Stummes Spiel

Stummes Spiel
Pantomime

Pantomime (griechisch: παντόμῑμος pantómīmos – „Pantomime“, wörtl. „alles nachahmend“) bezeichnet eine Form der darstellenden Kunst, deren Darsteller in den meisten Fällen ohne gesprochenes Wort auskommen und Szenen, Örtlichkeiten und Charaktere hauptsächlich durch Gestik und Mimik verständlich machen. Masken oder Schminkmasken können dabei Verwendung finden.

Als Gegenbewegung zum Ursprung der Pantomime aus Tanz und Zirkusartistik, den man noch im Stummfilm erkennt, hat sich eine karge, aufs Wesentliche beschränkte „autonome“ Pantomime als moderne Kunstform entwickelt. Gelegentlich wird diese Pantomime dennoch mit anderen Theaterformen verbunden, zum Beispiel beim Schwarzen Theater, seltener auch im Schwarzlichttheater. Ebenso kann die Darbietung eines Clowns pantomimische Elemente enthalten.

Äußerungen von Menschen, die sich z. B. nicht in einer fremden Sprache ausdrücken können, werden ebenfalls oft als „pantomimisch“ bezeichnet. Außerdem ist die Musik seit dem 18. Jahrhundert oft als pantomimische Kunst bezeichnet worden.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Ursprünge

Pierrot/Pagliaccio, um 1600

Der römische Pantomimus war eine Art virtuoser Solotanz. Er war weit verbreitet, bis das Christentum alle Formen öffentlicher Aufführungen verbot. Eine Kontinuität des römischen Mimus über das Mittelalter hinweg wird manchmal behauptet, lässt sich aber nicht belegen. Allerdings wurde seit der Neuzeit immer wieder versucht, verschiedenste Theaterformen durch Berufung auf die Antike zu rechtfertigen.

Mit der Commedia dell’arte, dem italienischen Stegreiftheater der Renaissance, entstand seit dem 16. Jahrhundert eine neuzeitliche Form der Pantomime, die sich über den Umweg der europäischen Metropole Paris auf der ganzen westlichen Welt verbreitete. Wenngleich hier Sprache verwendet wurde, hatten nicht nur Masken wie die Figuren des Pagliaccio oder Pedrolino (wird zu Pierrot) oder des Arlecchino (wird zu Harlekin) Einfluss auf die spätere Pantomime.

Mit dem Begriff der Pantomime verbunden ist die Vorstellung einer allgemeinen Verständlichkeit über Sprachgrenzen und Standesgrenzen hinweg. In diesem Sinne hatten auch die englischen Wanderschauspieler, die Kontinentaleuropa seit etwa 1600 bereisten, ohne die Sprachen in den von ihnen besuchten Ländern zu beherrschen, Anteil an ihrer Entwicklung. Sie nahmen Einflüsse der Commedia dell'arte auf.

18. Jahrhundert

Als populäres Gegenstück zum höfischen Ballett wurde im 18. Jahrhundert eine getanzte Form der Commedia dell'arte üblich, die man Pantomime nannte. Überall in Europa gab es Tanzkompanien, die diese sehr musikbetonten Stücke, oft mit vielen Kostümwechseln und Verwandlungen auf der Bühne, präsentierten.

Im Pariser Jahrmarktstheater entstand die stumme Pantomime, weil die offiziellen Pariser Theater aus Angst vor der wirtschaftlichen Konkurrenz dieser modischen Spielstätten zeitweise ein Textverbot für sie durchsetzen konnten.

In der Ästhetik des 18. Jahrhunderts, in einer gehobeneren gesellschaftlichen Sphäre, hatte die Pantomime eine andere Funktion. Sie sollte nach dem Tod des tanzenden Königs Louis XIV 1715 die zunehmende Loslösung von den französischen Hofsitten rechtfertigen, die Tanz und Theater instrumentalisierten. Sie symbolisierte eine Bewegung ohne Benimm-dich-Regeln. Die Befreiung von den regulären Schritten des Gesellschaftstanzes, vom einengenden Korsett des Operngesangs, von den Posen und Deklamationsregeln der tragischen Schauspieler, all das wurde mit Vorliebe Pantomime genannt, die als Vision grenzenloser Freiheit, Wahrheit und Natürlichkeit erschien und sich zudem noch auf die Antike abstützen ließ. Von Jean-Baptiste Dubos (Réflexions critiques sur la poésie et la peinture, 1719) über Denis Diderot (De la poésie dramatique, 1758) bis Johann Georg Sulzer (Allgemeine Theorie der Schönen Künste, 1771) gibt es zahlreiche Äußerungen in der Richtung, dass die Pantomime den Menschen zur Natur hinführe.

