Spätgotik

Spätgotik
Die Kathedrale Notre-Dame de Reims, ein herausragendes Beispiel französischer Gotik
Lichtdurchfluteter Raum: Chor des Veitsdoms in Prag
Gotischer Grundriss (Kölner Dom)

Die Gotik ist eine Strömung der europäischen Architektur und Kunst des Mittelalters. Sie entstand um 1140 in der Île-de-France (Gegend um Paris) und währte nördlich der Alpen bis etwa 1500. Der zuvor vorherrschende Bau- und Kunststil ist als Romanik, der nachfolgende als Renaissance bekannt. Der gotische Stil ist nur in der Architektur genau abzugrenzen, während dies auf den Gebieten der Plastik und Malerei nicht in gleicher Klarheit möglich ist.

Die Gotik war eine Epoche der Verbildlichung der christlichen Ideenwelt und bediente sich dabei in großem Umfang der Symbolik und Allegorie. Herausragende Kunstschöpfung ist die gotische Kathedrale, das Gesamtkunstwerk des Mittelalters, Architektur, Plastik und (Glas-)Malerei vereinend. In der Architektur unterscheidet man weiterhin Früh-, Hoch- und Spätgotik, die in den verschiedenen europäischen Landschaften unterschiedlich schnell übernommen wurden.

Die Bezeichnung „Gotik“ (v. ital. gotico ‚fremdartig‘, ‚barbarisch‘; ursprünglich ein Schimpfwort, abgeleitet von der Bezeichnung des Germanenstammes der Goten) wurde in der Renaissance durch den italienischen Kunsttheoretiker Giorgio Vasari geprägt, der damit seine Geringschätzung der mittelalterlichen Kunst gegenüber dem „goldenen Zeitalter“ der Antike ausdrückte. Auch wenn die Bewertung Vasaris heute nicht mehr geteilt wird, wurde diese Bezeichnung übernommen.

Inhaltsverzeichnis

Baukunst

Entstehung des Stils in Frankreich

Chorumgang der ehem. Klosterkirche Saint-Denis, vor 1144

Der Chorneubau der Klosterkirche von Saint-Denis, der vom königlichen Kanzler und Abt Suger ausgeführt wurde, gilt als Initialbau der Gotik. Hier wurde erstmals der burgundische Spitzbogen (Beispiel: Cluny) mit dem normannischen Kreuzrippengewölbe (Beispiel: St-Étienne in Caen, Gewölbe ab 1120) kombiniert und die Gewölbelasten auf Strebepfeiler abgeleitet. Dadurch konnte auf die bisher vorherrschende massive Wand als statisches Element verzichtet werden. Die dadurch mögliche Reduzierung der Wandfläche zugunsten von Fenstern ermöglichte der Kirche nicht nur ein grazileres Aussehen als das der romanischen „Gottesburgen“, sie war auch viel stärker vom Licht durchflutet.

Wirtschaftliche Grundlage für die Gotik war das Erstarken des französischen Königtums im 12. Jahrhundert auf Kosten des niederen Adels (siehe auch: Geschichte Frankreichs). Der Neubau von Saint-Denis, der königlichen Grablege, ist die architektonische Formulierung eines sehr umfassenden Herrschaftsanspruchs des französischen Königtums gegenüber den Baronen, aber auch gegenüber seinem ärgsten Widersacher, dem König von England: Die Fassade von Saint-Denis, gleichzeitig Triumphbogen und Burg, ist quasi die Wiedererschaffung des karolingischen Westwerks. Die Fassade entstand unmittelbar vor dem Chor und ist, obwohl sie sich schon von den Formen der Romanik gelöst hat, noch nicht ganz als „gotisch“ einzuordnen.

Vorbedingung für die Entwicklung der die gotische Architektur ermöglichenden Baukunst war die Entwicklung der Produktivkräfte (Technik, Arbeitsfertigkeit und -organisation) im Umfeld der aufblühenden, durch den König geförderten Bürgerstädte.

Erfolgsrezept für die weitere Entwicklung des Stils war, dass jeder Großbau das vor ihm Erreichte zusammenfasste und zugleich Grundlage für die Nachfolgebauten wurde. Die Kathedralen von Sens, Senlis, Noyon, Paris und Laon waren wichtige Stationen auf dem Weg zur Reife (Hochgotik), die bereits Anfang des 13. Jh. in Chartres, Soissons, Reims und Amiens erreicht war. Von dort aus breitete sich der Stil durch international arbeitende Baumeister im ganzen westlichen und mittleren Europa aus.

Grundlagen der gotischen Architektur

Die Gotik ist gekennzeichnet durch ein eigenes System im architektonischen Aufbau, das im Gegensatz zur Baukunst der Antike und der Klassik steht (diese beruhten auf Gesetzen aus Stütze und Last). Die häufigste Form des Grundrisses im Kirchenbau war, wie schon in der Romanik, das lateinische Kreuz und der einfache Langbau.

Typische Stilmerkmale gotischer Architektur sind:

  • Kreuzrippengewölbe:
    Schematischer Aufbau eines gotischen Gewölbes
    Die große Neuerung des Kreuzrippengewölbes bestand darin, dass bei einem gedachten Quadrat als Grundriss nicht vier Rundbögen über die vier Seiten des Quadrates gestellt wurden, sondern zwei Rundbögen mit gemeinsamem Mittelstein über die beiden Diagonalen. Dadurch war die Stabilität des Gewölbes gesichert, und die statisch nun weniger wichtigen Bögen über den vier Seiten wurden spitz nach oben gebaut, um die gleiche Höhe wie die beiden längeren und höheren Rundbögen über den Diagonalen zu erhalten. So wird es auch möglich, ein Gewölbejoch über einen rechteckigen Grundriss zu erstellen (statt nur über quadratischen). Auch konnten nun die Gewölbekappen zwischen den Kreuzrippen frei aufgemauert werden ohne eine volle Verschalung zu erstellen. Damit wird die Gestaltung freier als in der Romanik. In der weiteren Entwicklung des Stils wurden auch komplizierte Netzgewölbe erstellt. Kennzeichnend für den Stil blieb die Verwendung von Gewölberippen.
Großflächige Fenster und filigrane Ornamentik: Südseite der Notre-Dame de Paris mit Rosette
  • Aufgebrochene, hohe Wände mit großen Fenstern: Die Romanik prägte eine massive Bauweise von Wand und Baukörper mit kleinen Fenstern. Das Kreuzrippengewölbe ermöglichte es, die Wände durch ein filigranes System von Säulen aufzulösen, das die Last des Gewölbes in senkrechter Richtung trug. Man verwendete im Wandbereich eine Vielzahl großflächiger Fenster, die das Gebäude leicht und lichtdurchflutet erscheinen ließen. Ein typisches Stilelement sind auch kreisrunde Rosettenfenster an repräsentativen Fassaden, meist über dem Hauptportal. Um die durch die massearme Bauweise in den Säulen auftretenden enormen Querkräfte aufzufangen, setzte man das am Außenbau angebrachte Tragwerk der Strebepfeiler ein und, um die Querkräfte möglichst gering zu halten, den Spitzbogen. Das so entstandene Strebewerk, das oftmals von hoher Filigranität sein kann, prägt den Außenbau der französischen Kathedralgotik. Der Innenraum wurde auf diese Weise von einigen statischen Elementen befreit. Praktisch jedes Element eines gotischen Baukörpers ist tragend. Trotzdem stürzten einige Kathedralen noch während der Bauphase ein oder mussten nachträglich aufgrund auftretender Risse mit weiteren kraftableitenden Elementen verstärkt werden. Die Baumeister der Gotik gingen nach dem Prinzip Versuch und Irrtum vor und schufen damit atemberaubende Konstruktionen.
Betonung der Vertikalen: Lübecker Marienkirche
  • Die Betonung der Vertikalen: Dieses Stilmerkmal ist besonders im gotischen Kirchenbau eindrucksvoll zu beobachten. Die Gewölbe erreichten Scheitelhöhen bis 48 m (Kathedrale von Beauvais eingestürzt und unvollendet geblieben, Chor im Kölner Dom 45 m. Im Vergleich der romanische Dom zu Speyer: 33 m). Es ist jedoch auch auf das proportionale Verhältnis von Höhe und Breite des Baus zu achten, welches von jenem der antiken Architektur abweicht, bei romanischer und gotischer Architektur aber recht ähnlich ist.
  • Schlanke strukturierte Pfeiler auf polygonalem Grundriss, die meist mit Diensten umstanden sind.
  • Ornamentik aus geometrischen Formen, wie z. B. Kreisen und Bögen, die in Werk- oder Backstein ausgeführt wurden. Man bezeichnet dies als sogenanntes Maßwerk, das auch in die Fenster eingesetzt wird. Die Vorlagen zu vielen gotischen Ornamenten stammen aus der Pflanzenwelt. Eine besondere Rolle spielte dabei das Eichenlaub. Aber auch Motive und Formen aus der Menschen- und Tierwelt waren beliebt. An den Spitzen von Giebeln und Türmen verwendete man oft eine Kreuzblume als Ornament (vergleiche auch Wimperg). In der Spätgotik schließlich werden auch verschlungenere und kompliziertere Formen in vielfältigen Fischblasen- und Flammenmustern (Flamboyant) ausgebildet.

St-Denis: Die Gotik als „Königsstil“

Zwei Personen spielen bei der Entwicklung und Verbreitung der gotischen Architektur eine entscheidende Rolle: der französische König Ludwig VI. und der Abt Suger von St-Denis (heute ein Stadtteil von Paris). Ludwig war zusammen mit Suger in St-Denis erzogen worden. Aus dieser Jugendkameradschaft entstand eine Freundschaft fürs Leben. Suger kam aus bescheidenen Verhältnissen, war aber hochintelligent und überaus tüchtig in verschiedenen Disziplinen: als Mönch, als Verwalter und sogar auch als Soldat, „der die königlichen Besitzungen und die seines eigenen Klosters erfolgreich gegen raubgierige Feudalherren zu verteidigen wusste“. Ludwig VI. holte ihn daher in seine Nähe und brachte ihn bis an die politische Spitze des Staates. 1122 wurde Suger Abt von St-Denis, 1147 sogar Regent von Frankreich, als der König während des zweiten Kreuzzuges das Land verlassen hatte.

