Tao Teh King

Tao Teh King

Das Daodejing (chin. 道德經,  Dàodéjīng?/i) (ältere Umschrift: Tao Te King) ist eine Sammlung von Spruchkapiteln, die dem legendären Weisen Lǎozǐ zugeschrieben wird. Die Entstehungsgeschichte ist ungewiss und Gegenstand sinologischer Forschung. Ungeachtet weiterer Übersetzungen bedeuten Dào „Weg, Prinzip“ und „Sinn“, und „Kraft, Leben“ und „Charisma, Tugend, Güte“. Jīng bezeichnet einen Leitfaden bzw. eine klassische Textsammlung. Die beiden namengebenden Begriffe stehen für etwas Unaussprechliches, auf deren eigentliche Bedeutung das Buch hindeuten möchte. Aus diesem Grund werden sie auch oft unübersetzt belassen. Das Werk gilt als die Gründungsschrift des Daoismus. Obwohl dieser verschiedene Strömungen umfasst, die sich vom Dàodéjīng erheblich unterscheiden können, wird es von den Anhängern aller daoistischen Schulen als kanonischer, heiliger Text angesehen.

„Dàodéjīng“ auf Chinesisch

Inhaltsverzeichnis

Das Buch

Schreibweisen

In der chinesischen Schrift gibt es durch eine Schriftreform zwei mögliche Schreibweisen für das Wort. Auch für die Umschrift in das lateinische Alphabet gibt es verschiedene Varianten, die sich im Laufe der Zeit entwickelt haben. Mehr und mehr wird heute die Pinyin-Umschrift verwendet.

Zeichen Pinyin Wade-Giles
dào tao
te
jīng ching

auch möglich: ~Ging

Wilhelm: Tao-Te-King

Urheberschaft

Hauptartikel: Lǎozǐ

Der Name Lǎozǐ heißt sinngemäß „der alte Meister“ und bezeichnet den Autor des Dàodéjīng, gelegentlich das Buch selbst. Außer dem liegen uns nur eine winzige Legende und einige Erwähnungen späterer Geschichtsschreiber (Sīmǎ Qiān) sowie ein paar fiktive Gespräche (geschrieben von Schülern des Konfuzius und des Zhuangzi) vor, weshalb ein Autor historisch nicht greifbar ist. Ob es den „Beamten“ Li Er, Gelehrtenname Be Yang (Graf Sonne), später Lao Dan (alter Lehrer), wirklich gegeben hat, wird heute daher stark angezweifelt. „Und doch spricht uns aus den vorliegenden Aphorismen eine originale und unnachahmliche Persönlichkeit an, unseres Erachtens der beste Beweis für ihre Geschichtlichkeit.“ (R.Wilhelm)

Der chinesischen Tradition zufolge soll Lǎozǐ zur Zeit der Frühlings- und Herbstannalen im 6. Jahrhundert v. Chr. gelebt haben, die von Unruhen und Kriegen geprägt war. Es war eine Blütezeit der chinesischen Philosophie, weil viele Gelehrte sich Gedanken machten, wie wieder Frieden und Stabilität erreicht werden könnten. Der Legende nach war Lǎozǐ ein kaiserlicher Archivar und Bibliothekar. Es wird erzählt, dass Konfuzius ihn aufsuchte, um von ihm zu lernen.[1] Um den Wirren der Zeit zu entfliehen, soll Lǎozǐ sich in die Einsamkeit der Berge zurückgezogen haben. Der Grenzwächter des Bergpasses forderte ihn jedoch auf, der Welt seine Weisheit nicht vorzuenthalten, woraufhin Lǎozǐ das Dàodéjīng schrieb und dem Grenzwächter überreichte. Diese Geschichte wird heute ebenso wie die anderen Teile der Biographie des „alten Meisters“ von den meisten als Legende betrachtet.

Textgestalt

Zeit: Über die genaue Entstehungszeit des Dàodéjīng gehen die Meinungen der Forschung sehr auseinander: Die Mutmaßungen reichten von 800 bis 200 vor Christus; nach heutigen Erkenntnissen (linguistisch, Zitierbelege etc.) ist der Text um 400 v. Chr. entstanden. Zwar finden sich Zitate aus dem Dàodéjīng in vielen anderen Überlieferungen dieses Zeitraums, es lässt sich aber nicht mit Sicherheit klären, wer wen zitiert hat. Es enthält eine Handvoll expliziter Zitate, jedoch nicht die Namen der Urheber, auch keinerlei historische Bezüge: So erscheint die Zeitbestimmung des Textes wenig bedeutsam für den „zeitlosen“ Inhalt.

