Telanthropus

Telanthropus
Homo ergaster
Das Fossil KNM-ER 3733
Zeitraum
Pleistozän
1,9 bis 1,4 Mio. Jahre
Fossilfundorte
Systematik
Altweltaffen (Catarrhini)
Menschenartige (Hominoidea)
Menschenaffen (Hominidae)
Hominini
Homo
Wissenschaftlicher Name
Homo ergaster
Groves & Mazák, 1975

Homo ergaster ist eine ausgestorbene Hominiden-Art der Gattung Homo. Dieser Chronospezies werden insbesondere Fossilien aus dem Altpleistozän zugeordnet, die 1,9 bis 1,4 Mio. Jahre alt sind und in Koobi Fora (Ostafrika) sowie in Swartkrans (Südafrika) entdeckt wurden; einige der Art zugeschriebene Funde stammen aber auch aus jüngeren Schichten und sind möglicherweise nur 1 Mio. Jahre alt.[1]

Inhaltsverzeichnis

Etymologie

Das Art-Epitheton ergaster kommt aus dem Griechischen und bedeutet „Arbeiter“, was auf den Werkzeuggebrauch verweisen soll, der dieser Art zugeschrieben wurde.

Erstbeschreibung

Die südafrikanischen Funde waren bereits 1949 von John T. Robinson entdeckt und zunächst Telanthropus capensis benannt worden.[2]

Die Erstbeschreibung der Art Homo ergaster erfolgte durch Colin Groves und Vratislav Mazák in einer tschechischen Fachzeitschrift [3] und beruhte auf einem zweiteiligen Holotypus: dem Unterkiefer-Fragment KNM-ER 992, das bereits 1971 von Richard Leakey in Koobi Fora (Kenia) entdeckt und dessen Alter auf etwa 1,5 Mio. Jahre datiert worden war;[4] Leakey hatte den Fund 1972 publiziert und zur Gattung Homo gestellt, ihn aber nicht einer bestimmten Art zugeordnet.[5]

Als möglicher Vorfahr von Homo ergaster wird Homo rudolfensis angesehen; Homo erectus soll aus Homo ergaster hervorgegangen sein. Aus der gleichen Epoche und aus den gleichen Regionen Afrikas gibt es Funde anderer Arten der Hominini, mit denen sich Homo ergaster demnach seinen Lebensraum teilte: Paranthropus boisei, Homo rudolfensis und möglicherweise Homo habilis.

Die Funde aus Koobi Fora werden im kenianischen Nationalmuseum in Nairobi [6] aufbewahrt, die Funde aus Swartkrans im Transvaal Museum in Pretoria.

Klassifikation

Homo ergaster und die aus ihm hervorgegangenen Arten der Gattung Homo

Ob Homo ergaster den Status einer eigenständigen Art zu Recht zugesprochen bekam oder ob die Fossilien bloß als frühe und regionale Varianten von Homo erectus einzustufen sind, ist in der Paläoanthropologie – zwischen sogenannten Lumpern und Splittern – umstritten. Viele Fossilien, die heute von bestimmten Forschern zu Homo ergaster gestellt werden, waren zuvor als Homo erectus eingeordnet und werden von anderen Forschern noch immer Homo erectus zugeschrieben. Zudem gilt das Holotypus-Exemplar aufgrund der vermutlich großen und vor allem größenabhängigen Variationsbreite der Unterkiefer von Homo erectus / Homo ergaster als unglücklich gewählt: „Als die Namensgeber von H. ergaster die Merkmale des Kieferknochens KNM-ER 992 beschrieben, zeigten sie keine charakteristischen Unterschiede auf, durch die sich andere, von ihnen ebenfalls H. ergaster zugeschriebene Fossilien (…) von H. habilis unterscheiden würden.“ [7] Ein nicht-charakteristisches Holotypus-Exemplar führt bei der Zuordnung von anderen Funden zu dieser Art jedoch rasch zu Unstimmigkeiten.

In einem Review-Artikel der Fachzeitschrift Nature [8] ordnete Bernard Wood 1992 dennoch weitere Funde bei Homo ergaster ein, beispielsweise die gut erhaltenen fossilen Schädel KNM-ER 3733 und 3883, die von ihren Entdeckern zu Homo erectus gestellt worden waren; an gleicher Stelle stufte er auch den Turkana Boy als Vertreter von Homo ergaster ein.[9] Der Holotyp KNM-ER 992 wird – umgekehrt – von einzelnen Paläoanthropologen zu Homo erectus gestellt, von anderen zu Homo habilis. John T. Robinson schrieb 1972 in Nature sogar, dieses Fossil sei nicht von Australopithecus africanus zu unterscheiden.[10] Manche anderen Fossilien, die zu Homo ergaster gestellt wurden, sind so unvollständig, dass sie nur aufgrund ihres Alters so eingeordnet wurden, nicht aber aufgrund ihrer morphologischen Beschaffenheit.

