Städteordnung

Städteordnung

Bei den Gemeindeordnungen (in einigen Ländern zusammen mit der Landkreisordnung auch Kommunalverfassung genannt) in Deutschland handelt es sich um Landesgesetze, die jeweils vom Landesparlament eines Landes erlassen werden. Die Gemeindeordnung ist die „Verfassung“ der Gemeinden in dem betreffenden Land.

Inhaltsverzeichnis

Allgemeines

In Deutschland liegt die Zuständigkeit zur Regelung der Gemeindeverfassung nach Art. 70 des Grundgesetzes (GG) bei den Ländern. Folglich existieren entsprechend der Selbstverwaltungsgarantie des Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG und der Landesverfassungen Gemeindeordnungen, die Aufbau, Struktur, Zuständigkeit, Rechte und Pflichten der kommunalen Organe wie Verwaltung, Gemeindevertretung (Stadtverordnetenversammlung), Gemeindevorstand (Magistrat), Bürgermeister (Oberbürgermeister), Ortsbeirat, Ausländerbeirat usw. regeln. Die Gemeindeordnung ist gleichzeitig die Basis der kommunalen Finanzwirtschaft und regelt die staatliche Aufsicht über die Gemeinden.

In den Stadtstaaten Berlin, Hamburg und Bremen (mit Ausnahme Bremerhavens) werden die Kommunalverfassungen durch die jeweiligen Landesverfassungen überlagert, da dort Gemeinde- und Landesebene zusammenfallen.

Kommunalverfassungstypen

Allen Kommunalverfassungen ist die Existenz eines Gemeinderates gemeinsam, dem zentrale kommunale Entscheidungen (in der jeweiligen Gemeindeordnung aufgeführt) obliegen. Unterschiede gibt es bei der Stellung des Hauptverwaltungsbeamten („Bürgermeisters“). In der Praxis haben sich vier Kommunalverfassungstypen herausgebildet:

  • die Magistratsverfassung
  • die süddeutsche Ratsverfassung
  • die norddeutsche Ratsverfassung
  • die Bürgermeisterverfassung

Die Typisierung hat aber mittlerweile an Bedeutung verloren und hat vor allem noch rechtshistorische Bedeutung.

Magistratsverfassung

Die auf die preußische Städteordnung von 1810 zurückgehende, vom Reformpolitiker Freiherr vom Stein entwickelte „Magistratsverfassung“ gilt heute nur noch in Hessen und Bremerhaven; in Schleswig-Holstein wurde sie Ende der 90er Jahre abgeschafft.

In ihrer ursprünglichen Form sah die Verfassung eine strikte Gewaltenteilung vor, zwischen dem Kollektivorgan Magistrat, der aus dem (Ober-)Bürgermeister sowie haupt- und ehrenamtlichen Beigeordneten besteht und die Verwaltung der Stadt darstellt, und der Stadtverordnetenversammlung, die aus den Stadtverordneten als Vertretern des Volkes besteht und der ein Stadtverordnetenvorsteher vorsteht. Diese Trennung ist so strikt, dass die Mitglieder des Magistrat nicht gleichzeitig in der Stadtverordnetenversammlung tätig sein dürfen. Ursprünglich waren Magistrat und Stadtverordnetenversammlung auch gleichrangig, so dass kein Organ als das „wichtigere“ angesehen werden konnte. Die Kompetenzen, die nach süddeutscher Ratsverfassung und Bürgermeisterverfassung auf den Bürgermeister konzentriert sind, werden in diesem Modell zwischen Magistrat und Bürgermeister aufgeteilt; der jeweilige Bürgermeister hat sich also im Kollegium des Magistrats abzustimmen und kann die Beigeordneten nicht zu bestimmten Handeln anweisen.

Ursprünglich wurde der Bürgermeister in der Magistratsverfassung von der jeweiligen Gemeindevertretung gewählt. Seit 1993 findet in Hessen eine Direktwahl der Bürgermeister statt.

Die preußische Magistratsverfassung erlaubte außerdem jedem Bürger, in der Stadt ein Gewerbe auszuüben. Allerdings durften anfangs nur besitzende, männliche Bürger die Stadtverordneten wählen. Die Magistratsverfassung wurde in ganz Deutschland rezipiert, so galt sie sinngemäß ab 1832 auch in Sachsen.