St-Denis nahm damals „unter den großen Abteien Frankreichs eine Stellung von höchster Machtfülle“ ein. Die Abtei galt als Mutter der französischen Kirche und als Krone des Reiches. Keine andere kirchliche oder weltliche Institution war enger mit dem Königshaus der Kapetinger verbunden. Die Kapetinger stellten von 987–1328 den französischen König. Schon seit den Zeiten der Merowinger war St-Denis die Grablege des französischen Königshauses, Caen war die des normannischen. Die Abtei war dem König direkt unterstellt. Hier wurde die Idee des christlichen französischen Herrschers geboren, nachdem das Reich Karls des Großen aufgeteilt worden war und sich ein eigenständiges westfränkisches Reich herauszubilden begann. Die Zeit der beginnenden Gotik war die des Investiturstreites, der Auseinandersetzung Papst und Kaiser, zwischen sacerdotium und imperium – ausgetragen an der Frage, wer im Land die Bischöfe einsetzt, „investiert“. Ein halbes Jahrhundert zuvor hatte 1077 der deutsche Kaiser Heinrich IV. in diesem Zusammenhang in Canossa vor dem Papst Abbitte geleistet.

Der französische König war damals noch nicht Alleinherrscher Frankreichs. Sein Gebiet war klein und von mächtigen Reichen umgeben, aber mit Hilfe der Kirche konnte er seinen Einfluss zielstrebig stärken. In diesem Prozess war die gotische Architektur von großer symbolischer Bedeutung. Denn neben der politischen Gliederung des Landes gab es die kirchliche. Die großen Diözesen waren sog. „königliche“ Bistümer und unterstanden der Krone. Der französische König konnte also die Kirche nutzen, um in die Gebiete seiner Konkurrenten um die Macht hineinzuregieren, was den religiösen Fragen einen deutlich politischen Akzent gab.

Kathedrale von Amiens

Die Architektur der Nachbarländer Frankreichs war romanisch, die des Königs seit 1140 gotisch. Die Gotik hat in Frankreich also nicht die Romanik abgelöst, sondern trat zunächst in Konkurrenz zu ihr auf.

Ähnlich wie in Deutschland standen in Frankreich die Herzöge und Grafen oft gegen den König auf der Seite des Papstes, der die Kirche gerne aus den Händen des Königshauses befreit hätte. Die Dinge hätten auch hier in Frankreich den gleichen Gang gehen können wie in Deutschland oder England. Aber die französische Entwicklung verlief anders. „In einem Entscheidungskampf gegen den deutschen Kaiser wandte sich das Papsttum nämlich mit der Bitte um Schutz und Hilfe an Frankreich“ und der dortige Streit endete schnell bereits 1106. Damit war die jahrhundertelange Verbindung zwischen dem französischen König und dem Papst gegeben, die im 14. Jh. ihren Höhepunkt finden sollte, als der Papst seinen Sitz aus Rom nach Avignon verlegte.

Ohne den deutschen Investiturstreit wäre möglicherweise die französische Geschichte anders verlaufen und damit auch die Entwicklungsgeschichte der Gotik. In Frankreich kam es zu keiner entscheidenden Auseinandersetzung zwischen König und Papst, da die Päpste damals bereits vollständig unter französischem Einfluss standen. Der französische König war auch geistlicher Herrscher, kirchliche Formen waren gleichzeitig königliche Formen. Politisch war der französische König mit dem Papst gegen den deutschen Kaiser verbunden. In Frankreich herrschten konstantere politische Verhältnisse als in Deutschland und Italien. Nach den Karolingern regierten 350 Jahre lang die Kapetinger. Diese festigten ihre Stellung in enger Bindung an das Papsttum. Frankreich wurde dadurch ein „katholisches“ Land.

Die Architektur des deutschen Kaisertums um 1150 ist die Romanik, die Architektur des französischen König – der Königsstil – ist die Gotik. Der imperiale Anspruch der neuen Architektur zeigt sich daran, dass in jedem der Krone neu unterworfenen Gebiet eine gotische Kathedrale errichtet wurde als deutlicher Hinweis, wer hier von nun an die Macht hatte.

Die Kathedrale als „sozialer Treffpunkt“

Lettner in der gotischen Kathedrale von Bristol

Die Kathedralen und Kirchen hatten im Mittelalter unterschiedliche Funktionen. Sie waren nicht nur Ort des religiösen Kultes, sondern auch sozialer Treffpunkt. Bis zum Aufkommen der Rathäuser im 13. Jh. war die Kirche zentraler Versammlungs-, Beratungs- und Wahlort für die Organe der bürgerlichen Gemeinde, ebenso wurden dort Rechtsgeschäfte abgewickelt.

Da der eigentliche sakrale Raum einer Kirche bis zum Konzil von Trient in der Regel von Chorschranken oder von einem Lettner abgeteilt war, ergaben sich im Längsschiff und den Seitenschiffen Möglichkeiten vielfältiger Nutzung, zumal der Raum noch nicht mit Stühlen und Bänken ausgestattet war.

Theater und Mysterienspiel

Aufgeführt wurden im Kirchenraum die beliebten Mysterienspiele, die sich aus den jährlich wiederholten Lesungen der Messe entwickelt hatten. Dargestellt wurde beispielsweise die Flucht nach Ägypten, die allmählich in das sogenannte Eselsfest ausartete. Ein Mädchen spielte die Maria und ritt mit einem reich geschmückten Esel bis an den Altar. Danach wurde eine Messe gelesen, die sich unter anderem darin vom üblichen unterschied, dass der Priester am Ende nicht „Amen“ sagte, sondern „IA“, worauf die Gemeinde mit einem dreifachen „IA“ antwortete. (Funkkolleg Kunst, Studienbegleitbrief 1, 1984, S. 77).

Wirtschafts- und Handelsplatz

Die Kathedrale wurde gelegentlich auch als Warenspeicher, als Stall, als Gasthaus, als Hurentreff, als Markt und in Kriegsfällen als Festung und Zufluchtsort für die Bevölkerung benutzt. Bei einem Rechtsstreit zwischen dem Domkapitel und dem Rat der Stadt Straßburg ging es bei der Frage, ob die Prostituierten der Stadt sich in den Seitenschiffen beziehungsweise Kapellen der Kathedrale anbieten durften, nicht um Moral und Ethik, sondern um den erwirtschafteten Ertrag. Ein altes Wegerecht konnte höher bewertet werden als Ruhe und Andacht und wohl auch Sauberkeit in der Kathedrale. So war es in Straßburg den Schweinehirten erlaubt, ihre Tiere von Nord nach Süd durch das gesamte Querhaus zu tragen, weil vor dem südlichen Querhausportal seit alters her der Schweinemarkt stattfand und die Schweinehirten auf einem alten Wegerecht bestanden.

Die riesigen Dachböden der Kirchenschiffe dienten häufig als Getreidespeicher, die Kirchtürme als Aufbewahrungsort von Wertsachen. Da die Kirchen aus Stein gebaut waren, waren sie weniger feuergefährdet als die Bürgerhäuser. Reiche Städte konnten sich jedoch auch die Errichtung kommunaler Kornspeicher leisten, wie beispielsweise der 1465 errichtete gotische Kornhofspeicher in Erfurt.

Das Langhaus einer Kathedrale war ein religiöser und gesellschaftlicher Treffpunkt der Stadt. Man musste beispielsweise eigens Verordnungen erlassen gegen das Ballspiel und das Abschießen von Vögeln im Innenraum.[1] „In der Kathedrale von Chartres, die die heiligste Reliquie der Muttergottes bewahrte und größere Inbrunst als irgendeine andere Kirche erweckte, hatten die Weinhändler ihre Buden im Schiff und gaben ihren Platz erst auf, als das Kapitel einen Teil der Krypta für sie allein reservierte.“ Da die Bewegungsmöglichkeiten der Frauen damals oft massiv eingeschränkt waren, er ergaben sich beim erlaubten Kirchenbesuch die seltenen Möglichkeiten zum Anknüpfen erotischer Beziehungen.

Eine gotische Kathedrale kann als Zentrum städtischen Lebens des Mittelalters angesehen werden, in dem sich die unterschiedlichsten politischen, sozialen und geistlichen Funktionen bündelten, die in einer architektonischen und künstlerischen Formensprache ausgedrückt und sichtbar gemacht wurden.

Verbreitung und Weiterentwicklung des gotischen Kirchenbaus

In der Architektur unterscheidet man weiterhin Früh-, Hoch- und Spätgotik, die in den verschiedenen Regionen unterschiedlich schnell übernommen wurden:

Frühgotik Hochgotik Spätgotik
Frankreich 1140–1200 1200–1350 1350–1520
Italien seit 1200
England 1170–1250
Early English
 
1250–1350
Decorated
 
1350–ca. 1550
Perpendicular,
Flamboyant
Deutschland 1220–1250 1250–1350 1350–ca. 1520/30

Dies wurde in der Folgezeit bei neuen Bauwerken immer weiter perfektioniert, spätere gotische Kathedralen sind als Lichtsymphonien konzipiert.

Als sich Anfang des 16. Jahrhunderts die Renaissance nördlich, östlich und westlich der Alpen ausbreitete, verlor der gotische Stil schnell an Einfluss.

Frankreich

Um 1200, als in Deutschland noch große spätromanische Neubauten entstanden, setzte in Frankreich bereits die Entwicklung zur hochgotischen Kathedrale ein. Die Mauerflächen wurden weiter reduziert, komplizierte offene Strebesysteme leiteten den Gewölbeschub ab. Nun verschwanden auch die letzten romanischen Erinnerungen, in ganz Nordfrankreich und den Nachbarländern entstanden in rascher Folge zahlreiche Großbauten.

Am Anfang stehen die Dome in Soissons und Chartres. Chartres wirkt jedoch altertümlicher als Soissons, der Architekt schuf hier bewusst eine „Gottesburg“, es finden sich hier tatsächlich zahlreiche Elemente des zeitgenössischen Burgenbaues wieder. Auch die große Stiftskirche in Saint-Quentin wirkt moderner, allerdings wurde hier nur bekanntes neu interpretiert. Chartres zwang nun den Erzbischof von Reims zum Bau einer zumindest „gleichwertigen“ Kathedrale, hier wurde schließlich der französische König geweiht. Günstigerweise brannte der alte Dom 1210 ab, es entstand der berühmte hochgotische Neubau.

In der Normandie wurden die Kathedralen in Coutances und Bayeux begonnen, in der Grafschaft Maine wuchs Saint-Julien in Le Mans in den Himmel, nach 1231 wurde die Abteikirche in Saint-Denis bei Paris nach fast hundert Jahren Stillstand auch im Langhaus gotisch erneuert. Außer riesigen Kathedralen, wie etwa Amiens, Metz, Rouen, Bourges, Auxerre und Beauvais entstanden große Kloster- und tausende Pfarrkirchen und Kapellen. Der Höhepunkt der Auflösung und vertikalen Streckung der Architektur war mit dem Schlussstein des Chorgewölbes der Kathedrale von Beauvais 1272 in 48 Metern Höhe erreicht worden, die Gewölbe stürzten jedoch bereits 12 Jahre später ein und mussten erneuert werden, um beim Einsturz des monumentalen Vierungsturmes 1573 wieder zerstört zu werden. Die Kirche wurde nie vollendet.

