- Sperrdifferenzial
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Ein Sperrdifferential ist ein spezielles Differentialgetriebe in einem mehrspurigen Kraftfahrzeug und dient dazu, Schlupf (im Extremfall Durchdrehen) am Rad mit der geringeren Bodenhaftung zu vermindern, indem es entweder den Antriebsstrang versteift (Drehzahlausgleich vermindert) oder mehr Drehmoment auf das Rad mit der besseren Bodenhaftung verteilt.
Die Bezeichnungen Sperrdifferential und Differentialsperre sind historisch bedingt:
- Eine Differentialsperre besteht aus einem normalen Differential und einer mechanischen Sperre (z. B. Klauenkupplung), die unter schweren Bedingungen (Geländefahrt, Eis, usw.) manuell zugeschaltet wird und das Differential außer Funktion setzt und beispielsweise blockiert, so dass die vom Differential bekannte Ausgleichsfunktion nicht mehr gegeben ist. Man nennt diese Form der Sperre auch „100-%-Sperre“ (mehr dazu später).
- Das Sperrdifferential ist ein Differential mit konstruktiv verschlechtertem Wirkungsgrad und bremst die Ausgleichsbewegung. Dabei entsteht vor allem Reibungswärme. Das Sperrdifferential wird vor allem in der Schweiz auch als ‚Differentialbremse‘ bezeichnet.
Die Differentialsperre ist so gesehen ein Spezialfall des Sperrdifferentials mit 100 % Sperrwirkung, und das normale (offene) Differential ist ein Spezialfall mit 0 % Sperrwirkung.
Inhaltsverzeichnis
Zweck eines Sperrdifferentials
Es gibt eine Reihe von Situationen, in denen ein Sperrdifferential vorteilhaft ist:
- Anfahren unter schwierigen Bedingungen, Geländefahrt: Das Sperrdifferential leitet das Antriebsmoment von einem durchrutschenden Rad auf das Rad mit der besseren Bodenhaftung um und verbessert so die Traktion.
- Start an Einmündungen, z. B. Ausfahrt von der Tankstelle: Beim Anfahren mit starkem Beschleunigen (z. B. auf eine bevorrechtigte Straße) wird verhindert, dass das kurveninnere Rad abhebt und durchdreht. So kann die Leistung auf die Straße geleitet und das Fahrzeug sicher in den Verkehr eingefädelt werden.
- Geradeauslauf: Eine gesperrte Achse läuft besser geradeaus als eine ungesperrte. Daher reduziert sich die Wirkung beispielsweise von Seitenwind oder der Bernoulli-Effekt beim schnellen Vorbeifahren an Lkw.
- Handhabung bei sportlich gefahrenen Kurven: Bei hoher Querbeschleunigung wird das kurveninnere Rad entlastet und das kurvenäußere Rad belastet. Dadurch schlupft das innere Rad stärker, bis es ebenso schnell oder schneller dreht als das kurvenäußere Rad. Das Sperrdifferential verhindert nun, dass das kurveninnere Rad durchdrehen kann und damit den Leistungsfluß auf die Straße unterbricht. Neben der höheren Kurvengrenzgeschwindigkeit untersteuert das Fahrzeug weniger, weil die ungleichmäßige Kraftverteilung an den Rädern (das äußere Rad überträgt nun mehr Moment) ein Giermoment um die Fahrzeughochachse erzeugt, das ein Eindrehen (Übersteuern) begünstigt. Ist die Sperrwirkung auch im Schiebebetrieb vorhanden, so kehren sich die Kraftflüsse um, das entstehende Giermoment bewirkt ein verstärktes Untersteuern und damit ein Stabilisieren des Fahrzeuges. Diese Charakteristik wird gezielt im Rennsport genutzt.
Als Traktionsdifferentiale kommen vor allem 100-%-Sperren (also Differentialsperren) und mit Einschränkungen auch Visco-Kupplungen in Frage. Um die Handhabung zu verbessern, empfehlen sich drehmomentfühlende Sperren mit geringem Sperrwert.
Abgrenzung zur Antriebsschlupfregelung
Sperrdifferentiale sind nicht mit Antriebsschlupfregelungen zu verwechseln, allerdings sind normale Differentiale Bestandteil von solchen Antriebsschlupfregelungen, und durch die große Verbreitung von Elektronischen Stabilitätsprogrammen (ESP) bieten Antriebsschlupfregelungen vor allem zusammen mit drehmomentfühlenden Sperrdifferentialen Vorteile.
