Tricoteuse

Tricoteuse
Zeitgenössische Karikatur des Briten George Cruikshank über die Sansculotten an der Guillotine.

Als Tricoteuses ([tʁikɔtøːz], französisch; „Strickerinnen“) wurden während der Französischen Revolution politische Aktivistinnen aus den Kreisen der Sansculottes bezeichnet, die an den Orten des revolutionären Geschehens auftraten und die Positionen der Jakobiner und Enragés militant unterstützten.

Inhaltsverzeichnis

Der Begriff

Die Begriffsprägung von Revolutionärinnen als Strickerinnen ist rückführbar auf einen Erlass des Sekretärs der Pariser Kommune, Pierre-Gaspard Chaumette, vom 22. Dezember 1793:

„Der Rat hält fest, dass die patriotischen Bürgerinnen des 5. und 6. Oktober bei allen Bürgerfeiern einen besonders gekennzeichneten Platz haben werden und dass vor ihnen ein Banner sein wird mit der Aufschrift, die man auf dem Triumphbogen des Boulevards liest: ‚Wie ein Tier haben sie den Tyrannen vor sich her gejagt‘ sowie ‚Frauen des 5. und 6. Oktober‘. Und sie werden mit ihren Ehegatten und Kindern teilnehmen und sie werden stricken.[1]

Der Begriff wird ebenfalls mit dem Bild strickender Frauen auf der Tribüne des Nationalkonvents in Verbindung gebracht, die das Öffentlichkeitsprinzip seiner Sitzungen einlösten, lautstark Maximilien de Robespierre unterstützten und dafür 50 Sous am Tag erhalten haben sollen. Einen besonders markanten Eindruck hinterließ der Auftritt der Tricoteuses am Fuß der Guillotine. Der Scharfrichter von Paris, Charles Henri Sanson, beschrieb dies in seinen Lebenserinnerungen:

„Zur Richtstätte kamen immer die gleichen Zuschauer, im wesentlichen radikale Sansculottes aus den Faubourgs Saint-Antoine und Saint-Marcel: Handwerker, kleine Gewerbetreibende, kurz, Leute aus dem Volk, die sich durch eine drastische Sprache und unkompliziertes Benehmen auszeichneten – das revolutionäre ‚Du‘ wurde hier früh zur allgemein gebräuchlichen Anrede. Die Frauen aus diesem Milieu waren die berüchtigten Tricoteuses, die mit ihrem Strickzeug auf Bänken an der Guillotine saßen und Witze rissen, während sie auf die Verurteilten warteten; bei passender Gelegenheit vergriffen sie sich auch an Passanten, wenn diese nur aristokratisch aussahen.[2]

Ein revolutionärer Frauenclub, 1791.

Die strickenden Frauen

Um als Tricoteuse zu gelten, musste eine Frau nicht in jedem Fall ihre politische Aktivität mit Strickzeug begleiten, der Name ging über seine eigentliche Bedeutung hinaus. Wie die Poissardes („Fischweiber“) des Zugs nach Versailles am 5./6. Oktober 1789 und die Blanchisseuses („Weißwäscherinnen“) der Preisunruhen am 25. Februar 1793, die ebenfalls aus der Kleinbürgerschicht oder der Arbeiterklasse stammten und – worauf Chaumettes Dekret hinweist – wenigstens teilweise mit ihnen identisch waren, standen die Tricoteuses in herausragender Weise für den Umsturz, da sie neben der alten Ordnung auch die Geschlechterordnung bedrohten, die selbst die Revolutionsbehörden nicht in Frage stellten und mit dem Verbot politischer Frauenvereinigungen am 30. Oktober 1793 ausdrücklich schützten. Das Stricken wurde in Literatur und Geschichtsschreibung ursprünglich als Mittel gedeutet, sich die Zeit zu vertreiben, und markierte dabei als typische Betätigung der weiblichen Privatsphäre den Graben zum Anspruch auf Teilhabe am öffentlichen, männlichen Raum. Mittlerweile deutet die Geschlechterforschung das Stricken als Zeichensetzung in männlich beherrschten Bereichen. Indem eine geschlechtsspezifische soziale Praxis in den Bereich der Revolutionssymbolik übertrat, platzierte sich die weibliche Lebens- und Arbeitswelt als Gegenstand und Handlungsträger der Politik, von der die Frauen mangels Wahl- und Stimmrechts ausgeschlossen waren. Die Auftritte der Tricoteuses waren besonders intensiv während der Hochphase der Revolution, der Terreur von 1793/94, die eine Vervielfachung revolutionärer Praktiken mit sich brachte. Die unübersehbare Anwesenheit der Tricoteuses an den Hinrichtungen ist vor dem Hintergrund der Revolutionskulte zu sehen, für deren Anhänger die Guillotine „heilig“[3] und der Mittelpunkt „roter Messen“ sein konnte.

