Unbestimmtheitsprinzip

Unbestimmtheitsprinzip
Heisenberg und die Gleichung der Unschärferelation auf einer deutschen Briefmarke

Die heisenbergsche Unschärferelation oder Unbestimmtheitsrelation ist die Aussage der Quantenphysik, dass zwei Messgrößen eines Teilchens nicht immer gleichzeitig beliebig genau bestimmbar sind. Das bekannteste Beispiel für ein Paar solcher Messgrößen sind Ort und Impuls. Die Unschärferelation ist nicht die Folge von Unzulänglichkeiten eines entsprechenden Messvorgangs, sondern prinzipieller Natur. Sie wurde 1927 von Werner Heisenberg im Rahmen der Quantenmechanik formuliert.

Inhaltsverzeichnis

Zwei Bedeutungen

Nach Heisenberg und Niels Bohr ist der Begriff bzw. die Definition der Unschärfe immer bezogen auf den jeweils individuell betrachteten Messprozess. Historisch gesehen gibt es im Wesentlichen zwei gängige Bedeutungen bzw. Interpretationen des Begriffes Unschärfe:

Im einen Fall betrachtet man Gesamtheiten von vielen Teilchen, an denen nach gleicher Präparation jeweils Streuungsmessungen von z.B. Ort oder Impuls der Teilchen durchgeführt werden. Unschärfe bedeutet dann die Standardabweichung der jeweils erhaltenen Messwerte.

Die von Heisenberg ursprünglich publizierte Definition der Unschärfe bezieht sich hingegen auf die Betrachtung von individuellen Teilchen. Der Begriff der Unschärfe ist in dieser Betrachtungsweise mathematisch gesehen kein statistischer Erwartungswert (d. h. keine Standardabweichung), sondern steht im Zusammenhang mit der Genauigkeit der verwendeten Messapparatur, vgl. beispielsweise die Ortspräparation am Einzelspalt.[1]

Drei Aussagen

Unter dem Begriff des Unschärfeprinzips werden die folgenden drei Aussagen zusammengefasst, die zwar miteinander verwandt sind, jedoch physikalisch unterschiedliche Bedeutung haben.[2] Sie sind hier beispielhaft für das Paar Ortsmessung und Impulsmessung notiert.

  1. Es ist nicht möglich, ein Quantenobjekt in einem Zustand zu präparieren, bei dem die Position und der Impuls beliebig genau definiert sind. Diese Unschärfe lässt sich als unmittelbare Konsequenz der Wellennatur der Materie in der Quantenphysik interpretieren.
  2. Es ist nicht möglich, die Position und den Impuls eines Quantenobjektes gleichzeitig exakt zu messen.
  3. Die Messung der Position eines Quantenobjektes ist zwangsläufig mit einer Störung seines Impulses verbunden, und umgekehrt.

Jedes dieser drei „no-go“-Theoreme lässt sich quantitativ in Form so genannter Unschärfe-Relationen formulieren, die eine untere Grenze für die minimale erreichbare Unschärfe der Präparation bzw. Messung angeben.

Auch zwischen anderen Paaren physikalischer Größen können Unschärferelationen gelten. Die Voraussetzung dafür ist, dass der Kommutator der beiden den Größen zugeordneten quantenmechanischen Operatoren nicht Null ist.

Folgende Analogie verdeutlicht die Unbestimmtheit: Nehmen wir an, dass wir ein zeitveränderliches Signal, zum Beispiel eine Schallwelle, haben und wir die genaue Frequenz dieses Signals zu einem bestimmten Zeitpunkt messen wollen. Das ist unmöglich, denn um die Frequenz exakt zu ermitteln, müssen wir das Signal über eine gewisse Zeitspanne beobachten, und dadurch verlieren wir Zeitpräzision. Das heißt, ein Ton kann nicht innerhalb nur einer beliebig kurzen Zeitspanne da sein, wie etwa ein kurzer Impuls, und gleichzeitig eine exakte Frequenz besitzen, wie sie etwa ein ununterbrochener reiner Ton hat. Die Dauer und die Frequenz der Welle sind analog zum Ort und Impuls eines Teilchens zu betrachten.