Form: Den Titel Dàodéjīng bekam das Werk erst von dem Han-Kaiser Jing (157–141 v. Chr.). Auch die heutige Einteilung in 81 Abschnitte erhielt der Text erst im 3. Jahrhundert. Man vermutet, dass der Text die schriftliche Fassung einer älteren mündlichen Überlieferung ist und er weitere Überlieferungen aufgegriffen und integriert hat. Die überlieferte Form des Textes ist nicht die einzige, die je existierte. In einem Grab in Mǎwángduī wurden 1973 zwei parallele Textfassungen (ca. 206 v. Chr. und 179 v. Chr.) gefunden, die inhaltlich erstaunlich wenig, zumeist nur grammatikalisch, vom tradierten Text abweichen. Ähnliches gilt für den erst Anfang der 1990er Jahre entdeckten, sogenannten Guodian-Text (ca. 300–280 v. Chr.), der etwa ein Drittel des Textes (32 Kapitel ganz oder teilweise) auf ca. 100 Jahre an das Original heranführt; beide Funde wurden im Westen primär von dem amerikanischen Sinologen Robert G. Henricks zeichenweise analysiert und mit dem tradierten Text vergleichend dargeboten.[2]

Merkmale: Das Dàodéjīng beinhaltet nicht weniger als eine Kosmologie, zugleich eine Art Leitfaden zur individuellen Persönlichkeitsentwicklung und auch einen politischen Leitfaden zur Haltung des Herrschers und zur Entwicklung des Staates. Stil und Wortschatz sind typisch für das klassische Chinesisch. Die durch die linguistische Struktur des klassischen Chinesisch bereits vorhandene Informationsdichte wird durch die Form des Textes als ursprünglich zu ca. 80 % gereimtes Gedicht noch verstärkt. Es besteht eine extreme Kontextabhängigkeit zur Interpretation des Textes. Auch enthält der Text einige äußerst tiefe, auf den ersten Blick rätselhafte Textstellen, die schwierig zu verstehen, inzwischen aber hervorragend wissenschaftlich erforscht sind.

Übersetzungen

Das Dàodéjīng gilt als der meistübersetzte Text (nach der Bibel) überhaupt – mit ca. 300 englischen, über 100 deutschen und mindestens 300 weiteren Übersetzungen (davon ca. 70 in Spanisch, 60 in Französisch, je 50 in Italienisch und Holländisch),[3] bei rasch steigender Anzahl guter wissenschaftlicher Arbeiten wie auch rein interpretierender Fassungen durch Amateure.

Der Umgang mit Übersetzungen dieses Textes ist problematisch: Schon im Chinesischen bereiten Überlieferungsschäden und inhaltliche Vieldeutigkeit den Interpreten Schwierigkeiten, weshalb mehrere hundert Kommentare zum Text entstanden sind. Durch die Übersetzung in eine andere Sprache verliert die Schrift nochmals an Klarheit und schließlich lässt es sich kaum vermeiden, dass der Übersetzer in dem Bestreben, einen lesbaren Text zu liefern, mit seiner Übersetzung zugleich eine Deutung vorlegt; darum sind neuere Arbeiten mit möglichst wortgetreuen (Zusatz-)Analysen eine wichtige Arbeitshilfe.

