Thebäische Legion

Thebäische Legion

Die Thebaische Legion (oft auch Thebäische Legion, latein. Legio Thebaica) war entsprechend der christlichen Überlieferung eine Legion des Römischen Heeres, deren sämtliche Mitglieder gegen Ende des 3. Jahrhunderts den Märtyrertod erlitten haben sollen. Die Existenz dieser Legion ist nach modernen Forschungserkenntnissen jedoch höchst umstritten und wird von den meisten Althistorikern bezweifelt. Als Gedenktage der Mehrheit der Märtyrer gelten der 10. Oktober und der 11. September.

Inhaltsverzeichnis

Quellenlage

Das Wissen um die angebliche Existenz und Geschichte der Thebaischen Legion stützte sich über viele Jahrhunderte im wesentlichen auf die spätantike Schrift passio Acaunensium martyrum des um 450 verstorbenen Lyoner Bischofs Eucherius, in der dieser bekundete, „er wolle mit seiner Schrift zu Ehren des Ereignisses (pro honore gestorum) und mit Glaubwürdigkeit (fide) berichten, was geschah, um damit zu verhindern, dass das ruhmreiche Martyrium der Thebäischen Legion aus dem Gedächtnis der Menschen entschwinde“.[1][2] Eucherius stützt sich auf eine mündliche Überlieferungskette über den Bischof Isaak von Genf, der sich wiederum auf Bischof Theodor von Sitten bezog[3], der Anfang des 5. Jahrhunderts verstarb. Eine weitere Überlieferung dieser Zeit ist eine eigenständige anonyme Version der passio aus dem 5. Jahrhundert, die einige Unterschied zur Handschrift des Eucherius enthält.[4]

In der Folgezeit berichteten neben anderen auch Gregor von Tours, Venantius Fortunatus und Walafried Strabo vom Schicksal der Thebaischen Legion und beriefen sich weitestgehend auf Eucherius. Häufig wurden dabei lokale Heilige zu Mitgliedern der Thebaischen Legion erhoben. Gregor von Tours behauptete beispielsweise auch die Legionszugehörigkeit des in Köln verehrten Gereon und seiner Genossen und fügte der bislang auf den heutigen schweizerischen Kanton Wallis beschränkten Legendenbeschreibung somit weitere Martyrien im Rheinland hinzu.[3] Die im 11. Jahrhundert entstandene Schrift passio sanctorum Gereonis, Victoris, Cassi et Florentii Thebaeorum martyrum eines unbekannten Verfassers erweiterte die Handlung auf fast das gesamte Rheinland.[5]

Die Legende

Überlieferung des 5. Jahrhunderts

Laut Eucherius stammte die Legion aus dem östlichen Teil des Römischen Reiches, aus dem heutigen Ägypten, und alle 6.600 (anonyme Fassung: 6.660) Mitglieder waren Christen. Sie wurde angeblich von Mauritius geführt, der (nach späterer Überlieferung) auch im Besitz der Heiligen Lanze gewesen sein soll. Weitere namentlich genannte Offiziere sind Exuperius und Candidus. Zum Ende des 3. Jahrhunderts habe, so die anonyme passio, Kaiser Maximian die Legion in den Krieg gegen die Bagauden nach Gallien geschickt. Laut Eucherius fanden die folgenden Ereignisse dagegen erst mit Beginn der Großen Christenverfolgung 303 statt.

El Greco: Das Martyrium des Heiligen Mauritius

Nachdem Maximian sein Lager in Octodurum aufgeschlagen hatte, so die Legende, forderte er seine Untergebenen vor Kampfbeginn zu einem Opfer für die römischen Götter auf. Mauritius und seine Legion weigerten sich und gingen nach Agaunum (heute: St. Maurice d'Agaune), wo sie lagerten. Nach einer Aufforderung zur Rückkehr und Opferung wurde die Legion zur Strafe zweimal dezimiert. Eucherius' „passio” zufolge war der Grund der Dezimierung deren Weigerung, gegen christliche Glaubensbrüder zu kämpfen. Er berichtet auch, dass die Legionäre keinen Widerstand leisteten und geradezu nach dem Martyrium trachteten. So ließ Maximian schließlich den Befehl zur Ermordung der gesamten Legion geben. Während der Plünderung der Leichen soll außerdem ein unbeteiligter Christ namens Victor vorbeigekommen und ermordet wurden sein, weil er sich zu erkennen gab. Zwei Legionäre entkamen nach Solothurn und wurden dort umgebracht (St. Victor und St. Ursus).

