Bahnsuizid

Bahnsuizid

Schienensuizid (auch Eisenbahnsuizid oder Bahnsuizid) ist eine verkürzte Bezeichnung einer Form des Suizids, bei der sich das aktive Opfer vor einen fahrenden Zug der Eisenbahn wirft oder legt. Die Möglichkeit, den Schienensuizid zu verhindern, ist gering, da Züge einen Bremsweg von mehreren hundert Metern haben. Der Triebfahrzeugführer ist selbst bei Entdecken des Suizidenten auf längere Distanz in der Regel nicht in der Lage, das Fahrzeug rechtzeitig zum Halten zu bringen.

Inhaltsverzeichnis

Epidemiologie

Diese Form der Selbsttötung ist in Deutschland vergleichsweise häufig. Schienensuizide machten im Zeitraum von 1991-2000 etwa 7 % aller Suizide in Deutschland aus.[1] In Österreich betrug diese Zahl im Zeitraum von 1990-1994 5,7 %.[2]

Nach der Betriebsunfallstatistik der Deutschen Bahn wurden in den Jahren 1997 bis 2002 insgesamt 5731 Suizidereignisse registriert (durchschnittlich 18 Ereignisse pro Woche) von denen 5.191 Fälle (90,6 %) tödlich endeten. Deren wissenschaftliche Untersuchung ergab ein Süd-Nord-Gefälle mit den höchsten Suizidraten in Bayern, Baden-Württemberg und Hessen. Von den Suiziden traten 66 % auf offener Strecke und 34 % im Bahnhofsbereich auf. Es wurden 16 Orte hoher Suiziddichte mit 6–29 Ereignissen innerhalb eines Streckenkilometers identifiziert. Von diesen Orten lagen 75 % in unmittelbarer Nähe psychiatrischer Kliniken.[3]

Im jahreszeitlichen Verlauf wurde insbesondere bei Männern eine Häufung in den Monaten April und September festgestellt. Im Wochenverlauf traten Ereignisse bei Männern und Frauen gehäuft an Montagen und Dienstagen auf.[4]

Folgen

Die Lokführer sind beim Schienensuizid als unmittelbare Augenzeugen erheblichen psychischen Schockwirkungen ausgesetzt: Meist erkennen sie die Suizidabsicht bereits aus weiter Entfernung, sind jedoch nicht in der Lage, den Zug rechtzeitig anzuhalten. Sie erleben so unmittelbar den Tod eines Menschen. Viele erleiden dabei einen psychischen Schock, der sie monate- und jahrelang beeinträchtigt. Bei verschiedenen Eisenbahnunternehmen gilt daher auch die Anweisung, betroffene Lokführer für den jeweiligen Arbeitstag zunächst vom Dienst zu suspendieren und sie für eine Reihe von Tagen als dienstunfähig einzustufen. Eine psychologische oder seelsorgerische Betreuung ist notwendig, um das erlebte Trauma zu verarbeiten. Dennoch ist nicht selten eine dauerhafte Dienstunfähigkeit Folge eines solchen Ereignisses. In vielen Rettungsdienst-Bereichen wird der Lokführer standardmäßig von der Krisenintervention im Rettungsdienst zur Vermeidung einer posttraumatischen Belastungsstörung betreut. Auch für Fahrgäste, Passanten, die Rettungs- und Bestattungskräfte sowie das Wartungs- und Instandsetzungspersonal kann ein Schienensuizid eine besondere Belastung darstellen.

Die Deutsche Bahn unterhält nach eigenen Angaben ein eigenes Sanatorium für Lokführer, die durch Schienensuizide traumatisiert wurden.[5]

Nach einem Schienensuizid muss die betroffene Bahnstrecke für etwa eine Stunde gesperrt werden, ggf. auch länger, was sich erheblich auf den Schienenverkehr auswirken kann.

Prävention

Unter Journalisten hat sich ein Pressekodex etabliert, nicht über Schienensuizide zu berichten. In der Vergangenheit war eine Häufung dieser Suizidform nach erfolgter Berichterstattung über einen Schienensuizid aufgetreten. In diesem Zusammenhang wird vom Werther-Effekt gesprochen.[6][7] Gegenüber Reisenden werden suizidbedingte Verspätungen unter anderem mit Formulierungen wie einem „Personenunfall“, „Personenschaden“ oder einem „Notarzteinsatz am Gleis“ begründet − der Schienensuizid wird bahnintern in der Regel als Personenunfall (PU) geführt. Dieser Begriff umfasst aber auch Unfälle aus anderen Ursachen, wie verbotenem Betreten von Gleisen oder Tötungsdelikten. In der Wiener U-Bahn wird in Tonbandansagen der Terminus „Erkrankung eines Fahrgasts“ verwendet.

In Hongkong konnte durch Bahnsteigtüren in der U-Bahn die Zahl der Schienensuizide deutlich reduziert werden.[8]

Geschichte

Einer der ersten, die das Thema Schienensuizid untersuchten, war 1854 der sächsische Eisenbahningenieur und -direktor Max Maria von Weber.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Baumert et al.: Ten-year incidence and time trends of railway suicides in Germany from 1991 to 2000. Eur J Public Health. 2006 Apr;16(2):17 PMID 16093307 Volltext
  2. Deisenhammer et al.: Eisenbahnsuizide und –suizidversuche in Österreich von 1990-1994. Nervenarzt. 1997;68(1):67-73 PMID 9132623
  3. Erazo et al.: Regionale und örtliche Verteilungsmuster von Bahnsuiziden. Nervenarzt. 2004;75(11):1099-106. PMID 15549217
  4. Erazo et al.: Sex-specific time patterns of suicidal acts on the German railway system. An analysis of 4003 cases. J Affect Disord. 2004;83(1):1-9. PMID 15546640
  5. „Ist Ihnen egal, was die Menschen von Ihnen denken?“, Bild am Sonntag, 18. Januar 2009
  6. http://www.mvg-mobil.de/pdf-dateien/u-bahn-suizide_verhindern.pdf Stadtwerke München
  7. http://www.uke.uni-hamburg.de/extern/tzs/online-text/PK200205605.pdf Zum Thema: Selbstmord, Universität Hamburg
  8. Law et al.: Evaluating the effectiveness of barrier installation for preventing railway suicides in Hong Kong. J Affect Disord. 2008 Sep 12. [Epub ahead of print] PMID 18789825

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