Tor M1

Tor M1
Tor M1
Tor M1
Tor M1
Grunddaten
Funktion Boden-Luft-Lenkwaffensystem
Hersteller Almaz-Antey
Entwicklung 1975
Weitere Leistungsmerkmale
Triebwerk
 Erste Stufe Feststoffrakete
Gefechtsgewicht 165 kg
Länge 2,85 m
Durchmesser 235 mm
Spannweite 750 mm
Geschwindigkeit 800 m/s
Reichweite 1-12 km
Service ceiling 10-6.000 m
Gefechtskopf 14,5 kg FRAG-HE oder Continuous Rod
Zielerkennung Radarzielverfolgung mit Funkkommandolenkung

Tor M1 (Тор – Torus) ist ein russisches Kurzstrecken-Luftabwehrraketen-System. Die NATO-Bezeichnung lautet SA-15 Gauntlet. Der GRAU-Index lautet 9K330, 9K311 und 9K332. Die Lenkwaffen tragen die Bezeichnung 9M330 und 9M331.

Das System dient zur Verteidigung von Bodenzielen gegen Angriffe von Kampfflugzeugen, Hubschraubern, Marschflugkörpern sowie UAVs, vom Tiefflug bis zu einer Höhe von sechs Kilometern.[1] Es kann insbesondere auch kleine Lenkwaffen oder Präzisionsbomben verfolgen und bekämpfen, die von höher fliegenden Flugzeugen abgefeuert wurden. Das Fahrzeug kann dabei in Bewegung bleiben, und ist somit durch derartige Waffen selbst nur schwer zu treffen.

Tor M1 ist gekennzeichnet durch hohe Autonomie, Genauigkeit und kurze Reaktionszeiten. Dies ist vor allem auf die Integration eines hochmodernen phased array Ziel-Radars in jedes einzelne Fahrzeug zurückzuführen, eine weltweit erstmals eingesetzte Bauweise, auf den hohen Automatisierungsgrad sowie die hohe Manövrierfähigkeit des Flugkörpers.

Das System wird ergänzt durch SA-11 Gadfly im Mittelstrecken- oder SA-10 Grumble und dessen Nachfolger im Langstreckenbereich.

Inhaltsverzeichnis

Funktion

Tor M1 mit eingefalteter Antenne; mittig oben ist die Spitze einer Rakete sichtbar.

Das Tor M1 System arbeitet vollautonom, es können aber auch mehrere Fahrzeuge einer Gruppe per Datenfunk koordiniert gesteuert werden. Acht Raketen sind in senkrechter Lage in Rohren untergebracht und werden direkt aus diesen gestartet. Die Zielerfassung hat eine Reichweite von 24 km, das Ziel wird in bis zu 12 km Entfernung bekämpft, bei einer Minimalentfernung von 1.000 bis 2.000 m (je nach Modell) und einer Höhe zwischen 10 und 6.000 Metern.

Das sich drehende Suchradar scannt den Luftraum im Radius von 25 km. Wurde ein Ziel identifiziert, wird der Turm in dessen Richtung gedreht und das Feuerleitradar aufgeschaltet. Es arbeitet mit der phased array Technik, bei der eine Strahlschwenkung und -fokussierung rein elektronisch und damit verzögerungsfrei und hochpräzise erfolgt; der Turm braucht so nur grob auf das Ziel ausgerichtet zu werden. Die hohe Zeit- und Ortsauflösung des Zielradars schafft die Voraussetzung für die hohe Treffergenauigkeit.

Die Systeme können bis zu 48 Ziele parallel verfolgen und zwei davon gleichzeitig bekämpfen. Objekte bis hinunter zu einem Radarquerschnitt von 0,1 m² (35 cm Durchmesser bei Messung von vorne) werden erkannt. Im Umfeld von starken ECM-Störsignalen kann neben der Zielverfolgung via Radar auch eine visuelle Steuerung benutzt werden, über eine Videokamera mit automatischer Nachführung auf bis zu 20 km Entfernung.

Die Reaktionszeit zwischen Zielerkennung und Start der Rakete wird mit 5 bis 8 Sekunden angegeben. Überwachung, Zielerfassung und das Abfeuern der Raketen ist auch aus fahrenden Tor M1 heraus möglich, womit es Angreifern erschwert wird, das Fahrzeug zu treffen; die Reaktionszeit beträgt dann 10 Sekunden.

Das Computersystem markiert einen deutlichen Fortschritt gegenüber der sowjetischen Technologie der Vorgänger. Es erlaubt einen hohen Grad an Automatisierung: Anfliegende Ziele können automatisch nach Gefährdungspotential klassifiziert und ohne Eingriff eines Bedieners bekämpft werden. Die acht Raketen können durch ein spezielles Ladefahrzeug binnen 10 Minuten nachgeladen werden.

