Synaesthesie

Synaesthesie

Die Synästhesie (von altgriech. συναισϑάνομαι „mitempfinden“ oder „zugleich wahrnehmen“) bezeichnet hauptsächlich die Kopplung zweier physisch getrennter Domänen der Wahrnehmung, etwa Farbe und Temperatur („warmes Grün“), im engeren Sinne die Wahrnehmung von Sinnesreizen durch Miterregung eines Sinnesorgans, wenn ein anderes gereizt wird. Menschen, bei denen derart verknüpfte Wahrnehmungen regelmäßig auftreten, werden als Synästhetiker bezeichnet.

Synästhesie tritt familiär gehäuft auf. Eine Studie[1] zeigte, dass 43% der befragten Synästhetiker angaben, mindestens einen weiteren Synästhetiker unter den Verwandten ersten Grades zu haben.

In der Rhetorik hingegen steht der Begriff für das Vermischen von Sinnesebenen.

Inhaltsverzeichnis

In der Wissenschaft

Physiologische Normvariante

Synästhetiker haben also häufig zu einem Sinnesreiz zwei oder mehrere Wahrnehmungen. Sie können beispielsweise Geräusche nicht nur hören, sondern auch Formen und Farben dazu sehen. Das Geräusch bekommt zusätzlich zu den üblichen Eigenschaften diese weiteren Eigenschaften. Das Bild, das dabei entsteht, überlagert sich jedoch nur bei den wenigsten Synästhetikern mit dem Wahrgenommenen, sondern wird vor einem „inneren Auge“ sichtbar.

Synästhesien müssen nicht notwendigerweise mit den fünf Hauptsinnen zu tun haben. Bei Gefühlssynästhetikern erzeugen beispielsweise Sinnesreize Gefühle, oder umgekehrt. Auch abstrakte Begriffe wie eine Jahreszahl oder der Charakter einer Person können bei einem Synästhetiker als Form, Farbe oder sonstige Sinnesqualität wahrgenommen werden.

Man unterscheidet in sensorische und kognitive Synästhesie. Bei der sensorischen Synästhesie kommt es bei der Stimulation eines Sinnes zu unwillkürlichen und gleichzeitigen synästhetische Empfindungen in anderen Sinnessystemen. Beispielsweise kann der Klang eines Musikinstrumentes zu Farbwahrnehmungen führen. Bei der kognitiven Synästhesie erhalten Gruppen von Dingen (z.B. Zahlen o. Buchstaben) sensorische Zuordnungen, wie Geruch und Geschmack. So wird zum Beispiel der Buchstabe A pink, der Buchstabe B blau oder der Buchstabe C grün wahrgenommen.

Merkmale von Synästhesie

Hinsichtlich der Merkmale unterscheidet man in starke und schwache Synästhesie:

Die starke Synästhesie führt zu äußerst lebendigen, sekundären Empfindungen als Reaktion auf einen primären Wahrnehmungsreiz. Es kommt außerdem zu plötzlichem und gleichzeitigem Auftreten verschiedener Merkmale. Bei der gleichen visuellen Wahrnehmung kommt es immer zur gleichen synästhetischen Empfindung. Diese Art tritt besonders im jungen Alter und gehäufter bei Frauen auf. Die Ursache dafür ist möglicherweise genetisch. Die schwache Synästhesie besitzt keine große Lebendigkeit. Der Proband erkennt, dass Aspekte bestimmter Sinnesmodalitäten ähnlich sind, registriert jedoch keine begleitende Sinnesempfindung, wodurch er nur sekundäre Wahrnehmungseindrücke erlebt. Zum Beispiel registriert er orange und braun als "warme" - grün und blau hingegen eher als "kalte" Farbe.

