St. Gallener Klosterplan

St. Gallener Klosterplan
St. Galler Klosterplan. Reichenau, frühes 9. Jahrhundert
mittlerer Ausschnitt
Rekonstruktionszeichnung des Klosters nach dem Klosterplan von Johann Rudolf Rahn, 1876
Abbildung des Planes aus der Encyclopædia Britannica

Der St. Galler Klosterplan ist die früheste Darstellung eines Klosterbezirks aus dem Mittelalter. Er entstand vermutlich zwischen 819 und 826 im Kloster Reichenau und ist im Besitz der Stiftsbibliothek St. Gallen. Er wird dort unter der Bezeichnung Codex 1092 aufbewahrt. Ausgestellt ist ein Faksimile.

Inhaltsverzeichnis

Beschreibung

Der Klosterplan hat eine Grösse von 112 cm x 77.5 cm und besteht aus fünf zusammengenähten Teilen aus Pergament, die mit weissen Darmfäden zusammengehalten werden. Ursprünglich bestand nur der zentrale Teil des Plans mit Kirche und Klausur, später wurde die Zeichnung vergrössert. Die Art der Schriftzüge und der Zeichnung weisen darauf hin, dass die Vergrösserungen bereits während der Arbeit vorgenommen wurden.

Trotz einer Beschädigungen durch frühere Faltungen - die Schadstellen wurden mit grünen Seidenfäden vernäht – ist der Plan gut erhalten. Die rote Menningefarbe ist nur an einigen Stellen am inneren Rand der Anfügungen abgesprungen, wo der Plan gefaltet war. Die Inschriften sind in gleichmässigem Duktus in braunschwarzer Tine ausgeführt. Zuweilen ist die Tinte verbleicht, so dass sich hie und da Schwierigkeiten bei der Entzifferung ergaben.

Um die Jahrhundertwende von 12. zum 13. Jahrhundert wurde der Plan in der nordwestlichen Ecke beschädigt. Damals hatte ein Mönch die Rückseite des Planes dazu verwendet, das Leben des Heiligen Martin aufzuschreiben. Zur Vereinfachung wurde der Plan entsprechend der beschriebenen Spalten gefaltet. Als sich herausstellte, dass der Platz nicht ausreichte, kratzte der Mönch das grosse Gebäude an der Nordwestecke aus, um dort den Schluss seiner Erzählung niederzuschreiben. Im 19. Jahrhundert wurde versucht, mit chemischen Flüssigkeiten die weggekratzten Stellen wieder sichtbar zu machen, aber der Schaden, den man anrichtete, war grösser als der Nutzen. Es blieben blaue Flecken zurück und die Partien sind endgültig verdorben.

Am 20. April 1949 wurde der Plan im Schweizerischen Landesmuseum von der Leinwand abgelöst, auf die er im 17. oder 18. Jahrhundert zur Verstärkung aufgezogen worden war. Dadurch erscheint er nicht mehr in einem düsteren Braun, sondern viel heller.

Inhalt

Der Klosterplan zeigt Grundrisse von rund fünfzig Gebäuden, deren Name und Funktion in rund 340 tituli (Inschriften), beschrieben wird. Das grösste Gebäude der Anlage ist die Klosterkirche, an die sich Skriptorium, Sakristei, eine Unterkunft für Gastmönche und Torräume anschliessen, gefolgt vom Bereich der Mönche mit Dormitorium, Latrinenanlagen, Waschraum, Speisesaal, Küche, Back- und Brauhaus. Weiter sind ein Gästehaus, die Pfalz des Abtes, Krankenbereich und zahlreiche Wirtschaftsbauten und Handwerksbetriebe sowie Gartenanlagen, Zäune, Mauern und Wege eingezeichnet. Die Gebäude dürften mehr als 100 Mönchen und gegen 200 Arbeitern und Dienern Platz geboten haben.

Herkunft

Wer genau den Plan gezeichnet hat ist nicht klar. Bernhard Bischoff, Paläograph und Kenner des Mittellateinischen, vermutet hinter der Arbeit den Schreiber Reginbert von der Reichenau, weil die Schrift im Klosterplan mit der Schrift einer Vita des Heiligen Martins übereinstimmt, die von Reginbert verfasst wurde.

