Trübsinn

Trübsinn
Landschaft als Metapher der Seele, Mondaufgang über dem Meer, Caspar David Friedrich, Öl auf Leinwand, 1822.

Das Wort Melancholie leitet sich von dem griechischen Begriff melancholia ab, was so viel wie „schwarze Galle“ bedeutet. Es bezeichnet einen seelischen Zustand von Schwermut oder Traurigkeit, der in der Regel auf keinen bestimmten Auslöser oder Anlass zurückgeht. In Bezug auf eine psychische Disposition oder ein Krankheitsbild ist der Begriff Melancholie im 20. Jahrhundert weitgehend durch den Begriff der Depression ersetzt worden. Der Begriff Melancholie hat aber unterschiedliche Bedeutungen und wird in Philosophie, Medizin, Psychologie, Theologie und Kunst behandelt.

Inhaltsverzeichnis

Bezug zur Medizin(-Geschichte)

Die historische Entwicklung des Melancholie-Begriffs hat ihren Ausgangspunkt in der antiken Humoralpathologie (oder Viersäftelehre), die dem griechischen Arzt Hippokrates von Kós zugeschrieben wird. Er erklärte die melancholia (griechisch: μελαγχολια) als einen Überschuss an schwarzer, verbrannter Galle, der sich ins Blut ergießt (μελας, melas, „schwarz“, + χολη, cholé, „Galle“). Die Melancholie war nach Hippokrates eines der vier Temperamente des Menschen (Melancholiker).

Galen (2. Jahrhundert n.Chr.), der das medizinische Wissen seiner Zeit zusammenfasste und den Vorstellungen der Hippokratiker folgte, sah den Ursprung der Melancholie ebenfalls in einem Überschuss an schwarzer Galle, einer der vier Körpersäfte oder humores, die in der Milz und den Hoden produziert werde. Sie bestimme in der Temperamentenlehre den Charakter der Melancholiker und korrespondiere mit dem Element Erde, dem Herbst, dem Erwachsenenalter, dem Nachmittag und in der mittelalterlichen Auffassung mit den Sternbildern Waage, Skorpion, Schütze.

Die Melancholie wird in der damaligen Literatur durchweg negativ gesehen. Lediglich ein Fragment mit dem Titel „XXX,1“, zeitweise dem Aristoteles zugeordnet, vermutlich aber von Theophrast verfasst, äußerte sich als einziges antikes Zeugnis auch positiv über die Melancholie, wo diese zur Voraussetzung für den „göttlichen Wahnsinn“ (mania) wird. Warum sind alle hervorragenden Männer, ob Philosophen, Staatsmänner, Dichter oder Künstler, offenbar Melancholiker gewesen? Dieser Gedanke sollte später die Genieästhetik des 18. und 19. Jahrhunderts stark beeinflussen.

In der Renaissance wurde vor allem durch die Schriften von Marsilio Ficino und Agrippa die Auffassung populär, die Melancholiker stünden unter dem Einfluss des Planeten Saturn.

Mit der Entdeckung des Blutkreislaufs 1628 durch den englischen Forscher William Harvey entsprachen bis dahin verbreitete Theorien zum körperlichen Ursprung der Melancholie nicht mehr dem wissenschaftlichen Stand der Zeit. Der Begriff und seine Assoziationen übten aber, genau wie die Viersäftelehre, weiterhin Einfluss auf die verschiedensten Wissensgebiete aus.

Bezug zur Psychologie

In seinem Aufsatz Trauer und Melancholie von 1917 grenzt Sigmund Freud die Melancholie von der Trauer ab: Sie sei dadurch gekennzeichnet, dass die Herabsetzung des Selbstgefühls nicht durch die positive Trauerarbeit behoben wird. Die Melancholie ist seelisch ausgezeichnet durch eine tief schmerzliche Verstimmung, eine Aufhebung des Interesses für die Außenwelt, durch den Verlust der Liebesfähigkeit, durch die Hemmung jeder Leistung und die Herabsetzung des Selbstgefühls, die sich in Selbstvorwürfen und Selbstbeschimpfungen äußert und bis zur wahnhaften Erwartung der Strafe steigert. Diese selbstzerstörerischen Aspekte sieht Freud als Ursache für die Suizidgefährdung der Melancholiker.

In der modernen Psychologie ist der Begriff der Melancholie fast völlig durch den Begriff Depression ersetzt worden.

Bezug zur Religion

Im Mittelalter wurde die Melancholie als Mönchskrankheit bekannt. Sie wird auf Lateinisch als Acedia bezeichnet und ist ein häufiges Thema in der theologischen Literatur, zum Beispiel bei Thomas von Aquin in der Summa Theologica (vgl. II/II, qu. 35). Die früheste Beschreibung des Acedia-Phänomens stammt vermutlich von Evagrius Ponticus, der als frühchristlicher Anachoret in Ägypten lebte. Beschrieben wird unter anderem die Heimsuchung durch den Dämon des Mittags. Johannes Cassian übernimmt Evagrius' Ansätze und gibt diese an Thomas von Aquin weiter. Sie galt gleichzeitig als eine der sieben Todsünden. Im Protestantismus des 16. Jahrhunderts erfuhr die Melancholie dann eine gewisse Umdeutung: Sie galt nicht mehr in erster Linie als zu vermeidende Sünde, sondern als eine Versuchung des Teufels, die der Gläubige wie eine Prüfung bestehen müsse. Gerade das zeitweise Versinken in Verzweiflungszuständen erschien vor diesem Hintergrund als eine Bestätigung der Ernsthaftigkeit des eigenen Glaubens. Auf der anderen Seite erkannte man auch die zerstörerische Kraft der Melancholie und empfahl als Therapie geistliche Mittel wie Gebete oder geistliche Lieder und weltliche Zerstreuung durch Musik (nach dem biblischen Vorbild von David und Saul) und heitere Gesellschaft. Dabei spielte auch die persönliche Erfahrung Luthers, der häufig von Schwermut überfallen wurde, eine stilbildende Rolle. Luther und seine Nachfolger aus der protestantischen Orthodoxie des 16. Jahrhunderts haben sich in zahlreichen Trostschriften mit der Melancholie auseinandergesetzt. In der ab der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts einsetzenden Propaganda der Gegenreformation wurde die Melancholie deswegen häufig als typische Krankheit der Protestanten bezeichnet.