In der Erforschung der Merkmale von Synästhesie legte der amerikanische Neurologe Richard Cytowic sechs Merkmale fest, die hier in einer revidierten Fassung wiedergegeben werden:

  1. Synästhesien finden unwillkürlich statt, brauchen aber einen Auslöser
  2. eindeutig zu unterscheiden: Verschiedene Dinge rufen verschiedene synästhetische Wahrnehmungen hervor (z.B. A und R sind beide rot aber mit verschiedenen Farbtönen)
  3. basierend auf einfachen + abstrakten Formen: Auslöser einer synästhetischen Empfindung sind oftmals abstrakte Formen. (z.B. geometrische Figuren)
  4. erinnerbar: Synästhetiker können sich leicht an synästhetische Wahrnehmungen erinnern.
  5. in eine Richtung verlaufend: Synästhesie ist mit einer Einbahnstraße vergleichbar: Ein Synästhetiker kann zwar beim Musikhören Farben sehen, umgekehrt funktioniert das nicht. Dieser Punkt ist strittig. Manche Synästhetiker, die Zahlen, Formen oder Buchstaben farbig sehen, können eine Farbe oder eine Reihe von Farben in Zahlen, Formen oder Buchstaben unbewusst umwandeln.
  6. noetisch: Synästhetiker bezeichnen Gefühl zu ihrer Begabung als „natürlich“ (4 = natürlich grün) Die Empfindung ist schon immer da gewesen.

Häufigkeit

Frühere Schätzungen gingen davon aus, dass Synästhesie relativ selten vorkommt. Eine neuere Studie [1] zeigt aber, dass ca. 4% der Menschen mindestens eine Synästhesie haben könnte. Untersuchungen[2] an einer Kunstschule zeigte, dass 23% der Schüler Synästhetiker waren. Auch über die Verteilung der Häufigkeit zwischen Frauen und Männern liegen voneinander abweichende Angaben vor, diese reichen von 1:1 bis 7:1.

Viele Synästhetiker sind sich der Besonderheit ihrer Wahrnehmung selbst nicht bewusst und erkennen ihre Synästhesie erst, wenn man sie darauf aufmerksam macht. Daher gibt es eine hohe Dunkelziffer.

Synästhesie ist international derzeit ein populärer Forschungsgegenstand, da man sich Erkenntnisse über die Funktionsweise der menschlichen Wahrnehmung erhofft. Auch die Medienaufmerksamkeit hat in den letzten Jahren stark zugenommen.

Für manche Betroffene gehört zur Synästhesie ein soziales Zusammengehörigkeitsgefühl. Früher wagten Synästhetiker selten, anderen von ihrer besonderen Wahrnehmung mitzuteilen, da sie als Wahrnehmungsstörungen angesehen wurden. Dies hat sich in jüngster Zeit geändert. Heute wird Synästhesie nicht mehr als Störung angesehen, zumal sie von den meisten Synästhetikern als sehr angenehm erlebt wird. Zur Zeit erscheinen in den Medien relativ viele Beiträge über Synästhesie, so dass die Öffentlichkeit inzwischen deutlich besser informiert ist als noch vor wenigen Jahren.

Ursachen der Synästhesie

Die folgenden Ursachen von Synästhesie sind zum Teil wissenschaftlich nicht überprüft und gehören somit in den Bereich der Spekulationen! Auf Grund des gehäuften Auftretens starker Synästhesie innerhalb von Familien gibt es Vererbungstheorien, die sowohl von einer autosomal – dominanten oder x chromosomal dominanten Vererbung ausgehen. Daneben wird auch von Gehirnschädigungen oder Anfällen ausgegangen, die als Ursache für synästhetische Empfindungen stehen sollen (dabei entsteht meistens die sensorische Synästhesie) Es ist hier wichtig, anzumerken, dass Synästhesie als zusätzlich anzusehen ist. Synästhetische Wahrnehmungen werden also hinzugefügt und nicht mit der auslösenden Wahrnehmung ausgetauscht.

Synästhesie und die visuelle Reaktion auf Musik

Als besondere Form der Synästhesie wird hier die Musik – Farben Synästhesie dargestellt: Dabei handelt es sich um das Erzeugen von Farbeindrücken durch Töne. Diese Form der Synästhesie basiert somit auf Notennamen, Tonhöhen, Tonarten, Klangfarben und akkordischen Strukturen. Ändert man nun einen Ton, (z.B. in der Höhe) so sollte sich auch die synästhetisch empfundene Farbe ändern. Bei der auditiv – visuellen Synästhesie gibt es daher sog. Korrespondenzregeln: So kommt es zum Variieren von Formen, Größe der Objekte und Helligkeit der Farben bei Veränderung der Lautstärke, Ton und Tempo. Emotionales Erleben von Musik wird durch die visuelle Reaktion verstärkt. Die Synästhesie ist also zusätzlich, stört dabei aber keinesfalls das musikalische Empfinden.