Da an den meisten großen Kirchen jahrhundertelang gebaut wurde, weisen viele auch Elemente der verschiedenen gotischen Epochen auf, da man sich nicht sklavisch an die ursprünglichen Pläne hielt, sondern die neuen Einflüsse mit verarbeitete. Im Allgemeinen wurde zuerst der Chor begonnen, dann das Querhaus, die Langschiffe und Fassaden wurden teilweise erst von der Neogotik vollendet.

Ein Beispiel des Flamboyantstils in der Sainte-Chapelle

Als besonders reines Beispiel hochgotischer Architektur errichtete man ab 1318 in Konkurrenz zur dortigen Kathedrale die gewaltige Abteikirche Saint-Ouen in Rouen. Der wenig bekannte Bau ist 137 Meter lang, die Gewölbe schließen in 33 Metern Höhe.

Bereits gegen 1300 setzen manche Kunsthistoriker die Vorläufer der französischen Spätgotik an. Der Hundertjährige Krieg brachte die Bautätigkeit im ersten Drittel des 15. Jahrhunderts weitgehend zum Erliegen. Danach entstand nur noch eine neue Kathedrale (Nantes, 1434), dafür zahlreiche große Pfarrkirchen für die nach Ende des Krieges rasch anwachsende Stadtbevölkerung. Viele Großbauten wurden jedoch auch weiter- und fertiggebaut, so die Kathedralen in Auxerre, Troyes, Meaux, Tours und andere. Manche dieser Großbauten wurden nun durch prachtvolle Westfassaden abgeschlossen, auch Querhausfassaden entstanden im spätgotischen Flamboyant-Stil. Dieser, besonders reich verzierte Dekorationsstil hat seinen Namen von seinen „flammenden“, grotesken Maßwerk- und Zierformen, die oft riesige Flächen überziehen. (Toul, Tours, Alencon, Évreux u. v. a.).

Die Umstrukturierung der Wirtschaft

Gleichzeitig mit der Gotik setzte eine Phase allgemeiner Innovation ein, eine generelle Umstrukturierung auch im Wirtschaftsleben des Landes. Es vollzog sich besonders ein Wechsel von der Landwirtschaft zum geldwirtschaftlich bestimmten Warenverkehr, der Handelsschwerpunkt verlagerte sich vom Land in die Stadt. Gleichzeitig vollzog sich der Wechsel der Klosterkirche auf dem Land zur Bischofskirche in der Stadt.

Im 12. Jh. erfuhr die landwirtschaftliche Produktion eine beispiellose Steigerung, bedingt sowohl durch technische Entwicklungen wie z. B. das Kummetgeschirr für Zugpferde als auch ein rasantes Bevölkerungswachstum. Frankreich hatte schließlich 20 Mio. Einwohner und war damit das bevölkerungsreichste Land Europas. Der Handel blühte, die alten Römerstraßen wurden instand gesetzt. Die Landbevölkerung strömte in die Städte, deren Einwohnerschaft sich verdoppelte bis vervierfachte.

Der Kathedralenbau und die gesellschaftlichen Schichten

Es sind in den Städten aber nicht alle gewesen, die den neuen Baustil und seine Kosten befürworteten. Es gab da sehr unterschiedliche Verhältnisse. Kurz gesagt standen auf der Seite der Befürworter – neben dem König – das städtische Bürgertum, dann derjenige fortschrittliche Teil des Adels, der monarchisch orientiert war, dann schließlich noch das Kirchenkapitel und zum Teil auch die Bischöfe.

Dagegen standen die alten, vom Abstieg bedrohten Führungsschichten des Feudaladels mit seinen Ländereien, die in den gotischen Kathedralen Manifestationen einer neuen, ihnen feindlichen Macht sahen. Dann waren diejenigen Mönchsorden dagegen, deren Machtstellung auf dem Land gefährdet wurde, also zunächst die Zisterzienser, später – nach 1220 – vor allem die neuen Bettelorden der Dominikaner und Franziskaner, die sich oft zum Sprachrohr der städtischen Unterschichten machten – und natürlich waren auch die Ketzerbewegungen gegen die neue prachtvolle Architektur. In Paris gab es deshalb schwere Konflikte zwischen dem Kathedralklerus und den an der Universität unterrichtenden Gelehrten dieser genannten Orden: Thomas von Aquin, Bonaventura von Bagnoregio und Albertus Magnus. Und all diese Orden bildeten denn auch für ihre Kirchen andere Baukonzepte aus, die sozusagen architektonische Leitbilder gegen die gotischen Kathedralen darstellen.

Aber auch unter den Befürwortern der Gotik gab es Zwist und zwar geboren aus Konkurrenz- und Prestigedenken. Die Bischöfe und der Adel wollten mit den Kathedralen ihre Macht manifestieren. Die aufstrebenden Bürger der Städte wollten aber ebenfalls ihren frommen Beitrag leisten. Das duldeten Klerus und Adel aber nicht. Sie wiesen die Spenden der Bürger ab, da das Werk der Kathedrale allein ihr Verdienst sein sollte. Darüber gab es gar Aufstände der Bürger, die ihren Beitrag erzwingen wollten. Es war also nicht so, dass man mit dem Klingelbeutel umherging und jeder seinen Beitrag gab, vielmehr sahen Bischöfe und Adel dies als ihr Privileg an. Später errichteten Bürger deshalb auch die nach ihnen benannten Bürgerkirchen, als eigene Machtdemonstration gegen den Bischof, oft nah beim Dom. Dabei wurde versucht die Kathedrale zu übertrumpfen.

England

Westfassade von Westminster Abbey in London
Das Oktogon der Kathedrale von Ely, ein Meisterwerk des Decorated Style

Die englischen Kathedralen der Gotik besitzen im Osten oft zwei Querhäuser und einen geraden Chorabschluss. Der Chor wurde stark verlängert und statt einer Apsis häufig eine Marienkapelle (Lady Chapel) angebaut. Bei den Außenansichten der Kathedralen fallen vor allem die breiten Westfassaden auf, sowie dass der Vierungsturm oft die Haupttürme überragt. Eine weitere Eigenart der englischen Gotik ist die besondere Betonung der Länge, im Gegensatz zum eher augenfällig Höhenstreben des Kontinents. Die englischen Bauten wurden nahezu ausnahmslos dreischiffig gebaut; statt durch doppelte Seitenschiffe oder Seitenkapellen eine Vergrößerung der Fläche zu erreichen, gab es extreme Längen-Breiten-Relationen, die Abteikirche von St. Albans und die Kathedrale von Winchester erreichen Längen von ca. 170 m.

Auf der Insel kam es ab etwa 1175 zur Übernahme „moderner“ kontinentaler Bauformen, die sich mit der heimischen anglonormannischen Tradition zur Early English (1175–1260) genannten Frühgotik verbanden, insbesondere durch den Zisterzienserorden ins Land gebracht. Zu den Stilmerkmalen des Early English Style, welches sehr karg ist, gehört das Kreuzrippengewölbe. Im 13. Jahrhundert begann die Entwicklung komplizierter Gewölbeformen (Sterngewölbe) und dekorativere Muster der Rippen (z. B. Scheitelrippen). Als erster englischer Bau der Gotik gilt der zwischen 1175 und 1184 von Wilhelm von Sens errichtete Chor der Kathedrale von Canterbury.

Während des Decorated Style (1250–1370) war kaum eine Wandflächen ohne Maßwerkverblendung, auch die Gewölberippen fügen sich zu reicheren Mustern (Stern- oder Netzgewölben) zusammen. Der Spitzbogen wird zum Kielbogen. Der erhöhte Lichtgaden lässt den Einbau größerer, farbiger Fenster zu und erhellt so den Innenraum. Beispiele für den Decorated Style finden sich in Westminster Abbey in London (Chor, begonnen 1246) sowie in den Kathedralen von York (etwa 1290–1340) und Wells (etwa 1290–1340). Ein Meisterwerk der Decorated ist das 1321 bis 1353 erbaute Vierungs-Oktogon der Kathedrale in Ely mit seiner den Turm abschließenden Laterne.

Der Perpendicular Style (1330–1560) (lat. perpendiculum: Lot, Richtschnur) nahm die Ornamentik des Decorated Style zugunsten eines klaren, geometrischen Stils mit Betonung der Weiten zurück. Die Fenster wurden sehr breit, bedeckten oft die ganze Ostseite und bekamen einen sehr flachen Spitzbogen, den Tudorbogen, der sich entwickelte weil normale Spitzbögen bei den neuen Ausmaßen der Fenster keinen Platz gefunden hätten. Das Fächergewölbe tritt auf.

Der neue Stil wurde erstmals in der Kathedrale von Gloucester verwirklicht (Chor, Kreuzgang mit Fächergewölbe, 1337–1357). Weitere Beispiele sind die Winchester Cathedral (Langhaus, begonnen 1394), King’s College Chapel in Cambridge (begonnen 1446) und die Henry VII. Chapel in Westminster Abbey (1503–1519). Im Stil des Perpendicular wurde in England über 200 Jahre lang gebaut, also weit über das Ende des Mittelalters hinaus. Noch 1640 wurde beispielsweise in Oxford das Treppenhaus des Christ Church College mit einem Fächergewölbe gebaut. Im Tudor Style vermischte sich der Perpendicular Style mit Formen der Renaissance. England ist das einzige europäische Land, in dem der gotische Stil nie ganz ausstarb, sondern auf dem Land teilweise weiterexistierte und im Gothic Revival wieder aufgegriffen wurden.

Deutschland

Die gotische Architektur breitete sich in Deutschland erst mit einiger Verzögerung aus. Teilweise muss man auch von einem „Übergangsstil“ zwischen Romanik und Gotik sprechen, z. B. bei den Domen von Limburg a. d. Lahn und Bamberg. Besonders am Magdeburger Dom, der 1209 als erster gotischer Bau in Deutschland entstand, sind die Übergänge vom romanischen zum gotischen Baustil erkennbar, womit eine nahezu einzigartige Überlieferung dieses Umbruchs erhalten geblieben ist. Das Erscheinungsbild ähnelt hier zumeist noch den wuchtigen, romanischen Kirchen; einzelne Gebäudeteile weisen jedoch schon gotische Tendenzen auf. Die lokalen spätromanischen Bautraditionen wurden meist nur sehr zögerlich durch die westlichen Neuerungen verdrängt.

