Transformation (Politologie)

Transformation (Politologie)

Transformation bezeichnet in der Politikwissenschaft den grundlegenden Wechsel oder Austausch des politischen Regimes und gegebenenfalls auch der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Ordnung. Die Politikwissenschaft beschäftigt sich insbesondere mit der Umwandlung von Diktaturen zu Demokratien (Demokratisierung). Besonders betrachtet werden hierbei die Länder der „third wave of democratization“ (Samuel Huntington), also jene Länder, die nach 1974 den Systemwechsel hin zur Demokratie vollzogen haben:

Zu unterscheiden sind in der Transformation folgende Unterkategorien:

  • Regierungswechsel
  • Regimewechsel
  • Systemwandel
  • Systemwechsel
  • Transition

Die Transformation eines politischen Systems gliedert sich in folgende Phasen:

  • Entdifferenzierung des alten Systems / Regimes
  • Ende des alten Systems / Regimes
  • Institutionalisierung des neuen Systems
  • Redifferenzierung und Konsolidierung des neuen Systems

Inhaltsverzeichnis

Theorien zur Transformation

Nach Talcott Parsons Systemtheorie entwickeln sich traditionale Gesellschaften zu modernen Gesellschaften, indem sie ihre sozialen Teilsysteme ausdifferenzieren: Ökonomie, politisches System, Gemeinschaft und Kultur. Dabei werden evolutionäre Universalien ausgebildet, wie Bürokratie, Marktorganisation, Rechtssystem, demokratisches Assoziationsrecht, freie Wahlen. Das Fehlen eines dieser evolutionären Universalien führt dazu, dass die Legitimität eines Systems untergraben wird. Wenn die fehlende Legitimitätszufuhr aus der Gesellschaft zusammenfällt mit einer Behinderung der Ausdifferenzierung der Gesellschaft (z.B. durch kommunistischen Ordnungsanspruch), führt dies zu einem Zusammenbruch des autokratischen Systems.

Nach Seymour Martin Lipsets Modernisierungstheorie ist die Entstehung der Demokratie an das Entstehen einer wohlhabenden Mittelschicht gebunden. Lipset konnte den Zusammenhang von Bruttoinlandsprodukt und Demokratisierungsgrad empirisch beweisen. Dabei entwarf er folgende Kausalkette: Wirtschaftliche Entwicklung -> steigendes Bildungsniveau -> Entwicklung rationaler und toleranter Einstellungen und Verhalten bei Bürgern -> Demokratisierung der Mittelschicht -> Entstehung von zivilen Vereinigungen, die an der Politik partizipieren wollen und müssen. Im Umkehrschluss führt nach Lipset eine positive wirtschaftliche Entwicklung zur Transition des autokratischen Regimes.

Nach Tatu Vanhannens Machtdispersionstheorie hängt die Transformation eines autokratischen Systems von der Umverteilung von Ressourcen ab. Je breiter die Streuung von Machtressourcen in einer Gesellschaft ist, desto höher ist ihr Demokratisierungsgrad, denn keine Gruppe wäre in der Lage, Konkurrenten zu verdrängen und Hegemonie aufrecht zu erhalten. Demokratie entsteht hierbei als rationaler Kompromiss zwischen Eliten und Gruppen mit sozialem Basiskompromiss. Vanhannen misst die Ressourcenverteilung einer Gesellschaft mit dem Index of Power Ressources, der sich aus wirtschaftlichen, kognitiven und beruflichen Ressourcen zusammensetzt. Die Machtdispersionstheorie stellt eine Erweiterung der Modernisierungstheorie dar.

Mit der Akteurstheorie wird an der Mikroebene des Systems angesetzt und die Handlungen, Kognition und Strategien entscheidender Akteure betrachtet. Dabei spielen Massenbeteiligung ebenso wenig eine Rolle wie politische Institutionen oder internationale Einflüsse, welche lediglich einen Handlungskorridor für die Akteure bilden.

Die deskriptiv-empirische Akteurstheorie analysiert Akteurskonstellationen, die sich in Konditionalsätze fassen lassen: Transition tritt ein, wenn:

  • wenn Hardliner und Softliner des alten Regimes gespalten werden
  • wenn die eingeleitete Transformation von der Öffentlichkeit wahrgenommen wird und sich eine Opposition herausbildet
  • wenn sich Opposition und Softliner zu einer Koalition zugunsten des neuen System zusammenfinden
  • wenn die autoritäre Elite des alten Regimes und die Softliner-Opposition politische Pakte zur Institutionalisierung eingehen.


