Stufentheorie (Rostow)

Stufentheorie (Rostow)

Die Entwicklungstheorie untersucht die Ursachen der geringeren wirtschaftlichen Entwicklung in Entwicklungsländern. Die verschiedenen Theorien lassen sich im Wesentlichen zwei Strömungen zuordnen: den endogenen und exogenen Theorien.

Die klassischen und modernen von liberalen und konservativen Theoretikern vertretenen endogenen Theorien sehen die Ursachen in den Entwicklungsländern selbst, z. B. nach der Modernisierungstheorie in archaischen Strukturen oder in der Korruption. Die klassischen und modernen exogenen Theorien gehen dagegen davon aus, dass die Ursachen des niedrigeren Entwicklungsstandes außerhalb der Entwicklungsländer, genauer gesagt in ihrer Ausbeutung durch die Industrieländer, liegen. Sie betonen die Abhängigkeit der Entwicklungsländer von den Industrieländern und sehen die scheinbar in den Entwicklungsländern liegenden Ursachen (wie z. B. Korruption) als Folgen dieser Abhängigkeit.

Inhaltsverzeichnis

Endogene Theorien

Laut den Befürwortern der endogenen Theorien ist die Ursache der Unterentwicklung in den betroffenen Ländern selbst zu suchen. Die Länder befinden sich in einem Stadium des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Übergangs, das die Industrieländer schon durchlaufen haben. Die Wirtschaftsstruktur beschränkt sich fast ausschließlich auf Agrarwirtschaft und bergbauliche Produktion, Großfamilien, Sippen oder Stämme sind noch immer Fundamente der Gesellschaft. Auf der gedanklichen Grundlage, dass der Prozess der Entwicklung der 3. Welt-Länder eine Wiederholung der Entwicklung der Industrieländer ist, kann das geschichtliche Wissen gezielt eingesetzt werden, um entwicklungshemmende Faktoren zu erkennen und den Prozess zu verkürzen.

Geodeterminismustheorie

Bei der Geodeterminismustheorie geht man davon aus, dass die ungünstige geografische Lage eines Landes Ursache für seine Situation ist. Dies äußert sich zum Beispiel in einer Binnenlage, welche hohe Transportkosten und Sondersteuern, wie Transitgebühren nach sich zieht, geringe flächenmäßige Größe (Inselstaat), ein ungünstiges Klima, welches in Form von langen, periodischen Dürren (Sahelzone), stark schwankenden Niederschlagsmengen, großer Jahrestemperaturamplitude und labilen Ökosystemen auftreten kann. Weitere Faktoren sind minderwertige Böden, ungünstige Oberflächenstrukturen wie Höhenlagen oder Hanglagen. Der Mangel an Rohstoffen und fossilen Energieträgern kann auch dazu führen, dass sich Länder langsamer entwickeln, da sie Rohstoffe importieren müssen. Entscheidend ist eine Rohstoffunabhängigkeit zu Beginn der Industrialisierungsphase.

Zu beachten sind in diesem Zusammenhang Thesen Jared Diamonds, nach denen der Mittelmeerraum durch seine Lage an einer globalen Querachse (von Gibraltar bis China) wie auch dem erleichterten Zugriff auf hier vorkommende wie importierte Nutztier - und Nutzpflanzenarten erheblich bevorteilt ist.

Ressourcenfluchtheorie

Mit dem Begriff Ressourcenfluch werden die negativen Konsequenzen bezeichnet, die Reichtum an Rohstoffen für ein Land haben kann. Das Wirtschaftswachstum ist in Ländern, die stark vom Export mineralischer und fossiler Rohstoffe abhängig sind, in der Regel geringer ist als in rohstoffarmen Ländern. Mögliche Gründe dafür sind unter anderem eine Verringerung der Wettbewerbsfähigkeit der restlichen Wirtschaftsbereiche, den staatlichen Missbrauch von Einkünften aus dem Rohstoffsektor oder mangelnde Investitionen in die Bildung. Mit dem Erlös von Ressourcen wie etwa Coltan oder Diamanten werden afrikanische Konflikte finanziert.[1][2] Über die politischen und ökonomischen Zusammenhänge von Kriegen in Afrika und der Ausbeutung von Ressourcen informiert auch die Kampagne Fatal Transactions.