Technik

Fahrzeug

Tor M1 auf der Übung zur Parade in Moskau am 5. Mai 2008

Jedes 9K331 ist ein Kettenfahrzeug mit TELAR-Funktion (Transporter Erector Launcher And Radar), d.h. es transportiert und startet die Raketen eigenständig. Das GM-355 Chassis hat eine Masse von 34 t und ist 7,5 x 3,3 x 5,1 Meter groß (LxBxH, mit ausgefahrenem Radar). Es hat drei Mann Besatzung und erreicht mit einem V-12 Dieselmotor bei max. 65 km/h eine Reichweite von 500 km. Die Kraftübertragung erfolgt hydromechanisch, die hydropneumatische Federung ermöglicht eine variable Bodenfreiheit. SA-15 ist Allwetter- und Lufttransport-fähig und mit ABC-Schutzvorrichtungen für die Besatzung ausgestattet.

Ein eigener Gasturbinen-Generator mit 75 kW Leistung erlaubt den Betrieb der stromhungrigen Radaranlage auch bei stillgelegtem Motor und ermöglicht damit lange Bereitschaftszeiten. Neben den Kettenfahrzeugen gibt es auch Versionen auf LKWs, auf Schiffen, sowie stationär.

Radar

Auf dem Kettenfahrzeug sind zwei Radar-Systeme montiert:

  • Suchradar: Ein 3D Pulse/Doppler Radar im E/F-Band mit 25 km Reichweite, das Entfernung, Azimuth und den Höhenwinkel (Elevation) von bis zu 48 Zielen sammelt und 10 von ihnen parallel verfolgen kann. Daneben ist das System mit Freund-Feind-Erkennung (IFF) ausgerüstet. Diese Antenne kann eingeklappt werden, um den Querschnitt bei der Fahrt zu verkleinern.
  • Feuerleitradar: Das phased-array-System ist an der Front des Turms montiert, arbeitet im G/H-Band und kann zwei Ziele parallel mit einer Reichweite von 20 km verfolgen und mit seinen Raketen bekämpfen.

Beide Radarkomponenten werden im NATO-Bereich unter dem Namen SCRUM HALF geführt. Eine dritte kleine Antenne wird eingesetzt, um nach dem Abschuss und vor der Zielradar-Erfassung mit den Raketen zu kommunizieren.

Rakete

Container mit vier 9M330 Raketen

Die 9M330 Rakete ist 3,5 m lang und wiegt 167 kg, der Sprengkopf davon 15 kg. Der Start erfolgt senkrecht durch eine Gasladung, erst in einigen Metern Höhe wird der Raketenmotor gezündet, der den Flugkörper mittels Schubvektorsteuerung (gas-dynamic steering) auf das Ziel ausrichtet und beschleunigt. Ein Drehen der Abschusslafette in Bekämpfungsrichtung, wie bei herkömmlichen Systemen, ist dadurch überflüssig.

Die Rakete erreicht bis zu 800 m/s oder Mach 2,1. Sie wird vom Tor aus, das die Flugbahnen von Ziel und Rakete verfolgt, über zusätzliche Impulse im Signal des Feuerleitradars ferngesteuert und kann dabei mit bis zu 30 g manövrieren und mit bis zu Mach 2 fliegende Ziele abfangen. Der Sprengkopf wird durch einen Radar-Näherungs- oder Aufschlagzünder gezündet. Die Rakete kann auch programmiert werden, Bodenziele anzugreifen.

Die prozentuale Treffer-Wahrscheinlichkeit gegen verschiedene Ziele wird wie folgt angegeben:

Versionen

Tor, Tor-M, Tor-M1

  • 9K330 "Tor" mit der 9M330 Rakete, Mindestreichweite 2 km, eingeführt 1986.
  • 9K331 "Tor-M" mit der 9M331 Rakete, Mindestreichweite 1,5 km, eingeführt 1991, mit wesentlich erhöhter Treffergenauigkeit und der Fähigkeit, zwei Ziele parallel zu bekämpfen.
  • 9K331M "Tor-M1" und "Tor-M1T" ebenfalls mit der 9M331.
SA-N-9-Raketen beim Start auf dem Lenkwaffenkreuzer Michail Frunse der Kirow-Klasse

3K95 "Kinschal" (russ. Кинжал - Dolch) ist die Marineversion der Tor, NATO-Name 'SA-N-9'. Sie wird auf den Flugzeugträgern der Kusnezow-Klasse, Anti-U-Boot Zerstörern der Udaloy-Klasse und Fregatten der Neustraschimy-Klasse eingesetzt. Dieses System kann vier Ziele gleichzeitig ansteuern, wobei das Radar eine Reichweite von 45 Kilometern hat. 24 bis 64 Raketen sind in Achtergruppen aufgestellt und werden durch eine 30-mm-Kanone zur Bekämpfung von Seezielflugkörpern ergänzt. Schiffe der atomgetriebenen Kirow-Klasse sind mit Installationen von 128 Raketen ausgestattet. Die Marineversion der Tor-M1 ist auch als "Jesch" (russ. Еж - auf deutsch Igel) bekannt, die Exportversion als "Klinok" (russ. Клинок - Klinge).

In China wird die HQ-17 (Hongqi-17) als Kopie der 9K331M eingesetzt, sie ersetzt dort die alte Luftabwehrrakete HQ-61.

