- Sprachmord
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Der Ausdruck Linguizid (zu deutsch Sprachmord) bezeichnet die geplante oder bewusst in Kauf genommene Vernichtung einer Sprache. Im Gegensatz zu Genozid und anderen Begriffen ist Linguizid kein völkerrechtlich anerkannter Begriff. Ein Linguizid geht meist auf die Dominanz einer Kolonialsprache zurück.
Wissenschaftlich verwendet wurde der Begriff bisher nur von Albert Bock in seiner Studie über das Bretonische Der Linguizid am Bretonischen [1].
Nach Meinung einiger sind Australien und die USA Gebiete, in denen ein so genannter Linguizid zu beobachten sei. Folgende Verletzungen des UN-Minderheitenschutzes, bzw. Ethnozide wären demnach als so genannter Linguizid zu werten:
- Institutionalisierte Trennung der Kinder von ihren Eltern, um die Weitergabe der Muttersprache und somit die Tradierung der Kultur zu verhindern, etwa Kinder australischer Ureinwohner, die so genannte gestohlene Generation (Stolen generation), und Kinder der Jenischen als Opfer des sogenannten Hilfswerks Kinder der Landstrasse
- Erklärung einer anderen Sprache zur ersten Amtssprache, um der Minderheitengruppe ihre kulturelle Identität zu nehmen; z. B. im Dritten Reich gegen das Sorbische; gegen das Lettische und Estnische in Lettland und Estland von 1945-1990 durch die Sowjetregierung, gegen das Weißrussische im Zarenreich und in der Sowjetunion bis 1990 und wieder seit 1994.
- Förderung der Einwanderung nach einer militärischen Eroberung, um die Erobererkultur zu implantieren und somit die Muttersprachler zur Minderheit im eigenen Land zu machen, meist kombiniert mit anderen Methoden, z. B. Korsika (vor allem im 20. Jahrhundert), Hawaiʻi nach der Annexion durch die USA, Lettland (1945-1990), Südtirol (1922-ca. 1960), Sudetenland (1918-1938), Tibet.
- Verbot des muttersprachlichen Unterrichts und Zwangsauflösung muttersprachlicher Schulen, um die kulturelle Integration von Immigranten zu beschleunigen; z. B. das Verbot von Aramäisch in der Türkei oder die Auflösung deutscher Schulen in Australien während des Ersten Weltkrieges.
- Zurückdrängung des Gebrauchs der einheimischen Sprache, um die kulturelle Identität der Eroberten zu zerstören; z. B. des Hawaiischen auf Hawaiʻi nach der Annexion 1898 durch die USA.
- Ausrottung der Sprecher. So trug die Shoa zur Vernichtung des Jiddischen in Europa bei, andere Beispiele sind die so genannten Indianerkriege, die genozidale Züge hatten, oder die Ausrottung der Tasmanier.
- Bekämpfung der traditionellen Kultur, z. B. bei den meisten Indianersprachen in den USA oder bei den Ureinwohnern Australiens.
Die Vermischung, Veränderung und teilweise auch das Verschwinden von Sprachen und Kulturen sind „natürliche“ Prozesse, wie sie in der Menschheitsgeschichte schon seit tausenden von Jahren zu beobachten sind. Militärische Eroberungen und Migrationen von größeren Gruppen (Völkerwanderungen) sind meist die Hauptursachen für das Verschwinden von Sprachen oder das Entstehen neuer Sprachen.
Die Sprache ist der wichtigste Kultur-Träger: Sie transportiert Traditionen wie Lieder, Geschichten, die Geschichte der Kultur usw. Daneben dient sie zur Stärkung und dem Erhalt der kulturellen Identität. Aus diesem Grund ist es - insbesondere nach militärischer Eroberung, wenn die Eroberer das entsprechende Territorium besetzen und selbst besiedeln wollen - in den Augen der Eroberer manchmal „notwendig“, den Gebrauch der einheimischen Sprache zu unterbinden, um die Einheit der einheimischen Kultur und damit einen möglichen organisierten Widerstand gegen die Besetzung zu zerstören.
Sprachliche Minderheiten sind offiziell durch das Völkerrecht und den Minderheitenschutz der UNO und anderer internationaler Gremien geschützt. Insbesondere in Europa sind heute zahlreiche Anstrengungen von offizieller und inoffizieller Seite her bekannt, um ausgestorben geglaubte und/oder bedrohte Sprachen wieder zu beleben. Gälisch in Irland und Rätoromanisch sind Beispiele, bei denen diese Politik erste Erfolge zeigt. In zentralistischen Nationalstaaten wie beispielsweise Frankreich werden hingegen bisher keinerlei Anstrengungen von staatlicher Seite her unternommen, um die seit der Französischen Revolution unterdrückten Minderheitensprachen (Bretonisch, Baskisch, Elsässisch, Korsisch) wieder zu beleben respektive zu fördern.
Siehe auch: Sprachtod, ausgestorbene Sprache
Literatur
- Tove Skutnabb-Kangas: Linguistic genocide in education ? or worldwide diversity and human rights? Mahwah, New Jersey & London: Lawrence Erlbaum Associates. 2000, ISBN 0-8058-3468-0.
- Tove Skutnabb-Kangas, Robert Phillipson, [Hrsg.]: Linguistic Human Rights. Over-coming linguistic discrimination. Contributions to the Sociology of Language 67, Berlin & New York: Mouton de Gruyter, 478p. Paperback 1995, ISBN 3-11-014878-1.
- Tove Skutnabb-Kangas, (1990). Language, Literacy and Minorities. London: The Minority Rights Group.
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