- Tautomer
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Die Tautomerie (von gr. tautó = das Gleiche; gr. meros = der Anteil) bezeichnet in der Chemie eine besondere Form der Isomerie. Sie wurde 1876 von Alexander Michailowitsch Butlerow (1828–1886) entdeckt und 1885 von Conrad Peter Laar als Begriff eingeführt.
Inhaltsverzeichnis
- 1 Einleitung
- 2 Prototropie
- 3 Anionotropie
- 4 Dyadische Tautomerie
- 5 Einzelnachweise
Einleitung
Übersicht A–X–Y=Z mit A = H+ X=Y–Z–A Prototropie H–C–C=O C=C–O–H Keto-Enol H–C–N=O C=N–O–H Nitro-Acinitro Nitroso-Oxim H–N–C=O N=C–O–H Amin-Imin Lactam-Lactim H–C–C=N C=C–N–H Imin-Enamin Ring-Ketten-Tautomerien A–X–Y=Z mit A = OH− Anionotropie HO–C–C=C C=C–C–OH (siehe unten) A–X–Y X–Y–H Dyadische Tautomerie Wenn Moleküle zwar die gleiche Summenformel besitzen, aber die einzelnen Atome unterschiedlich verknüpft sind, spricht man von Isomeren. Als Tautomere bezeichnet man Isomere, die durch die Wanderung einzelner Atome oder Atomgruppen schnell in einander übergehen, d. h. die beiden Isomere in einem schnellen chemischen Gleichgewicht miteinander stehen.[1] Aufgrund des schnellen Gleichgewicht lassen sich die einzelnen Tautomere oft nicht isolieren; das Mengenverhältnis der Tautomere untereinander ist konstant.
Tautomere unterscheiden sich oft in der Stellung einer Gruppe und in der Stellung einer Doppelbindung:
Als wandernde Gruppe kommen einwertige Kationen wie das Proton oder einwertige Anionen wie Chlorid-, Hydroxid- oder Acetat-Ionen in Frage. Wird eine Doppelbindung durch eine Ringbildung aus Einfachbindungen ersetzt, spricht man von der Ring-Ketten-Tautomerie.[2]
Prototropie
Bei der Prototropie wechselt ein Proton seinen Platz im Molekül:[2]
Keto-Enol-Tautomerie
Die häufigste Form der Tautomerie ist die Keto-Enol-Tautomerie. Wegen Polarisierung der C–O-Doppelbindung durch die große Elektronegativität des Sauerstoff und der Möglichkeit, die negative Ladung nach der Deprotonierung über drei Atome zu delokalisieren, können Protonen am α-C-Atom der Carbonylgruppe leicht abgespalten werden. Eine Reprotonierung des Enolations am Sauerstoff führt zum Enol. Diese Tautomerisierung kann durch Basen, welche die Abspaltung des Protons unterstützen, oder durch Säuren, welche durch Protonierung des Carbonylsauerstoffs die Polarisierung der C–O-Bindung verstärken, katalysiert werden.
Keto-Enol-Tautomerie
Abspaltung eines Protons: Das α-C-Atom gibt in basischer Lösung ein Proton ab Dieses Carbanion ist mesomeriestabilisiert: Mesomeriestabilisierung des Enolat-Anions Bindet sich das Proton an den negativierten Sauerstoff, entsteht das Enol: Anlagerung des Protons an das Enolat-Anion Carbonylverbindung Enolform in % Propanon (Aceton) 0,00025 Butandion-(2,3) (Diacetyl) 0,0056 Cyclohexanon 0,02 Ethyl-3-oxobutyrat (Acetessigester) 8 Pentan-2,4-dion (Acetylaceton) 80 Phenole 100 Ethanal-Ethenol-Tautomerie Das Gleichgewicht liegt in der Regel auf der Seite der Ketoform. So beträgt der Anteil der Enol-Form im Aceton nur 0,00025 %. Beim Pentandion-(2,4) (Trivialname Acetylaceton) dagegen überwiegt im Gleichgewicht die Enolform. Phenole liegen vorwiegend in der Enolform vor, da die Bildung der Ketoform (Beispiel: chinoide Struktur) das aromatische System aufhebt.
Beispiel: Ethanal und Ethenol befinden sich in Lösung in einem tautomeren Gleichgewicht, das Gleichgewicht liegt allerdings deutlich auf der Seite des Ethanals. Es liegt sowohl Bindungsisomerie (C=C / C=0) als auch funktionelle Isomerie (–CH=O / –C–OH) vor.