Johann Jacob Engel fasste in seinen Ideen zu einer Mimik (1786) manche Tendenzen des Jahrhunderts zusammen. Eine Leitidee war der Glaube daran, dass die wortlosen Künste Gestik und Mimik im Unterschied zur wortreichen und manipulierenden Rhetorik das „Innere der Seele“ unverstellt spiegeln. Dann wären Gestik und Mimik nach damaliger Vorstellung nicht Kunst, sondern Natur. Sie wären nicht machbar, sondern würden unwillkürlich aus dem Innern des begnadeten Künstlers hervorbrechen. Der sprachliche Ausdruck war dagegen eher dem Verdacht der Täuschung und Verstellung ausgesetzt. Diese Vorstellungen zeigen sich etwa in den pantomimischen Szenen von August von Kotzebues Menschenhass und Reue (1789). − Die theoretische Diskussion lässt sich nicht von ihrem gesellschaftlichen und politischen Umfeld trennen. Die Pantomime der Jahrmärkte war gerade deshalb in Mode, weil sie „aus der Gosse“ kam und ursprünglich gering geschätzt wurde, so wie es bis heute bei vielen Tänzen oder Musikstilen der Fall ist.

In England hingegen war die Glorious Revolution 1688 schon geschehen und die populäre Theaterkunst deshalb weiter fortgeschritten als auf dem Kontinent vor der französischen Revolution 1789, wo sie mit zahlreichen Einschränkungen zu kämpfen hatte. Der Ballettmeister John Weaver rechtfertigte tänzerische Innovationen mit seinem Traktat History of the Mimes and Pantomimes (1728), das große Ausstrahlung hatte. Er wird oft als Begründer der englischen Ballettpantomime bezeichnet. Im Pariser Jahrmarktstheater wurde die Pantomime als Kampf gegen die Privilegien der Hoftheater betrachtet.

Der französische Tänzer und Choreograf Jean Georges Noverre stützte sich bei seinen Reformen des Hoftanzes unter anderem auf Weaver. Er löste durch „natürlichere“ Bewegungen den Bühnentanz vom Gesellschaftstanz und schuf das Handlungsballett (ballet en action). Aber auch er orientierte sich wohl nicht an der Theorie seiner Zeit, sondern an den populären Pantomimen der Jahrmärkte oder den gastierenden englischen Schauspielern wie David Garrick.

Das Aufstreben der Pantomime nach der französischen Revolution hat vor allem mit der strengen Theaterzensur zu tun, die Aufführungen ohne Text, also ohne die Gefahr politischer Äußerungen, stark begünstigte. Der Begriff Pantomime wird auch deshalb mit einer subtilen Gesellschaftskritik in Verbindung gebracht.

19. Jahrhundert

Pantomime als Nachspiel einer Zirkusveranstaltung, 1803

Die populäre Pantomime war noch im 19. Jahrhundert ein Gegenstück zum höfischen Ballett und wurde in Theatern aufgeführt, denen keine solchen gestattet waren, wie dem Theater in der Leopoldstadt Wien (siehe Der siegende Amor, 1814). Ein wichtiger „Pantomimenmeister“ war etwa Louis Milon am Pariser Théâtre de l’Ambigu-Comique. Von dieser Ballett-Pantomime stammt die so genannte „englische Pantomime“ her, die eng mit dem Zirkus verwandt war (siehe Pferdetheater) und in Joseph Grimaldi (dem Erfinder des Clowns) einen berühmten Interpreten hatte. Noch bis ins 20. Jahrhundert hinein bildeten „Pantomimen“ das Kernprogramm der Zirkusse, die ähnlich wie die Massenszenen in heutigen Kostüm- oder Historienfilmen aussahen, mit ausgedehnter Handlung, vielen Figuren, je nachdem auch mit exotischen Tieren. Beeindruckende Bilder waren dort wichtiger als Sprache. An Weihnachten wird die komische Variante dieser spektakulären Pantomimen noch heute in vielen englischsprachigen Gebieten der Welt aufgeführt. In den Music Halls seit 1850 erfuhr sie jene kommerzielle Perfektionierung, die man noch in Stummfilmkomödien bewundern kann.