Ungleichungen

Die Unschärferelation bezüglich Ort und Impuls ist der bekannteste Vertreter einer Gruppe von Unschärfebeziehungen, die ein grundlegendes Prinzip der modernen Physik darstellen. Gemäß dieser Beziehung wird jeweils ausgehend von einer Teilchengesamtheit die Unschärfe des Ortes x und des Impulses p durch deren statistische Streuung σx und σp gemessen. Die Unschärferelation besagt in diesem Fall[1][3]

\sigma_x\sigma_p\ge\frac{\hbar}{2}\,, \quad\quad\quad\quad (1)

wobei \hbar = h/2\pi, h das plancksche Wirkungsquantum und π die Kreiszahl ist. Bei dieser Relation bezieht sich die Messung der Streuungen σx und σp auf eine Gesamtheit von Teilchen die jeweils im gleichen Ausgangszustand (ψ) sind. Im Rahmen des mathematischen Formalismus ergeben sich die Wahrscheinlichkeitsverteilungen für Orts- und Impulsmessungen und damit die Standardabweichungen aus den zugehörigen Wellenfunktionen. Die Relation (1) folgt dann aus dem Umstand, dass die Wellenfunktionen bezüglich Ort und Impuls über eine Fourier-Transformation miteinander verknüpft sind. Die Fourier-Transformierte eines lokal begrenzten Wellenpakets ist nun wiederum ein Wellenpaket, wobei das Produkt der Paketbreiten einer Beziehung gehorcht, die der obigen Ungleichung entspricht. Aufgrund ihrer mathematisch stringenten Herleitbarkeit im Rahmen der Quantenmechanik erlangte diese Ungleichung u. a. ihre Bedeutung in der Lehrbuchliteratur.

Messungen an Einzelobjekten

Schematische Darstellung der Beugung am Spalt. Die Genauigkeit Δx der Ortsmessung entspricht der Breite des Spaltes.

Eine andere, von Heisenberg ursprünglich publizierte Relation bezieht sich nicht auf Messungen an Teilchengesamtheiten, sondern auf die Betrachtung von einzelnen Objekten.[1][4] Der Begriff der Unschärfe von Ort und Impuls wird in diesen Fällen nicht durch die statistische Streuung dargestellt. Ein von Heisenberg und Bohr in diesem Zusammenhang häufig diskutiertes Gedankenexperiment ist die sequenzielle Orts- und Impulsmessung eines Teilchens am Einfachspalt: Der Impuls p des betrachteten Objektes wird dabei zunächst als bekannt vorausgesetzt (monochromatische Welle). Dann wird der Strahl möglicher Elektronenbahnen durch einen Schirm mit einem Spalt der Breite Δx ausgeblendet (siehe Abbildung rechts). Geht das Objekt durch den Spalt hindurch, so ist in diesem Moment sein Ort in Richtung parallel zum Schirm mit der Genauigkeit Δx des Spaltes festgelegt, - es findet eine Reduktion der Wellenfunktion statt. Die Ausblendung des Strahls ist mit einer räumlichen Ablenkung des Objektes um den (zufälligen) Öffnungswinkel α verbunden (Beugung) und die Ränder des Spaltes sind nach dem huygensschen Prinzip jeweils Ausgangspunkte für Elementarwellen.

Nun werden die folgenden Voraussetzungen getroffen:

  1. Der Ablenkungswinkel α ist eine Zufallsgröße, die bei jedem Teilchen einen anderen Wert annehmen kann.
  2. Es gilt die Formel von de Broglie:
     \lambda = \frac{h}{p} .
  3. Damit das erste Interferenzminimum auf dem Schirm noch optisch erkennbar ist, muss der Gangunterschied etwa mindestens so groß sein wie die De-Broglie-Wellenlänge des Teilchens, d. h.
    \Delta x\cdot\sin\alpha\gtrsim\lambda.
  4. Es werden nur Teilchen betrachtet, deren Ablenkungswinkel α einem Impuls entsprechen, der innerhalb des vorgegebenen Impulsintervalls Δp (keine Zufallsgröße) des ersten Beugungsminimums auf der Impulsskala liegt. Formal sind das genau diejenigen, welche der folgenden Bedingung genügen:
     p \cdot\sin\alpha\le \Delta p.

Die letzten beiden Relationen ergeben zusammen mit der Formel von de-Broglie die folgende Restriktion für die gemäß Heisenberg betrachteten Streuwinkel:

\frac{h}{p\Delta x}\lesssim\sin\alpha\le\frac{\Delta p}{p}.

