Sublimes

Sublimes
Die Cliffs of Moher in Irland: Die Natur ist für den Betrachter häufig Anlass, das Erhabene zu empfinden.

Sublim (lat.; dt. erhaben; Nomen: Erhabenheit oder Das Erhabene) meint im alltäglichen Sprachgebrauch etwas Großes und Überwältigendes, das aber nur mit hinreichendem Gespür für das Feine und Außergewöhnliche versteh- bzw. wahrnehmbar ist; in diesem Sinne zeugt das Sublime von großem Einfühlungsvermögen und Verständnis.

Als ästhetische Kategorie hingegen meint das Erhabene etwas Wahrnehmbares, dessen wesentliche Eigenschaft eine Anmutung von Größe, gegebenenfalls sogar Heiligkeit ist, die über das gewöhnlich Schöne hinausreicht. Das Sublime bzw. Erhabene ist daher stets auch mit dem Gefühl von Unerreichbarkeit und Unermesslichkeit verbunden. Es löst Erstaunen aus, das mit Ehrfurcht und/oder Schrecken verbunden ist.

Die Unterscheidung des Erhabenen vom Schönen scheint genuin eine westlich-abendländische zu sein; die östliche Philosophie, speziell die chinesische, kennt dergleichen nicht.

Inhaltsverzeichnis

Ästhetische Theorie

Antike bis Burke

Schon bei Aristoteles spielt das Erhabene (Sublime) eine große Rolle in seiner Tragödientheorie. Als eine Stillage wird es in der antiken Rhetorik als erhabener Stil im Rahmen der sogenannten Dreistillehre beschrieben (genus grande). Zentral ist die Abhandlung "Peri hypsous", die gewöhnlich Longinos (also Pseudo-Longinos; vermutlich 1. Jh. n. Chr.) zugeschrieben wird. Das Erhabene wird dort als dasjenige beschrieben, das die Hörer verzückt und erschüttert, ja geradezu mit Gewalt niederstreckt. Es ist Kennzeichen genialer Prosaautoren und Dichter; die Begabung zum Erhabenen ist angeboren und durch Kenntnis der Regeln nicht zu erlangen. Wiederentdeckt wird der Traktat des Pseudo-Longinus im 16. Jh.. Ein Erstdruck erfolgte 1544. Er spielt eine zentrale Rolle in der 'Querelle des Anciens et des Modernes (frz. für Streit der Alten und der Neuen) zwischen Boileau und Perrault. Es ging hierbei um die Frage, inwieweit die antiken Kunsttheorien, wie die des Pseudo-Longinus, auch für die Moderne noch von Bedeutung sind und sich hieran orientiert werden müsse.

In der Philosophie der Neuzeit wird das Sublime vor allem durch Edmund Burke wieder in die Diskussion gebracht (A philosophical enquiry into the origin of our ideas of the sublime and beautiful, 1757; deutsch: Philosophische Untersuchung über den Ursprung unserer Ideen vom Erhabenen und Schönen). Sein britischer Landsmann Henry Home versuchte in seinen Elements of Criticism eine psychologische und physiologische Deutung des Sublimen. Nach Burke löst das Sublime, das er ausdrücklich vom Schönen abgrenzt, eine „Form von Schrecken oder Schmerz“ aus; es erzeuge einen „delightful horror“:

„Whatever is fitted in any sort to excite the ideas of pain and danger, that is to say, whatever is in any sort terrible, or disconversant about terrible objects … is a source of the sublime.“