Jean-Gaspard Deburau

Eine enge Verbindung zwischen Malerei und Pantomime hatte bereits Diderot behauptet (Dorval et moi, 1757), und daraus wurde im 19. Jahrhundert eine eigene Kunstgattung. „Lebende Bilder“, die sich aus dem Posieren für Gemälde oder Fotos entwickelten und die etwa Henriette Hendel-Schütz kultivierte, wurden mitunter auch „Pantomimen“ genannt. Eine enge Verbindung mit der weiteren Entwicklung der Pantomime hatte das Turnen seit Beginn des 19. Jahrhunderts, das damals noch mehr theatralische Elemente enthielt als heute. Der Rhetoriklehrer François Delsarte erforschte und lehrte die „natürlichen“ Körperhaltungen, die er für eine Grundlage jeder sprachlichen Äußerung hielt. Noch der moderne Pantomime Jacques Lecoq hat als Turner begonnen und Jean-Gaspard Deburau war ein Meister im Stockkampf. Außerdem gehört das Fechten seit dieser Zeit zu den Fähigkeiten eines Schauspielers des 18. und 19. Jahrhunderts: Sie sollten Standespersonen authentisch darstellen und sich selbst in Ehrenhändeln verteidigen können. Später wurde es zwar zur „sinnfreien Leibesübung“, wird aber aus Gründen der Körpererziehung in der Schauspielerausbildung bis heute beibehalten.

Deburau gilt auch als Erfinder der modernen, feinen und poetischen Pariser Pantomime auf dem Boulevard du Temple, die sich bis heute erhalten hat. Er schuf die Figur des poetischen, melancholischen Pierrot, der auf der Bühne nicht sprechen durfte, weil das Théâtre des Funambules keine Lizenz dazu besaß. Deburau wurde im Film Kinder des Olymp von 1945 in der Darstellung von Jean-Louis Barrault ein Denkmal gesetzt.

Das Melodram in jener Zeit enthält oft pantomimische Hauptrollen, zum Beispiel Der Hund des Aubry (1814) oder Die Waise und der Mörder (1816). Auf die Oper übertragen wurde dieses Prinzip in Die Stumme von Portici (1828), in der die stumme Figur sozialkritische Sprengkraft besaß, was sich in der belgischen Revolution von 1830 bestätigte.

20. Jahrhundert

Jean und Brigitte Soubeyran in „Im Zirkus“, Pantomime, 1950er-Jahre

Artisten-Karrieren wie die von Carl Godlewski zeigen, dass auch nach 1900 die Grenzen zwischen Pantomime, Zirkusakrobatik und Tanz fließend waren, selbst auf höchstem Niveau. Dies erschien manchen Künstlern jedoch unbefriedigend. Die Pantomime des 20. Jahrhunderts, die auf Étienne Decroux zurückgeht (auch er gehörte zu den Darstellern in Kinder des Olymp), ist nicht nur von der Kleinkunst der Music Hall und von den Schauspieltechniken im Stummfilm beeinflusst, sondern auch von Reformversuchen des Balletttanzes, die bei François Delsarte (siehe auch das 19. Jahrhundert) ihren Anfang nehmen und in den sogenannten Ausdruckstanz von Emil Jaques-Dalcroze oder Rudolf von Laban münden. Dessen Bewegungsexperimente auf dem Monte Verità fanden weitherum Beachtung. So formte sich bis nach dem Ersten Weltkrieg eine Art des Bewegungstheaters, das weder Ballett noch Gesellschaftstanz war.

Decroux erklärte den vom Tänzerischen und Artistischen weitgehend gereinigten „mime pur“ zur Grundform der Pantomime (siehe auch Mime corporel dramatique) und gründete in den 1930er-Jahren die erste Pantomimenschule in Paris. Zu seinen Schülern gehörten Jean-Louis Barrault, der die Pantomime ins Schauspiel integrierte, und Marcel Marceau, der sie im Laufe seiner Karriere immer mehr zu einer Soloauftrittskultur perfektionierte.

