- Tontinenversicherung
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Die Tontine oder Tontinenversicherung bzw. das Tontinengeschäft, wie die Tontine im VAG genannt wird, ist eine frühe Form der Rentenversicherung.
Bei einer Tontine verpflichtet sich ein Lebensversicherungunternehmen bzw. der Staat als sogenannter „Veranstalter“, gegen Entgelt Einzahlungen anzunehmen und das angesammelte Kapital zu bestimmten Zeiten verzinst an die dann noch lebenden Einleger zurückzugewähren.
Das Prinzip der Tontine lässt sich am Beispiel eines K.-o.-Turniers illustrieren.
Nehmen zum Beispiel 64 Spieler an einem derartigen Turnier teil, so kann das Preisschema folgendermaßen aussehen:
- Vor Beginn der ersten Runde zahlt jeder der 64 Teilnehmer ein Nenngeld von 1 € – entsprechend der Mise (i.e. Einmalprämie) bei einer Tontine.
- Nach der dritten Runde – bei einer Tontine entspricht dies der Aufschub- oder Karenzzeit – erfolgt eine erste Ausschüttung in Höhe von 16 €: Jeder der acht „Überlebenden“ erhält somit 2 €.
- Nach der vierten Runde erfolgt eine zweite Ausschüttung in Höhe von 16 €: Jeder der vier „Überlebenden“ erhält nun weitere 4 €.
- Nach der fünften Runde erfolgt eine dritte Ausschüttung in Höhe von 16 €: Jeder der zwei „Überlebenden“ erhält nun 8 €.
- Nach der sechsten Runde erfolgt die letzte Ausschüttung: Der Sieger des Turniers erhält als letzter „Überlebender“ nochmals 16 €; seine gesamte Auszahlungssumme aus allen Runden beträgt somit 2+4+8+16 = 30 €.
Die Tontinen erhielten ihren Namen nach ihrem Erfinder, dem italienischen Arzt (nach anderen Quellen: Bankier) Lorenzo de Tonti (* um 1602; † 1684). Er richtete auf Veranlassung des Kardinals Mazarin 1653 die erste Tontine in Paris ein. Tontinen fanden vor allem in romanischen Ländern großen Anklang.
In Frankreich wurde das Tontinengeschäft bald nach seiner Erfindung vom Staat betrieben. Dieser geriet dadurch in finanzielle Schwierigkeit und gab das Geschäft wieder auf. Die letzte größere Tontine wurde 1759 eingerichtet.
Tontinen zählen nicht zu den Versicherungsgeschäften im engeren Sinne: Das Wesen der Tontine liegt nämlich darin, dass der Veranstalter keinen Anteil am versicherungstechnischen Risiko der Langlebigkeit trägt. Dieses Risiko wird vollständig von den Teilnehmern, also der Versichertengemeinschaft, getragen.
In der modernen Lebensversicherungsmathematik lebt die Tontine dadurch fort, dass Versicherungsnehmer bei der Kapitallebensversicherung über die sogenannten „natürlichen Überschuss-“ bzw. „Gewinnbeteiligungssysteme“ am tatsächlichen Sterblichkeitsverlauf Anteil nehmen. Sie werden indirekt am Risiko beteiligt, indem die gesammelten Überschüsse Jahr für Jahr den jeweils Überlebenden zugewiesen werden.
Die bei Tontinen verbreitete Verbindung aus Lebensversicherung und Lotterie hat sich in den sogenannten „Auslosungsversicherungen“ erhalten.
Im deutschsprachigen Raum sind Tontinen praktisch nicht präsent und werden von den Versicherungsunternehmen nicht angeboten. In Frankreich und im englischsprachigen Raum sind Tontinengeschäfte auch heute noch gebräuchlich. Dort existieren sie insbesondere als Verträge zwischen Personengemeinschaften. Dabei können außer Tod auch andere Kriterien des Ausscheidens vereinbart sein.
Tontinen spielen auch in verschiedenen Kriminalgeschichten eine bedeutende Rolle, z. B. in The Wrong Box von Robert Louis Stevenson oder 4:50 from Paddington von Agatha Christie.
Tontinen in Westafrika
Die irreführend als Tontinen bezeichneten lokalen Spar- und Kreditgruppen in den verschiedenen Ländern Westafrikas wie etwa in Kamerun, welche durch ihren kooperativen Charakter auch eine soziale Bedeutung haben, entsprechen eher einem kollektiven Spargeschäft (vgl. Bausparkasse, Kollektives Bausparen) als der klassischen Tontine.
Literatur
Meyers Großes Konversations-Lexikon. Ein Nachschlagewerk des allgemeinen Wissens. 6., gänzlich neubearbeitete u. vermehrte Auflage. 20 Bde. Bibliographisches Institut, Leipzig u. Wien 1902-08. (Diese Ausgabe ist urheberrechtlich frei.)
Weblinks
Tontine in Encyclopædia Britannica von 1911 (englisch) aufgerufen am 17. Oktober 2008
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