Werden nun ausschließlich die äußeren Terme in diesem Ausdruck betrachtet, so ergibt sich nach Multiplikation mit p·Δx die Relation von Heisenberg:[4]

\Delta x\Delta p\gtrsim h. \quad\quad\quad (2)

Es sei hier angemerkt, dass in der ersten historischen Herleitung am Einzelspalt von Heisenberg noch nicht das „>“-Zeichen verwendet wurde sondern „\scriptstyle\sim“. Erst später, in seiner 1930 gehaltenen Vorlesung in Chicago[1] wird das Ungleichheitszeichen von Heisenberg in diesem Zusammenhang ergänzt.

Ein wesentlicher Unterschied der beiden Ungleichungen (1) und (2) liegt insbesondere in dem jeweilig zugrunde gelegten Messprozess. Bei der „Streuungs-Relation“ (1) bezieht sich die Messung der Streuungen σx und σp auf unterschiedliche Experimente, für die jeweils der gleiche Ausgangszustand der Wellenfunktion ψ vorausgesetzt wird. Daher ist es im Allgemeinen nicht möglich, in diesem Fall von einem Einteilchenexperiment zu sprechen; denn der Zustand ψ des Teilchens wird durch die erste am Objekt vorgenommene Messung bereits verändert (Reduktion der Wellenfunktion).

Der physikalische Inhalt der Relation (2) kann nicht vollständig durch die „Streuungs-Relation“ (1) abgedeckt werden.[5] Letzteres liegt einerseits an der Unterschiedlichkeit der jeweils zugrunde liegenden Messprozesse. Andererseits ist aber auch nicht für jeden Messprozess die Endlichkeit der Streuungen in der Relation (1) gewährleistet. Nach der oben diskutierten Ortspräparation durch das Spaltexperiment ist beispielsweise die Verwendung der statistischen Streuung σp als Impulsungenauigkeit unbrauchbar, da deren Wert in diesem Fall unendlich ist. Ein notwendiges und hinreichendes Kriterium für alle Wellenfunktionen deren Impulsstreuungen σp nach einer Ortspräperation einen endlichen Wert ergeben wird in [6] diskutiert. Es zeigt sich, dass neben der ebenen Welle u. a. auch die gewöhnliche Gauß'sche Wellenfunktion zu einer unendlichen Impulsstreuung führt.

Neben diesen beiden genannten Relationen existiert auch eine Unschärferelation zwischen Energie und Zeit. Die Zeitunschärfe Δt ist dabei jedoch nicht als statistische Streuung definierbar, da die Zeit in der (Standard-) Quantenmechanik ein Parameter und kein Operator ist. In dem hier betrachteten Zusammenhang versteht man unter Δt beispielsweise die kurze Beobachtungsdauer (Messdauer), die bei einer Energiemessung an einem Quantenobjekt vorgegeben wird. In diesem Fall wird die mögliche Genauigkeit ΔE bei der Messung durch die sogenannte Energie-Zeit-Unschärferelation[1][4]

 \Delta E\Delta t \gtrsim h \quad\quad\quad (3)

begrenzt. Diese Relation gilt für einige typische Situationen (z. B. die Lebensdauer eines angeregten Zustands), sie bedeutet jedoch nicht, dass eine Energiemessung mit der Genauigkeit ΔE prinzipiell mindestens die Zeit Δt benötigt.[7] Auch für diese Art der Ungleichung gilt, dass ihre spezielle Form von dem jeweils zugrunde gelegten Messmodell abhängig ist.[8]

Der Messprozess und Interpretationen

Die den Ungleichungen (1) und (2) zugrundeliegenden Messprozesse repräsentieren zwei unterschiedliche Interpretationen der Quantenmechanik. Man unterscheidet entsprechend die Ensemble-Interpretation, in welcher der Teilchenzustand ψ als eine Teilchengesamtheit im rein statistischen Sinn interpretiert wird und daher eine Aussage über ein ganzes System macht, und andererseits die Kopenhagener Deutung, bei welcher der Teilchenzustand ψ ein einzelnes Teilchen vollständig beschreibt.