Modernisierungstheorien

Hauptartikel: Modernisierungstheorien

Die Modernisierungstheorien sind seit den 1950er Jahren als neue Variante der endogenen Theorien entstanden. Anlass war das zunehmende Interesse der Industrieländer an der sog. „Entwicklungshilfe“. Für Vertreter der Modernisierungstheorie entwickeln sich die Länder der Dritten Welt in die gleiche Richtung wie die Industrieländer, nur wesentlich langsamer. Der Vorteil der Industrieländer liege darin, dass sie kulturell innovativer seien und sich daher schneller entwickelten.

Das Haupthindernis für eine positive wirtschaftliche Entwicklung der Dritten Welt liege darin, dass die Bewohner der Entwicklungsländer noch nicht mobil und rational genug seien, um die soziokulturellen, organisatorischen und politischen Innovationen der Industrieländer zu übernehmen, so die Vertreter eines sozialpsychologischen Ansatzes wie David Lerner.

Die Handlungsempfehlungen der Modernisierungstheorien sehen vor, dass durch eine Modernisierung der gesellschaftlichen Institutionen wie des Rechts, des politischen Systems, des Bildungswesen, u. a. die Grundlage für Wirtschaftswachstum und damit einhergehender Wohlfahrt geschaffen werden muss. Unter Modernisierung wird dabei der Prozess der Transformation von traditionellen Institutionen und Verhaltensgewohnheiten zu den modernen Ausprägungen, wie sie in der westlichen Gesellschaft vorzufinden sind, verstanden. Da die Ursachen der Unterentwicklung in den Entwicklungsländern selber zu suchen sei (in deren Rückständigkeit), könne die Lösung nur in Hilfe von außen liegen, also in Entwicklungshilfe und Investitionen seitens der Industrieländer.

Stufentheorien

Die Theorien über die Existenz von Stufen wirtschaftlicher oder gesellschaftlicher Entwicklung gibt es schon lange. Schon Karl Marx war der Meinung, dass sich soziale Entwicklung in Stufen vollzieht.

Walt Whitman Rostow, ein amerikanischer Ökonom und Wirtschaftshistoriker, unterteilt den Entwicklungsprozess in fünf Wachstumsstadien:

  1. die traditionale Gesellschaft
  2. die Gesellschaft im Übergang
  3. das Stadium des wirtschaftlichen Aufstiegs (take off)
  4. die Entwicklung zur Reife
  5. das Zeitalter des Massenkonsums

Auf die landwirtschaftlich geprägte, vormoderne Gesellschaft folgt die Übergangsperiode, in der die wichtigen Voraussetzungen für den Aufschwung geschaffen werden. Während dieser Zeit schreitet die ökonomische und technische Forschung fort, wodurch ein Strukturwandel eintritt. Die Infrastruktur und der Handel werden erweitert, trotzdem herrschen weiterhin die traditionellen Strukturen vor. Erst in der Phase des wirtschaftlichen Aufstiegs findet der Durchbruch zur industriellen Gesellschaft statt: Neue Industrien entstehen, die ein kontinuierliches Wirtschaftswachstum sichern. Die Entwicklung zur Reife bereitet die Gesellschaft – etwa durch Fließbandproduktion – auf das nach Rostow finale Zeitalter des Massenkonsums vor.

Kritik an den Modernisierungtheorien

Kritik an den Modernisierungtheorien kommt von verschiedenen Positionen.

Manche Kritiker setzen an der Beschreibung an, die als unzureichend angesehen wird: die westeuropäische Modernisierung sei nur eine singuläre historische Entwicklung, der keine universale Bedeutung zugemessen werden könne. Die Entwicklungsländer befänden sich also nicht auf dem gleichen, sondern einem anderen Entwicklungspfad. Andere kritische Positionen gehen von einer Mischung aus: es gebe sowohl eine gemeinsame Entwicklungsrichtung aller Gesellschaften hin zu technischem und wirtschaftlichem Fortschritt als auch eine relative Einzigartigkeit der Geschichte jeder Gesellschaft.

Andere sehen Lücken in der Erklärung: die Modernisierungstheorien böten keinen Erklärungsversuch für die die größere Entwicklungsgeschwindigkeit der Industrieländer, deren kulturelle Innovationen würden einfach vorausgesetzt. Aufgrund der unzureichenden Erklärungsangebote seien auch die darauf basierenden Handlungsempfehlungen erfolglos.