Der Inhalt

Dao und De

Der heutige Titel des Werks – „Das Buch vom Dao und vom De“ – verweist auf die beiden zentralen Begriffe der Weltanschauung Lǎozǐs. Es gibt verschiedene Übersetzungen dieser beiden Wörter; relativ verbreitet (z.B. bei Debon) sind „Weg“ und „Tugend“, die schon im 19. Jahrhundert Verwendung fanden. Richard Wilhelm hielt das moralisierende „Tugend“ für abwegig und sah weitreichende Übereinstimmung mit den Begriffen „Sinn“ und „Leben“, was ihm einige Kritik einbrachte. Die Begriffe Dào und Dé finden in allen Richtungen chinesischer Philosophie Verwendung, erhalten im Dàodéjīng aber eine besondere Bedeutung, wo sie erstmals im Sinne einer höchsten bzw. tiefsten Wirklichkeit und eines umfassenden Prinzips gebraucht wurden. Anders als andere chinesische philosophische Texte geht das Dàodéjīng bei diesen Begriffen weder definitorisch noch anschaulich erklärend vor, sondern beschränkt sich auf dunkle, nicht selten scheinbar widersprüchliche Andeutungen und Bezugnahmen. Etwa behauptet der erste Satz des Textes gleich, das Dao, von dem man sprechen könne, sei nicht das ewige Dao. Das Dàodéjīng will natürlich auch vom ewigen Dao sprechen – aber das kann nur sehr indirekt geschehen. Das Werk versucht, sich dem Unbeschreiblichen mit den Mitteln der Sprache anzunähern. Wiederholt weist es jedoch darauf hin, wie unzulänglich dieser Versuch bleiben muss (viele Worte erschöpfen sich daran (5)). Als Ursprung, Wandel und Ziel allen Seins durchzieht das Dao alle Erscheinungen der Welt, es durchdringt als Naturprinzip alles, was es gibt und was geschieht. Doch im Gegensatz zu allen Dingen und Vorstellungen ist es ewig, ist, als wäre es nicht. Es ist das Eigentliche und doch unergründlich und ohne festgelegte Eigenschaften. Dies veranschaulicht das Dàodéjīng anhand von Gleichnissen.(4, 21, 25, 34)

„In des Menschen Tiefe ruht die Möglichkeit eines Mitwissens mit dem Ursprung. Ist die Tiefe verschüttet, gehen die Wogen des Daseins darüber hin, als wenn sie gar nicht wäre.“

K. Jaspers: München 1957, S. 910

Taiji, das Symbol für „individuelles“ Yin und Yang

Der Mensch könne die Wirkung des Dao auf zweierlei Weise erfahren: Zum einen, indem er die Erscheinungen der Welt beobachte und das Dao am Werke sehe; zum anderen, indem er seine Sinne abkehre und sich der Stille zuwende. Damit könne er sein Wesen sensibilisieren und das Dao geschehenlassen. Von der ersten Weise zeugen die zahlreichen Gleichnisse aus Natur und menschlicher Gesellschaft: Das Wasser bahnt sich seinen Weg, indem es nachgibt und unten bleibt. Ein Mensch, der viel besitzt, zieht Räuber und Feinde an.(8, 9) Die Welt unterliege stetigem Wandel. Darin sei ein grundlegendes und unveränderliches Gesetz wirksam, das Gesetz vom Ausgleich der Gegensätze.(4) Damit greift das Dàodéjīng eindeutig auf eine ältere Tradition zurück, wie sie im Buch der Wandlungen bereits festgehalten worden ist. Im Yijing wird die allmähliche Veränderung der Umstände aus der Wechselwirkung von Yin und Yang erklärt, zweier gegensätzlicher, jedoch komplementärer Prinzipien, deren eines männlich, aktiv, hell etc. ist (Yang), das andere weiblich, passiv, dunkel etc. (Yin).

Weithin bekannt ist das Symbol Taiji, welches symbolisch Yin und Yang in einem Kreis vereinigt. Der Kreis selbst symbolisiert die Ureinheit dieser beiden Kräfte, welche bei Lǎozǐ dem Dao entspringt.(1) Wer die Wechselwirkungen der äußeren Welt studiert und das dahinterliegende Prinzip erkannt hat, kann dieses Prinzip wiederum auf die Welt anwenden. (Was du schwächen willst, das musst du erst richtig stark werden lassen... Wem du nehmen willst, dem musst du erst richtig geben.(36))

Der Ursprung wird bei Lǎozǐ häufig als weiblich oder mütterlich umschrieben. Der Religionswissenschaftler Friedrich Heiler vermutet, dass Lǎozǐ aus einem mutterrechtlichen Kulturgebiet stammte.[4]

Indem ein Mensch sein Leben nach dem Dao ausrichtet, erhält er sein De (chin. Definition: „was die Wesen erhalten, um zu entstehen“). Das De geht in der Sprache des klassischen Chinesisch ursprünglich wahrscheinlich auf Vorstellungen einer Kraft zurück, wie sie im China der Shang-Dynastie mit der Gestalt der Schamanen assoziiert war, die eine magische Kraft besaßen, die heute und in älteren Zeiten mit dem Begriff des Qi (Ch’i) verbunden ist. Das Dàodéjīng beschreibt es als etwas „geheimes,(10) großes, dem Dao folgendes,(21) völliges,(55) verborgenes, tiefes, weitreichendes, anderes,“(65, politisch) mit dem der Mensch verbunden sei. Man könne darin eins sein und es haben,(23) daran Genüge haben und es behalten(28) oder es auch nicht haben.(79) Man könne darüber dichten(41: Das höchste, reinste, weite, starke De erscheint ungenügend und niedrig.) oder es stillschweigend schätzen(51) und durch politische Vorsicht sogar ansammeln.(59, 60: Beschränkung; "kleine Fischlein braten") De wird in Zusammenhang gebracht mit Wu Wei,(63, 38) Güte(49) und Gewaltfreiheit(68) und man könnte noch weitere Tugenden hinzufügen, von denen man sagen kann, „der Alte“ habe sie hochgehalten.

