitiert und studiert werden, ist besonders das Herz-Sutra zu nennen. Außerdem werden in Zeremonien Sutras (jap. kyo), Dharanis (darani), Traktate (ron), Ekos (eko mon) und Verse (ge, mon) verwendet, z. B.

  • Daishin Dharani
  • Sho Sai Myo Kichijo Dharani
  • Hokyozanmai
  • Sandokai
  • Shodoka (von Yôka-Daishi)
  • Fukanzazengi (von Dogen)
  • Myohorengekyo Kanzeonbosatsu Fumonbonge
  • Myohorengekyo Nyorai Juryohonge
  • Sangemon
  • Sankiraimon
  • Shiguseigan.

Eine Zeremonie wird vom Doshi geleitet, der einen Kotsu, eine Art hölzernes Szepter trägt. Während der Zeremonie wird unter anderem Sampai, eine dreifache Niederwerfung und Sutra-Rezitation geübt. Der Doshi wird begleitet vom Jisha, der ein Inkin, eine kleine Handglocke, die mit einem Messingstab geschlagen wird, bedient. Der Jikko assistiert beim Zutragen des Räucherstäbchens. Der Fukudo schlägt das Mokugyo (japanisch „Holzfisch“) und gibt damit den Takt bei der Sutra-Rezitation vor. Außerdem wird ein Keisu, eine größere Glocke, während der Zeremonie an bestimmten Stellen geschlagen.

Moderne

Seit den 60er Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts haben eine ganze Reihe japanischer Lehrer mit ihrer Missionstätigkeit die Lehren der Sōtō-Schule in westlichen Ländern verbreitet. Die berühmtesten waren: Shunryu Suzuki (1905-1971, USA), Taizan Maezumi (1931-1995, USA) und Taisen Deshimaru (1914-1982, Frankreich).

Die Soto-shū hat in den letzten Jahren auch im Ausland praktizierende, nicht-japanische Mönche und Nonnen mit einer „Lehrerlaubnis für den westlichen Weg“ ausgestattet (Dendokyoshi). Diese Ausbildung ist verbunden mit einem mehrmonatigen Studienaufenthalt in Japan, traditioneller Praxis in einem Sodo, allen Aspekten der Zen-Praxis in Japan und Zeremonien, in denen die Dendokyoshi symbolisch für jeweils einen Tag Abt von Soji-ji und Eihei-Ji werden. Außerdem werden die Dendokyoshi aus Amerika und Europa regelmäßig zu Tokubetsu-Sesshins eingeladen, bei denen Aspekte der Sōtō-Zen-Praxis studiert werden.

Die Sōtō-shū trägt mit dieser Ausbildung der Tatsache Rechnung, dass Zen-Praxis im Westen notwendigerweise anders organisiert ist als in Japan, wo „Zen-Mönch sein“ ein Hauptberuf ist (auch mit Familie), wohingegen in Europa Mönche und Nonnen in den meisten Fällen einen normalen Beruf, soziales Leben, Familie und Zen-Praxis koordinieren müssen und jahrzehntelange Erfahrung in Zen-Praxis außerhalb Japans erlangt haben.

Die Sōtō-Schule nennt für Deutschland/Europa Fumon Shoju Nakagawa Roshi als offiziellen Auslandsbeauftragten (Kaikyoshi) und als bestätigten Lehrer L. Tenryu Tenbreul (vergleiche [1]).

Quellen

  1. diese Liste der Sōtō-Zen-Tempel und -Zentren weltweit

Literatur

  • Shōbōgenzō, Die Schatzkammer des wahren Dharma, Gesamtausgabe, Angkor Verlag, Frankfurt 2008, ISBN 978-3-936018-58-5 (Erste Gesamtausgabe außerhalb Japans mit allen 95 Kapiteln in einem Band, gebunden)
  • Meister Dogen: Shobogenzo. Die Schatzkammer des wahren Dharma-Auges. 4 Bände. Kristkeitz, Heidelberg-Leimen 2001, ISBN 3-921508-90-8, -91-6, -92-4 und -93-2
  • Keizan Zenji: Denkô-roku. Die Weitergabe des Lichtes. Vollständige Ausgabe. Angkor Verlag, Frankfurt 2008, ISBN 978-3-936018-08-0
  • Dainin Katagiri: Rückkehr zur Stille. ISBN 3-85936-022-1
  • Taisen Deshimaru (Hrsg.): Hannya-shingyô. Das Sûtra der höchsten Weisheit. Kristkeitz, Leimen 1988, ISBN 3-921508-20-7
  • Sekkei Harada: Zen - Erwachen zum Wahren Selbst. ISBN 3-932337-08-5
  • Shunryu Suzuki: Zen-Geist - Anfänger-Geist. 11. Aufl. Theseus, Berlin 2002, ISBN 3-89620-131-X
  • Fumon S. Nakagawa: Zen - weil wir Menschen sind. Theseus, o.O. 2003, ISBN 3-89620-116-6
  • Abt Muho: Zazen oder der Weg zum Glück. Rowohlt 2007. ISBN 3499622033
  • Kodo Sawaki: Zen ist die grösste Lüge aller Zeiten. Angkor 2005. ISBN 3936018308

Weblinks


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