Decroux’ Auffassungen deckten sich mit Bestrebungen mancher Theaterreformer nach dem Ersten Weltkrieg wie zum Beispiel Max Reinhardt, Bertolt Brecht und Meyerhold, die auch das Schauspiel auf einen klaren körperlichen Ausdruck reduzierten, der nicht naturalistisch, sondern stilisiert sein sollte. Neue Ideen für die Pantomime kamen von den asiatischen Martial arts.

Samy Molcho verband die Pantomime wiederum mit den Ausdrucksmitteln des Balletts und Dimitri mit denen des Clowns. Gerade letztere Verbindung erlebte durch die Fools-, Clowns- und Narren-Bewegung der späten 1970er- und beginnenden 80er-Jahre einen neuen Aufschwung, so besonders durch Jango Edwards und seine Friends Roadshow aus den Niederlanden. Während Marceau hauptsächlich als Einzelkünstler auftrat, bevorzugten etwa Ladislav Fialka in der Tschechoslowakei, Henryk Tomaszewski in Polen und Jean Soubeyran in Deutschland die Ensemblearbeit und verknüpften sie mit dem Tanztheater oder dem Schauspiel. Arkadi Raikin in der Sowjetunion ging sogar so weit, sie mit Elementen aus der Operette und dem Kabarett zu verbinden, was ihn zu einem bekannten Satiriker und Komödianten machte. Die Gruppe Mummenschanz brachte ihre Variante einer Pantomime mit Ganzkörpermasken in den 1970er-Jahren erfolgreich auf die Broadway-Bühne.

Trotz der Bemühungen um eine „reine“ Pantomime ist der Begriff noch heute sehr weit reichend, und der Übergang zu Tanztheater oder Performance ist fließend. Auch im Straßentheater, in Diskotheken oder im Bereich der Jugendkultur gibt es vielfältige Darbietungen, die mehr oder weniger „pantomimisch“ sind, so zum Beispiel den Breakdance. Hier wurden sogar Elemente aus der Schule Marceaus übernommen. Straßenkünstler, die lebende Statuen darstellen, wie sie häufig in Fußgängerzonen auftreten, verwenden, wenn sie sich denn bewegen, pantomimische Elemente wie die Reduzierung auf wesentliche Bewegungen (siehe auch unter Grundlagen und Technik).

Die Abgrenzung der „klassischen Pantomime“ von der populären Unterhaltung, wie sie Künstler von Decroux bis Marceau demonstrierten, hat die Pantomime allerdings auch in gewisser Weise isoliert, ähnlich wie sich andere elitäre Strömungen in Theater und Musik isoliert haben, die aus den Avantgarden zu Beginn des 20. Jahrhunderts hervorgegangen sind. Ein freiwilliger Verzicht auf gesprochene Sprache wirkt weniger attraktiv als ein erzwungener, der sich einst aus Zensurvorschriften, aus dem Fehlen des Tons beim Stummfilm oder aus der nahezu undurchdringlichen Lautstärke von Jahrmärkten und Musikveranstaltungen ergab. Schaffte es der berühmte Marceau zwar noch, riesige Säle zu füllen, so finden viele zeitgenössische Pantomimen immer weniger Auftrittsmöglichkeiten. Es scheint so, als ob die im Stillen dargebrachte „stille Kunst“ (L’Art du silence, Marceau) zu still ist.

Grundlagen und Technik

Nach der Schule von Decroux und der hier verwendeten Literatur von Jean Soubeyran,[1] eines Schülers von ihm, funktioniert die Pantomime wie ein Vortrag, der aus Sätzen besteht und durch die Mittel von Spannung und Entspannung, die „die Atmung des Mimen“ sind,[2] die Zuschauer zu begeistern versucht. Diese Sätze wiederum bestehen ebenso wie der gesprochene Vortrag aus Satzzeichen und -gliedern, die zueinander in Beziehung stehen müssen, um verständlich zu sein, und haben einen Anfang und ein Ende. Die so genannten „Tocs“ dienen dazu, einen pantomimischen Satz oder ein Satzelement einzuleiten oder als „Schluss-Toc“ eine Aktion abzuschließen, wobei letztere durch ein Auftreten der Ferse oder der Fußspitzen als so genannter „Stoß“ auch hörbar sein können. Die zeitweilig auch als Pantomimin aufgetretene Brigitte Soubeyran definiert den Toc so: „Der Toc ist ein Punkt, der innerhalb eines Bewegungsablaufes eine neue Phase einleitet.“[3] Zusätzlich wird jede Gestik auf das Minimum an Bewegung reduziert und jeder mimische Ausdruck auf das Einfachste, um sie dadurch „klarer“ zu machen.