Psychiatrisch: Eigenart von Halluzinationen

Im Rahmen von Halluzinationen, unabhängig von der Art ihrer Entstehung (aufgrund einer schizophreniformen Störung oder organisch durch Wirkung psychoaktiver Substanzen), spricht man von Synästhesien in der Hinsicht, dass mehrere Sinne gleichzeitig die Halluzination stützen (aus diesem Grund wird Synästhesie auch mit (zeitlichem) Zusammen-Fühlen übersetzt): Ein Patient meint, dass er die Halluzinationen zum Beispiel zugleich sehen, anfassen und eventuell auch hören kann. Allerdings treten diese „Gefühle“ in der Regel zu jedem Zeitpunkt auf, so auch in Alltagssituationen.

Synästhesien sind keine Halluzinationen. Synästhetiker erleben die Sinneswahrnehmungen mit offenen Augen im normalen Tagesbewusstsein. Synästhetisches Erleben beruht darauf, dass durch eine Primärwahrnehmung (wie das Hören von Tönen) eine Sekundärwahrnehmung (wie das Sehen von Farben) ausgelöst wird. Bei Halluzinationen hingegen ist die Wahrnehmung gestört, das heißt hier ist schon die Primärwahrnehmung krankhaft verändert. Halluzinationen können im Gegensatz zu Synästhesien Symptome für Krankheiten sein.

Geschichte der Synästhesieforschung

1866 wurde der Begriff Synästhesie erstmalig durch den Neurophysiologen Alfred Vulpian gebraucht. Dieser versuchte dadurch ein Wort zu kreieren, das den Transfer von Reizen auf Nerven, die nicht für die Weiterleitung der Reize spezifisch sind, beschreibt. Bis heute hat sich der Begriff aber auch für spezifische produktive Verfahren in künstlerischer und literarischer Darstellung durchgesetzt. Er setzt sich zusammen aus den altgriechischen Wörtern syn (zusammen) und aisthesis (Empfindung). Bis dato haben viele Wissenschaftler versucht, neue, andere Namen für das Phänomen zu finden. Am geläufigsten ist der französische Begriff audition colorée (Abk. a.c.), der mit „farbig hören“ zu übersetzen ist und sich auf eine sehr häufig vorkommende Form der Synästhesie bezieht.

Man kann sagen, dass tatsächliche Forschung zur Synästhesie erst ab dem 20. Jahrhundert betrieben wurde, diese wurde im Verlauf systematischer, jedoch unter der Bedingung, dass das Interesse an dem Thema unbeständig war. Viele verschiedene Disziplinen versuchten sich mit Erklärmodellen, was letztendlich zu der Erkenntnis führte, dass Synästhesie die Grenzen von Wissenschaftsdisziplinen ignoriert. Diese Erkenntnis wurde erst ab 1925 in Deutschland umgesetzt, fortan konnte man von „Synästhesieforschung“ sprechen. Insbesondere Georg Anschütz und sein Assistent Friedrich Mahling sowie Albert Wellek publizierten über dieses Thema, doch hierzu weiter unten.

Wegbereitend für Begriffsfindungen und Grundlagen der eben beschriebenen Synästhesieforschung sind die beiden Schweizer Mediziner Eugen Bleuler und Lehmann. Sie brachten bereits 1881 eine Studie mit 77 Testpersonen zur Synästhesie heraus. Um einen Ansatz und eine gemeinsame Sprache in Hinblick auf die Lösung des Problems zu finden, schufen sie folgende Kategorien, die sich auf die Natur der Synästhesie bezogen:

  • Schallphotismen
  • Lichtphotismen
  • Geschmacksphotismen
  • Geruchsphotismen
  • Farb und Formvorstellung für Schmerz, Wärme und Tastempfinden
  • Farbenvorstellung für Formen