Die ersten rein gotischen Kirchenbauten auf heutigem deutschen Staatsgebiet waren ab ca. 1230 die Liebfrauenkirche in Trier und die Elisabethkirche in Marburg. Das konkurrierende Halberstädter Domkapitel begann seinerseits mit dem Bau einer hochgotischen Kathedrale (Dom zu Halberstadt) nach Reimser Vorbild, von der allerdings nur drei Langhausjoche realisiert werden konnten, der übrige Bau zog sich bis gegen 1500 hin. Die große Domkirche ist einer der wenigen im Mittelalter vollendeten Großbauten Europas, sie gilt vielen Kunsthistorikern als die beste „deutsche“ Umsetzung des französischen Kathedralschemas.

Kölner Dom (Gesamtansicht der Westfassade)

Die hochgotischen Teile der Kathedrale in Köln (erst im 19. Jahrhundert nach den Originalplänen vollendet) versuchen gar, die westlichen Vorbilder zu übertreffen. Die Großbauten von Köln und Beauvais erreichten die Grenze des statisch und bautechnisch Möglichen, was beim französischen Beispiel sogar zum Einsturz großer Bauteile führte. Bayerns einzige „französische“ Kathedrale ist der Regensburger Dom, das Vorbild St. Urbain in Troyes ist hier offensichtlich. Das Straßburger Münster gehört heute zu Frankreich, darf aber als ein Hauptwerk der deutschen Hochgotik gelten. Besonders seine Westfassade steht auf einer Stufe mit den besten Leistungen westlicher Baumeister. Die benachbarten Florentiuskirche in Niederhaslach und Georgskirche in Schlettstadt entstanden praktisch als Nebengedanken zu dem Straßburger Bau. Im nahen Freiburg im Breisgau entstand mit dem Münster ein weiteres Hauptwerk deutscher Gotik, der Hauptturm mit seinem durchbrochenen Helm gilt manchen gar als der „schönste Turm der Christenheit“. Auch das benachbarte und architektonisch verwandte Theobaldusmünster zu Thann gilt als eine Meisterleistung der Kirchen- und Turmbaukunst.

Neben den großen Bischofskirchen entstanden rasch zahlreiche Pfarrkirchen in den Städten, die manchmal die Ausmaße der Dombauten erreichten oder sogar übertrafen (Ulmer Münster, Freiburger Münster). Die deutsche Gotik löste sich immer mehr vom westlichen Vorbild, es entstand die sogenannte „Deutsche Sondergotik“, auch „Reduktionsgotik“ genannt. Kennzeichen dieser Sonderentwicklung ist neben der meist wesentlich „schlichteren“ äußeren Erscheinung deutscher Sakralbauten (Verzicht auf aufwendige offene Strebesysteme) auch die Vereinfachung der Grundrisse und die Bevorzugung der Hallenbauweise. Die Halle ermöglichte jedoch die Entwicklung einiger aufwendiger Wölbesysteme, „deutsche“ Kirchen werden oft vom prächtigen Netz- oder Schlingrippengewölben überspannt (Annaberg, Freiberg). Besonders die Spätgotik schuf hier bedeutende Beispiele.

Zu lokalen Zentren entwickeln sich die süddeutschen Reichsstädte, besonders Nürnberg und Regensburg, und die Hansestädte an der Ostseeküste, hier vor allem Lübeck und Stralsund.

Lange Zeit hielt man, vor allem im 19. Jahrhundert, die Gotik für einen typisch deutschen Stil – entgegen der älteren Überzeugung. Nach den Befreiungskriegen gegen Napoleon 1811–1815 wurde die gotische Baukunst zum Inbegriff einer urdeutschen christlichen, mittelalterlichen Weltordnung verklärt. Und dieses romantische Traumbild eines deutschen Mittelalters wurde zum positiven Gegenbild erhoben gegen – einerseits – die Unordnung und Verunsicherung der aufblühenden industriellen Welt und – andererseits – die kollektive Verunsicherung in der Politik nach der Französischen Revolution von 1789, die bestimmt war durch die Kriegszüge Napoleons und die staatliche Zersplitterung.

1815 wurde auf dem Wiener Kongress das nachnapoleonische Europa neu geordnet. In Deutschland kamen die katholischen Rheinlande skurrilerweise ausgerechnet an das protestantische Preußen und die preußischen Herrscher sorgen dafür, dass vor allem der seit Jahrhunderten liegen gebliebene Kölner Dom als Inbegriff der vorgeblich deutschen Gotik ab 1842 vollendet wurde, was bis 1880 auch gelang. 1871 gelang im Anschluss an den deutsch-französischen Krieg die Vereinigung der deutschen Länder zum Zweiten deutschen Reich und der damals noch nicht vollendete Kölner Dom wurde dadurch gleichsam zum architektonischen Inbegriff deutscher Größe – und gleichzeitig wurde damit die Gotik zu einem deutschen Stil.

In dieser Hochphase der Glorifizierung der deutschen Gotik war aber schon Franz Theodor Kugler als erster – im dritten Band seiner „Geschichte der Baukunst“ 1859 – an die Öffentlichkeit getreten mit der Behauptung, dass das Heimatgebiet der Gotik Nordfrankreich ist – und er konnte das auch beweisen. Nicht Deutschland, sondern ausgerechnet der Erbfeind Frankreich sollte demnach die Gotik erfunden haben. Diese Erkenntnis setzte sich in Deutschland nur langsam durch, bewirkte jedoch später den Siegeszug der Neoromanik.

Niederlande und Belgien

Auch der niederländische Kulturkreis, insbesondere das Herzogtum Brabant entwickelte ab dem 14. Jahrhundert eine eigene „Reduktionsgotik“, die oft in vereinfachter Form an die französischen Vorbilder angelehnt ist und als Brabanter Gotik bezeichnet wird. Als Hauptvertreter gilt der französische Baumeister Jehan d'Oisy aus der Picardie. Als Hauptwerke der Epoche dürfen die Dome in Utrecht, Herzogenbosch, Antwerpen, Tournai und Brüssel gelten, auch zahlreiche große Pfarrkirchen entstanden, etwa in Brügge, Gent und Ypern. Flandern war wegen seiner Nähe zu Nordfrankreich diesen französischen Einflüssen natürlich in besonderem Maße ausgesetzt, einige Innovationen wurden sogar dorthin zurückgegeben. Besonders die Spätgotik schuf hier einige der beeindruckendsten mittelalterlichen Sakral- und Profanbauten Europas, es sei nur an die großen, reich verzierten Rathausbauten dieser Region (Oudenaarde, Brüssel) erinnert. In Deutschland ist der Dom zu Xanten deutlich von der niederländischen Gotik beeinflusst, auch andere niederrheinische Bauten sind hier zu nennen (St. Nicolai in Kalkar, Stiftskirche in Kleve, Maria-Magdalena in Goch, Willibrordi-Dom in Wesel).

Schweiz und Österreich

Die Schweizer Gotik ist in der Westschweiz naturgemäß an Frankreich orientiert (Lausanne, Genf), die Deutschschweiz besitzt in den Münstern von Basel, Bern, Zürich und Freiburg im Üechtland (ursprünglich deutschsprachig) vier größere gotische Sakralbauten. Bern und Fribourg erinnern mit ihren Einturmfassaden an das Münster in Freiburg im Breisgau.

Ähnlich wie das stammverwandte Bayern ist das heutige Österreich eigentlich ein „Land ohne Kathedralen“, als gotischer Großbau ist nur der Wiener Stephansdom zu nennen, eine große Halle mit zwei geplanten riesigen Chorseitentürmen, von denen nur einer vollendet wurde. Bedeutende Klosterkirchen mit Hallenchören sind in Heiligenkreuz und Zwettl zu finden, eine große Stadtpfarrkirche besitzt Braunau.

Skandinavien

Der Nidarosdom in Trondheim

In Dänemark begann die Rezeption der französischen Gotik noch früher als in Deutschland. Der Backsteindom von Roskilde mit seinem Umgangschor wirkt zwar auf den ersten Blick wie ein Ableger der deutschen Backsteingotik, verweist aber deutlich auf direkte westliche Vorbilder, etwa Noyon und Laon. Die weitere Entwicklung war jedoch weitgehend von Norddeutschland und Westfalen abhängig, ein besonderes Kennzeichen sind die einfachen Treppengiebel zahlreicher dänischer Backsteinkirchen. Größere Dombauten finden sich auch in Århus und Odense. Die dänische Spätgotik bevorzugte den Bautypus der Pseudobasilika (Staffelhalle), das Innere dieser Kirchen ist meist nach norddeutscher Art weiß gekalkt.

In Schweden wurden die großen Dombauten in Uppsala und Skara im 19. Jahrhundert stark neugotisch verändert, in Uppsala hat man diesen Umbau um 1970 wieder weitgehend zurückgebaut. Auch hier wird direkter französischer Einfluss deutlich, der allerdings wie bei seinem dänischen Gegenstück Roskilde ohne Nachfolge blieb. Stilprägend wurden neben Lübeck (Malmö) vor allem die westfälischen Hallenkirchen, als Baumaterial finden sich sowohl der Back- (Sigtuna) als auch der Werkstein (Linköping). Auch die norddeutsche Hallenbauweise war oft richtungsweisend, etwa in Våsteras oder Vadstena, die dortige Brigitten-Klosterkirche gilt als einer der bedeutendsten Sakralbauten Skandinaviens.

Gotland besitzt heute noch 91 gotische Kirchen, die westfälischen Vorbilder haben sich hier zu einer durchaus eigenständigen Architektursprache weiterentwickelt. Das bedeutendste Beispiel steht natürlich inmitten der stark befestigten alten Handelsstadt Visby, die meisten sonstigen Kirchen dieser für Skandinavien einmaligen mittelalterlichen Stadt sind nur als Ruinen erhalten.

Das Hauptwerk der Gotik in Finnland ist der große Dombau in Turku (Åbo), eine steile Backsteinbasilika norddeutsch-schwedischen Schemas (Gewölbehöhe im Mittelschiff 24 m). Auch der sonstige Sakralbau ist aus politischen und kulturellen Gründen weitgehend an Schweden orientiert.

Norwegen besitzt im Dom zu Trondheim eine größere, an der englischen Gotik ausgerichtete Kathedrale, die typisch englische Screen-Fassade ist allerdings überwiegend eine Ergänzung des letzten Jahrhunderts.

Ostmittel- und Osteuropa

St.-Anna-Kirche in Vilnius

In der gotischen Sakralarchitektur Polens, Böhmens, Mährens, Ungarns und anderer ost- und ostmitteleuropäischer Länder mischen sich einheimische Sonderentwicklungen mit den aus Westeuropa und Deutschland importierten Grundstrukturen. In den von deutschem Bürgertum dominierten Städten und Regionen herrschten natürlich mitteleuropäische Einflüsse vor, durch die Handelsbeziehungen der Ostseestädte gelangten auch niederländische Elemente in diesen Raum, als Beispiel sei hier die Danziger Marienkirche angeführt.