Die Ensemble-Interpretation

Ein „Ensemble“ ist die Gesamtheit aller identisch präparierten Teilchen. Das Präparationsverfahren gewährleistet dabei, dass die Teilchen der Stichprobe vor jeder Beobachtung (Messung) jeweils im gleichen Teilchenzustand ψ vorliegen. Sie dürfen in dem Experiment nicht miteinander wechselwirken, d. h. sie sind als unabhängig voneinander zu betrachten.

Im Rahmen dieser Interpretation ist folgendes Experiment möglich: Es wird eine Stichprobe der Größe N aus der Teilchengesamtheit des Zustandes ψ betrachtet und in zwei gleich große Teile zerlegt. An einem Teil der Stichprobe wird eine Eigenschaft gemessen, etwa den Ort x, und an dem anderen Teil der Stichprobe eine andere Eigenschaft, etwa den Querimpuls px. Mit diesen vielen Messwerten einer Eigenschaft, die man erhält, kann man nun Statistik betreiben. Man kann den Mittelwert und die Standardabweichung auf der Basis der Messwerte schätzen. Die Standardabweichung von Ort- und Impuls wird dann oft als σx und σp bezeichnet. In diesem Zusammenhang kann die heisenbergsche Unschärferelation folgendermaßen als no-go-Theorem formuliert werden:

Es ist nicht möglich, auch nur ein einziges Ensemble in einem Zustand ψ so zu präparieren, dass bei der eben beschriebenen Ensemblemittelung
\sigma_x\sigma_p < \frac{\hbar}{2}
wäre. Das heißt im Umkehrschluss, dass in wirklich allen Fällen das Resultat der Ensemble-Mittelung ≥ ħ/2 ist.

Dieses Theorem ist, bezogen auf das hier beschrieben Messverfahren, in der angegebenen Strenge genau dann gültig, wenn bei der statistischen Schätzung der Standardabweichungen σx und σp unendlich viele Messwerte berücksichtigt werden. Basiert die statistische Schätzung dieser Messgrößen nur auf endlichen Stichproben der Größe N, so wäre die Aussage des Theorems in dieser Strenge nicht gültig. Für sehr kleine Stichproben würde man sich sukzessive einem Einteilchenexperiment nähern, für welches die Ungleichung (1) keine Aussage macht.

Das Interessante an der Ensemble-Interpretation ist, dass in dieser Betrachtungsweise die heisenbergsche Unschärferelation mathematisch klar und eindeutig formuliert werden kann. Außerdem ist diese Interpretation wissenschaftlich anerkannt und gilt derzeit als „Minimaltheorie“, der die meisten Wissenschaftler zustimmen. Zudem gelingt eine Verbindung von Theorie und Experiment. Schließlich sind σx und σp relativ einfach über die Standardabweichung definiert.

Einteilchen-Interpretation (Kopenhagener Deutung)

Darstellung von Wahrscheinlichkeiten für Impulsmessungen. Messprozesse mit Wahrscheinlichkeiten die der Ungleichung (4) widersprechen sind unmöglich. Die Stufenfunktion ist eine schematische Darstellung für den Fall der Gleichheit in (2).

Für eine empirische Prüfung der Ungleichung (2) im Rahmen von Einteilchenexperimenten, wie sie Bohr und Heisenberg in Kopenhagen diskutierten (vgl. Kopenhagener Deutung), ist beispielsweise die Ortsmessung am Einfachspalt geeignet (so.). Wählt man darin die Spaltbreite Δx bzw. die Impulsgenauigkeit Δp derart aus, dass sie der Ungleichung (2) widersprechen, so würde ein einziges erfolgreiches Messereignis (eine Registrierung) genügen, um (2) zu falsifizieren. Dass eine solche Falsifikation möglich ist, wurde von Karl Popper 1934 in seinen erkenntnistheoretischen Abhandlungen zur Unbestimmtheitsrelation ausführlich erörtert.[9] In dem Einfachspaltexperiment ist beispielsweise die Wahrscheinlichkeit dafür, nach dem Passieren des Spaltes Δx den Impuls mit der Genauigkeit Δp zu registrieren formal durch