Dies verlangt vom Pantomimen oder von der Pantomimin einen hohen körperlichen Trainingsaufwand. Es werden viele gymnastische so genannte „Separationsübungen“ angewendet, um jeden einzelnen Körperteil (fast könnte man sagen: jeden Muskel) unabhängig voneinander und auch gegeneinander bewegen zu können. Zusätzlich wird während der Ausbildung auf den Gebieten der „Erschaffung der Zeit und des Raumes“, des Umgangs mit fiktiven Gegenständen, der Darstellung der Gemütsbewegungen und der „dramatischen Improvisation“ in Einzel- oder Gruppenimprovisationen sowie der so genannten „geometrischen Pantomime“ gearbeitet.

Ausgangspunkt letzteren Schwerpunkts, die das Ziel hat den „Körper in allen Stellungen im Gleichgewicht zu halten“ und „keinerlei Ungenauigkeit im Stil, keinerlei Erschlaffung bei der Ausführung“[4] zuzulassen, ist die Stellung „Neutral“, die je nach „Schule“ variiert wird: leicht angewinkelte Füße, die hüftbreit voneinander entfernt stehen, die Wirbelsäule bis zum Kopf völlig gerade, Arme und Schultern hängen locker und (ganz wichtig!) die Zunge klebt nicht oben am Gaumen, sondern hängt ebenso locker in der Mitte der Mundhöhle.[5] Decroux nannte diese Stellung „Eiffelturm“, weil sie eine physiognomische Ähnlichkeit mit diesem hat.[6] Bei der Positur „Baum“ als Ausgangspunkt berühren sich jedoch die Fersen leicht, bei der „japanischen“ Positur sind die Knie leicht durchgedrückt, sodass sie genau über den Füßen stehen, das Becken nach vorne geschoben und die Handflächen geöffnet nach vorne. Danach wird mittels der rhythmischen Elemente eines Toc oder eines so genannten „Fondu“, einem fließenden und gleichmäßigen Übergang von einer Stellung in die nächste, an den verschiedensten Körperübungen gearbeitet.

Der Pantomime arbeitet also auf zunächst zwei unabhängig voneinander stehenden Gebieten: dem der „Körpertechnik“ und dem der „Improvisation“. Indem beide unabhängig voneinander ausgeführt werden, nähern sie sich einander an. Je weiter der Mime die körperliche Technik perfektioniert hat ohne an sie zu denken, und je mehr er im Bereich der Improvisationsübungen seine Fähigkeiten und Möglichkeiten des Ausdrucks erweitert hat, desto mehr verbinden sich diese beiden widersprüchlich erscheinenden Gebiete zu einer Einheit, die schließlich einen großen Teil des „Spiels“ des Mimen ausmacht, der nun ein athlète affectif, ein „empfindungsfähiger Athlet“ (Barrault)[7] geworden ist.

Jean Soubeyran als „Harlequin“ in „Im Zirkus“, Pantomime, 1950er-Jahre

Ein letzter, doch nicht minder wichtiger Punkt für den Pantomimen ist die Arbeit mit der „Maske“, die wie überall im Bereich Theater, Film oder Fernsehen nicht ausschließlich als eine aufgesetzte zu verstehen ist. Diese hat die Funktion eine Distanz zwischen dem Mimen und dem Publikum zu schaffen. Soubeyran schrieb dazu:

Dadurch, dass der Mime sein menschliches Gesicht verliert, entfernt und vergrößert er sich für das Publikum […] Beim Menschen mit unbedecktem Gesicht wird der Blick des Betrachters immer von dessen Bild angezogen, der Körper ist dabei von sekundärer Bedeutung. Das verborgene Gesicht hingegen integriert vollständig im Körper, es verschwindet und bringt dadurch den Kopf zur Geltung. Der Kopf erhält jetzt eine viel größere Wichtigkeit, er muss das Gesicht ersetzen.[8]

Erst die Perfektion in allen diesen Bereichen macht Pantomime zur Kunst und unterscheidet sie von Laiendarbietungen. So wird, als Beispiel, nie eine Hand zum Ohr geführt, um zu zeigen, dass etwas gehört wird, sondern der Kopf waagerecht (wie auf einer Schiene) langsam in die Richtung des (vermeintlichen) Geräusches geschoben, ohne die Schultern dabei zu bewegen und „mitzuziehen“ oder den Gesichtsausdruck anzuspannen. Das von Laien gerne gebrachte „Abtasten von Wänden“ ist daher nicht wie bei diesen ein „Patschen in die Luft“, sondern durch Muskel- und Sehnenan- und -entspannung der Finger und Hände ein fast „wirkliches“ Abtasten von Wänden, bei dem man die Wand geradezu zu sehen glaubt.