In Böhmen blieb die große Kathedrale auf dem Prager Hradschin bis ins frühe 20. Jahrhundert unvollendet, der hoch- bis spätgotische Chor des Veitsdomes wurde von einem französischen Meister begonnen und von Peter Parler weitergebaut. Als Höhepunkt böhmischer Architektur gilt neben dem Veitsdom die der heiligen Barbara geweihte „Kathedrale“ von Kuttenberg (Kutna Hora). Auch das nahe Kolin an der Elbe besitzt einen bedeutenden Chorbau der Parlerschule. In Most (Brüx) wurde die spätgotische Dekanatskirche in einer spektakulären Aktion etwa 800 Meter verschoben, um die reich gewölbte Halle vor dem Braunkohletagebau zu retten.

Auch das ehemalige Groß- und Kleinpolen besitzt zahlreiche gotische Sakralbauten. Als Baumaterial dominiert der Backstein, besonders die Zisterzienserarchitektur war hier lange stilprägend. Bei der großen Kathedrale (ab 1320) auf dem Wawel in Krakau sind diese Einflüsse heute durch spätere Umbauten teilweise verwischt, die zweischiffige, sterngewölbte Kirche in Wislica (um 1350) verweist auf Vorbilder der klösterlichen Profanarchitektur (Refektorien, Kapitelsäle).

Die Krakauer Marienkirche war im Mittelalter die Pfarrkirche der deutschen Gemeinde. Die steile Backsteinbasilika besitzt einen originellen spätgotischen Turmhelm, der von einer goldenen Krone bekrönt wird. Einen „französischen“ Umgangschor weist die Posener Domkirche auf, der Bau präsentiert sich heute jedoch wegen der verheerenden Zerstörungen des Zweiten Weltkrieges überwiegend als Rekonstruktion des ursprünglichen mittelalterlichen Zustandes.


Die Baltischen Staaten (Estland, Lettland und Litauen) besitzen einige größere Backsteinkirchen norddeutscher oder westfälischer Prägung in den alten Hansestädten Riga und Reval (Tallin), von den deutschen Vorbildern weit entfernt ist allerdings die prachtvolle Backsteinfassade mit Elementen der „Flammengotik“ der litauischen St.-Anna-Kirche in Vilnius.

In Rumänien konnte sich der gotische Baustil auf Grund der Zugehörigkeit zum orthodoxen Kulturkreis schwer entfalten. Dennoch ist die rumänisch-orthodoxe Kirche die einzige unter den orthodoxen Kirchen, die gotische oder gotisch beeinflusste Bauwerke akzeptiert hat. Die Gotik blieb aber vor allem auf Siebenbürgen beschränkt, welches zur Zeit der Gotik zum Königreich Ungarn gehörte. Der Einfluss abendländischer Kultur auf die Rumänen lässt sich hier in den rumänisch-orthodoxen Holzkirchen der Maramuresch und dem Apuseni-Gebirge belegen. Außerhalb des Karpatenbogens lässt sich die Gotik in einigen der Moldauklöstern, sowie in vereinzelten Kirchen aus der Walachei und Moldau belegen.

In Siebenbürgen hingegen gibt es zahlreiche Bauwerke der deutschen und teilweise der ungarischen Minderheit, die im gotischen Stil errichtet wurden. Die größte und wohl bekannteste darunter ist die Schwarze Kirche in Kronstadt. Die Schwarze Kirche ist nicht nur die größte gotische Kathedrale im Südosten Europas, sondern auch die südöstlichste. Gleichzeitig ist sie der größte Kultbau zwischen dem Stephansdom in Wien und der Hagia Sophia in Istanbul.

Rumänisch-Orthodoxe Kirchen im gotischen Stil:

Evangelisch-lutherische und reformierte Kirchen aus Siebenbürgen:

In den anderen mehrheitlich christlich-orthodoxen Staaten Ost- und Südosteuropas konnte sich die Gotik wegen der Zugehörigkeit zum orthodoxen (byzantinischen) Kulturkreis nicht entfalten.

Italien

Der Mailänder Dom, errichtet ab 1386

Die spätmittelalterliche Baukunst Italiens war lange Zeit nicht als Gotik anerkannt, gingen ihr doch eine Vielzahl typischer Merkmale der französischen Kathedralgotik ab. Der gotische Kirchenbau Italiens wurde eingeleitet von den Bettelorden, die wiederum von den Zisterziensern geprägt waren: irdische Schwere und Solidität anstelle himmelstrebender Formen und transzendentaler Beleuchtung. Die Bauplastik wurde auf das Notwendigste reduziert, die großflächigen Wände mit umfangreichen Freskenzyklen gestaltet. Die Kirchenbauten der Franziskaner und Dominikaner standen häufig in Konkurrenz zueinander, und Kirchen standen insgesamt in Rivalität zu den teils festungsartigen Kommunalpalästen. Dies führte nicht wie in Frankreich zu immer neuer Steigerung eines einheitlichen Konzepts, sondern zu Selbstdarstellung durch Originalität.

Ab 1387 entstand im lombardischen Mailand der gewaltige Dom, dessen gotische Konstruktions- und Dekorationsformen auf großen Widerstand der einheimischen Bevölkerung stießen. Der Stadtherr Gian Galeazzo Visconti wollte die Macht und den Einfluss seiner Stadt und seines Geschlechtes durch eine der größten Kathedralen Europas manifestieren. Ein internationales „Expertengremium“ begann mit der Planung des riesigen, fünfschiffigen Sakralbaues, dessen Innenraum an die Kathedrale von Bourges erinnert, aber auch auf lokale romanische Vorbilder (Piacenza) zurückgeht. Es kam hierbei zu erbitterten Kontroversen unter den Baumeistern, so zog sich etwa Heinrich Parler gekränkt vom Baubetrieb zurück, nachdem sein Vorschlag zur Erhöhung des Mittelschiffes als zu „unitalienisch“ abgelehnt worden war. Die endgültige Fertigstellung des Mailänder Domes zog sich bis ins 20. Jahrhundert hin.

Als Konkurrenzbau zu Mailand entstand in Bologna die fünfschiffige Basilika San Petronio, deren schlichter, klar gegliederter Innenraum typisch für die italienische Gotik ist.

In Siena wurde der romanische Dom ab dem frühen 13. Jahrhundert gotisiert, bemerkenswert ist hier vor allem Giovanni Pisanos dreiportalige Westfassade (ab 1284), die wohl auf französische Vorbilder zurückgreift.

Spanien und Portugal

Kathedrale von Segovia bei Nacht

Die frühen großen spanischen Dome in Burgos, Toledo und León folgen noch deutlich den französischen Vorbildern, erst ab etwa 1300 beginnt eine deutlichere Sonderentwicklung der spanischen Sakralarchitektur.

1298 wurde mit dem Bau der Kathedrale von Barcelona begonnen, deren Langhaus sich bereits der Hallenform annähert. 1329 folgte die große Seefahrerkirche Santa María del Mar, ebenfalls eine riesige „Staffelhalle“. Typisch für die aragonesisch-katalanische Gotik ist das schlichte, ja karge Äußere der Kirchen, die oft wie Festungen wirken. Ab 1312 begannen südfranzösische Meister mit dem Bau des Chores der Kathedrale von Girona, ab 1417 fügte man diesem ein gewaltiges, einschiffiges Langhaus an. Mit einer Spannweite von 23 Metern wurde hier das breiteste Gewölbe der Gotik geschaffen, die Gewölbehöhe beträgt 34 Meter.

Das Hauptwerk der mallorquinischen mittelalterlichen Architektur ist die Kathedrale Santa María in Palma de Mallorca, die um 1300 begonnen wurde. Die riesige dreischiffige Basilika ist etwa 110 Meter lang, die Schauseite ist die zum Meer gelegene Längsfront mit ihrer dichten Reihung fialengekrönter Strebepfeiler und doppelter Strebebögen.

Andalusien schuf nach der Reconquista mit der Kathedrale in Sevilla einen der gewaltigsten Sakralbauten Europas und die größte gotische Kirche der Welt. Ab 1401 begonnen, zog sich der Bau bis 1519 hin. Er wurde auf den Grundmauern der islamischen Moschee errichtet, deren großes Minarett, die Giralda, zum Glockenturm umgestaltet wurde. Auch hier wurde der fünfschiffige Innenraum der Hallenform angenähert, das Äußere gliedert ein aufwändiges System von Strebepfeilern und -bögen.

Als sich anderen Ortes bereits die Renaissance durchzusetzen begann, entstanden im 16. Jahrhundert die spät- bis nachgotischen Kathedralen von Salamanca, Segovia und Plasencia. Noch bis ins beginnende 18. Jahrhundert galt die Gotik als die „moderne“ Architektursprache, die Renaissance war jedoch als Stilrichtung gleichberechtigt. Die Gotik repräsentierte den Sieg des Christentums über den Islam, weshalb noch lange auf Elemente dieses mittelalterlichen Baustils zurückgegriffen wurde. Diese „Nachgotik“ enthält natürlich zahlreiche Abwandlungen der klassischen Formen. Spätgotischen Charakter trägt die 1477 begonnene Kathedrale Santa María in Astorga

Sternengewölbe im unvollendet gebliebenen Kloster Batalha

Auch in Portugal finden sich etliche herausragende Werke gotischer Architektur. Anfangs waren die Bettelorden stilprägend, um 1300 begannen der Hof und später der Adel mit der Auftragsvergabe. 1330 wurde Sta. Clara in Coimbra geweiht, um 1350 der Kreuzgang der Kathedrale in Évora begonnen. 1388 begann man mit der Planung des Klosters Batalha. Den Bau des Dominikanerkonvent hatte der König als Dank für den Sieg über die kastilische Armee bei Aljubarrota gelobt. Er diente später auch als königliche Grablege. Eine große, netzgewölbte nachgotische Halle ist die Kirche des Hieronymitenklosters in Belém (1517). Das Kloster ist – ebenso wie der bekannte Torre de Bélem – ein gutes Beispiel für die „manuelinische Architektur“, die den Abschluss der portugiesischen Gotik bildet. Anders als in Spanien sind maurische und islamische Einflüsse (Mudéjar-Stil) in Portugal eher die Ausnahme.

Hallenkirchen

Eine besondere Form des gotischen Kirchenbaus stellen die Hallenkirchen dar. Besonders in Deutschland war dieser Bautypus beliebt, er kommt aber auch in Frankreich (Poitiers u.a) und anderen Ländern vor. Die höchste im Mittelalter realisierte Hallenkirche ist die Marienkirche in Danzig.