Tor-M2

Seit Ende der 1990er-Jahre wird an einer Weiterentwicklung gearbeitet: Tor-M2 (9K332 oder Tor-MTA, Tor-MTB, Tor-MTS) erhält nun auch als Suchradar eine phased-array Ausführung, die schneller und genauer arbeitet. Durch einen breiten möglichen Frequenzbereich kann das Radar auf Störangriffe reagieren, und wiederum selbst passiv Störquellen verfolgen. Die Erfassungsreichweite beträgt nun 40 km, auch das Feuerleitradar erreicht nun 25 bis 30 km. Weiterhin werden auch Hard- und Software der Feuerleitsysteme leistungsfähiger. Schließlich wird ein neuer Flugkörper eingesetzt, der auch als Vympel R-77 (AA-12 ADDER) Luft-Luft-Rakete benutzt wird und eine Schussdistanz bis 15 km und eine Einsatzhöhe zwischen 20 und 9.000 Metern ermöglicht. Ab 2008 geht der neue Typ in die Serienproduktion und wird an die russischen Luftverteidigungsstreitkräfte ausgegeben.

Einsatz

Die Kombination aus Autonomie, Automatisierung, kurzer Reaktionszeit, hoher Zielgenauigkeit und der Fähigkeit, auch kleine und hochbewegliche Ziele zu verfolgen und abzufangen, werden momentan von keinem anderen bekannten Luftabwehrsystem erreicht. Vergleichbare Systeme wie das französische Crotale, das deutsche Roland, das britische Rapier oder das amerikanische MIM-72 Chaparral sind in jeglicher Hinsicht weniger leistungsfähig.

Durch die Konzentration auf Radartechnik ist Tor M1 auch nicht auf Ziele beschränkt, die anhand ihres heißen Abgasstrahls von einem Infrarot-Sensor wahrnehmbar sind, wie bei Crotale, MIM-72 oder schultergestützten FlaRak Waffensystemen.

Eine russische Luftabwehr-Abteilung besteht aus drei bis fünf Batterien, die je vier Fahrzeuge umfassen. Das SA-15 System wurde 1990 erstmals eingesetzt und seitdem ständig weiter entwickelt. Tor ersetzt das 9K33 Osa Fla-Raketen-System (NATO-Name SA-8 Gecko), das ab 1960 entwickelt und 1971 erstmals eingesetzt wurde, sowie das Tunguska M-1 (SA-19 Grison) System, das ab 1970 entwickelt und ab 1986 eingesetzt wurde.

Das System wurde neben früheren Ostblock-Staaten auch von NATO-Staaten wie Griechenland sowie von blockfreien Staaten wie Peru angeschafft.

In der deutschen Presse wurde das Tor M1 System ab 2005 im Zusammenhang mit dem Erwerb durch den Iran mehrfach erwähnt - siehe Strategische Bedeutung.

Strategische Bedeutung

Gegenüber vergleichbaren existierenden NATO-Systemen wie dem Roland gilt das SA-15 als deutlich moderner und leistungsfähiger, und wird vermutlich erst nach 2010 im Rahmen des geplanten Luftverteidigungssystem Medium Extended Air Defense System (MEADS) einen ebenbürtigen westlichen Gegenpart erhalten.

Wenngleich SA-15 nicht zur Bekämpfung strategischer Ziele wie ICBMs konzipiert ist, hat es doch im Frühjahr 2006 im Zusammenhang mit dem iranischen Atomprogramm eine gewisse strategische Bedeutung erlangt: Es wurde bekannt, dass 29 der Tor M1 Systeme im Dezember 2005 für etwa 700 Mio. Dollar an Iran verkauft wurden, nachdem der Verkauf von SA-20 Gargoyle (S-300PMU-2) Langstrecken-Systemen nach amerikanischen Protesten nicht zustande kam. Im Januar 2007 begann die Auslieferung [1].

Die Tor M1 könnten zwar das Eindringen von hochfliegenden Bombern in den iranischen Luftraum und deren Angriff auf strategische Ziele nicht verhindern, aufgrund ihrer hohen Beweglichkeit und Genauigkeit wären sie aber möglicherweise in der Lage, eine Kernforschungsanlage oder eine Batterie von Mittelstreckenraketen, und auch sich selbst, gegen abgeworfene Präzisionsbomben, Cruise Missiles oder Tiefflieger zu schützen.[2]

Der online-Dienst 'defense-update.com' kommentiert dazu: "Russia has signed a deal with Iran to sell 29 of its TOR M-1 .. systems, a development that will complicate any planned pre-emptive attack on the .. nation's nuclear facilities."[2]

Im Januar 2007 erschien u.a. in Spiegel online ein Bericht, worin das Tor M1 System als neue "konventionelle Waffe" in iranischer Hand bezeichnet wurde. Im Februar wurde ein iranischer "General Hossein Salami" zitiert, der drohte, mit diesen Systemen US-Flugzeugträger anzugreifen - diesmal wies das Online-Magazin selbst darauf hin, dass es sich um ein reines Luftabwehrsystem handele [3].

Nutzer

Verweise

Interne Verweise

Weblinks

Einzelnachweise


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