Statuslehre (Rhetorik)

Statuslehre (Rhetorik)

Status oder auch constitutio sind die lateinischen Begriffe für das griechische stasis. Sie stammen aus der antiken juristischen Beredsamkeit und bedeuten so viel wie „das Aufstellen“, „die Stellung“ eines Kämpfenden.

Die Statuslehre ist das rhetorische System der in juristischen Fällen – meist Prozessreden – möglichen Fragestellungen. Dabei wird der juristische Ansatzpunkt untersucht, die Ausgangsstellung für Anklage oder Verteidigung, also die Fragestellung, aus der sich das Ziel der Argumentation ergibt.

Begründer der Statuslehre ist Hermagoras von Temnos (2. Jahrhundert v. Chr.). Er unterscheidet in seiner Schrift Technai rhetorikai zwei große Gruppen von Untersuchungsgegenständen (quaestiones) und innerhalb dieser beiden Gruppen je vier Arten von Fragestellungen:

  • Fragen nach dem Tatbestand (quaestiones rationales / logikaí)
  • Fragen nach der Interpretation von Gesetzen und anderen Schriftstücken (quaestiones legales / nomikaí)
  1. Klärung der Tatfrage (stochasmós, constitutio coniecturalis): Ist die Tat geschehen? Hat der Angeklagte die Tat wirklich getan?
  2. Definition des Tatbestandes (hóros, constitutio definitiva): Was genau hat der Angeklagte eigentlich getan? (z.B. Mord oder Totschlag)
  3. Ethische Beurteilung der Tat (poiótes, constitutio generalis): Handelt es sich um Notstand, Befehlszwang ? Gibt es mildernde Umstände?
  4. Verfahrensfrage, Einwände gegen das Gericht (metálepsis, constitutio translativa): Ist das Verfahren überhaupt zulässig? Ist das Gericht zuständig? Ist der Richter befangen?
  1. Text u. Absicht (scriptum et voluntas): Wortlaut und Sinn eines Gesetzes sind umstritten
  2. Wettstreit gegensätzlicher Gesetze (contentio legum contrarium): 2 oder mehr für einen Fall in Frage kommende Gesetze sind umstritten
  3. Zweideutigkeit (ambiguitas): der Wortlaut eines Gesetzes ist zweideutig, und daher umstritten
  4. Schluss (collectio): es ist umstritten, ob bei dem Fehlen eines einschlägigen Gesetzes Schlussfolgerungen aus anderen Gesetzen gezogen werden dürfen

Geschichte

Die Schrift des Hermagoras wird wegen ihrer übersichtlichen Anlage zur Grundlage des rhetorischen Unterrichts im republikanischen Rom. Hier wird die Lehre übernommen von Cicero (106-43 v. Chr.) in De inventione und Quintilian (35-96 n. Chr.) in seiner Institutio oratoria. Hermogenes von Tarsos (2. Jahrhundert n. Chr.) und Zenon von Athen unterscheiden 13 status, die nicht mehr für die rednerische Praxis – das Forum hatte in der Kaiserzeit an Bedeutung verloren -, sondern ausschließlich für die fiktiven Streitfragen in den Hörsälen der Rhetorenschulen zugeschnitten sind. Sulpicius Victor (um 400 n. Chr.) aus Gallien bearbeitet das rhetorische Handbuch des Zenon in seinen Institutiones oratoriae und unterscheidet ebenfalls 13 status. Die Ars Rhetorica des C. Chirius Fortunatianus aus dem 4. Jahrhundert übernimmt die Statuslehre des Hermogenes von Tarsos.


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