Aus der Lage des Gleichgewichts lässt sich nicht auf die Reaktivität schließen. Oft ist die Enol-Form erheblich reaktiver als die Keto-Form. Weil diese aber aufgrund des sich schnell einstellenden Gleichgewichtes ständig nachgebildet wird, beobachtet man makroskopisch ausschließlich die Reaktivität des Enols (siehe Prinzip von Le Chatelier).
Sehr schön lässt sich dies bei der Reaktion von Aceton mit Brom zeigen. Nach Zugabe eines Tropfens Brom verschwindet dessen Farbe zunächst langsam, dann immer schneller, da durch das entstandene HBr die Einstellung des Keto-Enol-Gleichgewichts stark beschleunigt wird. Bei weiterer Bromzugabe erfolgt die Entfärbung unter Bildung von Bromaceton fast augenblicklich.Ketol-Endiol-Tautomerie
α-Hydroxy-Ketone (Acyloine) weisen eine besondere Form der Keto-Enol-Tautomerie auf.
1. Das 2-Hydroxy-propanal weist am α-C-Atom (dem 2. C-Atom) eine Hydroxylgruppe auf. Diese polarisiert zusätzlich durch ihren negativen induktiven Effekt die C-H-Bindung am α-C-Atom und erleichtert damit die Abspaltung eines Protons. Es entsteht ein Endiol als ein Molekül mit einer Doppelbindung und zwei (-di-) benachbarten Hydroxylgruppen. Durch Umlagerung eines Protons kann dieses wieder in ein Molekül mit einem Carbonylsauerstoff übergehen, in diesem Fall ein Keton.
Hydroxypropanal-Propendiol-Propanon-Tautomerie Hier liegt zusätzlich Stellungsisomerie vor, da sich das 2-Hydroxy-propanal und das 1-Hydroxypropanon nur in den Positionen der Hydroxyl- und der Carbonyl-Gruppe unterscheiden.
2. Wird im Beispiel des Propanals die Methylgruppe durch eine Kohlenwasserstoffkette mit vier C-Atomen und je vier Hydroxylgruppen ersetzt, liegt eine Aldohexose vor, die über die Endiol-Form mit der Ketohexose in wässriger Lösung im Gleichgewicht vorliegt. So befinden sich in wässriger Lösung die epimere Glucose und Mannose als Aldohexosen mit der Ketohexose Fructose im Gleichgewicht. Auch deshalb fällt die Fehling-Probe auch bei Fructose positiv aus: Im basischen Milieu der Fehling-Lösung wandelt sie sich in Glucose oder Mannose um, die dann durch die Fehling-Lösung oxidiert werden. Doch stellen Endiole (bzw. deren Anionen, wie sie in der alkalischen Fehling-Lösung entstehen) selbst starke Reduktionsmittel dar, die zu 1,2-Diketonen dehydriert werden. Beispielsweise wirken auch Benzoin und Acetoin (3-Hydroxybutanon-2) stark reduzierend. In der Glycolyse wird die Umwandlung von Glucose-6-phosphat in Fructose-6-phosphat durch das Enzym Glucose-Phosphat-Isomerase, in einem späteren Schritt der Glycolyse die Reaktion des Glycerinaldehyd-3-phosphats zu Dihydroxyacetonphosphat durch das Enzym Triosephosphat-Isomerase katalysiert.
Weitere Beispiele: Ribose und Arabinose als Aldopentosen stehen mit der Ketopentose Ribulose im tautomeren Gleichgewicht.
3. Auch die Epimerisierung ist eine Tautomerisierung: In wässriger Lösung wandeln sich Epimere, das sind Aldosen, die sich nur durch die Stellung der Hydroxylgruppe am 2. C-Atom unterschieden, ineinander um. Beispiele für Epimeren-Paare: Glucose / Mannose, Ribose / Arabinose, Erythrose / Threose, D-Glycerinaldehyd / L-Glycerinaldehyd
Siehe auch: Ketol-Endiol-Tautomerie bei Phloroglucin, Reduktone.
Nitro-aci-Nitro-Tautomerie
Verbindungen mit einer Nitro-Gruppe stehen in saurer Lösung mit ihrer aci-Form im Gleichgewicht. Dabei liegt das Gleichgewicht in der Regel auf der Seite der Nitroverbindung.
Nitro-aci-Nitro-Tautomerie Nitroethan: Tautomerie der Nitrogruppe Nitroso-Oxim-Tautomerie
Verbindungen mit einer Nitroso-Gruppe stehen in saurer Lösung mit ihrer Oxim-Form im Gleichgewicht. Dabei liegt das Gleichgewicht in der Regel zu 100 % auf der Seite des Oxims.