Jean Soubeyran schrieb dazu:

Die Pantomime ist unablässiges Erschaffen und, wie alle Schöpfung, ein Kampf. Das Objekt, das ich schaffen will, zwingt meinem Körper seine Eigenart auf. Mein Körper, dadurch zum Diener des Objekts geworden, gibt diesem wiederum das Leben. Der Körper des Mimen ist dem Objekt unterworfen, das er selber schafft.[9]
Wenn ich meine Hand an eine wirkliche Wand lege, besteht natürlich dieser Zwang, eine Fläche zu wahren, nicht. Durch ihre untätige Materie schreibt die Wand auf ganz natürliche Weise meiner Hand ihre Haltung vor, die, passiv, keine Anstrengung zu machen braucht. Dagegen schafft der Mime zusammen mit der fiktiven Wand nicht nur die Fläche der Wand, sondern auch deren passive Kraft. Die Muskeln der Handgelenke und der Hände führen eine harte Arbeit aus…[10]

Weitere vorher nicht genannte berühmte Pantomimen

Zeitgenössische Pantomimen

„Pantomime“ als Gesellschaftsspiel

Siehe dazu: Scharade

Literatur

  • R. J. Broadbent: A History of Pantomime, Erstauflage 1901, IndyPublish, 2005, ISBN 1414249233 oder zum Herunterladen / Onlinelesen bei Project Gutenberg
  • Kay Hamblin: Pantomime, Soyen: Ahorn Verlag, 1973, ISBN 3884030051
  • Annette B. Lust: From the Greek Mimes to Marcel Marceau and Beyond. Mimes, Actors, Pierrots and Clowns. A Chronicle of the Many Visages of Mime in the Theatre. Foreword by Marcel Marceau. London: The Scarecrow Press, 2000, ISBN 0810845938
  • Marcel Marceau, Herbert Ihering: Die Weltkunst der Pantomime, Erstauflage 1956, München: dtv, 1989, ISBN 3423618701
  • Stephanie Schroedter: Tanz – Pantomime – Tanzpantomime, Wechselwirkungen und Abgrenzungen der Künste im Spiegel der Tanzästhetik, in: Meyerbeers Bühne im Gefüge der Künste, herausgegeben von Sibylle Dahms u. a. (S. 66–81), München: Ricordi, 2002, ISBN 393178813X
  • Jean Soubeyran: Die wortlose Sprache (die Neuauflage zusätzlich: Lehrbuch der Pantomime), Velber bei Hannover: Friedrich 1963, und Zürich/Schwäbisch Hall: Orell Füssli Verlag, 1984, ISBN 3280015499

Einzelnachweise

  1. Es wurde die Erstausgabe aus dem Jahre 1963 verwendet; siehe unter Literatur. Die Paginierung ist aber identisch mit der der Neuauflage.
  2. Soubeyran, a. a. O., S. 10.
  3. Zitiert nach Soubeyran, a. a. O., S. 11. Siehe zu Brigitte Soubeyran auch den Abschnitt „Familiäres Kompendium“ im Artikel zu Jean Soubeyran.
  4. Soubeyran, a. a. O., S. 57.
  5. Kay Hamblin; siehe unter Literatur.
  6. Soubeyran, a. a. O., S. 20.
  7. Zitiert nach Soubeyran, a. a. O., S. 7.
  8. Soubeyran, a. a. O., S. 92 f.; Anwendung der neuen Rechtschreibung.
  9. Soubeyran, a. a. O., S. 15.
  10. Soubeyran, a. a. O., S. 31.

Siehe auch

Weblink

(mit einem kleinen Fehler: „Pantomime“ ist nicht auch die „weibliche Darstellerin des Gebärdenspiels, Gebärdenspielerin“ (Bedeutungen, Punkt 2); diese ist „Pantomimin“!)


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