Die Antriebsschlupfregelungen werden aufgrund der Übersetzung aus dem Englischen (Traction Control) auch ‚Traktionskontrollen‘ genannt, herstellerspezifische Bezeichnungen sind z. B. ASC oder ASR. Sie sind inzwischen Bestandteil des elektronischen Fahrstabilitätssprogrammes des Fahrzeuges (ESP). Diese Lösungen ahmen teilweise den Effekt des Sperrdifferentials nach, haben aber auch Nachteile, denn im Vergleich zu Sperrdifferentialen
- bremsen diese Systeme Motorleistung in erheblichem Umfang weg, was bei schwerem Gelände und im sportlichen Einsatz nachteilig ist, und sie
- sind (derzeit noch) von geringerer Regelgüte.
Traktionskontrollen, die über einen Bremsen- und teilweise Motoreingriff (Leistungsdrosselung) wirken, können daher als kostengünstige Vorstufe zum Sperrdifferential gesehen werden. Ihr Vorteil gegenüber einfachen Sperrdifferentialen liegt neben den geringeren Kosten darin, dass sie durch die elektronische Steuerung angepasst reagieren können, um einerseits Traktion und andererseits Stabilität sicherzustellen.
Nachteile von einfachen (mechanischen) Sperrdifferentialen
Einfache Sperrdifferentiale reagieren auf unterschiedliche Drehzahlen und Drehmomente ohne Rücksicht auf die Ursachen. In manchen Situationen ergeben sich deshalb Nachteile.
- Viele Bauarten (insbesondere Varianten mit Reibscheiben) unterliegen einem starken Verschleiß, sodass die Sperrwirkung mit zunehmender Kilometerleistung abnimmt und irgendwann praktisch nicht mehr vorhanden ist.
- Bei bestimmten Bauarten ist oft eine Trennkupplung erforderlich, um es mit einem Antiblockiersystem (ABS) oder ESP kompatibel zu machen, weil ansonsten die Rückwirkung zwischen einzelnen Rädern die Regelung erschwert oder unmöglich macht.
- Sperren reagieren empfindlich auf Bereifung mit unterschiedlichem Abrollumfang (z. B. durch unterschiedlichen Luftdruck, verschiedene Profiltiefe), weil sie zu Differenzdrehzahlen führen und erhöhten Verschleiß zur Folge haben. So ist die Fahrgeschwindigkeit und Fahrstrecke mit Noträdern eingeschränkt.
- Bei Kurvenfahrt mit geringem Radschlupf können sie zu einem verstärkten Untersteuern führen, weil den hier erforderlichen Drehzahlunterschieden entgegengewirkt wird.
Elektronisch gesteuerte Sperrdifferentiale können angepasst reagieren und diese Nachteile vermeiden.
Bei offenen Achsdifferentialen übertragen beide Räder gleich viel Drehmoment, dadurch entsteht kein Giermoment um die Hochachse des Fahrzeugs. Bei Sperrdifferentialen kann es auch zu einer asymmetrischen Aufteilung der Achsantriebskraft kommen. Es entsteht ein Giermoment, das der Fahrer gegebenenfalls mit Gegenlenken kompensieren muss. Dadurch ergeben sich weitere Effekte:
- Bei einem Vorderachssperrdifferential kann der Zugkraftunterschied für den Fahrer am Lenkrad spürbar werden. Aus Komfortgründen wird deshalb an der Vorderachse meist nur ein geringer Sperrwert gewählt.
- Bei Fahrzeugen mit Hinterachssperrdifferential kann plötzlich auftretende, einseitige Glätte den Fahrer überraschen. Ohne rechtzeitiges Gegenlenken bewirkt das Giermoment ein Eindrehen des Fahrzeuges hin zur glatteren Fahrbahnseite und begünstigt damit ein Schleudern.
Einbauort
Dabei gibt es – wie beim normalen Differential – zwei Anwendungsbereiche für ein Sperrdifferential:
- Zwischen den beiden Rädern einer Achse als Achsdifferential;
- Zwischen den Achsen als Zentraldifferential, Mittendifferential oder Längsdifferential, welches hinter dem normalen Wechselgetriebe (Handschaltung, Automatik, sequentielles Getriebe, …) in einem zusätzlichen Verteilergetriebe eingebaut ist.