Im Zuge der Sonderentwicklung der deutschen Gotik wurde die Halle gar das bevorzugte Bauschema, besonders Stadtpfarrkirchen wurden oft als Hallen oder Staffelhallen realisiert. Im Gegensatz zur Basilika besitzen hier alle Seitenschiffe die gleiche Höhe, sodass das Kirchenschiff einer riesigen Halle ähnelt. Einem besonders harmonischen Raumkonzept folgen die im Grundriss nahezu quadratischen städtischen Hallenkirchen Westfalens. Das herausragendste Beispiel ist die Wiesenkirche in Soest. Eindrucksvoll sind die süddeutschen Hallenumgangschöre von St. Sebald und St. Lorenz in Nürnberg.

Eine Zwischenform ist die erwähnte Staffelhalle (Pseudobasilika), die besonders in der Spätgotik verbreitet war. Hier ist das Mittelschiff etwas höher als die Seitenschiffe, auf eine eigene Belichtung durch Fenster wurde aber verzichtet. Ähnlich wie bei der echten Halle werden die Gewölbe meist von einem riesigen, einteiligen Dach überspannt. Die spanische Gotik schuf jedoch einige riesige Staffelhallen mit durchfensterten Obergaden.

Oft wurden älteren Basiliken nachträglich zweischiffige Hallen als Seitenschiffe angefügt, manchmal mit reichen Gewölbefigurationen (Ulmer Münster, Augsburger Dom), die manchmal wie eigenständige Kirchenräume wirken.

Profanbauten

Anders als in der Romanik, sind aus der Gotik zahlreiche Profanbauten erhalten. Während der Sakralbau die gotische Architekturentwicklung anführte, konnte sich auch der Profanbau den neuen Entwicklungen nicht entziehen. Anders als beim Kirchenbau stand die Zweckmäßigkeit vor der künstlerischen Gestaltung (zum Beispiel flächige Wandform). Merkmale sind beispielsweise die Profilierung der Fenster und Türen, Treppengiebel, so genannte Katzentreppen und gegebenenfalls Gewölbetechnik. Folgende Entwicklungen sind festzuhalten:

  • Wandlung der Burg zum Schloss: Der Wehrzweck der Fürstenburg trat im Verlauf der Gotik zunehmend hinter den Wohnzweck zurück. Der Wandel in der Kriegführung (Feuerwaffen, Söldnerheere) reduzierte die Bedeutung der Befestigung, während der Repräsentationswille neu hinzutritt. Der gotische Burgenbau übernahm zahlreiche Elemente der sakralen Architektur, gelegentlich entstanden sogar kreuzgangähnliche Innenhöfe. Zahlreiche Säle und Kammern wurden nun eingewölbt, maßwerkgeschmückte Fensterreihen durchbrachen die Außenwände, reich geschmückte gotische Kapellen entstanden. Besonders in der Spätgotik entstanden hier profane Meisterwerke wie etwa die Albrechtsburg in Meißen, der Wladislawsaal der Prager Burg oder die reich verzierten Burgschlösser in Amboise und Josselin sowie der Herzogspalast in Poitiers (um 1390) in Frankreich. Als größter Profanbau der Gotik gilt die Marienburg des Deutschen Ordens in Polen.
  • Eine besondere Form des gotischen Palastbaus entwickelte sich in Venedig, man könnte von einer Zuckerbäckergotik sprechen. Merkmale dieser Gotik sind z. B. verdrehte Säulen und orientalisch anmutende Spitzbögen. Diese Formensprache ist durch den Einfluss des Orients und Byzanz auf Venedig zu erklären, der durch den Handel mit diesen Gebieten entstand. Ein gutes Beispiel für diese Sonderentwicklung bietet die Ca'd'Oro mit ihren gewundenen Pilastern und den Fenstern, welche denen in einem arabischen Schloss gleichen.
  • Die Stadtbefestigung wird die wichtigste Bauaufgabe der Stadtbürger. In Deutschland erhalten viele Städte in früh- oder hochgotischer Zeit ihre Stadt- und Befestigungsrechte. Es entstehen feste Mauern ab der zweiten Hälfte des 12. Jh. Neben der eigentlichen Mauer entstehen Wehrtürme und Torbauten. Mit der Verbreitung der Feuerwaffen wandeln sich Wehrtürme von hohen Bauformen hin zu niedrigen, massiven Geschütztürmen, und die Torbauten entwickelten sich hin zu komplexen Torburgen. Umfangreiche Stadtmauern sind heute besonders in Franken erhalten (Rothenburg ob der Tauber, Dinkelsbühl, Nürnberg).
  • Der gotische Wohnbau war in West-, Mittel- und Nordeuropa nach weitgehend vom Fachwerkhaus geprägt, allerdings entstanden – besonders in Süddeutschland, Österreich und Ostmitteleuropa – zahlreiche Städte und Märkte mit Häusern aus Werk- oder Backsteinen. Ein bis heute erhaltenes Merkmal solcher gotischen Städte sind die teilweise eingewölbten Laubengänge, die früher meist als überdachte „Verkaufsstände“ genutzt wurden. In Bayern und Österreich sind hier vor allem Landshut, Burghausen, Neuötting, Braunau und Innsbruck zu nennen. Auch die zahlreichen, im Zuge der Ostkolonisation angelegten Städte Polens, Böhmens und Mährens haben sich ihre gotischen Grundrisse noch gut bewahrt, oft wurden solche Kolonialstädte um riesige Marktplätze (Ringe) angelegt. Als Beispiele seien Domazlice, Telc, Budweis, Pilsen und Krakau angeführt.
  • Mit dem Bedeutungszuwachs der mittelalterlichen Stadt entsteht Bedarf nach städtischen Funktionsbauten:
    • Das Rathaus ist ein Mehrzweckgebäude für Ratsstube, Festsaal, Ausschank, Handel (Lübeck ab 1230, Brügge ab 1376, Perugia ab … und viele andere). Der zunehmende Repräsentationsbedarf wohlhabender Städte schlägt sich in Größe und Aufwand der Bauten nieder (Brüssel ab 1402, Löwen ab 1439), diese Höhepunkte städtischer Profanarchitektur werden deshalb mitunter als „Kathedralen des Bürgertums“ bezeichnet.
    • Je nach Größe und Bedeutung der Stadt treten andere Gemeinschaftsbauten hinzu wie: Tuch- und Fleischhallen (Ypern ab 1250, Antwerpen ab 1509), Zunft- und Gildehäuser (Gent/Haus der freien Schiffer ab 1530), Tanz- und Hochzeitshäuser (Köln/Gürzenich ab 1447).
    • Vor allem in Flandern und Italien symbolisiert ein Belfried – oft in der Höhe mit Kirchtürmen konkurrierend – die Macht der Stadt.
    • Schulen und Spitäler werden meist von Klöstern betrieben, besonders von Franziskanern, daher sind diese Funktionsbauten oft in die Stadtklöster integriert.
  • Bauernhäuser: Im Alpenraum kennen die Ladiner das gotische Haus, in der Regel herrschaftliche Häuser wie Gerichte, als ein Beispiel ladinischer Häusertypen.

Backsteingotik

Hauptartikel: Backsteingotik

In Nord- und Nordostdeutschland, Skandinavien und Polen entwickelte sich die Sonderform der Backsteingotik. Große Sakralbauten aus diesem Baumaterial besitzen in Deutschland etwa Lübeck (Marienkirche), Stralsund, Wismar, Greifswald und Bad Doberan. Besonders die Lübecker Marienkirche diente als Vorbild für zahlreiche weitere Kirchen in ganz Nord- und Nordosteuropa. Sie orientiert sich – in materialbedingt vereinfachter Form – an der klassischen Kathedralgotik sowie der Scheldegotik, auch das offene Strebesystem westlicher Kathedralen wurde hier in Backstein übertragen.

Auch in Bayern finden sich in den steinarmen Landschaften Ober- und Niederbayerns zahlreiche Backsteinbauten. Die Sakralbauten sind meist als Hallen ausgeführt, manchmal wurden reiche Hausteinverzierungen eingearbeitet. Ein bekanntes Beispiel ist die Frauenkirche in München. Den höchsten Backsteinturm der Welt besitzt Landshut, seine Hauptkirche St. Martin steht mitten in einer der am besten erhaltenen gotischen Altstädte Europas.

Die Farbe in mittelalterlichen Kirchen

Beispiel für die Fassung von Figuren an gotischen Kirchen: Das Tympanon des Freiburger Münsters

Man hat sich leider mittlerweile daran gewöhnt, mittelalterliche Bauwerke in der sog. Steinsichtigkeit[2] zu belassen und viele Besucher glauben, dass dieses Bild dem originalen Eindruck entspricht. Aber bereits ein Erlass des Pariser Präfekten aus dem 13. Jh. verfügte, dass keine Figur aus Stein hergestellt werden darf, die nicht mit polychromer Bemalung versehen wird, sei sie für eine Kirche oder einen anderen Ort bestimmt[3]. Nicht nur die großen Fenster waren durchgehend farbig, auch die Wände waren teilweise mit Fresken bedeckt und die einzelnen strukturellen Bauglieder waren farblich voneinander abgesetzt. Originale Farbreste wurden häufig auf den Orgelemporen gefunden, bei denen die Wandflächen von der später eingebauten Orgel so verdeckt wurden, dass man sie nicht übertünchen konnte oder wollte.

Das Thema Farbe in mittelalterlichen Gebäuden ist für die heutige Denkmalpflege umstritten. Man weiß zwar, dass ursprünglich vieles bemalt war, besonders Portale, Fensterrosen und Teile der Türme[4], kennt aber nicht die Details[5]. Über die Innenräume sind wir besser informiert. Generell lässt sich sagen, dass die architektonischen Glieder farblich von der Grundfläche abgehoben wurden, also beispielsweise ein Dienst von der Dienstvorlage oder der Wand. Man verwendete nur wenige Farbtöne und scharfe Kontraste wurden vermieden, um die Wirkung der farbigen Glasfenster nicht zu stören. Bevorzugte Grundfarben waren Weiß sowie Ocker-, Rot- und Rosétöne[6].

Trotz dieses Kenntnisstandes scheut man sich jedoch oft, die Farbe nachzutragen. Einer der Gründe ist, dass wir uns seit dem beginnenden 20. Jh. kirchliche Innenräume in asketischem Weiß und Grau gewöhnt sind und die lebhafte Farbigkeit von Innenräumen, die nach dem neuen Kenntnisstand renoviert worden sind, gewöhnungsbedürftig ist.

Limburger Dom, Westseite

Im 19. Jh. hatte man noch romanische und gotische Kirchen farbig ausgemalt, oft in einem byzantinischen oder dem Beuroner Stil, die jedoch parallel zu den Umwälzungen in der zeitgenössischen Kunst, aus der Mode kamen. Die Restaurierungen vieler Kirchen im Zweiten Weltkrieg wurden dazu genutzt, die Ausmalungen des 19. Jahrhunderts zu entfernen und auf Farbe vollständig zu verzichten. Noch heute wird kontrovers darüber diskutiert, ob man die romanischen und gotischen Kirchen wieder farbig ausmalen soll. Dabei gibt es mittlerweile vorbildliche Restaurierungen der alten farbigen Fassungen wie beispielsweise den Limburger Dom, die Pfarrkirche in Boppard oder auch den Braunschweiger Dom.