P(\Delta p|\Delta x;\psi) = \int_{-\Delta p/2}^{\Delta p/2} |\tilde\psi(p)|^2 dp

gegeben, wobei \tilde\psi(p) die Fourier-Transformierte des Teilchenzustandes \textstyle\psi(x) nach dem Spaltdurchgang im Ortsraum ist. Diese Wahrscheinlichkeit ist für alle Δp > 0 offensichtlich von null verschieden. Popper folgert daraus, dass die Relation (2) nicht stringent im Rahmen der Quantentheorie hergeleitet werden kann[10] und fordert, dass (2) nur wahrscheinlichkeitstheoretisch überprüft werden darf, ebd., S. 167. Ein formaler Ausdruck, welcher eine empirisch prüfbare Wahrscheinlichkeitsaussage zu (2) macht, wird von Popper in seiner Abhandlung nicht angegeben. Im Rahmen der Quantentheorie ist es jedoch möglich, eine wahrscheinlichkeitstheoretische Ungleichung mathematisch stringent herzuleiten. Formal ergibt sich dabei die Ungleichung[11]

P(\Delta p|\Delta x;\psi)\leq \operatorname{erf}\left(\frac{\sqrt{\pi}}{2}\frac{\Delta x\Delta p}{h}\right), \quad\quad\quad\quad (4)

wobei erf(·) die gewöhnliche Fehlerfunktion ist. Der Ausdruck Ppx;ψ) bezeichnet die quantenmechanische Wahrscheinlichkeit für eine erfolgreiche Impulsmessung mit der Genauigkeit Δp, wenn zuvor eine Präparation des Ortes mit der Genauigkeit Δx erfolgte (vgl. quantenmechanische Messung). Die Wellenfunktion ψ repräsentiert dabei einen beliebigen Teilchenzustand im Hilbertraum. Ist die Wahrscheinlichkeit Ppx;ψ) beispielsweise nahezu Null, so lassen sich Messereignisse mit den dabei gewählten Genauigkeiten nur in sehr selten Fällen registrieren. Im umgekehrten Fall, wenn die Genauigkeiten Δx und Δp so vorgegeben werden, dass die Messwahrscheinlichkeit nahezu 1 ist, dann ist eine Registrierung bei der Impulsmessung fast immer möglich. Für ein einzelnes Teilchen besagt (4) also, wie die Wahrscheinlichkeit Ppx;ψ) nach oben beschränkt ist. Es sei angemerkt, dass die Ungenauigkeiten Δx und Δp in (4) ausschließlich Eigenschaften des Messgerätes sind („Intervalle“) und mit dem beobachteten Teilchen nicht im Zusammenhang stehen. Betrachtet man beispielsweise diejenigen Messprozesse aus (2) für die ΔxΔp = h gilt, dann können gemäß (4) von den mit Δx präparierten Teilchen grundsätzlich nur höchstens 79 % mit einem Impuls innerhalb der Genauigkeit Δp registriert werden, denn \operatorname{erf}(\sqrt{\pi}/2)\, \approx\, 0{,}79 (vgl. Abbildung oben).

Eine empirische Prüfung von (4) ergibt sich wie folgt: Man betrachte eine Stichprobe von N Teilchen, die jeweils im gleichen Quantenzustand ψ sind. Für jedes der N Teilchen wird nach jeder Präparation des Ortes (z. B. durch einen Spalt) eine Impulsmessung vorgenommen. Die entsprechenden Genauigkeiten seien dabei Δx und Δp. Unter der Voraussetzung, dass N Teilchen den Spalt durchlaufen haben, wird die Anzahl n der erfolgreichen Impulsmessungen ermittelt. Für große Stichproben N darf der Schätzer n/N für die Wahrscheinlichkeit Ppx;ψ) – nach dem Gesetz der großen Zahlen – die Schranke in Ungleichung (4) nie überschreiten.

Der Vorteil der Ungleichung (4) ist einerseits, dass sie eine Aussage über Wahrscheinlichkeiten macht und damit im Rahmen der Kopenhagener Deutung zu einer Klärung der heuristischen Ungleichung (2) beitragen kann. Andererseits lässt sich diese probabilistische Verallgemeinerung auch im Rahmen der Ensemble-Interpretation deuten und durch geeignete Teilchenstrahlexperimente überprüfen.[12]

Anmerkung

In Richard Feynmans Vorlesung über Quantenmechanik wird die folgende Situation kommentiert:[13]

Wenn das Teilchen im Spaltexperiment von links in den Spalt kommt, dann war sein Vertikalimpuls Null. Nachdem es durch den Spalt gegangen ist, ist sein Ort bekannt (mit einer beliebigen Genauigkeit Δx). Beide, Ort und Impuls, scheinen daher mit uneingeschränkter Genauigkeit bekannt zu sein.