Der Weise

Ein Gutteil des Dàodéjīng befasst sich mit der Figur des Weisen oder des Berufenen, der die Berücksichtigung des Dao in seinem Wirken zur Meisterschaft gebracht hat. Zahlreiche Kapitel enden damit, welche Lehren er aus den gemachten Beobachtungen ziehe.(2, 7, 22, 49, 58, 64) Natürlich möge sich gerade ein Regierungsoberhaupt an diesem Vorbild orientieren, da seine Entscheidungen die Geschicke eines ganzen Landes beeinflussen.

Besonderes Augenmerk gilt dabei dem Zurückstellen seines Selbst bis hin zur Selbstentäußerung. Gerade, dass er nichts Eigenes wolle, bedinge die Vollendung seines Eigenen.(7) Er beanspruche seine Erzeugnisse und Werke nicht für sich. Vielmehr ziehe er sich anschließend zurück (weshalb er nicht verlassen bleibe).(2) Eben das Nicht-Veharren bei dem vollbrachten Werk sei das Dao des Himmels, womit die positive Wirksamkeit dieser Vorgehensweise noch unterstrichen ist.(9) Diese stelle sich ganz von selbst ein, ohne Streiten, ohne Reden, ohne Winken.(73) Der Weise verweile im Wirken ohne Handeln (Wu Wei). Dessen Wert liege in der Belehrung ohne Worte, die besonders schwer zu erreichen sei(43). Sie wird nicht weiter erläutert, man muss also seine eigene Vorstellungskraft benutzen, um diesen Ausdruck mit Bedeutung zu versehen.

Wu Wei

Zeichen Pinyin Bedeutung
nicht
wéi tun

Eine Grundlage, die sich aus der Kenntnis um das Dao ergibt, ist das Nicht-Handeln (Wu Wei). Dieses Nicht-Eingreifen in allen Lebensbereichen erscheint dem westlichen Leser zunächst utopisch und weltfremd. Es beruht auf der Einsicht, dass das Dao, welches aller Dinge Ursprung und Ziel ist, von selbst zum Ausgleich aller Kräfte und damit zur optimalen Lösung drängt. Tun ist für Lǎozǐ ein (absichtliches) Abweichen vom natürlichen Gleichgewicht durch menschliche Maßlosigkeit. Jede Abweichung hat darum eine (absichtslose) Gegenbewegung zur Folge, die das gestörte Gleichgewicht wiederherzustellen sucht.

„Die eigentliche Unabsichtlichkeit, die in ihrer Einfachheit das Rätsel ist, ist vielleicht niemals im Philosophieren so entschieden zur Grundlage aller Wahrheit des Handelns gemacht worden wie von Laotse.“

K. Jaspers: München 1957, S. 908

Wessen Regierung still und unaufdringlich ist, dessen Volk ist aufrichtig und ehrlich. Wessen Regierung scharfsinnig und stramm ist, dessen Volk ist hinterlistig und unzuverlässig. Das Unglück ist’s, worauf das Glück beruht, das Glück ist es, worauf das Unglück lauert. Wer erkennt aber, dass es das Höchste ist, wenn nicht geordnet wird? Denn sonst verkehrt die Ordnung sich in Wunderlichkeiten, und das Gute verkehrt sich in Aberglaube. Und die Tage der Verblendung des Volkes dauern wahrlich lange.(58)

Indem der Mensch tut, was spontan den natürlichen Gegebenheiten entspricht, greift er nicht in das Wirken des Dao ein und wählt damit den segensreichen Weg. Ein Mensch, so Lǎozǐ, der von gewolltem Tun ablässt, wird nachgiebig und weich. Er stellt sich an die unterste Stelle und erlangt dadurch den ersten Platz. Weil er weich und biegsam ist wie ein junger Baum, überlebt er die Stürme der Zeit. Weil er nicht streitet, kann niemand mit ihm streiten.(66) Auf diesem Wege lebt ein Mensch in Übereinstimmung mit dem Ursprung des Lebens. Doch das Leben schließt auch den Tod in sich ein. Und doch heißt es bei Lǎozǐ, wer gut das Leben zu führen weiß habe keine sterbliche Stelle.(50)