Sainte Chapelle, Paris

In Frankreich scheut man sich offensichtlich noch, Ähnliches zu versuchen. Lediglich in einigen Kapellen sind vereinzelt Farbrekonstruktionen zu sehen, beispielsweise in der Achskapelle der Kathedrale von Coutances in der Normandie aus dem 14. Jh. Hier hat man einmal gewagt, wenigstens in einem kleinen Raum die alte Farbigkeit auch in den Details wiederherzustellen oder doch zumindest nach alten Mustern neu zu erfinden. Und dabei besitzt gerade Frankreich einen der berühmtesten Innenräume, der die originale farbintensive Ausmalung des Mittelalters noch besitzt, die Sainte-Chapelle in Paris.

Neben der Farbe spielte auch die prunkvolle Ausstattung der Kirchen mit Altären, Baldachinen, Leuchtern und Lampen aus Gold, Silber, Email, geschmückt mit Edelsteinen usw. eine wesentliche Rolle – alles Gegenstände, die sich heute höchstens in den Schatzkammern befinden[7].

Bei den französischen gotischen Kirchen ist nicht nur die originale Farbigkeit weitgehend verschwunden, sondern man hat auch die alten, sehr farbintensiven Fenster später zur Zeit der Aufklärung und besonders nach der Revolution entweder durch Grisaillefenster oder durch schlichtes farbloses Glas ersetzt.

Plastik und Skulptur

Hauptartikel: Gotische Plastik

Der Typus der Portalskulptur wird, beginnend mit den Skulpturen von St. Denis (1140) und Chartres zumeist als Indikator für die Abgrenzung der frühen Gotik gegen die späte Romanik verwendet. Ausgehend von diesen „Bauplastiken“ emanzipiert sich in dieser Epoche die Freiplastik in der europäischen Kunstgeschichte. Anders als in Architektur und Malerei stützt sich die Skulptur häufig erkennbar auf antike Vorbilder. Als bedeutender Erforscher gelten die Kunsthistoriker Wilhelm Vöge und Emile Mâle.

Die sogenannte Bauplastik war während der Gotik ein fester Bestandteil der Architektur. Es bestand ein Hang zur Proportionsgenauigkeit. Besonders wichtig waren Gesicht und Hände, da diese als Ausdruck der inneren Bewegungen verstanden wurden. Die Figuren waren durch Gewänder verhüllt und im sogenannten S-Schwung ausgeführt, welcher ihre Bewegung darstellen sollte. Die in der Gotik zunehmend selbstbewusster werdenden Künstler verewigten sich gelegentlich auch selbst in der einen oder anderen Nebenplastik.

Schulen und Werke

Da v. a. für Nordeuropa wenige Künstler namentlich bekannt sind, bedient sich die Kunstgeschichte einer Zuschreibung zu Schulen oder einer Autorfiktion (Meister), wie auch in der Malerei. Zu den bekanntesten Werke der gotischen Plastik zählen: Das Portale von Chartres, die Bauskulptur von Reims und Strassburg, das Werk Niccolò Pisanos, die Triumphkreuzgruppen von Halberstadt und Wechselburg, die Skulpturen in Naumburg und Magdeburg und die Schnitzaltäre von Riemenschneider, Michel Pacher und Veit Stoß. Dieser wirkte insbesondere in Krakau und Nürnberg. Sein bekanntestes Werk ist der größte gotische Altar der Welt, der Krakauer Hochaltar, der sich in der Marienkirche in Krakau befindet.

Stile

Man unterscheidet in der Skulptur und Plastik der Gotik verschiedene Stile mit Hilfe einer Terminologie des Faltenwurfs, die z. T. auch für die Malerei angewendet wird.

Internationaler oder Weicher Stil

Als bedeutendster gilt der sog. Internationale Stil oder Weiche Stil, der sich um 1400 in Europa ausbreitet. Bekannte Beispiele sind die Krumauer Madonna und die verlorene Thorner Madonna, die neuere Kunstgeschichte zählt aber auch die Werke der italienischen Kunst des 15. Jahrhunderts u. a. Donatellos dazu.

Malerei

Die Gotik breitete sich in der bildenden Kunst Anfang des 13. Jahrhunderts über Europa aus. Die gotische Malerei ist in ihrer frühen und mittleren Phase ganz Bedeutungsmalerei, bei der meist nicht die naturalistische Darstellung von Personen oder Perspektive im Vordergrund steht, sondern die Anordnung, Proportionierung und Farbgebung nach religiösem Sinninhalt. In der Wahl der Motive herrschte eindeutig das Religiöse vor (Flügelaltäre, Andachtsbilder, etc.), es wurden aber durchaus auch weltliche Motive wie das höfische Leben, Jagd und Feste aufgegriffen.

Nördlich der Alpen verdrängte am Anfang der Gotik die Glasmalerei das Fresko, begünstigt durch die Entstehung großer Fensterflächen, und erlebte eine Blüte.

Hier nahm Italien eine Sonderstellung ein, als sich hier die Architektur große Wandflächen erhielt. Den Höhepunkt des Freskos der Gotik liefert sicherlich Giotto di Bondone mit seinem nie da gewesenen Naturalismus. Er belebt seinen Raum mit Tiefe und geht auf jede seiner Figuren in Mimik und Gestik individuell ein.

Neben der Glasmalerei erblühte in Frankreich ab Mitte des 13. Jh. auch die Buchmalerei, mit der zunehmend nicht nur liturgische Werke sondern auch Stundenbücher und weltliche Handschriften ausgestattet wurden. Der Gipfel dieser Entwicklung bildeten die Gebrüder Limburg und ihr Meisterwerk, das Très Riches Heures du Duc de Berry (1413–1416). Lange Zeit blieb die Buchmalerei vorherrschende Form der Malerei, in Frankreich z. B. bis Anfang des 15. Jh. und nahm so großen Einfluss auch auf die Entwicklung der Tafelmalerei.

Hier bildet Italien wiederum eine Sonderstellung, da hier die Tafelmalerei schon zu Beginn der Gotik eine Vorrangstellung innehatte. Cimabue ist der Erste, der Schritte auf dem Weg des Naturalismus geht. Zwar bleiben seine Werke noch sehr byzantinisch, aber gewinnen schon erste Tiefe. Ihm folgt Duccio, dessen Malerei mit ihren fließenden Linien, den locker fallenden Gewändern und der schon erhöhten Tiefe den neuen Stil zeigen, sich aber noch nicht vom alten lösen.

Dies gelingt Giotto di Bondone. Er bemüht sich darum, alle Elemente eines Bildes zu einer stimmigen Einheit zusammenzufügen, was einen wesentlichen Fortschritt der Malerei bedeutet. Er ist so genial, dass er, obwohl er eindeutig der Gotik zugehörig, oft auch als der Wegweiser der Renaissance genannt wird.

Die Gotik in ihrem reinsten Stil in Italien verkörperte Simone Martini mit seiner höfischen Eleganz. Seit der 2. Hälfte des 14. Jh. nahm die Tafelmalerei durch den Einfluss der Italiener auch nördlich der Alpen eine vorrangige Stellung zu der Buchmalerei ein, nicht zuletzt durch Martini, aber auch wegen des weitgereisten Gentile da Fabriano und Pisanellos. Zentren der Kunst bildeten sich in Böhmen und am Papsthof in Avignon. Dorthin wurde 1340/41 auch Martini berufen, womit sich sein Einflussgebiet weiter ausdehnte.

Unter der Synthese von Martinis höfischer Eleganz und der flämischen Bestrebung der Detailgenauigkeit, durch die Vermischung italienischer und französischer Einflüsse entstand in der 2. Hälfte des 14. Jh. ein Internationaler Stil, auch Schöner- oder Weicher Stil genannt. Dieser Stil war gesamteuropäisch, im Gegensatz zu den davor nebeneinander existierenden Strömungen. Wichtige Schulen entstanden an den Höfen in Paris, Mailand und Böhmen, wo Kaiser Karl IV. die neue Kunst förderte.

Die Internationale Gotik bevorzugt weiche Gesichtszüge, eine geschwungene Haltung der dargestellten Personen (S-Kurve) und eine fließendweiche, üppige Darstellung des Faltenwurfs.

Ein gutes Beispiel wie international dieser Stil wirklich ist, liefert das Wilton-Diptychon. Das Einzige worauf sich Kunsthistoriker bei ihm festlegen können ist, dass es gegen Ende der Regierungszeit Richards II. von England durch die Hand eines Flamen, Engländers, Franzosen oder Böhmen entstand.

Um 1420 trennt sich die Entwicklung. In Italien beginnt die Frührenaissance, im Norden treten die flämischen Primitiven auf, die der höfischen Eleganz bürgerliche Schlichtheit entgegensetzt. Der Goldgrund weicht endgültig. Stattdessen wird die Landschaftsdarstellung perfektioniert und die Verblauung entwickelt. Verstärkt werden Szenen in Innenräumen gezeigt. Es gelingt ihnen eine stimmige Perspektive zu zeigen, obwohl sie nicht wie in Italien konstruiert wird. Ein Mitbegründer dieser Richtung ist Robert Campin. Jan van Eyck etabliert die Ölfarbe durch die Verwendung eines neuen Bindungsmittels. Die Ölfarben haben gegenüber den Temperafarben den Vorteil, länger ihren Glanz zu bewahren. Ein Schüler von Campin, Rogier van der Weyden stellte Menschen in einer neuen psychischen Intensität dar und perfektionierte die Darstellung von Stofflichkeit. Außerdem verbindet er den Naturalismus der Flamen mit der Formensprache der Gotik. Hieronymus Bosch stellte der Natürlichkeit der Anderen eine bizarre, verschreckende Welt entgegen, voll von Endzeitstimmung, und blieb der Spätgotik stärker verhaftet.

In der Phase der Spätgotik trat verbreitet Endzeitstimmung auf, da man glaubte, 1500 könnte die Welt untergehen. Es war eine Zeit des Umbruchs, in der man sich vermehrt mit der Passion Christi beschäftigte und diese immer drastischer darstellte. Andererseits wurde der Einfluss der Renaissance immer stärker. Einer der letzten großen Maler der Gotik war Matthias Grünewald, den man als geistigen Antipoden Dürers sehen kann. Seine Darstellungen der Kreuzigung zählen zu den drastischsten, der Isenheimer Altar ist sein Meisterwerk. Nach dieser Zeit (ca. 1525/30) setzte sich die Renaissance endgültig durch. Nur in England blieb die Gotik wie auch in der Architektur noch einige Zeit erhalten, ein Beispiel sind die Porträts von Elisabeth I.