An den Stufentheorien wird kritisiert, dass die Kriterien der einzelnen Stufen nicht genau definiert sind. Es wurde auch daran gezweifelt, dass die Entwicklung in der Peripherie und im Zentrum wirklich parallel läuft, denn die beiden Arten von Staaten unterscheiden sich in ihrer landwirtschaftlichen Produktivität, dem Bevölkerungswachstum und in den externen Einflüssen.

Teufelskreis-Theorien

Zur Begründung der Unterentwicklung wird oft ein so genannter „Teufelskreis der Armut“ herangezogen.

Die Stagnation einer Region auf einem Niveau der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rückständigkeit im Vergleich zur Entwicklung der übrigen Teile eines Landes kann durch die Prozesse der Wechselwirkung erklärt werden zwischen den überlieferten kulturellen Orientierungen und dadurch bestimmten sozial dominanten Reaktionsmustern auf die reduzierten Chancen, so wie diese in der wirtschaftsgeografischen Situation strukturgeschichtlich gegeben sind.

Ein solcher Prozess kann Momente einer sich selbst bewahrheitenden sozialen Voraussage einschließen und lässt sich im Sinne der Kybernetik als eine negative Rückkopplung auffassen, wodurch ein bestimmter sozialer Strukturzusammenhang auf Dauer stabil gehalten wird. Es wäre daher logisch völlig verfehlt, eine derartige Theorie als Tautologie abtun zu wollen.

Stagnation als eine Blockade von sozialem Wandel kann nach dem Schema des US-Soziologen Robert K. Merton [3] zur Erklärung von abweichendem Verhalten als Reaktionsmuster des Fatalismus oder der sozialen Apathie auf die Diskrepanz von kulturell definierten Zielen und von verfügbaren sozialen Mitteln erklärt werden.

M. Rainer Lepsius [4] hat am Beispiel des Immobilismus Süditaliens aufgezeigt, wie die miseria, die bestehende oder drohende Verelendung der Lebensbedingungen, die mit einer bestimmten Deutung dieser Elendssituation als unüberwindbares kollektives Schicksal einhergeht, in Wechselwirkung steht zu einem Leitbild städtischen Lebensstils und bestimmten sozialen Mechanismen wie etwa dem Klientelismus und der Auswanderung.

Der Begriff wird mit dem Hinweis auf die Parallele zu Süditalien nicht selten auch in Bezug auf die politisch erstrebte, aber ausgebliebene Angleichung der Wirtschaftsentwicklung der neuen Bundesländer an das gesamtdeutsche Niveau verwendet.[5]

Kapitalmangeltheorien

Entscheidendes Wachstumshindernis ist für diese Theorien das Fehlen von Kapital. Früher wurde nur das Fehlen von Sachkapital berücksichtigt, mittlerweile bedenkt man auch den Mangel an Humankapital (z. B.: Leistungsfähigkeit, Ausbildung, Know-How). Das niedrige Pro-Kopf-Einkommen führt zu niedrigen Investitionsraten oder zu geringer Arbeitsproduktivität, weil z. B. Kleinbauern zu wenig erwirtschaften, um sich hochwertige Geräte leisten zu können. Die Industrialisierung und Mechanisierung der Peripherie wäre teurer als die agro-industrielle Revolution im Zentrum. Die Durchführung dieser Industrialisierung würde viel Kapital benötigen, Kapital, das in Dritte-Welt-Ländern nicht vorhanden ist. Kritikpunkte an dieser Theorie gibt es viele: Einerseits wird befürchtet, dass es, vor allem in politisch instabilen Ländern, zu einer gewaltigen Kapitalflucht kommen würde. Es sei sinnvoller, gesetzliche Maßnahmen in den Zielländern der Fluchtgelder durchzusetzen, als nur die Entwicklungshilfe zu erhöhen. Andererseits investieren viele Entwicklungsländer ein Vielfaches ihrer Entwicklungshilfe in die Rüstung. Schlussfolgerung dieser Einwände ist also, dass das Problem nicht unbedingt am Mangel an Kapital liegt, sondern viel eher an der Verteilung und Verwendung des vorhandenen Kapitals.