Süddeutsche Ratsverfassung

Hauptartikel: Süddeutsche Ratsverfassung

Die süddeutsche Ratsverfassung hat sich traditionell seit dem 19. Jahrhundert in Bayern, Württemberg und Baden entwickelt. Bei der süddeutschen Ratsverfassung werden die kommunalen Entscheidungen durch zwei Organe getroffen: dem Rat als zentralen Organ und dem hauptamtlich gewählten (Ober-)Bürgermeister (dualistische Struktur). Beide Organe werden unmittelbar durch die Bürgerschaft gewählt, aber mit unterschiedlichen Wahlperioden (die Räte zumeist auf fünf Jahre, die (Ober-)Bürgermeister häufig auf acht Jahre – hier gibt es zwischen den Ländern erhebliche Abweichungen). Damit soll die Unabhängigkeit beider Ämter voneinander betont und ein "Lagerdenken" wie in Landes- oder Bundesparlament verhindert werden.

Der (Ober-)Bürgermeister hat in dieser Verfassung eine starke Stellung inne, da er die Beschlüsse des Rates vollzieht, die Kommune nach außen vertritt und Leiter der Gemeindeverwaltung ist. Des Weiteren obliegen ihm eigene Zuständigkeiten, die ihm der Rat nicht entziehen kann (Weisungsangelegenheiten, Geschäfte der laufenden Verwaltung).

Die süddeutsche Ratsverfassung ist vorherrschender Typus der neueren Kommunalverfassungen (s.u.).

Norddeutsche Ratsverfassung

Die Norddeutsche Ratsverfassung geht auf Vorstellungen der britischen Besatzungsmacht nach 1945 zurück und lag lange dem Kommunalrecht Nordrhein-Westfalens und Niedersachsens zugrunde.

Die norddeutsche Ratsverfassung hat nur ein zentrales Organ, den Rat (monistische Struktur). In diesem Modell kommt dem (Ober-)Bürgermeister, der vom Rat gewählt wird, lediglich die Vorsitzendenfunktion im Rat zu. Die Verwaltungsgeschäfte werden von einem (Ober-)Stadtdirektor als Hauptverwaltungsbeamten wahrgenommen, der vom Rat gewählt in dessen Auftrag tätig wird (rein vollziehende Tätigkeit). Umgangssprachlich ist dieses Modell auch unter dem Begriff Zweigleisigkeit bzw. Doppelspitze bekannt.

In beiden Ländern ist die norddeutsche Ratsverfassung mittlerweile von der modifizierten süddeutschen Ratsverfassung abgelöst worden (Eingleisigkeit). In Nordrhein-Westfalen werden Rat und (Ober-)Bürgermeister auf jeweils fünf Jahre gewählt. In Niedersachsen werden die Samtgemeinde- und Oberbürgermeister auf acht Jahre gewählt. Damit leitet auch dort der (Ober-)Bürgermeister die jeweiligen Verwaltungen.

Bürgermeisterverfassung

Diese Verfassungsform hat sich mittlerweile überlebt und bestand bis in die 1990er Jahre in Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein.

Diese Verfassungsform lehnt sich an die süddeutsche Ratsverfassung mit zwei zentralen Organen (dualistische Struktur) an. Unterschiedlich ist die Wahl des (Ober-)Bürgermeisters; während dieser in der süddeutschen Ratsverfassung direkt gewählt wird, findet die Wahl bei der „Bürgermeisterverfassung“ durch den jeweiligen Rat, also indirekt statt; dies sichert diesem eine stärke kommunalpolitische Position.

Die größte Macht in Sachen Gemeindeverwaltung hat ein vom Gemeinderat gewählter Gemeindedirektor.

Gemeindeordnungen der Länder

Die Unterschiede der Verfassungstypen in den Ländern sind bedingt durch die dortigen Besatzungsmächte, die in den Ländern zum Teil nach dem Krieg ihre Vorstellungen von kommunalen Strukturen vorgegeben haben. In den US-amerikanisch besetzten Gebieten blieb hingegen weitestgehend die Deutsche Gemeindeordnung vom 30. Januar 1935 (DGO) in Kraft, welche die Durchsetzung des Führerprinzips auf Gemeindeebene vorsah. Aus diesem Grunde hat Bremerhaven eine Magistratsverfassung, während das Umland unter britischer Verwaltung stand und die dortige Doppelspitze eingeführt wurde.

Die Bezeichnungen und Bedeutungen der kommunalen Organe variieren entsprechend in den einzelnen Ländern deutlich. Zudem finden sich Unterschiede abhängig davon, ob es sich (nur) um eine Gemeinde oder eine Stadt handelt.