Kant

Das Erhabene als „Erhebung“ über die Sinnlichkeit

Immanuel Kant, der die Ästhetik in seiner Kritik der Urteilskraft behandelt, definiert das Schöne als das, was interesselos, aus sich selbst heraus, „ohne Begriffe, als Objekt eines allgemeinen Wohlgefallens“ gefällt. Das Schöne rufe ein Lustgefühl hervor, das er – im Gegensatz zum rein sinnlichen Wohlgefallen – für verallgemeinerbar hält. Es ist auch für sich genommen weder nützlich noch moralisch gut. Im Rückgriff auf Burke grenzt Kant das Erhabene ebenfalls vom Schönen ab. Für Kant ist ein Objekt erhaben, wenn es erhabene Ideen im wahrnehmenden Subjekt hervorruft. Solche Gegenstände findet er vor allem in der Natur, wobei die geistige Verfassung des Betrachters (des Subjekts) die entscheidende Rolle spiele, denn die Natur alleine ist ohne die Vernunftideen des Subjekts nicht erhaben:

Der Dettifoss in Island.

„So kann der weite, durch Stürme empörte Ozean nicht erhaben genannt werden. Sein Anblick ist gräßlich; und man muss das Gemüt schon mit mancherlei Ideen angefüllt haben, wenn es durch eine solche Anschauung zu einem Gefühl gestimmt werden soll, welches selbst erhaben ist."

Angesichts des unendlichen Meeres erkennt der Mensch Kant zufolge seine Ohnmacht. Der Übermacht der Natur könne er jedoch die Erkenntnis entgegensetzen, dass, „obgleich der Mensch jener Gewalt unterliegen müßte“, seine „Menschheit“, das Bewusstsein der „eigenen Erhabenheit der Bestimmung“, davon unberührt bleibe. Seine Unterlegenheit als Sinnenwesen schlägt um in das Bewusstsein seiner Überlegenheit als moralisches Wesen. Eben jene moralisch-geistige Überwindung der sinnlichen Natur des Menschen zeichne das Erhabene aus:

„Schön ist das, was in bloßer Beurteilung (also nicht vermittelst der Empfindung des Sinnes nach einem Begriffe des Verstandes) gefällt. Hieraus folgt von selbst, dass es ohne alles Interesse gefallen müsse. Erhaben ist das, was durch seinen Widerstand gegen das Interesse der Sinne unmittelbar gefällt.“

Maßgeblich für das Erhabene ist eine „Bewegung des Gemüts“. Erhaben ist für Kant, „was schlechthin groß ist“, „was über alle Vergleichung groß ist“. Die „Unangemessenheit unseres Vermögens der Größenschätzung“ erweckt das Gefühl eines „übersinnlichen Vermögens in uns“.

Schiller

Eine erhabene Landschaft: der Zion Canyon in den USA. Viele Besucher vor Ort sind bei diesem Anblick sprachlos und zutiefst ergriffen.
Das Erhabene als „Ausgang aus der sinnlichen Welt“

Friedrich Schiller schließt an Kant an und unterscheidet das Erhabene (Sublime) vom Schönen dadurch, dass letzteres innerhalb der menschlichen Natur Ausdruck der Freiheit sei; das im Gegensatz dazu von der sinnlichen, berührbaren Welt unabhängige Erhabene erhebe ihn über seine Natur. Das Schöne binde uns an die sinnliche Welt, das Erhabene hingegen befreie uns davon. Schiller zufolge besteht das Erhabene „einerseits aus dem Gefühl unserer Ohnmacht und Begrenzung, einen Gegenstand zu umfassen, anderseits aus dem Gefühle unserer Übermacht, welche vor keinen Grenzen erschrickt und dasjenige sich geistig unterwirft, dem unsere sinnlichen Kräfte unterliegen“. Beim Erhabenen fühlten wir uns frei, „weil die sinnlichen Triebe auf die Gesetzgebung der Vernunft keinen Einfluss haben, weil der Geist hier handelt, als ob er unter keinen anderen als seinen eigenen Gesetzen stünde“. Das Erhabene „verschafft uns einen Ausgang aus der sinnlichen Welt“ und sei gleichzeitig „ein gemischtes Gefühl. Es ist eine Zusammensetzung von Wehsein... und von Frohsein...“ – Beim Erhabenen „stimmen Vernunft und Sinnlichkeit nicht zusammen, und eben in diesem Widerspruch zwischen beiden liegt der Zauber, womit es unser Gemüth ergreift“:

„Der erhabene Gegenstand ist von doppelter Art. Wir beziehen ihn entweder auf unsere Fassungskraft und erliegen bei dem Versuch, uns ein Bild oder einen Begriff von ihm zu bilden; oder wir beziehen ihn auf unsere Lebenskraft und betrachten ihn als eine Macht, gegen welche die unsrige in Nichts verschwindet. Aber ob wir gleich in dem einen wie in dem anderen Fall durch seine Veranlassung das peinliche Gefühl unserer Grenzen erhalten, so fliehen wir ihn doch nicht, sondern werden vielmehr mit unwiderstehlicher Gewalt von ihm angezogen. Würde dieses wohl möglich sein, wenn die Grenzen unsrer Phantasie zugleich die Grenzen unsrer Fassungskraft wären?“

Schiller sieht in der Würde den Ausdruck einer erhabenen Gesinnung.

Adorno und Lyotard

Die Begrenztheit und Abgrenzung der Kunst

Unter den Philosophen des 20. Jahrhunderts spielt das Sublime bzw. Erhabene insbesondere bei Theodor W. Adorno und Jean-François Lyotard eine herausragende Rolle. Letzterer geht von der auch bei Kant angesprochenen Erfahrung aus, dass das Erhabene in der Kunst die Natur nur unangemessen nachahmen kann. Auch für Hegel war das Erhabene „der Versuch, das Unendliche auszudrücken, ohne in dem Bereich der Erscheinungen einen Gegenstand zu finden, welcher sich für diese Darstellung passend erwiese“. Sowohl Lyotard als auch Adorno insistieren darauf, dass eine Transponierung des Erhabenen in die Sphäre des Politischen ausgeschlossen bleiben müsse, weil dies entweder in Terror oder Faschismus münde.

Adorno dekonstruiert in seiner Ästhetischen Theorie dabei die Selbstgenügsamkeit des Subjekts, wie sie sich noch bei Kant fand. Es gibt kein rein durch Innerlichkeit bestimmtes Subjekt, welches ohne ein Außen auskäme. Dies markiert für Adorno das Weinen:

„Weniger wird der Geist, wie Kant es möchte, vor der Natur seiner eigenen Superiorität gewahr als seiner Naturhaftigkeit. Dieser Augenblick bewegt das Subjekt vorm Erhabenen zum Weinen. Eingedenken der Natur löst den Trotz seiner Selbstsetzung: »Die Träne quillt, die Erde hat mich wieder!« Darin tritt das Ich, geistig, aus der Gefangenschaft in sich selbst heraus.“[1]

Lyotard zeigt sich von Kant zwar beeindruckt, lehnt es aber anders als dieser ab, dass das Subjekt seine Vernunftideen auf das Objekt projiziert. Er möchte dem Subjekt vielmehr das Hören auf die nackte Präsenz beibringen: Das Gefühl des Erhabenen ist daher nicht mehr das Gefühl des für das Subjekt unerreichbaren Dort, sondern es entspringt dem Hier und Jetzt: „daß hier und jetzt etwas ist, daß »es gibt«.“[2] Es ist das Wunder darüber, „daß etwas ist, und nicht viel mehr nichts.“[3] Hiermit einher geht für Lyotard die Schuld gegenüber dem Präsenten, dies (in der Kunst) zur Darstellung zu bringen – ein Prozess der freilich niemals abgeschlossen ist und so kommt es auf das Entstehen des Werkes an, nicht darauf, dass mit dessen Fertigstellung die Schuld „abbezahlt“ wäre. Was bleibt ist somit ein stets nicht darstellbarer Rest, etwas das sich der Darstellung entzieht. Das war bei Kant ähnlich: Hier entstand das Gefühl des Erhabenen dadurch, dass das sinnlich Angeschaute sich nicht in Begriffe fassen lässt und so das Denkbare übersteigt. Der Kunst kam dabei die Aufgabe zu, dieses sich entziehende nicht Denkbare entsprechend den Regeln des Geschmacks zur Darstellung zu bringen. Damit war für den Rezipienten zwar ein Gefühl der Unlust verbunden, was aus dem sich entziehenden emporstieg, die Form der Darstellung selbst jedoch, blieb gefällig, verständlich, erkennbar. Lyotard fordert nun für eine postmoderne Ästhetik des Erhabenen, dass auch die Kunstregeln des Geschmacks aufgegeben werden und somit die Form selber auf ein Nicht-Darstellbares anspielt. Die postmoderne Kunst verweigert den Trost der Form und des „guten Geschmacks“, der es ermöglicht das Gefühl des Erhabenen zu teilen.