Rassistische Theorien / Theorie der selbstverschuldeten Armut

Die Kernaussage dieser Theorien lautet, dass Armut eine Folge der Unwilligkeit zur Leistung und zum Fortschritt sei. Das Bild aussereuropäischer Völker, die von Europäern im eigenen Interesse zur Arbeit angetrieben werden müssen, hat seine Ursprünge bereits in der Kolonialzeit. Diese Auffassung stieß und stößt auf Kritik: Ethnologen weisen immer wieder darauf hin, dass Konzepte von „Reichtum“ und „Armut“ keine universale Gültigkeit besitzen. Aus afrikanischer Sicht stellt etwa der Geburtenrückgang und das Verschwinden der Großfamilie in nahezu allen Industrieländern ein unbegreifliches Unglück und eine der schlimmsten Formen von „Armut“ dar. Dasselbe gilt auch für die Bewertung von „Arbeit“ als soziale Größe im interkulturellen Vergleich. In vielen aussereuropäischen Kulturen wird etwa „Frauenarbeit“ als ein Zeichen für den niederen sozialen Status der Familie dieser Frauen aufgefasst; dasselbe kann auch für jegliche Form von Arbeit gelten: Wer sich keine Angestellten leisten kann und selbst arbeiten muss, gilt unter Umständen als statusniedrig. Gleichzeitig zwingt die westliche Bewertung von Arbeit aussereuropäischen Kulturen oft die westlichen Maßstäbe auf, die z. B. dazu tendieren „Hausarbeit“ der „Lohnarbeit“ qualitativ unterzuordnen.

Dualismustheorien

Hauptartikel: Dualismustheorien

Für Ökonomen stellte der Begriff Dualismus lange ein wichtiges Entwicklungskriterium dar. Sie sind der Meinung, dass Unterentwicklung durch nebeneinander bestehende, nicht miteinander verbundene und strukturell verschiedenartige Wirtschaftssektoren gefestigt wird. Es werden verschiedene Arten des Dualismus unterschieden:

  • Der ökonomische und technologische Dualismus: Der moderne, industrialisierte, exportorientierte Sektor besteht neben dem traditionellen, mit primitiver Technik arbeitenden Sektor.
  • Der regionale Dualismus: Die industriellen Zentren bestehen neben dem primitiveren Hinterland.
  • Der soziale und kulturelle Dualismus: Die reiche, gebildete Klasse besteht neben der besitzlosen, ungebildeten Masse.

Demographische Theorien

Die Vertreter dieser Theorie sehen das Kernproblem der Entwicklungsländer in der Bevölkerungsexplosion. Sie macht die Bemühungen zur Steigerung des Wohlstands der Verbesserung der Nahrungsmittelversorgung, Hebung des Bildungsgrades und Schaffung der Arbeitsplätze in kürzester Zeit wieder zunichte.

Die Kritiker dieser Theorie gehen davon aus, dass das Bevölkerungswachstum selbst (zumindest zum Teil) als Folge wirtschaftlicher und sozialer Unsicherheit angesehen werden kann.

Exogene Theorien

Im Gegensatz zu den endogenen Theorien liegen die Ursachen, die laut der Befürworter zur Unterentwicklung führen bzw. die eine solche herbeigeführt haben, außerhalb der jeweiligen Region.

Imperialismustheorie

Die Imperialismustheorien wurden zwischen 1900 und 1920 von Hobson (englischer Publizist und Ökonom), Rudolf Hilferding (deutscher Politiker, Publizist und Ökonom), Lenin (russischer Revolutionsführer) und Rosa Luxemburg (polnische Internationalistin) begründet. Im Zuge des Aufkommens der Dependenztheorien erlebten sie Mitte der 60er Jahre eine Wiederbelebung und Modifizierung.

Für Marxisten ist der Imperialismus (nach Lenin) das momentane Stadium des Kapitalismus.

Die Imperialismustheorien behandeln die folgenden Themenbereiche: Die neue internationale Arbeitsteilung wird von den internationalen Konzernen maßgeblich bestimmt. Das bedeutet, dass multinationale Konzerne Fabrikationsstätten in der Dritten Welt errichten, was Weiterentwicklung der Peripherie schier unmöglich macht, da einerseits die Einkommensunterschiede nicht abgebaut werden können. Andererseits haben Entwicklungsländer keinen Zugang zu modernen Technologien, da Weiterbildung nicht nötig ist: ungelernte Arbeitskräfte haben keine Möglichkeit zur Fortbildung. Weiter hat die Peripherie nur geringen Handlungsspielraum: Die wichtigen Entscheidungen werden noch immer von den Industriestaaten gefällt.