Gemeindeordnungen in den einzelnen Ländern
Land Abkürzung Verfassungstyp Vertretungsorgan
Baden-Württemberg GemO Süddeutsche Ratsverfassung G: Gemeinderat
S: Gemeinderat
Bayern GO Süddeutsche Ratsverfassung G: Gemeinderat
S: Stadtrat
Berlin - keine Gemeindeordnung Aufgabe übernehmen das Abgeordnetenhaus und die Bezirksverordnetenversammlungen
Brandenburg GO Süddeutsche Ratsverfassung

Sonderfall ehrenamtlicher Bürgermeister in amtsangehörigen Gemeinden

G: Gemeindevertretung
S: Stadtverordnetenversammlung
Bremen VerfBrhv nur Bremerhaven Mag.Verf. Stadtverordnetenversammlung (Bremerhaven) und Stadtbürgerschaft (Bremen)
Hessen HGO Magistratsverfassung G: Gemeindevertretung
S: Stadtverordnetenversammlung
Hamburg - keine Gemeindeordnung Aufgabe übernimmt die Hamburgische Bürgerschaft
Mecklenburg-Vorpommern KV M-V Süddeutsche Ratsverfassung G: Gemeindevertretung
S: Stadtvertretung (in den Hansestädten: Bürgerschaft)
Niedersachsen NGO Süddeutsche Ratsverfassung G: Rat der Gemeinde
S: Rat der Stadt
Nordrhein-Westfalen GO NRW Süddeutsche Ratsverfassung G: Rat der Gemeinde
S: Rat der Stadt
Rheinland-Pfalz GemO Süddeutsche Ratsverfassung G: Gemeinderat
S: Stadtrat
Saarland KSVG Süddeutsche Ratsverfassung G: Gemeinderat
S: Stadtrat
Sachsen SächsGemO Süddeutsche Ratsverfassung G: Gemeinderat
S: Stadtrat
Sachsen-Anhalt GO LSA (pdf) Süddeutsche Ratsverfassung G: Gemeinderat
S: Stadtrat
Schleswig-Holstein GO SH Süddeutsche Ratsverfassung (hauptamtliche Bürgermeister in größeren Gemeinden)

Bürgermeisterverfassung (ehrenamtliche Bürgermeister in kleineren Gemeinden)

G: Gemeindevertretung
S: Stadtvertretung (oder wie in Hauptsatzung festgelegt)
Thüringen ThürKO (pdf) Süddeutsche Ratsverfassung G: Gemeinderat
S: Stadtrat

Historische Entwicklung

Das Kommunalrecht in Deutschland hat sich aus sehr alten Rechtsquellen entwickelt. Grundlage der heutigen Gemeindeordnungen in Deutschland sind die Selbstverwaltungsgarantie der Verfassungen der Länder bzw. der Artikel 28 Absatz 2 des Grundgesetzes (GG). Nach der französischen Revolution wurden diese Rechte in fast allen deutschen Gebieten den Gemeinden garantiert (z. B. durch das Gemeindeedikt von 1806 in Bayern und die Preußische Städteordnung von 1810 ff von Monarchen).

Drittes Reich

Diese Regelungen schafften die Nationalsozialisten mit als eine der ersten demokratischen Regelungen 1933 ff ab. Bereits am 4. Februar ordnete Hermann Göring als kommissarischer preußischer Innenminister die zwangsweise Auflösung sämtlicher Gemeindevertretungen Preußens zum 8. Februar an und ordnete Neuwahlen für den 12. März an. Gleichzeitig wurden Gemeindeorgane wie Räte und Bürgermeister reichsweit unter Gewaltandrohung aufgelöst bzw. deren Mitglieder rechtswidrig inhaftiert. Das nicht parlamentarisch zustande gekommene Preußische Gemeindeverfassungsgesetz vom 15. Dezember 1933 vereinheitlichte – „bis ein Reichsgesetz demnächst eine grundlegende Reform der Gemeindeverfassung für das ganze Reich durchführt“ – das bis dahin in Preußen geltende unterschiedliche Kommunalrecht zum 1. Januar 1934 nach nationalsozialistischen Grundsätzen: das „Führerprinzip“ bedeutete, dass nun der „Bürgermeister“ als Gemeindeleiter ohne Wahl auf 12 Jahre berufen wurde und in der Gemeinde alle Entscheidungen ohne Gemeinderat treffen konnte. Statt einem Gemeinderat gab es „verdiente und erfahrene Bürger", die dem Gemeindeleiter mit ihrem Rat „zur Seite gestellt wurden“ (ernannt von NSDAP-Funktionären). Nur ihre Bezeichnung „Ratsherren“ und „Gemeindeälteste“ klangen noch so ähnlich wie früher. Konsequent folgte zum 1. April 1935 die reichseinheitliche und in den Einzelbestimmungen weitgehend identische Deutsche Gemeindeordnung. Sie schaffte das bisherige föderalistisch strukturierte Gemeindeverfassungsrecht der deutschen Länder durch eine zentralistische Regelung überall auch gesetzestechnisch ab.