Fresken

Tafelmalerei

Buchmalerei

Hauptartikel: Gotische Buchmalerei

In Frankreich und England setzte die Gotik in der Buchmalerei um 1160/70 ein, während in Deutschland noch bis um 1300 romanische Formen dominant blieben. Während der gesamten gotischen Epoche blieb Frankreich als führende Kunstnation bestimmend für die stilistischen Entwicklungen der Buchmalerei. Zeitgleich mit dem Übergang von der Spätgotik zu Renaissance verlor die Buchmalerei ihre Rolle als eine der bedeutendsten Kunstgattungen infolge der Verbreitung des Buchdrucks in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts.

An der Wende vom 12. zum 13. Jahrhundert trat die kommerzielle Buchherstellung an die Seite der monastischen Buchproduktion. Ausgangspunkt für diesen gravierenden Einschnitt waren die Universitäten, für die Buchmalerei war jedoch der hohe Adel bedeutsamer, der wenig später als Auftraggeber weltlicher höfischer Literatur hinzukam. Der meistillustrierte Buchtyp war das für den privaten Gebrauch bestimmte Stundenbuch. Mit der Herausbildung kommerzieller Ateliers treten in der Gotik immer mehr Künstlerpersönlichkeiten namentlich in Erscheinung. Ab dem 14. Jahrhundert wurde der Meister typisch, der eine Werkstatt leitete, mit der er sowohl in der Tafel-, als auch in der Buchmalerei tätig war.

Stilistische Charakteristika, die während der gesamten Gotik gültig blieben, waren ein weicher, durchschwungener Figurenstil mit geschmeidigem, kurvig linearem Duktus, höfische Eleganz, überlängte Figuren und fließende Faltenwürfe. Weitere Kennzeichen waren die Verwendung zeitgenössischer architektonischer Elemente zur dekorativen Gliederung der Bildfelder. Ab der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts fanden in ganz Europa meist rote und blaue Fleuronné-Initialen als typische Dekorform der Manuskripte des unteren und mittleren Ausstattungsniveaus Verwendung. Selbständige Szenen, die als historisierte Initialen und Drolerien am unteren Bildrand boten Raum für phantasievolle, vom illustrierten Text unabhängige Darstellungen und trugen wesentlich zur Individualisierung der Malerei und zur Abkehr von erstarrten Bildformeln bei. Ein naturalistischer Realismus mit Perspektive, räumliche Tiefenwirkung, Lichteffekte und realistische Anatomie der dargestellten Personen setzte sich, ausgehend vom Realismus der Kunst der südlichen Niederlande, setzte sich im Laufe des 15. Jahrhunderts zunehmend durch und weist auf die Renaissance.

Kunsthandwerk

Vor allem viele Goldschmiedearbeiten der Gotik sind erhalten, wie z. B. das Goldene Rössl aus einer Pariser Werkstatt, das Basler Antependium oder der Klosterneuburger Altar. Zum herausragenden Kunsthandwerk der Gotik gehören auch die Bildwirkereien, insbesondere der Spätgotik, als diese ihre Blütezeit hatten. Ein Beispiel dafür ist der sechsteilige Millefleurs-Wandbehang Dame mit dem Einhorn (fr. La Dame à la licorne) des Pariser Musée national du Moyen Âge.

Einzelnachweise

  1. Brooke, Christopher: Die Kathedrale in der mittelalterlichen Gesellschaft. In: Swaan, Wim: Die großen Kathedralen. Köln 1969, S. 19
  2. Oursel, S. 62: „Werksteinromantik“
  3. Binding, S. 286
  4. Swaan, S. 117
  5. Verschwundenes Inventarium. Der Skulpturenfund im Kölner Domchor. Köln 1984
  6. Nußbaum, S. 163
  7. Oursel, S. 62

Literatur

Überblick

  • Rolf Toman, Achim Bednorz: Gotik. Architektur – Skulptur – Malerei. Könemann im Tandem-Verlag, 2005, ISBN 3-8331-1038-4

Fachliteratur

Überblick

  • Arno Borst: Lebensformen des Mittelalters. Frankfurt/Berlin/Wien 1979. (enthält u. a. eine deutsche Übersetzung des berühmten „Gervasius“-Berichts)
  • Georges Duby: Die Zeit der Kathedralen. Kunst und Gesellschaft 980–1420 [1976]. Frankfurt am Main [1992] 2. Auflage 1994.
  • Géza Entz: Die Kunst der Gotik. Emil Vollmer, München 1981, ISBN 3-87876-340-9
  • Michael Camille: Die Kunst der Gotik. 1996.
  • Florens Deuchler: Gotik. Herrsching: Pawlak, 1981 (= Belser Stilgeschichte), ISBN 3-88199-042-9
  • Erlande-Brandenburg, Alaine: Gotische Kunst. Von. Freiburg-Basel-Wien 1984.
  • Emile Mâle: L’Art religieux du XIIIe siècle en France. Paris 1899
  • Emile Mâle: L’Art allemand et l’art français du Moyen Âge. Paris 1917

Architektur

  • Günter Bandmann: Mittelalterliche Architektur als Bedeutungsträger. 10. Auflage. Gebr. Mann, Berlin, ISBN 3-7861-1164-2.
  • Lottlisa Behling: Die Pflanzenwelt der mittelalterlichen Kathedralen. Böhlau, Köln 1964.
  • Günther Binding: Baubetrieb im Mittelalter. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1993, ISBN 3-534-10908-2.
  • Günther Binding: Maßwerk. Wiss. Buchgesellschaft, Darmstadt 1989, ISBN 3-534-01582-7.
  • Günther Binding: Der früh- und hochmittelalterliche Bauherr als „sapiens architectus“. Wiss. Buchgesellschaft, Darmstadt 1998, ISBN 3-534-14248-9.
  • Günther Binding: Hochgotik. Die Zeit der grossen Kathedralen. Taschen, Köln 1999, ISBN 3-8228-7117-6.
  • Günther Binding: Was ist Gotik? Eine Analyse der gotischen Kirchen in Frankreich, England und Deutschland 1140 – 1350. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2000, ISBN 3-534-14076-1.
  • Günther Binding, Susanne Linscheid-Burdich: Planen und Bauen im frühen und hohen Mittelalter nach den Schriftquellen bis 1250. Darmstadt / Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2002, ISBN 3-534-15489-4.
  • Matthew Holbeche Bloxam: The principles of Gothic ecclesiastical architecture. With an explanation of technical terms, and a centenary of ancient terms. Bogue, London 1849 (Digitalisat)
  • Johann Josef Böker: Architektur der Gotik. Bestandskatalog der weltgrößten Sammlung an gotischen Baurissen (Legat Franz Jäger) im Kupferstichkabinett der Akademie der Bildenden Künste Wien, mit einem Anhang über die mittelalterlichen Bauzeichnungen im Wien Museum am Karlsplatz. Verlag Anton Pustet, Salzburg 2005, ISBN 3-7025-0510-5; Rezension von Klaus Jan Philipp in: Journal für Kunstgeschichte Band 10, 2006, Heft 4, S. 314–317 „C. 1 Architektur und Plastik“.
  • Ulrich Coenen: Die spätgotischen Werkmeisterbücher in Deutschland als Beitrag zur mittelalterlichen Architekturtheorie. Untersuchung und Edition der Lehrschriften für Entwurf und Ausführung von Sakralbauten. Verlag Mainz, Aachen 1989, ISBN 3-925714-20-0
  • Kurt Gerstenberg: Deutsche Sondergotik. Delphin, München 1913 (2. duchgesehene Auflage: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1969)
  • Johann Wolfgang von Goethe: Von der Deutschen Baukunst, D.M. Ervini Steinbach. o.O. 1772
  • Hans Jantzen: Kunst der Gotik. Klassische Kathedralen Frankreichs. Chartres, Reims, Amiens. Erweiterte Neuausgabe. Reimer, Berlin 1987, ISBN 3-496-00898-9
  • Bodo W. Jaxtheimer: Gotik. Die Baukunst. Eltville am Rhein: Bechtermünz Verlag, 1990, ISBN 3-927117-43-9 (beschreibt die Baukunst der Gotik in Frankreich, Deutschland, England, Belgien, den Niederlanden, Skandinavien, Italien und auf der Iberischen Halbinsel; mit 350 Fotos und Zeichnungen)
  • Dieter Kimpel, Robert Suckale: Die gotische Architektur in Frankreich. 1130–1270. Überarbeitete Studienausgabe. Hirmer, München 1995, ISBN 3-7774-6650-6
  • Werner Müller: Grundlagen gotischer Bautechnik. Deutscher Kunstverlag, München 1990, ISBN 3-422-06055-3
  • Norbert Nußbaum, Sabine Lepsky: Das gotische Gewölbe. Die Geschichte seiner Form und Konstruktion. München 1999, ISBN 3-422-06278-5
  • Norbert Nussbaum: Deutsche Kirchenbaukunst der Gotik. 2. Auflage. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1994, ISBN 3-534-12542-8
  • Uwe A. Oster: Die großen Kathedralen. Gotische Baukunst in Europa. Primus, Darmstadt 2003, ISBN 3-89678-240-1
  • Erwin Panofsky: Gotische Architektur und Scholastik. Zur Analogie von Kunst, Philosophie und Theologie im Mittelalter. Dumont, Köln 1989, ISBN 3-7701-2105-8.
  • Hans Sedlmayr: Die Entstehung der Kathedrale. Zürich 1950 (zuletzt VMA, Wiesbaden 2001, ISBN 3-928127-79-9)
  • Otto von Simson: Die gotische Kathedrale. 2., verbesserte Auflage. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1972, ISBN 3-534-04306-5
  • Rolf Toman (Hrsg.):Gotik – Architektur. Skulptur. Malerei, Tandem Verlag, 2004, ISBN 978-3-8331-3511-8
  • Ernst Ullmann: Die Welt der gotischen Kathedrale. Union Verlag, Berlin 1981, ISBN 3-85063-117-6
  • Martin Warnke: Bau und Überbau. Soziologie der mittelalterlichen Architektur nach den Schriftquellen. Suhrkamp, Frankfurt 1984, ISBN 3-518-28068-6

Siehe auch

Weblinks

Lückenhaft Dieser Artikel fehlen folgende wichtige Informationen: * Abschnitt „Plastik und Skulptur“: Beschreibung sakraler Skulpturen (Tympanon etc.), Schnitzaltäre, Andachtsbilder, süddeutsche Spätgotik und Ausbau der Schulen. Siehe Diskussion

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