Rezeption und Bedeutung

Die weiblichen Sansculotten fanden als Tricoteuses de Robespierre („Robespierres Strickweiber“) und Furies de la Guillotine („Rachegöttinnen der Guillotine“) einen dauerhaften Platz in revolutionsfeindlichen und restaurativen Schriften, für die sie „eins der gefährlichsten und ekelhaftesten Elemente revolutionärer Aufregung bildeten“.[4] Bis in die Gegenwart steht der Begriff in der französischen und englischen Sprache metaphorisch für eine Frau mit radikaler politischer Haltung. In Literatur und Kunst sind die Tricoteuses immer wieder zu finden. Louis-Sébastien Mercier beschrieb in der zweiten Folge des Tableau de Paris ihre Geschichte, Charles Dickens zeichnete in seinem Roman A Tale of Two Cities die selbstzerstörerische Hauptfigur der Thérèse Defarge als Tricoteuse, die ein unerbittliches Verlangen nach Rache an allen Aristokraten und anderen Gegnern der Revolution antreibt. Die Figur wird in Mel Brooks' Film History of the World aufgenommen, wo die auch ohne Wolle mit ihren Nadeln hantierende Madame Defarge der Kopf der revolutionären Verschwörung ist. Ian Fleming verwendet das Rollenklischee der Tricoteuse mehrfach in seinem Roman From Russia, With Love (1957) zur Charakterisierung von James Bonds Gegenspielerin, der sowjetischen Agentin Rosa Klebb: Im letzten, auch ausdrücklich mit La Tricoteuse überschriebenen Kapitel versucht die (als Aristokratin verkleidete) Klebb schließlich sogar, Bond mittels vergifteter Stricknadeln zu beseitigen. In David Bowies Song Candidate aus dem Album Diamond Dogs erscheint die Textzeile I smell the blood of les tricoteuses.

Literatur

  • Dominique Godineau: Citoyennes tricoteuses. Les femmes du peuple à Paris pendant la Révolution française. Alinéa, Aix-en-Provence 1988 (= Femmes et révolution; Librairie du bicentenaire de la Révolution française), ISBN 2-904631-53-4. (französisch)
  • Irmgard Elsner Hunt: Zwei glatt, zwei kraus: Revolutionäre (Un)Geduld und La durée. Stricken in der Literatur als Ausdruck bestimmter Seinsmodalitäten. In: The German Quarterly. GQ. A journal of the American Association of Teachers of German. American Association of Teachers of German (Hrsg. u. Verl.), Cherry Hill (New Jersey/USA), ISSN 0016-8831, Ausg. 67, 2 (1994), S. 235–249.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. « Le conseil arrête que les citoyennes patriotes des 5 et 6 octobre auront une place marquée dans les cérémonies civiques, et qu'elles seront précédées d'une bannière portant l'inscription qu'on lit sur l'arc de triomphe du boulevart:Ainsi qu'une vile proie, elles ont chassé le tyran devant elles; et de l'autre: Femmes des 5 et 6 octobre; qu'elles y assisteront avec leurs époux et leurs enfans, et qu'elles tricoteront. » Zitiert nach E. Lairtullier, Les femmes célèbres de 1789 à 1795: et leur influence dans la révolution …, Paris 1840, online abrufbar über Google Book Search. Die ironische Wendung am Ende des Erlasses deckt sich mit Chaumettes sonstiger Agitation gegen ein politisches Engagement von Frauen.
  2. Zitiert nach Charly Kneffel, Aus der Sicht des Fachmanns. Als Scharfrichter während der Französischen Revolution (Rezension zu Chris E. Paschold und Albert Gier (Hrsg.): Der Scharfrichter. Insel Verlag, 1989 Der Scharfrichter; online abrufbar).
  3. Jacques-René Hébert: Le Père Duchesne, N°345 (17. März 1792), zitiert nach Reichardt / Schmitt, Handbuch politisch-sozialer Grundbegriffe in Frankreich, 1680–1820, Heft 19/20, S. 57, online abrufbar über Google Book Search.
  4. Zitiert nach Johann Wilhelm Zinkeisen, Der Jakobiner-klub: Ein Beitrag zur Geschichte der Parteien und der politischen Sitten im Revolutions-Zeitalter, Zweiter Theil, Berlin 1853, S. 687, online abrufbar über Google Book Search.

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