Der Wissenschaftler Théodore Flournoy veröffentlichte 1893 „Des Phenomenes des Synopsie“, ein Standardwerk dieser Zeit. Inspiriert von der Arbeit von Bleuler und Lehmann, fügte er weitere Punkte an, um Synästhesien zu unterscheiden. So wollte er, neben der Natur der Synopsie nach Bleuler und Lehmann, außerdem die originen sensoriellen Ursachen („Idee“) und die Intensität der Synopsien betrachten. Des Weiteren teilte er die Phänomene der Synopsie in

  • Photismen
  • Schemata (Schemes) a) Symbole b) Diagramme
  • Verkörperungen (Personnifications)

Flournoy war zudem Mitglied einer Kommission des „Congres international des Psychologie physiologique“ (1890), dessen Aufgabe es war, sich mit audition colorée-Phänomenen zu befassen und stellte zudem prinzipielle Fragen in Bezug auf die Synästhesie, so ob sie angeboren oder erworben, psychologisch oder physiologisch und eine Vorstellung oder tatsächliche Empfindung sei. In diesen Zusammenhang beeinflusst Flournoy verschiedene Wissenschaftler, Richard Henning zum Beispiel vermutet 1896 zum einen „physiologisch chromatische Synopsien“ (also zwangsmäßige und ohne eigenes Zutun hervorgerufene Synopsie) sowie „psychologisch chromatische Synopsien“ (also urteilsmäßig entstandene, aber enge und untrennbare Verknüpfungen).

Deutlich wurde, dass das synästhetische Problem, und darin einigte man sich im Laufe der zweiten Hälfte des 19 Jahrhunderts, eine Analogiebildung forderte und damit eine Zusammenführung und Zusammenarbeit der Disziplinen auf der Suche nach der „höheren Formel“, „verborgenen Synthese“ (Goethe). Doch vorerst forschten die Vertreter einzelner Wissenschaften allein. Eine Auflistung der Herangehensweisen der verschiedenen Wissenschaften erfolgt in Friedrich Mahlings Aufsatz „Das Problem der audition colorée“ von 1926.

Neurophysiologische Erkenntnisse

Große technische Fortschritte in den 80er und 90er Jahren des 20. Jahrhunderts erlaubten es den Forschern, das menschliche Gehirn genauer zu untersuchen. Durch neurophysiologische Untersuchungsmethoden wie die funktionale Kernspintomographie (fMRT) oder das EEG konnten die Wissenschaftler das Geschehen im Gehirn nachvollziehen und erkennen, wann welcher Teil des Gehirns aktiv ist.
Neurowissenschaftler wie Richard Cytowic vermuten nun, dass jeder Mensch von Geburt an über Nervenverbindungen zwischen dem sensorischen System, das den auslösenden Reiz verarbeitet, und demjenigen, in dem ein zusätzlicher Sinneseindruck entsteht, verfügt. Die Fähigkeit zur Synästhesie sei demnach angeboren und nicht erlernbar.


Cytowic fand bei Untersuchungen der Gehirne von Neugeborenen heraus, dass diese Nervenverbindungen nach ca. 3 Monaten anfangen zu verkümmern oder ganz zu verschwinden. Die Tatsachen, dass die Synästhesie eher bei Kindern als bei Erwachsenen vorkommt und dass Synästhetiker den Beginn ihrer Synästhesie in ihrer Kindheit ansetzen („seitdem ich denken kann“), belegen die Erkenntnisse des Wissenschaftlers. Dieser vermutet weiter, dass einige Menschen über bestimmte Gene verfügen, die helfen, diese Verbindungen und somit die Synästhesie beizubehalten.

Die Vererbarkeit von Synästhesie lässt darauf deuten, dass Gene einen Einfluss über die Ausbildung dieses Phänomenes haben. Dies kann aber nicht der alleinige Faktor sein, da eineiige Zwillinge untersucht wurden[3], welche verschiedene Synästhesien zeigten. Die Vermutung, dass Synästhesie X-Chromosomal vererbt wird, konnte bisanhin weder wissenschaftlich bestätigt noch verworfen werden.