Mechanik der Sperre
Bauarten
Von der mechanischen Seite lassen sich Sperrdifferentiale in mehrere Typen untergliedern:
- Bei drehmomentfühlenden Sperrdifferentialen (wie z. B. Torsen A / B / C, GKN Super LSD, Helical LSD, Sensitorque wie auch einige Lamellensperrdifferentiale und schrägverzahnte Klauenkupplungen) hängt die Sperrwirkung vom übertragenen Moment ab. Im Prinzip wird auf die Seite mit dem geringeren Schlupf immer das x-fache Moment der anderen Seite übertragen. Das Verhältnis x wird dann als TBR (s.u.) bezeichnet. Varianten wie z. B. Powertrax LockRight ermöglichen eine unabhängige 100-prozentige Sperrwirkung für ein oder beide Räder.
- Bei drehzahlfühlenden Sperrdifferentialen (insbesondere Viskokupplungen, fliehkraftbetätigte Sperren und herstellerspezifische Bauprinzipien wie GKN ViscoLok oder Fuji AYC) hängt die Sperrwirkung von der Differenzdrehzahl der Räder ab. Je größer die Drehzahldifferenz ist, um so größer ist die Sperrwirkung. ABS und ESP müssen angepasst werden, häufig ist eine zusätzliche Trennkupplung oder ein Freilauf nötig. Bei Baumaschinen kommt auch das No-Spin-Differential zum Einsatz.
- Bei einer Festwertsperre wird die Sperre vorgespannt, so dass auch ohne Drehzahldifferenz und ohne Antriebsmoment schon eine Sperrwirkung vorliegt. Diese einfache Form der Sperre wird fast nur noch in Kombination mit anderen Sperrentypen verwendet und dort häufig durch Vorspannung mit einer Feder realisiert.
- Bei elektronisch gesteuerten Sperrdifferentialen wird die Wirkung und der Einsatz der Sperre von einem Fahrdynamik-Regler im Fahrzeug gesteuert. Derzeit ist die Verbreitung noch gering (z. B. Porsche Cayenne / VW Touareg, Toyota Land Cruiser, Land Rover Discovery, Ferrari F430), aber in der Zukunft werden hier die größten Marktpotentiale vermutet.
Mechanische Sperren sind stets eine Kombination dieser Grundtypen.
Zu diesen Kombinationen gehört auch das ASD von Mercedes. Es handelt sich hierbei um ein drehmomentfühlendes Lamellen-Sperrdifferential, das zusätzlich über eine elektronische Steuerung vollständig kraftschlüssig gesperrt werden kann. Dadurch bietet es Wirkungsgradvorteile gegenüber dem Bremseneingriff einer Antriebsschlupfregelung, d. h. weniger Antriebsleistung geht verloren. Über die ABS-Drehzahlsensoren registriert ASD einen Schlupf (Drehzahlunterschied) an der angetriebenen Hinterachse und beaufschlagt das integrierte Lamellen-Sperrdifferential (Grundsperrwert etwa 30 %) im Hinterachsmittelstück hydraulisch mit Druck. ASD sperrt in diesem Moment zu 100 % und macht aus dem Sperrdifferential eine kraftschlüssige Differentialsperre. Ein gelbe Kontrolleuchte in Form eines Warndreiecks im Tachometer zeigt die Aktivität des Systems an. Beim Bremsen wird die volle Sperrwirkung sofort aufgehoben. Das System arbeitet bei Geschwindigkeiten bis zu ca. 30 km/h und fand Verwendung in den 4-, 5-, und 6-Zylindermodellen der Baureihen W126, W140, W129, W124, W201, sowie bei den allradgetriebenen 4MATIC Modellen des W124.
Eine Sonderform sind Differentiale mit nicht konstanter Übersetzung, die beispielsweise in Baumaschinen zum Einsatz kommen. Durch die periodisch schwankende Übersetzung des Ausgleichsgetriebes werden an den Rädern unterschiedliche Drehmomente erzeugt.
Sperrwert und Charakteristik
Ein normales Differential ohne Sperrwirkung wird auch als offenes Differential bezeichnet. Idealerweise können die beiden Räder frei drehen, die Reibungsverluste im offenen Differential wären dann 0 (praktisch gesehen verhalten sich auch offene Differentiale wie drehmomentfühlende Sperren mit geringem Sperrwert). Bei einem Sperrdifferential versucht man, den Wirkungsgrad des offenen Differentials zu verschlechtern.