Forderungen, dass sich die Kunst wieder der Darstellung des Realen widme und somit am „Projekt der Moderne“ (Habermas) beteilige, trat Lyotard entschieden entgegen. Die Autonomie der Kunst ist nicht in Frage zu stellen, wer dies trotzdem tut, der erhält als Antwort hierauf: „Krieg dem Ganzen, zeugen wir für das Nicht-Darstellbare, aktivieren wir die Differenzen, retten wir die Differenzen, retten wir die Ehre des Namens.“[4]

Literatur

  • Theodor W. Adorno: Ästhetische Theorie. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2003, ISBN 3-51829-307-9 (Band 7 der Werkausgabe). 
  • María Isabel Peña Aguado: Ästhetik des Erhabenen: Burke, Kant, Adorno, Lyotard. Passagen Verlag, Wien 1994, ISBN 3-85165-088-3. 
  • Edmund Burke: Philosophische Untersuchung über den Ursprung unserer Ideen vom Erhabenen und Schönen. Meiner, Hamburg 1989, ISBN 3-78730-944-6. 
  • Torsten Hoffmann: Konfigurationen des Erhabenen. Zur Produktivität einer ästhetischen Kategorie in der Literatur des ausgehenden 20. Jahrhunderts. de Gruyter, Berlin/New York 2006, ISBN 3-11018-447-8. 
  • Immanuel Kant: Kritik der Urteilskraft. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1974, ISBN 3-51827-657-3 (Band 10 der Werkausgabe). 
  • Longinus; Otto Schönberger (Hrsg.): Vom Erhabenen. Reclam, Stuttgart (übersetzt von Otto Schönberger), ISBN 3-15008-469-5. 
  • Jean-François Lyotard: Die Analytik des Erhabenen – Kant-Lektionen. Wilhelm Fink, München 1994, ISBN 3-77052-885-9. 
  • Christine Pries, Wolfgang Welsch: Das Erhabene. VCH, Weinheim 1989, ISBN 3-52717-664-0 (Aufsatzsammlung, Reihe „Acta humaniora“). 
  • Friedrich Schiller: Über das Schöne und die Kunst. München 1984, ISBN 3-423-02138-1, S. 93–115 (Abschnitt „Vom Erhabenen“, Reihe „Schriften zur Ästhetik“). 
  • Winfried Wehle: Vom Erhabenen oder über die Kreativität des Kreatürlichen. In: S. Neumeister (Hrsg.): Frühaufklärung. München 1994, S. 195–240 (Romanistisches Kolloquium VI). 

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Theodor W. Adorno: Ästhetische Theorie. Gesammelte Schriften Bd. 7, Frankfurt a.M. 1970, S. 410.
  2. Jean-François Lyotard: Streifzüge, Wien 1989, S. 45.
  3. Jean-François Lyotard: Das Inhumane, Wien 1989, S. 303.
  4. J.F. Lyotard: Beantwortung der Frage: Was ist postmodern?. In: Peter Engelmann: Postmoderne und Dekonstruktion: Texte französischer Philosophen der Gegenwart. Reclam, Stuttgart 2004, S. 48.

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