Der ungleiche Tausch ist noch immer ein großes Problem: Durch ungleiche Handelsbedingungen (terms of trade) verschiebt sich der Markt zugunsten der Industrieländer. Das passiert immer, wenn Waren nicht ihrem Wert entsprechend entlohnt werden. Das bedeutet, dass sich das Einkommen zwischen Zentrum und Peripherie durch internationale Kapitalbewegungen oder Direktinvestitionen umverteilt.

Durch ausländische Direktinvestitionen kommt es zu einem stetigen Gewinnabfluss; Konzerne weisen Gewinne in andere Länder aus – da einheimische Arbeit zu niedrigsten Löhnen erfolgt, kommt es zu einem ständigen Kapitalexport.

Kritiker dieser Theorie sind der Meinung, dass Dinge wie Arbeitskräftewanderungen, Technologietransfer oder Währungsbeziehungen geleugnet oder nicht beachtet werden. Sie meinen, dass die Theorien nicht empirisch abgesichert sind, das bedeutet, dass ihre Ansätze nicht auf Erfahrungen beruhen. Die Entwicklungsstrategien beschränken sich weitgehend auf eine Revolution oder eine vollkommene Abkoppelung vom Weltmarkt, doch die Konsequenzen oder Folgeschritte werden nicht diskutiert.

Theorie der langfristigen Verschlechterung der terms of trade

Als „terms of trade“ werden die Austauschbedingungen (Handelsbedingungen) zwischen Rohstoff- und Fertigwarenlieferant bezeichnet. Gründe für die Verschlechterung gibt es viele: Natürliche Rohstoffe werden oft durch synthetische Produkte ersetzt, die Industrieländer haben eine protektionistische Handelspolitik, der Handel wird oft von mächtigen Gewerkschaften in den Zentren behandelt, in den Industrieländern schreitet die technische Entwicklung schneller fort als in der Peripherie. Die Industrieländer ziehen alle Vorteile aus den unfairen Handelsbedingungen, während die Dritte Welt arm bleibt. Kritiker meinen, dass nicht alle Waren einem Preisverfall unterliegen und dass auch in Ländern, deren Exportprodukte gute Austauschbedingungen haben, auch Strukturen der Unterentwicklung aufweisen können.

Abhängigkeitstheorien

Hauptartikel: Dependenztheorie

Die Abhängigkeitstheorien (auch Dependenztheorien genannt) traten erstmals Mitte der 60er Jahre in Lateinamerika auf, da die klassische Entwicklungspolitik damals scheiterte. Eine neue Basis für die Theorien wurde gesucht, man wandte sich damals gegen die klassischen Theorien und insbesondere die Modernisierungstheorien. Die damals gängige Bezeichnung „Dependenztheorien“ stammt von dem spanischen und portugiesischen Wort für Abhängigkeit „dependencia“. Anhänger dieser Theorien sind der Meinung, Unterentwicklung folge aus der Abhängigkeit der Dritte-Welt-Länder (Peripherie) von den Industrieländern (Zentrum). Im Gegensatz zu den klassischen Theorien ist bei den Dependenztheorien Unterentwicklung nicht auf innere („endogene“) Umstände zurückzuführen; sie ist eine logische Folge der Geschichte, die in die verschiedenen Länder in durchaus unterschiedlicher Weise durchlaufen haben. Unterentwicklung ist ein Resultat der Eingliederung der Dritten Welt in die kapitalistische Wirtschaftordnung von heute, wobei die kolonialistischen Strukturen immer noch erkennbar sind. Durch die Macht des Kapitals, das die Industrieländer heute haben, gelingt es ihnen, die ärmeren Länder auch weiterhin arm zu halten. Die Abhängigkeit der unterentwickelten Länder von den Industrieländern ist nur ökonomisch begründet, kulturelle und politische Abhängigkeit sind lediglich Folgen der wirtschaftlichen Abhängigkeit. Deshalb halten Vertreter der Dependenztheorien das heutige Welthandelssystem für neokolonialistisch. Wegen des Mangels an Devisen sind die Entwicklungsländer dazu gezwungen, eigene Rohstoffvorkommen auszubeuten und Plantagenprodukte möglichst billig herzustellen, um sie in die Industrieländer zu exportieren. Auf der anderen Seite werden von einer reichen Minderheit, die einen Lebensstandard und ein Konsumniveau nach gängigen westlichen Standards erreicht oder sogar übertroffen hat, Industrieprodukte aus dem Westen importiert. Diese Importe führen häufig zu einem Außenhandelsdefizit. In der heimischen Industrie können diese Konsumgüter allerdings nicht produziert werden, da diesen meist die Technologie und das Kapital für teure Fertigungsanlagen und Investitionsgüter fehlt. Dieser Umstand verstärkt die Abhängigkeit der Entwicklungsländer von den kapitalistischen Metropolen. Die reiche Minderheit, die meist in den Großstädten in abgesicherten Stadtvierteln lebt, bildet die politische Elite dieser Länder. Durch Vertreterrollen in der Politik, die diese „Reichen“ oftmals innehaben, sind sie mitverantwortlich für die Aufrechterhaltung des Zustands, der in Entwicklungsländern herrscht. Oftmals sind sie die größten Gewinner dieser Situation. Sie drängen den Großteil der Bevölkerung an die Grenze des Existenzminimums und vergrößern dadurch die Kluft zwischen der armen und der reichen Bevölkerung. In den oben genannten Punkten sind sich alle Anhänger der Abhängigkeitstheorien einig, doch gibt es innerhalb der Anhängergruppe zwei verschiedene Ansätze, den strukturalistischen und den marxistischen, die sich in einigen Punkten unterscheiden.