Des Wassers Güte

Das Dàodéjīng erkennt im Wasser Eigenschaften des Dao wieder. Es gebe nichts Weicheres und Schwächeres als das Wasser. Doch dem Harten setze es unvergleichlich zu.(78) Das Weiche und Schwache siege über das Harte und Starke.(36) Ein neugeborenes Lebewesen sei weich und schwach, doch wenn es hart und stark werde, komme es dem Tode nahe.(76) Das Starke und Große sei unten. So auch das Wasser: weil es sich gut unten halten könne, ergössen sich Bergbäche und Talwasser in Ströme und Meere. So verhalte sich auch das Dao zur Welt.(66, 32) Das Dao sei immer strömend,(4) ja überströmend,(34) und verleihe den stets aufstrebenden Wesen Harmonie.(42) Höchste Güte sei wie das Wasser: Es nütze allen Wesen ohne Streit.(8) Auch das Dao verweigere sich ihnen nicht;(34) auch der Weise nicht.(2)

Moral ist Dürftigkeit

Ein Mensch des Dao lässt sowohl von persönlichen Wünschen und Begierden, als auch von gesellschaftlich anerkannten Zielen und Regeln ab. Insofern versucht er auch nicht mehr, moralisch gut zu sein. Moral ist bei Lǎozǐ bereits die Endstufe des Verfalls der Motive: Ist der SINN [Dao] verloren, dann das LEBEN [De]. … dann die Liebe. … die Gerechtigkeit. … die Sitte. Die Sitte ist Treu und Glaubens Dürftigkeit und der Verwirrung Anfang.(38) Erst wenn das Dao verloren sei, erfänden die Menschen Sitten und Gebote, was sie noch weiter vom natürlichen Tun entferne. Die Regierung soll dem nicht Vorschub leisten: Tut ab die Sittlichkeit, werft weg die Pflicht, so wird das Volk zurückkehren zu Kindespflicht und Liebe.(19)

Hiermit steht Lǎozǐ in starkem Gegensatz zu der einflussreichen Sittenlehre des Konfutse, der Sitte und Gesetz als Ausformungen der letzten Wahrheit hochhielt und pflegte. Desgleichen spricht Konfutse davon, bei der Regierungskunst seien zunächst die „Namen“ (Wörter) richtigzustellen, von denen Lǎozǐ wiederum sagt, sie seien nicht zu entbehren, um zu überschauen alle Dinge,(21) aber sie träfen nicht deren ewiges Wesen.(1) Er empfiehlt den Verzicht: Macht selten die Worte, dann geht alles von selbst.(23) Der SINN als Ewiger ist namenlose Einfalt.(32) Aber viele Worte erschöpfen sich daran. Besser ist es, das Innere zu bewahren.(5)

Menschenliebe

Das Dàodéjīng fordert aber nicht nur das Nicht-Eingreifen, sondern auch das Eintreten für den Mitmenschen, die Güte und Nachsicht, ähnlich der christlichen Nächstenliebe und Feindesliebe.

Dazu das Kapitel 62:

Der SINN ist aller Dinge Heimat,
der guten Menschen Schatz,
der nichtguten Menschen Schutz.
Mit schönen Worten kann man zu Markte gehen,
Mit ehrenhaften Wandel
kann man sich vor anderen hervortun.
Aber die nichtguten unter den Menschen,
warum sollte man die wegwerfen?
Darum ist der Herrscher eingesetzt,
und die Fürsten haben ihr Amt.
Ob man auch Zepter von Juwelen hätte,
um sie im feierlichen Viererzug zu übersenden,
nicht kommt das der Gabe gleich,
wenn man diesen SINN
auf seinen Knien dem Herrscher darbringt.
Warum hielten die Alten diesen SINN so wert?
Ist es nicht deshalb, daß es von ihm heißt:
„Wer bittet, der empfängt;
wer Sünden hat, dem werden sie vergeben“?
Darum ist er das Köstlichste auf Erden.