Auch zu welchem Zweck der Klosterplan angefertigt wurde, ist nicht geklärt. Gemäss der Widmungsinschrift am Plan wurde er im Kloster Reichenau für Abt Gozbert angefertigt, der dem Kloster St. Gallen von 816 bis 837 vorstand. Gozbert liess im Jahr 830 die bestehende Klosterkirche abreissen und durch einen Neubau ersetzen, doch die damals errichtete Kirche hatte keinen Zusammenhang mit der Darstellung auf dem Klosterplan. Deshalb sieht die Forschung den Klosterplan weniger als konkrete Bauzeichnung für Abt Gozbert, sondern mehr als einen generellen Vorschlag wie ein ideales oder typisches Kloster auszusehen hat, das überall in Europa stehen könnte.

Die frei stehenden Türme, die nördlich der Alpen kaum anzutreffen sind und die Anordnung der Gebäude (die wichtigen Gebäude die Bibliothek, das Skriptorium, Schule und Abtspfalz sind an «kühlen» Orten untergebracht) führten auch zur Vermutung, dass der Plan im Süden entstanden sein könnte. Unklar ist auch, wer Abt Gozbert in der Widmung mit «dulcissime fili» (geliebtester Sohn) ansprechen durfte. Der Text der Widmung lautet:

„Haec tibi dulcissime fili cozb(er)te de posicione officinarum paucis examplata direxi, quibus sollertiam exerceas tuam, meamq(ue) devotione(m) utcumq(ue) cognoscas, qua tuae bonae voluntari satisfacere me segnem non inveniri confido. Ne suspiceris autem me haic ideo elaborasse, quod vos putemus n(ost)ris indigere magisteriis, sed potius ob amore(m) dei tibi soli p(er) scrutinanda pinxisse amicabili fr(ater)nitatis intuitu crede. Vale in Chr(ist)o semp(er) memor n(ost)ri ame(n)“

Übersetzung:

„Für dich, mein liebster Sohn Gozbert, habe ich diese mit kurzen Bemerkungen versehene Kopie des Plans der Klostergebäude verfasst, womit du deinen Erfindungsgeist üben und worin du auch meine Hingabe erkennen magst; du kannst mir vertrauen dass ich nicht zaudere deine Wünsche zu erfüllen. Stell dir nicht vor, dass ich diese Aufgabe unternommen habe in der Annahme, dass du auf unsere Anweisungen angewiesen bist, sondern glaube eher, dass ich dies aus Gottesliebe und freundschafltichem, brüderlichem Eifer gezeichnet habe für nur deine Betrachtung. Lebe wohl in Christus und denke immer an uns, Amen.“

Als Absender erwähnt wird manchmal Abt Haito, der Abt des Klosters Reichenau. Als Ratgeber Karls des Grossen hatte er einen hohen Rang inne, war aber doch gleichrangiger Amtsbruder des St. Galler Abtes. Zudem hatte Haito 822 auf alle Würden verzichtet und lebte fortan als Mönch in Reichenau, wo er 835 starb.

Weblinks

Literatur

  • Johannes Duft (Hrsg.): Studien zum St. Galler Klosterplan. St. Gallen 1962.
  • Konrad Hecht: Der St. Galler Klosterplan. Wiesbaden 2005, ISBN 978-3-928127-48-6.
  • Walter Horn / Ernest Born: The Plan of St. Gall. Berkeley CA, University of California Press, 1979.
  • Peter Ochsenbeim / Karl Schmuki: Studien zum St. Galler Klosterplan II. St. Gallen 2002.
  • Hans Reinhardt: Der St. Galler Klosterplan 92. Neujahrsblatt, St. Gallen 1952
  • Edward A. Segal: «Monastery and Plan of St. Gall». In: Dictionary of the Middle Ages. Volume 10. 1989 ISBN 0-684-18276-9.
  • Alfons Zettler: «Der St. Galler Klosterplan. Überlegungen zu seiner Herkunft und Entstehung». In: Peter Godman / Roger Collins (Hrsg.): Charlemagne’s Heir. New Perspectives on the Reign of Louis the Pious (814–840). Oxford 1990, S. 655–687.

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