Strukturalistischer Ansatz

Ein Vorläufer des strukturalistischen Ansatzes liegt im antiimperalistischen Denken der 30er Jahre. Die Strukturalisten sind der Meinung, dass man die Armut jedes Landes einzeln analysieren müsse, da sich die Strukturen der Unterentwicklung regional unterschieden. Sie sind der Meinung, dass Unterentwicklung die Folge eines historischen Prozesses sei, der umkehrbar ist. Der Zustand der Abhängigkeit findet sich nur in einer Übergangsphase. Nach der Meinung der Strukturalisten sind Problemlösungen möglich, wenn gewisse Rahmenbedingungen geändert werden (zum Beispiel durch Einführung einer neuen Weltwirtschaftsordnung).

Marxistischer Ansatz

Die Vorläufer des marxistischen Flügels sind die klassischen Imperialismustheoretiker der Zweiten und Dritten Welt. Die Marxisten meinen, ihre Auffassung der Dependenztheorie sei total, also global überall gültig. Wenn Unterentwicklung durch das kapitalistische Wirtschaftssystem bedingt ist, dann ist auch die Unterentwicklung, die daraus folgt, strukturell überall gleich. Sie denken, dass Unterentwicklung für das Bestehen des Kapitalismus lebensnotwendig ist, daher ist sie auch in diesem System unüberwindbar. Für sie ist der Zustand der Abhängigkeit keine Übergangsphase, sondern ein historischer Endpunkt in der kapitalistischen Entwicklung der Peripherie. Lösungsmöglichkeiten sind aus Sicht des marxistischen Ansatzes nicht innerhalb des Kapitalismus möglich. Die Anhänger vertrauen darauf, dass der Kapitalismus zusammenbrechen wird, was nur im Zuge einer Revolution stattfinden könne. Die Marxisten meinen, Ausbeutung sei ursächlich, was zum Beispiel die ungleichen Handelsbedingungen zeigen.

Kritik an den Abhängigkeitstheorien

Durch das Aufkommen der Dependenztheorien wurden erstmals die vorherrschenden klassischen Theorien kritisiert, die Erklärung der Unterentwicklung wurde um wichtige Aspekte erweitert. Dennoch wurden auch sie selbst kritisch diskutiert, insbesondere der Totalitätsanspruch des marxistischen Ansatzes. Kritik richtet sich u. a. auf ein unzureichendes Erklärungsangebot: die Abhängigkeitstheorien böten keine (ausreichende) Erklärung dafür an, warum die Industrieländer überhaupt die weniger entwickelten Länder unterwerfen konnten. So, wie die Modernisierungstheoretiker das Machtgefälle und die Abhängigkeiten zwischen Zentren und Peripherien verharmlosten, würden umgekehrt die Abhängigkeitstheoretiker den Entwicklungsvorsprung der Industrieländer nicht zureichend beschreiben und erklären. Ein weiterer Kritikpunkt an den Dependeztheorien besteht im Ausklammern endogener Entwicklungshindernisse, da die Ursachen der Unterentwicklung exogen verortet werden, werden interne Missstände in den Entwicklungsländern selbst außer acht gelassen wie z. B. sich selbst bereichernde Diktatoren oder Korruption.