Die Theorie der rationalen Entscheidung besagt, dass Transformation das Resultat rational handelnder Akteure ist. Diese unterliegen jedoch Fehlwahrnehmungen ihrer eigenen Machterhaltung bzw. Machtzugangschancen. Die Theorie der rationalen Entscheidung bezweifelt den Transformationserfolg, wenn die entscheidenden Akteure des alten Regimes nicht der Fehlwahrnehmung unterliegen, dass die Transformation ein von oben kontrollierbares Projekt sei und jederzeit angehalten werden könne, wenn die Interessen der Akteure bedroht würden. Der Vorteil der Theorie der rationalen Entscheidung besteht in der Vorhersagbarkeit des Transformationserfolges auch bei wechselnden Akteurskonstellationen.

Ursachen von Transformation

Legitimitätskrise wegen wirtschaftlicher Ineffizienz

Die Legitimation totalitärer Systeme ist häufig unmittelbar an die wirtschaftliche Lage gekoppelt. Bei anhaltender Ineffizienz des ökonomischen Systems kann das Regime in eine Legitimitätskrise gelangen, welche Ursache einer Transformation sein kann. Beispiel: fehlgeschlagene wirtschaftliche Modernisierung Perestroika, DDR.

Legitimitätskrise wegen wirtschaftlicher Effizienz

Nach der Modernisierungstheorie verändert wirtschaftliches Wachstum die Sozialstruktur einer Gesellschaft: Der Rückgang des Agrarsektors und die Zunahme des Dienstleistungssektors resultiert im Einflussverlust der reaktionären Großgrundbesitzer und im Einflussgewinn des wohlhabenden Bildungsbürgertums. Letzteres drängt auf Partizipationsrechte am politischen System und ist wesentlicher Faktor der Einleitung einer Transformation.

Legitimitätskrise aufgrund von Schlüsselereignissen

Schlüsselereignisse wie der Tod eines Diktators oder politische Skandale können in Legitimitätsverlust enden. Korruption und Menschenrechtsverletzungen können ebenfalls zum Anwachsen von Protestbewegungen führen, die das Regime unter Transformationsdruck bringen. Beispiele sind der Tod Stalins, oder der Gongadze-Skandal in der Ukraine, der das Ende der Ära Kutschmas einleitete.

Kriegsniederlage

Die militärische Niederlage oder Kapitulation eines Landes ist häufige Ursache für dessen Transformation. Es wird unterschieden, ob die Transformation von der Besatzungsmacht eingeleitet wird (Beispiel Deutschland 1945, Japan 1945) oder ob die Niederlage einer Besatzungsmacht die Transformation des besetzten Landes bewirkt (Beispiel Niederlande oder Norwegen nach dem Zusammenbruch der deutschen Besatzung während des Zweiten Weltkrieges).

Wegfall externer Unterstützung

Sind politische Regime von der Unterstützung eines externen Akteurs abhängig, so führt der Wegfall von Supports zur Transformation. So hatte die Abschaffung der Breschnew-Doktrin durch Gorbatschow wesentlichen Einfluss auf die Abspaltung und Transition der baltischen Staaten. Ebenfalls könnte die Demokratische Volksrepublik Korea unter Transformationsdruck gelangen, würden wirtschaftliche und politische Unterstützungsleistungen durch China wegfallen.

Dominoeffekt Der zeitgleiche Zusammenbruch der kommunistischen Systeme Osteuropas in regionalen Wellen führte zur Entstehung der Domino-Theorie. Beispiel ist aber auch die rasche Transformation zu einem kommunistischen Systemen während der Nachkriegszeit (Demokratische Volksrepublik Korea, Vietnam u.a.)

Verlaufsformen der Transformation

gradual-evolutionär

Transformation kann als evolutionärer Prozess verlaufen. Dies ist insbesondere in der ersten Demokratisierungswelle der Fall gewesen, in welcher sich beispielsweise Wahlrecht und andere Partizipationsrechte der Bürger gradual und nicht revolutionär herausbildeten.

von unten erzwungene Transformation

Wenn der Protest breiter Massen von dem herrschenden Regime nicht zurückschlagbar ist, kommt es in der Regel zur völligen, oftmals gewalttätigen Entmachtung der alten Elite.

von alten Eliten gelenkte Transformation

Wenn die alten Eliten die Transformation initiieren, können sie oftmals ihre politische Macht in das neue System hinüberretten. Beispiel: Weimarer Republik 1918, Perestroika, Südafrika 1990

ausgehandelter Systemwechsel

Entsteht zwischen Regimeeliten und Regimeopposition eine Pattsituation, kann eine neue politische Herrschaftsform ausgehandelt werden. Voraussetzung ist das rationale Handeln jedes beteiligten Akteurs. Beispiel: Polen 1988.

Regime-Kollaps

Einen Regime-Kollaps rufen zumeist externe Ursachen wie militärische Niederlagen hervor. Werden dabei keinen neuen Eliten ausgebildet, die das alte System transformieren oder stabilisieren könnten, kommt es zum völligen Zusammenbruch. Beispiele: DDR 1989, Sowjetunion 1991

Neugründung von Staaten

Zerfallen Bundesstaaten oder Imperien nach einem Kollaps des Regimes in einzelne Staatengebilde, so können Staatenneugründungen erfolgen. Beispiele sind die Neugründungen nach der Auflösung der Sowjetunion: Weißrussland, Ukraine sowie zentralasiatische und teilweise baltische Staaten.