Martyrium im Rheinland

Teile der Legion sollen der anonymen „passio sanctorum Gereonis“ zufolge jedoch bereits zur Niederschlagung eines Aufstandes in das heutige Rheinland vorausgeeilt sein, wo diese unter anderem in Bonn (St. Cassius und St. Florentius mit sieben beziehungsweise zwölf Gefährten), in Köln (St. Gereon mit 318 Gefährten) und Xanten (St. Viktor mit 330 Gefährten, St. Mallosus) aufgegriffen und gleichfalls hingerichtet worden sein sollen.

Andere Überlieferungen

Laut einer weiteren Legende kam im Gefolge der Thebäischen Legion auch die Heilige Verena in die Schweiz.

Verehrung

Gebeine, die als Reliquien von Märtyrern verehrt wurden, wurden später teils nach St. Maurice überführt und sorgten dafür, dass der Ort jahrhundertelang ein zentraler Wallfahrtsort wurde. Andere Reliquien werden bis heute in den Kirchen an den Orten ihres angeblichen Martyriums verwahrt und gelten dort als Überreste von Schutzpatronen; so wurden beispielsweise Cassius und Florentius 1643 zu Stadtpatronen Bonns ernannt. Teils entwickelten sich auch Legenden über die Bergung der Gebeine mehrerer Märtyrer durch Helena, die Mutter Konstantins des Großen, so unter anderem für Gereon und Viktor.

Namen

Insbesondere der Name Victor (beziehungsweise Viktor) bezeichnet im Kontext der Legion gleich mehrere Märtyrer, so dass für diese mitunter angenommen wird, namentlich unbekannt zu sein und stattdessen den Titel victor (Latein für Sieger) zu tragen. Auch Mauritius, der Anführer der Thebaischen Legion, trage keinen überlieferten Namen, sondern sei über das griechische mauros, μαῦρος (schwarz, dunkel) schlicht als Maure beziehungsweise „Mohr“ tituliert worden, was auch der üblichen Darstellung Mauritius' als dunkelhäutigem Legionär entspricht. Auch Gereons Name wird gelegentlich über das griechische geron (Greis) oder das lateinische gerere (Krieg führen) als Titel eines eigentlich Namenlosen interpretiert.

Historizität

Heutige Forschungsergebnisse berechtigen zum Zweifel an der Existenz einer solchen Legion und an den Umständen ihrer gewaltsamen Auflösung; dies wurde bereits in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts so gesehen[6]. Als eines der Hauptargumente wurde schon im 16. Jahrhundert angeführt, dass von Sulpicius Severus, einem dem Eucherius zeitgenössischen und bedeutenden Geschichtsschreiber, keine Überlieferung zur Thebaischen Legion existiere und er sogar ausdrücklich bemerke, dass von dem Ende der valerianischen Verfolgungen (257-60) bis zur Christenverfolgung unter Diokletian (seit 303) fünfzig Jahre verstrichen seien.[3] Dies widerspricht den Angaben der anonymen passio, die behauptet, die Ereignisse hätten 285/86 im Zusammenhang mit den Bagaudenkriegen stattgefunden.