Gründung der Bundesrepublik

Dem gegenüber legt Art. 20 GG in der neuen Bundesrepublik 1949 fest: „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.“ Darüber hinaus bestimmt Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG: „In den Ländern, Kreisen und Gemeinden muß das Volk eine Vertretung haben, die aus allgemeinen, unmittelbaren, freien, gleichen und geheimen Wahlen hervorgegangen ist.“

Aktuelle Weiterentwicklung

In der Tendenz entwickelt sich – bei Differenzierungen – seit den 1990er Jahren das Kommunalverfassungsrecht in Richtung der süddeutschen Ratsverfassung mit der Direktwahl des (Ober-)Bürgermeisters. Die Gemeindeverfassungen wurden in dieser Zeit entsprechend novelliert. Abweichungen gibt es insbesondere bei Wahlzeiten und den Kompetenzen der jeweiligen (Ober-)Bürgermeister.

Kritik

Die süddeutsche Ratsverfassung wird auch kritisch betrachtet. So ist der (Ober-)Bürgermeister zugleich Hauptverwaltungsbeamter als auch politischer Repräsentant der Kommune. Daraus resultiert, dass die Kommunalverwaltung in Zeiten der Wahl politisch unter stärkeren Druck gerät und ihre Handlungsfähigkeit auch zum Teil eingeschränkt werden kann, da sich der Hauptverwaltungsbeamte dann verstärkt dem Wahlkampf widmen wird. Weiterhin ist durch die Aufgabenkumulierung der Arbeitsaufwand gestiegen. Insbesondere die Repräsentation fordert bei größeren Kommunen erhebliche Zeitanteile, in denen sich der Hauptverwaltungsbeamte nicht mehr mit den laufenden Verwaltungsgeschäften befassen kann, sodass hier der übrigen Verwaltungsspitze erhebliche Freiräume eingeräumt werden (müssen). Weiterhin wurde durch die (alte) zweigleisige norddeutsche Ratsverfassung sichergestellt, dass an der Spitze der Verwaltung ein Verwaltungsfachmann steht, während der repräsentativ tätige ehrenamtliche (Ober-)Bürgermeister einen beliebigen Beruf ausüben konnte.

Siehe auch

Literatur

  • Hofmann, Harald et. al.: Kommunalrecht in NRW. Fachbuch mit Übungsaufgaben und Lösungen, 12. Auflage, Bernhardt-Witten, Witten 2004, ISBN 3-933870-47-X
  • Ipsen, Jörn: Niedersächsisches Kommunalrecht, 3. Auflage, Boorberg, Stuttgart 2006, ISBN 3-415-03220-5
  • Niedzwicki, Matthias: Kommunalrecht in Nordrhein-Westfalen, 2. Auflage, Shaker Verlag, Aachen 2008, ISBN 978-3-8322-6439-0
  • Thiel, Markus: Die preußische Städteordnung von 1808, in: Speyerer Arbeitshefte, Bd. 123, Deutsche Hochschule für Verwaltungswissenschaften, Speyer 1999
  • Thiele, Robert: Niedersächsische Gemeindeordnung. Kommentar, 6. Auflage, Deutscher Gemeindeverlag, Kiel 2007, ISBN 3-555-20285-5
  • Wehling, Hans-Georg: „... am meisten demokratisch“: Die württembergische Kommunalverfassung als Modell, in: Sönke Lorenz, Volker Schäfer (Hrsg.): Tubingensia: Impulse zur Stadt- und Universitätsgeschichte. Festschrift für Wilfried Setzler zum 65. Geburtstag, Jan Thorbecke Verlag, Ostfildern 2008, ISBN 978-3-7995-5510-4, S. 605–619

Weblinks

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