In dieser Aussage wird deutlich, dass es durchaus möglich ist, nachdem ein Teilchen registriert wurde, feststellen zu können, wo es ist und was es für einen Impuls gehabt haben müsste um dorthin zu gelangen. Das ist jedoch nicht der Sachverhalt, auf den sich die Ungleichung (2) bezieht. Die Ungleichung (2) bezieht sich stattdessen auf die Vorhersagbarkeit von Ereignissen, nicht auf Aussagen über die Vergangenheit.[13] Durch die bedingte Wahrscheinlichkeit in Ungleichung (4) wird dieser Zusammenhang formal präzisiert.

Verallgemeinerung

Die zuerst von Kennard mathematisch formulierte Ungleichung (1) wurde 1929 von Robertson formal verallgemeinert.[14] Mit dieser Verallgemeinerung lassen sich auch Unschärfebeziehungen zwischen weiteren physikalischen Größen angeben. Dazu gehören beispielsweise Ungleichungen bezüglich unterschiedlicher Drehimpulskomponenten, zwischen Energie und Impuls oder auch Ort und Energie. Im formalen Rahmen der Quantenmechanik kann für zwei Observablen A und B allgemein die folgende Ungleichung formuliert werden[14]

\sigma_A \sigma_B \ge \frac{1}{2}\left|\langle\psi|[\hat{A},\hat{B}]|\psi\rangle\right|.

Hierbei sind A und B die den Observablen zugehörigen linearen, hermiteschen Operatoren. Der Ausdruck [A,B] = AB-BA bezeichnet den Kommutator von A und B. Anders als bei der für Ort und Impuls bestehenden Relation (1) kann in der verallgemeinerten Relation von Robertson auch die rechte Seite der Ungleichung explizit von der Wellenfunktion abhängig sein. Das Produkt der Streuungen von A und B kann daher sogar den Wert null annehmen, und zwar nicht nur dann, wenn die Observablen A und B miteinander kommutieren, sondern für spezielle ψ selbst dann, wenn dies nicht der Fall ist. Für Ort und Impuls, und andere sog. „komplementäre“ Observablenpaare, ist der Kommutator jeweils proportional zum Einheitsoperator. Der Erwartungswert in der Relation von Robertson kann daher für komplementäre Observablen nie null werden. Andere in diesem Zusammenhang oft genannte Variable, die nicht miteinander vertauschen (z. B. zwei verschiedene Drehimpulskomponenten), sind hingegen nicht zueinander komplementär, weil ihr Vertauschungsprodukt keine Zahl, sondern ein Operator ist.

Vertauschbare Observable sind hingegen in jedem Fall, d. h. für alle ψ, gleichzeitig streuungsfrei messbar, da ihr Kommutator verschwindet. Es handelt sich dann um kompatible oder verträgliche Observablen. Der formale Beweis der Ungleichung soll hier exemplarisch vorgestellt werden:

Die Varianzen der Operatoren A und B werden mit Hilfe von zwei Zustandsfunktionen f und g dargestellt, d. h. es sei

|f\rangle :=  (\hat A - \langle \hat A \rangle)|\psi\rangle,
|g\rangle :=  (\hat B - \langle \hat B \rangle)|\psi\rangle.

Damit erhält man für die Varianzen der Operatoren die Darstellungen:


\sigma_A^2 =\langle\psi |(\hat A-\langle\hat A \rangle)^2 |\psi\rangle 
           = \langle \psi |(\hat A - \langle \hat A \rangle)  (\hat A - \langle \hat A \rangle)|\psi\rangle
           = \langle f|f\rangle
\sigma_B^2 = \langle g|g\rangle.

Unter Verwendung der schwarzschen Ungleichung ergibt sich daraus:

\sigma_A^2 \sigma_B^2 = \langle f|f\rangle \langle g|g\rangle \ge |\langle f|g\rangle |^2

Um diese Ungleichung in die gebräuchliche Form zu bringen wird die rechte Seite weiter abgeschätzt und berechnet. Dazu verwendet man, dass das Betragsquadrat einer beliebigen komplexe Zahl z immer größer oder gleich dem Quadrat ihres Imaginärteils ist, d.h.

|z|^2 \ge \mathrm{Im}(z)^2 = \left[\frac{z-z^*}{2 i}\right ]^2,

wobei Im(z) den Imaginärteil von z darstellt. Mit der Substitution z:= \langle f|g\rangle ergibt sich daraus für das Produkt der Varianzen die Abschätzung

\sigma_A^2 \sigma_B^2 \ge \left[\frac{1}{2 i}(\langle f|g\rangle - \langle g|f\rangle)\right ]^2.