Weiterhin wurde schon früh auf widersprüchliche und unwahrscheinliche Inhalte der Legende verwiesen. Beispielsweise gilt es als unglaubwürdig, dass Maximian um 304 im Herrschaftsgebiet seines Mitkaisers Constantius militärische Operationen unternommen haben soll, wie es die Version des Eucherius voraussetzt. Ebenso fehlt es völlig an Belegen für eine Christenverfolgung im westlichen Teil des römischen Reiches während des Zeitraums der vermeintlichen Auslöschung der Thebaischen Legion. Auch der Name der Legion - bei Eucherius wird sie als „legio militum“ bezeichnet, die „Thebaei“ genannt worden sei - gibt Anlass zum Zweifel an der Existenz der Legion: So deutet der Name darauf hin, dass sie ihr ursprüngliches Standlager im ägyptischen Theben hatte, wohingegen die Legionsbesatzung Ägyptens im 2. und 3. Jahrhundert in Wahrheit von der Legio II Traiana fortis gebildet wurde, die auch nicht in Theben oder der Thebäis, sondern in Nicopolis bei Alexandria stationiert war.[2] Auch die Zahl der Legionäre der Thebaischen Legion, 6.600 beziehungsweise 6.660, passt nicht zur tatsächlichen Größe einer Legion dieser Zeit, die unter Diokletian noch zwischen 1.000 und 2.000 Legionäre umfasste.[2] Für Legionen unzutreffend sind auch die betont bei Eucherius aufgeführten Ränge „primicerius“ und „senator“ des Mauritius und des Candidus, die zwar bei den Auxiliartruppen, nicht jedoch bei Legionen verbreitet waren. Ebenso wird mit Recht bemerkt, es sei sehr unwahrscheinlich, dass eine gesamte Legion dieser Zeit nur aus Christen bestanden habe.[3] Und überdies hatte man um 300 längst die Praxis aufgegeben, ganze Legionen geschlossen einzusetzen, sondern entsandte nur noch Armeen, die aus Teilen diverser Einheiten zusammengesetzt waren. Daher besteht aus Sicht der althistorischen Forschung kaum ein Zweifel daran, dass die Geschichte der "Thebaischen Legion" zumindest in der überlieferten Form eine spätere Erfindung ist.

Einige Forscher, darunter David Woods, vermuten, die Legende vom Martyrium der Thebaischen Legion sei im Zusammenhang mit dem Kampf zwischen Kaiser Theodosius I. und dem Usurpator Eugenius erfunden worden: 394 kam es zum Bürgerkrieg zwischen den beiden, wobei Theodosius den Eugenius und dessen mächtigen Heermeister Arbogast, der kein Christ war, zu Gottesfeinden und Christenverfolgern stilisieren ließ. Mit der Legende vom angeblichen Martyrium der Thebaischen Legion habe Theodor von Sitten, so Woods, die bei Octodurum (Martigny) stationierten ägyptischen Truppen auf die Seite des Theodosius bringen wollen. Angesichts der Quellenlage ist aber nicht endgültig entschieden, ob dies zutrifft.

Literatur

  • Denis van Berchem: Le martyre de la légion Thébaine. Essai sur la formation d'une légende, Basel 1956.
  • Ingo Runde: Thebäische Legion, in: Reallexikon der germanischen Altertumskunde, Bd. 30 (2005), S. 400–405.
  • David Woods: The origin of the Legend of Maurice and the Theban Legion, in: JEH 45, 1994, S. 385-395.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. passio Acaunensium martyrum. In: MGH Script. rer. Merov., passiones I. S. 20-41. Abgerufen am 08. Februar 2009. (Kommentierter lateinischer Text)
  2. a b c Alexander Speidel: Die Thebäische Legion und das spätrömische Heer (*.pdf). Abgerufen am 24. November 2006.
  3. a b c d Stephan Beissel: Das Martyrthum des hl. Victor und seiner Genossen.. Abgerufen am 24. November 2006.
  4. P. Müller: Mauritius, Zeuge seines Glaubens. Die Einsiedelner Version X2 der Passio des heiligen Mauritius. In: F. Schrader (Hrsg.): Beiträge zur Geschichte des Erzbistums Magdeburg. Leipzig 1969, S. 179-191 (Deutsche Übersetzung). 
  5. Ingo Runde: „Sagenhaftes Xanten“. Helden und Heilige in mittelalterlichen Sagen und Geschichten. Erschienen in: Dieter Geuenich (Hrsg.): Xantener Vorträge zur Geschichte des Niederrheins 2004, S. 91-119
  6. Rettberg: Kirchengeschichte Deutschlands. Bd. 1 (Göttingen 1845); Gieseler: Lehrbuch der Kirchengeschichte. Bd. 1,1. (Bonn 1835)

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