Als "Beweis" dafür, dass Synästhesie kein Produkt von gesteigerter Fantasie oder mnemonischen Techniken ist, dient die folgende Erkenntnis [4]:
Die V4/V8-Region im Gehirn ist die visuelle Region, die der Verarbeitung von Farben dient. In jeder Gehirnhälfte gibt es eine V4/V8-Region. Bei Wort-Farbsynästhetikern springt das linke V4/V8-Areal sowohl auf Wörter, als auch auf Farben an. In der linken Gehirnhälfte liegt auch unsere Hörregion.

Beispiele

Im Folgenden sind zur Veranschaulichung einige Möglichkeiten aufgeführt, wie Synästhetiker Farben assoziieren - nicht allerdings real sehen - können.

Manche Synästhetiker nehmen bei Texten bestimmten Buchstaben fest zugeordnete Farben wahr. Hierbei ist interessant, dass Synästhetiker unter Umständen schon an der Häufigkeit und Verteilung der Farben erkennen können, um welche Sprache es sich handeln könnte, ohne die Wörter zu identifizieren.

Beispielhafte Farben-Synästhesie beim Alphabet
Sprache Text des Vaterunser
deutsch
englisch
französisch

In der Dichtung

In der Rhetorik steht der Begriff für das Vermischen von Sinnesebenen. Vor allem bei Romantikern war diese Art der Gefühlsübermittlung beliebt.

Viele Lyriktheorien gehen sogar so weit, daß sie nicht ein Vermischen von zuvor Getrenntem annehmen, sondern grundsätzlich abstreiten, daß sich Sinnesbereiche klar voneinander trennen lassen. In der Lyrik komme dieser Umstand eben nur besonders deutlich zum Vorschein,[5] wie in diesen Versen von Brentano


Hör, es klagt die Flöte wieder,
Und die kühlen Brunnen rauschen,
Golden weh'n die Töne nieder –
Stille, stille, laß uns lauschen!

Holdes Bitten, mild Verlangen,
Wie es süß zum Herzen spricht!
Durch die Nacht, die mich umfangen,
Blickt zu mir der Töne Licht.

Gesehenes, Gehörtes, Gefühltes: „Golden“ (Gesichtseindruck), „weh'n“ (Gefühlseindruck), „die Töne nieder“ (Gehöreindruck) werden hier durchmischt. Noch stärker in der letzten Zeile: „Blickt zu mir der Töne Licht.“ Zwar lassen sich solche Sätze nicht analytisch auflösen und jedem einzelnen Wort ein Gegenstand unserer Erfahrung zuweisen, trotz allem aber ist der Satz nicht schlechthin bedeutungslos und unverständlich.

Philosophische Aspekte

Zwar stellt sich kein konkretes Bild beim Lesen des Verses ein, aber er gibt trotz allem etwas zu verstehen. Dabei ist das was er aussagt eindeutig, obwohl ihm kein Gegenstand in der Welt unserer Erfahrung korrespondiert. Dies daher, da sich sinnliches und inhaltliches in solcher Dichtung nicht trennen lassen: Es gibt keine »Aussage« des Gedichts, die unabhängig von ihrer sprachlichen Form wäre. Nicht erst hat der Dichter eine »Idee«, die er dann versprachlicht, sondern in der Sprache selbst geschieht das ver-dichten.

Der synästhetische Charakter der Dichtung ist also aufs Engste mit der Alltagssprache verbunden, die – anders als wissenschaftliche analytische Begriffe – die Welt unserer Erfahrung stets in ihrer Mannigfaltigkeit abbildet, ohne dabei grundsätzlich zwischen verschiedenen physikalischen Sinnesregionen zu trennen. Eine solche scharfe Trennung bringt erst die wissenschaftliche Erfassung der Welt, indem sie die Begriffe von Raum und Zeit zu ihren obersten Maßstäben macht unter denen von nun ab alles verortet wird. Nach Martin Heidegger ist jedoch eine solche raum-zeitliche Trennungen eine metaphysisch-philosophische Annahmen, ein Dogma, welches die Welt in einem verzerrten Lichte zeigt. Denn seine Rechtmäßigkeit erweist der Primat von Raum und Zeit nur am praktischen Erfolg der Wissenschaften, also der Naturbeherrschung, dass er aber als metaphysische Ansicht den einzig wahren Zugang zur Welt darstellt kann er nicht aus sich selbst erweisen.[6] Heideggers Ansprüche die metaphysische Betrachtung zu überwinden reichen jedoch weit über das wissenschaftliche Konzept der Synästhesie hinaus, da diese ja trotz möglicher Vermischungen immer noch von einer grundsätzlichen Scheidung der Sinnesbereiche ausgeht.