Merkmale

Da Homo ergaster zahlreiche Fossilien zugeschrieben werden, die anderen Forschern als früher Homo erectus gelten, unterscheiden sich die Merkmale beider Arten kaum. Als typisch für den Kopf gilt u.a. ein ununterbrochener und mäßig breiter Knochenwulst über den weit auseinander liegenden Augen, die aus – im oberen Bereich des Gesichts – nahezu senkrecht stehenden Knochen hervortreten. Der Oberkiefer ragt dennoch weit nach vorne heraus, so dass die Kiefer eine Art Schnauze bilden; der Abstand zwischen Mund und Nasenöffnung ist recht groß. „Zu den morphologischen Eigenmerkmalen von H. ergaster im Vergleich mit H. erectus zählen: generell etwas grazilerer Skelettbau, längere und schmalere Molaren, komplexe Wurzeln der Prämolaren, dünnere Schädelknochen, kein Knochenkiel auf dem Schädel, schwächerer Überaugenwulst, höhere Schädelwölbung, geringere postorbitale Schädeleinschnürung, schmalere Schädelbasis.“[11]

Das Gehirnvolumen von Homo ergaster lag zwischen 750 und 900 cm3. Einige dieser Art zugeordnete Funde hatten jedoch ein deutlich kleineres Gehirn, für das Fossil KNM-ER 1805 wurden zum Beispiel nur 582 cm3 berechnet. Ob diese große Spanne als Ausdruck einer tatsächlich vorhandenen Variationsbreite zum Beispiel infolge geschlechtsspezifischer Unterschiede zu deuten ist oder ob die Fossilien womöglich zu zwei verwandten Arten gehören, ist ungeklärt. [12]

Geht man vom Turkana Boy aus, dann hätte dieses beim Tod etwa 1,50 bis 1,60 m große Individuum im ausgewachsenen Zustand vermutlich 1,85 m gemessen und wäre dann knapp 70 kg schwer gewesen. Arm- und Beinlänge gleichen denen des modernen Menschen. Aus dem Bau der Schulterblätter und der Schienbeinknochen wurde jedoch gefolgert, dass junge Exemplare sich länger als die Kleinkinder des heutigen Menschen auf vier Beinen fortbewegten.

Werkzeuggebrauch

Homo ergaster wurde Werkzeugherstellung und Werkzeuggebrauch zugeschrieben, worauf auch das Art-Epitheton abhebt. Allerdings stammen die Fundstücke (Oldowan-Typ) zum Teil aus Schichten, aus denen man auch Fossilien geborgen hat, die zu Paranthropus boisei gestellt wurden. Anderer Fossilien stammen aus Schichten, aus denen keine Werkzeuge bekannt sind; daher gilt der Werkzeuggebrauch für Homo ergaster nicht als gesichert.[13]

Ernährung

Welche Nahrung Homo ergaster aufgenommen hat, ist bisher nicht nachvollziehbar. „Ähnlichkeiten bei Zähnen, Kiefer und Muskelansatzstellen legen die Vermutung nahe, dass seine Ernährung der von H. habilis ähnelte.“[14] Aus Begleitfunden kann geschlossen werden, dass Homo ergaster sich in einem Mosaik von Lebensräumen aufhielt, zu dem Wälder mit dichtem Unterholz, offene Wasserflächen und – zeitweise überschwemmte – Graslandschaften gehörten.

Siehe auch

Quellen

  1. Ulrich Welsch: Die Fossilgeschichte des Menschen. Teil 1: Wie aus den ersten Primaten Homo wurde. Biologie in unserer Zeit 1/2007, S. 42–50
  2. Robert Broom, John T. Robinson: A new type of fossil man. Nature 164, 1949, S. 322 f.
  3. Colin Groves, Vratislav Mazák: An approach to the taxonomy of the Hominidae: Gracile Villafrancian hominids of Africa. In: Casopis pro Mineralogii Geologii 20, 1975, S. 225–247
  4. anthropology.si.edu: Abbildung des Fossils KNM-ER 992
  5. Richard Leakey: Further Evidence of Lower Pleistocene Hominids from East Rudolf, North Kenya, 1971. Nature 237, 1972, S. 264 – 269, doi:10.1038/237264a0
  6. Die Archiv-Bezeichnung KNM steht für kenianisches Nationalmuseum.
  7. G. J. Sawyer, Viktor Deak: Der lange Weg zum Menschen. Lebensbilder aus 7 Millionen Jahren Evolution. Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg, 2008, S. 104
  8. Solche Review-Artikel stellen normalerweise den jeweils aktuellen Stand des gesicherten Wissens in einem bestimmten Fachgebiet dar; ihnen kann aber auch die Funktion zukommen, einer bestimmten Position zu einem Sachverhalt in der Forschergemeinde zum Durchbruch zu verhelfen.
  9. Bernard Wood: Origin and evolution of the genus Homo. Nature 355, 1992, S. 783–790; vergl. dazu auch: Bernard Wood: Early hominid species and speciation. Journal of Human Evolution, Band 22, 1992, S. 351–365 (Volltext, PDF)
  10. John T. Robinson: The Bearing of East Rudolf Fossils on Early Hominid Systematics. Nature 240, 1972, S. 239 – 240, doi:10.1038/240239a0
  11. Ulrich Welsch: Die Fossilgeschichte des Menschen..., S. 48
  12. G. J. Sawyer, Viktor Deak, S. 104
  13. G. J. Sawyer, Viktor Deak, S. 102
  14. G. J. Sawyer, Viktor Deak, S. 100

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