Bezug zur Literatur

Die Melancholie ist ein großes Thema der Weltliteratur. Sie durchzieht die gesamte Literaturgeschichte. Zu den Melancholikern zählen literarische Größen wie Walter von der Vogelweide (Melancholiepose - Ich saß auf einem Steine), Michelangelo Buonarotti, Jean-Jacques Rousseau und Friedrich Nietzsche. Unter den Dichtern der Romantik ist Nikolaus Lenau einer der reinsten Melancholiker. Poesie und Musik gelten als Therapieformen der Melancholie, spätestens seit Marsilio Ficino.

Bezug zur Lyrik

Bezug zur Bildenden Kunst

Die Darstellung der Melancholie und des Melancholischen projiziert oftmals die innere Schwermut in die Außenwelt. Dies kann die Verortung des Selbst in einer Landschaft sein, in einem Zimmer, in einem allegorischen oder symbolischen Raum. Im 16. Jahrhundert prägt Dürers rätselhafter Holzschnitt Melencolia I das allegorische Inventar der Melancholie-Darstellung für viele folgende Epochen. In Vanitas-Darstellungen wird die Leblosigkeit der Objekte als Fehlen menschlicher Gemeinschaft betont.

Neben dem melancholischen Einklang der Seele mit einer Landschaft, insbesondere in der Romantik, finden sich viele weite Räume und Landschaften, oft auch eine merkwürdig ziellose oder verschobene Perspektive, ob bei Lucas Cranach dem Älteren, Edvard Munch oder Giorgio de Chirico.

Literatur

  • Roland Lambrecht: Der Geist der Melancholie - Eine Herausforderung philosophischer Reflexion Wilhelm Fink Verlag, München 1996 ISBN 3-7705-2925-1
Robert Burton: Anatomie der Melancholie (1621)
  • Marsilio Ficino: De vita libri tres. 1489 (auch unter dem Titel De triplici vita; insbesondere Kapitel IV: Quot sint causae quibus litterati melancholici sint vel fiant)
  • Robert Burton: The Anatomy of Melancholy. (Die Anatomie der Schwermut) 1621.
    • Deutsche Neuübersetzung mit einem Essay von Ulrich Horstmann. Eichborn, Frankfurt am Main 2003. ISBN 3-8218-4529-5
  • Gundolf Keil: „weme daz herze von leids wegen wê tuot“. Psychiatrisches in altdeutschen Rezepten, in: Depression in Kindheit und Jugend, hrsg. von Hans-Jürgen Friese und Götz-Erik Trott, Bern, Stuttgart und Toronto 1988, S. 11-21
  • Henning Mehnert: Melancholie und Inspiration: begriffs- und wissenschaftsgeschichtliche Untersuchungen zur poetischen „Psychologie“ Baudelaires, Flauberts und Mallarmés; mit einer Studie über Rabelais. Winter, Heidelberg 1978. ISBN 3-533-02611-6
  • Ludwig Völker: Muse Melancholie - Therapeutikum Poesie. Fink, München 1978. ISBN 3-7705-1309-6.
  • Ludwig Völker: „Komm heilige Melancholie“ - Eine Anthologie deutscher Melancholie- Gedichte. Reclam, Stuttgart 1983. ISBN 3-15-007984-5.
  • Raymond Klibansky, Erwin Panofsky und Fritz Saxl: Saturn und Melancholie - Studien zur Geschichte der Naturphilosophie und Medizin, der Religion und der Kunst. Suhrkamp, Frankfurt a.M. 1990. ISBN 3-518-28610-2.
  • Jean Starobinski: Die Melancholie im Spiegel. Baudelaire-Lektüren. Hanser Verlag, München 1992. ISBN 3-446-15983-5.
  • Johann Anselm Steiger: Melancholie, Diätetik und Trost. Konzepte der Melancholie-Therapie im 16. und 17.Jahrhundert. Manutius Verlag, Heidelberg 2001. ISBN 3-925678-62-X.
  • Julia Kristeva: Schwarze Sonne. Depression und Melancholie. Suhrkamp, Frankfurt/M. 1998. ISBN 3-518-11594-4.
  • Rene Derveaux: Melancholie im Kontext der Postmoderne. wvb, Berlin 2002. ISBN 3-932089-98-7.
  • László Földényi: Melancholie. Matthes & Seitz, München 1988.
  • Melancholie. Genie und Wahnsinn in der Kunst. Katalog der Ausstellung in Paris und Berlin 2005/2006. ISBN 3-7757-1647-5.

Weblinks


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