Nitroso-Oxim-Tautomerie Amid-Imin-Tautomerie
Amin-Imin-Tautomerie Tautomerie des Harnstoffs Tautomerie der Hydroxamsäure Cyansäure steht im Gleichgewicht mit Isocyansäure Imin-Enamin-Tautomerie
Imin-Enamin-Tautomerie Imin-Enamin-Tautomerie Ein Beispiel für eine cyclische und doppelte
Imin-Enamin-Tautomerie stellt das Histidin dar.Lactam-Lactim-Tautomerie
Lactam-Lactim-Tautomerie Tautomerie eines Lactams Tautomerie der Cyanursäure Tautomerie des Hypoxanthins (ein Purin) Guanin hat in Position 2 zusätzlich eine NH2-Gruppe, Harnsäure in Position 2 und 8 jeweils ein OH-Gruppe Tautomerie der Barbitursäure (ein Pyrimidin) Tautomerie von Pyrazolonen Thiolactam-Thiolactim-Tautomerie
Thiolactam-Thiolactim-Tautomerie Tautomerie des 6-Purinthiols:
6-Thioguanin hat in Position 2 zusätzlich eine NH2-GruppeRing-Ketten-Tautomerien
Oxy-Cyclo-Tautomerie
Bei langkettigen Oxo-Verbindungen könnte sich cyclo-Ether bilden. Beispiel ist die Halbacetal-Cyclo-Tautomerie. Halbacetale entstehen in einer Additions-Reaktion von Alkoholen an Carbonylverbindungen. Enthält ein Molekül eine Hydroxylgruppe, die weit genug von der Carbonyl-Gruppe entfernt ist, kann es durch eine Reaktion innerhalb des Moleküls zum Ringschluss kommen. Dabei erhält der Carbonylsauerstoff das Proton der Hydroxylgruppe und wird dadurch selbst zur Hydroxylgruppe. Der Ringschluss erfolgt durch die Bildung einer Bindung zwischen dem negativ polarisierten Sauerstoff der entfernten Hydroxylgruppe und dem positiv polarisierten Kohlenstoff der Carbonylgruppe. Zwischen der offenkettigen Aldhehyd- oder Ketoform und der Ringform liegt in wässriger Lösung ein Gleichgewicht vor. Dies ist bei allen Aldo- und Keto-Pentosen und -Hexosen in wässriger Lösung der Fall.
Oxy-Cyclo-Tautomerie Cyclo-Acetal-Gleichgewicht Tautomerie der Ribose (vergleiche ATP und RNA; siehe auch Glucose und Fructose)
Tropanol-Cycloheptanon-Tautomerie
Das (1R)-1-Tropanol steht mit (R)-(Methylamino)cycloheptanon in einem tautomeren Gleichgewicht:
Tropanol-Heptanon-Tautomerie Tautomerie des (1R)-1-Tropanols Anionotropie
Beispiel Butenol: 3-Hydroxy-1-buten steht mit 1-Hydroxy-2-buten in einem tautomeren Gleichgewicht, wenn es mehrere Stunden mit verdünnter Schwefelsäure auf 100 °C erhitzt wird (Gleichgewichtsverhältnis 3 : 7). Diese Tautomerie entspricht nur formal einer Anionotropie, bei welcher ein Hydroxid-Anion seine Position ändert. Der eigentliche Reaktionsmechanismus besteht darin, dass zunächst die Hydroxyl-Gruppe protoniert und anschließend als Wassermolekül abgespalten wird. Zurück bleibt ein mesomeriestabilisiertes Carbeniumion, welches am 1. und 3. C-Atom positiv polarisiert ist. An einem der beiden C-Atome kann sich ein Wassermolekül binden, welches durch Abspaltung eines Protons wieder zur Hydroxylgruppe wird.
Dyadische Tautomerie
Bei der dyadischen Tautomerie (von gr. dyas = Zweiheit) findet eine Protonenwanderung zwischen Nachbaratomen statt.
Dyadische Tautomerie schweflige Säure steht im
Gleichgewicht mit SulfonsäureCyanwasserstoff (Blausäure) steht im Gleichgewicht mit Isocyanwasserstoff, wobei das Gleichgewicht auf der Seite des Cyanwasserstoffs liegt. Einzelnachweise
- ↑ IUPAC "tautomerization". Compendium of Chemical Terminology, 2nd ed. (the "Gold Book"). Compiled by A. D. McNaught and A. Wilkinson. Blackwell Scientific Publications, Oxford (1997). doi:10.1351/goldbook.T06253
- ↑ a b IUPAC "tautomerism". Compendium of Chemical Terminology, 2nd ed. (the "Gold Book"). Compiled by A. D. McNaught and A. Wilkinson. Blackwell Scientific Publications, Oxford (1997). doi:10.1351/goldbook.T06252
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