Strategien zur Transformation

Neoklassischer Ansatz

Der neoklassische Ansatz greift auf die Transformationstheorien der Bretton Woods - Institutionen zurück, die Ende der 80-er Jahre entstanden und auf den Erfahrungen der Transformation südamerikanischer Regime basieren. Die Bretton Woods Institutionen (United States Treasury, IWF, Weltbank) manifestierten diese Erfahrungen als "common wisdom" im Washington Consensus, welcher folgende globale Punkte als Transformationsstrategie darlegt:

  • makroökonomische Stabilisierung
  • Privatisierung
  • Stabilisierung

Die detaillierte Strategie des Washington Consensus umfasst folgende 10 Punkte:

  • Finanzielle Disziplin
  • Ausgabenbegrenzung im politischen Sektor, Ausgabenerweiterung in rentablen Wirtschaftssektoren
  • Erweiterung der Steuerbasis
  • Finanzliberalisierung
  • Sicherung der Wechselkursrate
  • Auflösung von Handelsrestriktionen
  • Ausländisches Direktinvestment (FDI)
  • Privatisierung von Staatsunternehmen
  • Deregulierung, insbesondere Aufhebung von Beschränkungen für Firmengründungen und Wettbewerb
  • Institutionalisierung von Eigentumsrechten

Zur Umsetzung des Washington Consensus existieren zwei Strategien: Schocktherapie und Gradualismus. Die Schocktherapie führt eine simultane Umgestaltung aller Teilordnungen des Gesellschaftssystems und Wirtschaftssystems in der Frühphase der Transformation durch. Vertreter der Schocktherapie sagen, dass kommunistische, autoritäre und bürokratische Strukturen des alten Systems nur schlagartig und simultan aufgebrochen werden können, da ansonsten eine Restauration des alten Systems wieder eintrete. Der Gradualismus tritt für eine allmähliche und langfristige Umgestaltung der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Sphäre ein. Er argumentiert, dass Teile der wirtschaftlichen Umgestaltung einander bedingen. Beispielsweise führe die Privatisierung eines Monopols ohne entwickelten marktwirtschaftlichen Wettbewerb nur zur Ersetzung des staatlichen Monopols durch ein privates. Sundhausen: "Der Schock wirkt, die Therapie nicht".

Die Umsetzung des Washington Consensus stellt eine Kondition (Bedingung) für die Vergabe von Krediten durch den IWF dar. Der Washington Consensus wurde größtenteils während der Transformation in den ehemaligen Sowjetrepubliken umgesetzt. Der Erfolg des Washington Consensus als Transformationsstrategie ist umstritten.

Kritik am neoklassischen Ansatz

Die Kritik am neoklassischen Ansatz und insbesondere am Washington Consensus bemängelt hauptsächlich die Konzentration auf den wirtschaftlichen Aspekt an der Transformation, anstatt Lösungsansätze für die politische und gesellschaftliche Umgestaltung darzulegen:

  • Der Washington Consensus ist auf die Reform marktwirtschaftlicher Länder zugeschnitten und kann deshalb keine Transformationsstrategie für kommunistische Regime sein.
  • Der Washington Consensus gründet auf Erfahrungen in Lateinamerika der 80-er Jahre und kann deshalb nicht auf andere Kulturkreise angewandt werden.
  • Der neoklassische Ansatz ignoriert den Aufbau wirtschaftlicher und politischer Institutionen.
  • Liberalisierung und Privatisierung können die für ihre Regulierung nötigen Institutionen nicht selbst hervorbringen.
  • Die Umsetzung in den osteuropäischen postkommunistischen Staaten nach 1991 führte mit der Deregulierung des staatlichen Ordnungseinflusses zu einem Übermaß an Wettbewerb und verursachte damit Wohlstandsdisparitäten und Verarmung der Bevölkerung.

Literatur

  • Grzegorz Kolodko: „Transition to a market economy and sustained growth“, in: Communist and post-communist politics and societies, H. 32, 1999, S. 223 ff.
  • Jerzy Macków: Totalitarismus und danach, Nomos, Baden-Baden 2005
  • Wolfgang Merkel: Systemtransformation. Eine Einführung in die Theorie und Empirie der Transformationsforschung. Opladen 1999
  • Vilfredo Pareto: Trasformazione della democrazia, 1921
  • Eberhard Sandschneider: Stabilität und Transformation politischer Systeme. Stand und Perspektiven politikwissenschaftlicher Transformationsforschung, Opladen 1995
  • Georg Vobruba: Jenseits der sozialen Fragen. Modernisierung und Transformation von Gesellschaftssystemen, Frankfurt am Main 1991

Siehe auch


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