Die Charakteristik einer Sperre wird über den Sperrwert (in %) und bei drehmomentfühlenden Sperrdifferentialen auch über das Drehmomentverhältnis ('Torque Bias Ratio', TBR) bestimmt. Konstant ist der Sperrwert bzw. das TBR nur bei reinen drehmomentfühlenden Differentialen. Dazu betrachtet man die Drehmomente, die auf das linke und das rechte Rad übertragen werden. Beim offenen Differential kann das Drehmoment rechts (MR) nicht anders sein als das Drehmoment (ML) beim linken Rad, im Idealfall des reibungsfreien, offenen Differentials ist der Sperrwert = 0 % und das TBR = 1. Bei für drehmomentfühlenden Ausgleichsgetrieben mit symmetrischer (50:50) Drehmomentaufteilung ist das TBR gleich dem Kehrwert des Standgetriebe-Wirkungsgrades. Beispielsweise weist ein Ausgleichsgetriebe mit einem Wirkungsgrad von 50 % ein TBR von 2,0 auf.
Die allgemeinen Formeln für symmetrische Differentiale lauten:
- [Sperrwert, Wertebereich zwischen 0 %…100 %]
- [Torque Bias Ratio, Wertebereich zwischen 1...]
Formeln zur Umrechnung zwischen beiden Werten:
Sperrwert bzw. TBR sind nur bei drehmomentfühlenden Sperren und bei Festwertsperren konstant.
Fahrzeuge mit Sperrdifferential
Auswahl von Fahrzeugen, die ein vollwertiges Sperrdifferential besitzen:
- Alfa Romeo 2000 GTV
- Alpina B5, Alpina B6
- Mercedes-Benz W112 300 SEL, Mercedes-Benz W109 300 SEL 6.3 (ab Ende 1968), Mercedes-Benz W201 die 16 V Modelle,
- Optional: Mercedes-Benz W126, Mercedes-Benz W124 und Mercedes-Benz R129
- Chevrolet Corvette
- BMW M3, BMW M5, BMW M6, BMW Z4 M, BMW Z4 M Coupé, BMW Z3 Coupé, BMW 850CSi, außerdem konnten früher viele „Nicht-M Modelle“ gegen Aufpreis mit einem Sperrdifferential (25 % Sperrwirkung) ausgestattet werden
- Nissan 350Z
- Toyota Supra
- Toyota MR2-W3
- Ferrari, alle
- Porsche 911 GT2, Porsche 911 GT3, andere optional
- Mazda MX-5 2.0, RX-7 FD3S, Mazda RX-8
- Opel GT (70 % Sperrwirkung)
- Honda S2000
- Cectek Quadrift (Quad)
- VW Käfer (optional)
- Honda Integra Type R
- Honda Civic 1.8 Vti (MB6)
- Mini Cooper S
- Fiat Coupe 20v turbo
- Lancia Delta HPE HF Turbo
- Honda Civic Type R (30 % Sperrwirkung)
- Alfa 147 Q2 (30 % Sperrwirkung)
- Renault Mégane Sport F1-Team R26 (35 % Sperrwirkung)
- Mazda3 MPS
- Rover 200 BRM
- Ford Focus RS (30 % Sperrwirkung)
- Opel Astra F GSi (37 % Sperrwirkung)
- Audi A3
- Nissan Patrol
- Subaru Impreza (Turbomodelle), Legacy (Turbo, Outback und die Sechszylindermodelle), Forester (Turbomodelle), SVX, Tribeca
- Mitsubishi Lancer Evolution ab Evo 7 elektronisch gesteuert
- Mazda6 MPS
- M-Klasse (W164)
- Mercedes-Benz G-Klasse bzw. Puch G
- Volkswagen Multivan 4Motion (optional)
- Cectek Gladiator (ATV)
Alle Audi-Modelle mit differentialgesteuertem (permanentem) Allradantrieb besitzen im Längsdifferential entweder eine 100-prozentige manuelle Differentialsperre (ältere Modelle bis 1985), eine elektronisch gesteuerte Lamellensperre (Audi V8 Automatik) oder ein Torsen-Sperrdifferential (restliche Modelle).
Weblinks
- www.ArsTechnica.de: animierte Grafiken von Sperrdifferentialen und Hintergrundinformationen
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