Das Daodejing und der Daoismus

Die Religion, die heute als Daoismus bekannt ist und Lǎozǐ als Gott verehrt (siehe Drei Reine), ist keine direkte Umsetzung des Dàodéjīng, obgleich sie mit diesem Berührungspunkte hat und den Text als mystische Anweisung zur Erlangung des Dao versteht. Sie rührt jedoch auch aus den alten schamanistischen religiösen Traditionen (siehe Fangshi) Chinas und dem Bereich der chinesischen Naturphilosophie her, deren Weisheiten und Vokabular wahrscheinlich auch im Dàodéjīng zitiert werden. Es gibt also traditionell mehrere Lesarten des Textes. Weiter wurde der Text als Anleitung für den Heiligen oder Weisen verstanden, womit man den Herrscher meinte, der durch seine Verwirklichung des Dao und die Strahlkraft seines De zum Wohl der Welt beiträgt. Der Text stellt in dieser Lesart eine Staats- und Gesellschaftslehre dar.

Des Weiteren wurde durch chinesische Kommentatoren wie Heshang Gong, Xiang Er und Jiejie um 200 bis 400 n. Chr. systematisch eine andere Sicht formuliert, die den Text als mystische Lehre zur Erlangung von Weisheit, Zauberkräften und Unsterblichkeit auffasst, und eng verbunden ist mit den alchimistischen Versuchen, ein Lebenselixier zu finden.

Legende von der Entstehung des Daodejing

Berühmt ist Bertolt Brechts Gedicht Legende von der Entstehung des Buches Taoteking auf dem Weg des Laotse in die Emigration, das mit den folgenden Worten beginnt:

Als er Siebzig war und war gebrechlich
Drängte es den Lehrer doch nach Ruh
Denn die Güte war im Lande wieder einmal schwächlich
Und die Bosheit nahm an Kräften wieder einmal zu.
Und er gürtete die Schuh.

Es heißt dann weiter, dass Lǎozǐ von einem Grenzposten aufgehalten wurde, der ihm befahl, seine Lehre niederzuschreiben und nach sechs Tagen damit fertig war. Brechts Gedicht endet mit den Worten:

Darum sei der Zöllner auch bedankt:
Er hat sie ihm abverlangt.

Quellen

  1. Zhuangzi, Buch XIII, 7; Buch XIV, 5, 6 und 8
  2. Lao-Tzu Te-Tao Ching: A New Translation Based on the Recently Discovered Ma-wang-tui Texts. New York: Ballantine Books. 1989; Lao Tzu’s Tao Te Ching: A Translation of the Startling New Documents Found at Guodian; Columbia University Press, New York, 2000
  3. H. Klaus, nach J. P. Gumbert, der die größte Sammlung besitzen dürfte
  4. F. Heiler: „Die Religion der Chinesen“, in: F. H.: „Die Religionen der Menschheit“, 1991, 5.

Literatur

  • Laotse: Tao Te-King. übers. u. hrsg. von Richard Wilhelm. Eugen Diederich, Leipzig 1910, Marix, Wiesbaden 2004. ISBN 393771507X
  • Laotse: Tao-tê-King. übers. u. hrsg. von Günther Debon. Reclam, Stuttgart 1961, 1985. ISBN 3-15-006798-7
  • Jörn Jacobs: Textstudium des Laozi, Daodejing. Frankfurt Main 2001. ISBN 3-631-37254-X (Referenzausgabe mit Anmerkungen sowie Anhängen für die praktische Arbeit)
  • Viktor Kalinke (Hrsg.): Studien zu Laozi, Daodejing. deutsch-chinesische Ausg. d. Daodejing in 2 Bänden. Edition Erata, Leipzig 1999. ISBN 393401500X (Band 1), ISBN 3934015018 (Band 2)
  • Laudse: Daudedsching. übers. u. hrsg. von Ernst Schwarz. Philipp Reclam jun., Leipzig 1978, 1990. ISBN 3-379-00522-3
  • Lin Yutang: Laotse. Fischer Bücherei. Fischer, Berlin 1955.
  • Laotse: Tao Te King, Nach den Seidentexten von Mawangdui. übers. u. hrsg. von Hans-Georg Möller. Fischer, Frankfurt am Main 1995. ISBN 3-596-12135-3
  • Gellért Béky: Die Welt des Tao. Alber, Freiburg / München 1972. ISBN 3-495-47257-6
  • Hilmar Klaus: Das Tao der Weisheit. Aachen: Hochschulverlag 2008. ISBN 978-3-8107-0032-2 + ISBN 978-3-8107-0041-4

Weblinks



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