Kritik der Entwicklungstheorien

Die Konflikte zwischen den Theorie-Strömungen haben sich gemildert, da weithin Unzufriedenheit mit allen Entwicklungstheorien um sich greift. Vielfach wird kritisiert, dass keine der Theorien die Realität plausibel beschreibe und widerspruchsfrei erkläre. Sie seien mehr oder weniger monokausal und blenden mit ihrem globalen Gültigkeitsanspruch lokal relevante Gegebenheiten aus. Die Probleme der Entwicklungsländer werden zunehmend als Komplex von Symptomen gesehen, zu dessen Erklärung naturräumliche, demografische, soziale, politische und religiöse, also gleichermaßen endogene und exogene Faktoren herangezogen werden müssen. Für eine zureichende Erklärung müsse auch historisch weiter als nur wenige Jahrhunderte zurückgegangen werden.

Anmerkungen

  1. Richard M. Auty: Sustaining Development in Mineral Economies: The Resource Curse Thesis. London: Routledge, 1993.
  2. Greg Campbell: Tödliche Steine. Der globale Diamantenhandel und seine Folgen, EVA, Hamburg 2003, ISBN 978-3-434-50554-9
  3. Social Theory and Social Structure, Glencoe 1957, Kap. IV und V
  4. Immobilismus: das System der sozialen Stagnation in Süditalien, in: Interessen, Ideen und Institutionen, Opladen 1990
  5. "Der Rückgang der Unterbeschäftigung in Ostdeutschland geht dagegen mit einer starken Abnahme des Arbeitskräfteangebots und des Arbeitskräftebedarfs einher. Dadurch gerät Ostdeutschland in einen Teufelskreis aus geringeren Einnahmen, geringeren Infrastrukturinvestitionen, sinkender Attraktivität und ständig abnehmender Einwohnerzahl. Für viele Betriebe dürfte sich die Existenzfrage stellen. Und für Investoren beeinträchtigt ein Mangel an jungen, gut ausgebildeten Arbeitskräften die Attraktivität des Standorts." (IAB Kurzbericht Ausgabe Nr. 24/8.12.2005, S. 3f. Vgl. dazu auch Karl Mai: Neuere Projektionen für Perspektiven Ostdeutschlands, Juli 2007

Siehe auch

Literatur

  • Hartmut Ihne, Jürgen Wilhelm (Hrsg.): Einführung in die Entwicklungspolitik. 2. Aufl., Münster-Hamburg, 2006, ISBN 3-8258-8152-0
  • Franz Nuscheler: Lern- und Arbeitsbuch Entwicklungspolitik. 5. Auflage. Dietz, Bonn, 2004, ISBN 3-8012-0350-6.
  • Fred Scholz: Geographische Entwicklungsforschung. Borntraeger, Berlin, 2004, ISBN 3-443-07138-4.
  • Karin Fischer, Irmi Maral-Hanak, Gerald Hödl und Christof Parnreiter: Entwicklung und Unterentwicklung. Eine Einführung in Probleme, Theorien und Strategien. Mandelbauum, Wien, 2004, ISBN 3854761406
  • Uwe Holtz (Hrsg.): Probleme der Entwicklungspolitik. Bonn, 1997, ISBN 3-416-02727-2
  • Gilbert Rist (mit Fabrizio Sabelli): Il était une fois le développement, dt. Das Märchen von der Entwicklung. Ein Mythos der westlichen Industriegesellschaft und seine Folgen für die „Dritte Welt“. Rotpunktverlag, Zürich, 1989, ISBN 3-85869-053-8
  • Gilbert Rist: The History of Development: From Western Origins to Global Faith. Expanded Edition, Zed Books, London, 2003, ISBN 1842771817
  • Aram Ziai: Zwischen Global Governance und Post-Development. Entwicklungspolitik aus diskursanalytischer Perspektive. Münster, 2006, ISBN 9783896915924

Weblinks


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