Literatur

  • Richard Cytowic, Synesthesia: A Union of the Senses (en) ISBN 0262032961
  • Richard Cytowic, The Man Who Tasted Shapes (en) ISBN 0262531526
  • Dittmar, Alexandra: Synästhesien. Roter Faden durchs Leben? Essen (Die Blaue Eule) 2007, ISBN 978-3-89924-197-6
  • Hinderk M. Emrich, Udo Schneider, Markus Zedler Welche Farbe hat der Montag? Synästhesie: Das Leben mit verknüpften Sinnen, Stuttgart (Hirzel) 2002, ISBN 3-7776-1114-X
  • Patricia Duffy: Jeder blaue Buchstabe duftet nach Zimt – Wie Synästhetiker die Welt erleben, Goldmann 2003, ISBN 3-442-15242-9
  • Beeli G., Esslen M., Jäncke L. (2005): When coloured sounds taste sweet: An extraordinary type of gustatory synesthesia. Nature, 434, 38
  • John Harrison: Wenn Töne Farben haben, Springer-Verlag Heidelberg 2007 ISBN 978-3-8274-1864-7
  • Michael Haverkamp: Synästhetisches Design - Kreative Produktentwicklung für alle Sinne Carl Hanser Verlag München 2009 ISBN 978-3446412729
  • Lawrence E. Marks, The Unity of the Senses. Interrelations among the modalities, Academic Press, New York, 1978 (en).
  • Oliver Sacks: Musicophilia: Tales of Music and the Brain Knopf (2007)
  • Dina Riccò, Sinestesie per il design. Le interazioni sensoriali nell'epoca dei multimedia, Etas, Milano, 1999 ISBN 88-453-0941-X (it).
  • Dina Riccò, Sentire il design. Sinestesie nel progetto di comunicazione, Carocci, Roma, 2008 ISBN 978-88-430-4698-0 (it).
  • Natalia Sidler, Jörg Jewanski: Farbe - Licht - Musik: Synästhesie und Farblichtmusik Peter Lang GmbH Bern, Berlin, Bruxelles, Frankfurt am Main, New York, Oxford, Wien 2006 ISBN 3-03910-636-8
  • Tonino Tornitore, 'Storia delle sinestesie. Le origini dell'audizione colorata, Genova (it).
  • Tonino Tornitore, Scambi di sensi. Preistoria delle sinestesie, Centro Scientifico Torinese, Torino, 1988 (it).
  • Wendy Mass: A Mango-Shaped Space, Little, Brown Young Readers, 2005, ISBN 0-316-05825-4 (Kinderroman über eine 13jährige Synästhetikerin) (engl.)

Siehe auch

Weblinks

Einzelnachweise

  1. a b Barnet, KJ.: Familial patterns and the origins of individual differences in synaesthesia. In: Cognition. 102, Nr. 2, 2008, S. 871-893
  2. Domino G: Synesthesia and Creativity in Fine Arts Students: An Empirical Look.. In: Creativity Research Journal. 2, Nr. 1-2, 1989, S. 17–29
  3. Smilek, D.: Synaesthesia: Discordant male monozygotic twins. In: Neurocase. 11, Nr. 5, 2005, S. 363 - 370
  4. Nunn, JA.: Funcional magnetic resonance imagine of synesthesia: activation of V4/V8 by spoken words. In: Neurscience. 5, Nr. 4, 2002
  5. Vgl. beispielsweise die Schrift von Johannes Pfeiffer: Umgang mit Dichtung. Leipzig 1949.
  6. Vgl. beispielsweise Martin Heidegger: Hölderlins Hymne »Der Ister«. Heidegger Gesamtausgabe Band 53.

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