Für die darin auftretenden Skalarprodukte \langle f|g\rangle und \langle g|f\rangle erhält man durch weiteres Ausrechnen

\langle f|g\rangle =\langle\hat A \hat B \rangle-\langle\hat A\rangle \langle \hat B\rangle\qquad\text{bzw.}\qquad
\langle g|f\rangle = \langle \hat B \hat A \rangle - \langle \hat A\rangle \langle \hat B\rangle

Damit ergibt sich für die Differenz in der Ungleichung

\langle f|g\rangle - \langle g|f\rangle = \langle \hat A \hat B \rangle - \langle \hat B \hat A \rangle = \langle\psi|[\hat A , \hat B]|\psi\rangle,

also gerade der Erwartungswert des Kommutators. Damit erhält man die Ungleichung

\sigma_A^2 \sigma_B^2 \ge \left[\frac{1}{2 i}\langle\psi|[\hat A , \hat B]|\psi\rangle\right ]^2.

Die rechte Seite der Ungleichung ist hier eine reelle Zahl.

Beispiele

1. Wählt man im vorhergehenden Kapitel für die Operatoren A = x sowie B = p und verwendet, dass für den Kommutator von Ort und Impuls [x,p]=i\hbar gilt, so ergibt die Ungleichung von Robertson die Relation von Kennard. Die rechte Seite der Relation ist dabei unabhängig von der Wellenfunktion des Teilchens, da der Kommutator in diesem Fall eine Konstante ist.

2. Eine Unschärferelation für die Messung von kinetischer Energie T = p2 / 2m und Ort x ergibt sich aus dem Kommutator [T,x]=i\hbar p/m, d.h.

\sigma_T\sigma_x\geq \frac{\hbar}{2m}|\langle\hat{p}\rangle|.

In diesem Fall ist untere Schranke nicht konstant, sondern sie ist vom Mittelwert des Impulses abhängig und damit von der Wellenfunktion des Teilchens.

3. Bei einer Messung von Energie und Impuls eines Teilchens in einem vom Ort abhängigen Potential V(x) ist der Kommutator der Gesamtenergie H = T + V und p von der Ableitung des Potentials (Kraft) abhängig, d.h. [H,p]=-i\hbar V'. Die entsprechende Unschärferelation für Energie und Impuls ist damit

\sigma_H\sigma_p\geq \frac{\hbar}{2}\, |\langle V(\hat{x})'\rangle|.

Auch in diesem Beispiel ist die rechte Seite der Ungleichung im Allgemeinen keine Konstante.

4. Im Fall der Messung von Energie und Zeit lässt sich die Verallgemeinerung von Robertson nicht unmittelbar anwenden, da die Zeit in der Standard-Quantentheorie nicht als Operator definiert ist. Mit Hilfe des Ehrenfest'schen Theorems und einer alternativen Definition der Zeitunschärfe lässt sich jedoch eine analoge Ungleichung beweisen. Diese ist jedoch nicht mit Ungleichung (3) zu verwechseln, da es sich dabei jeweils um untereschiedliche Messprozesse bzw. Definitionen der Unbestimmtheiten handelt.

5. Für die Zeitabhängigkeit des Ortsoperators im Heisenberg-Bild gilt die Darstellung

\hat{x}(t)=\hat{x}(0)+\frac{\hat{p}}{m}\,t\, .

Aufgrund der Impulsabhängigkeit in dieser Darstellung ergibt sich, dass der Kommutator von zwei Ortsoperatoren zu den unterschiedlichen Zeitpunkten 0 und t nicht verschwindet, d.h. [x(0),x(t)]=i\hbar t/m. Daraus folgt für das Produkt der Streuungen der beiden Ortsmessungen im zeitlichen Abstand t die Unschärferelation

\sigma_{x(0)}\sigma_{x(t)}\geq \frac{\hbar}{2}\, \frac{t}{m}\, .

Je mehr Zeit zwischen den beiden Streuungsmessungen vergeht, desto größer wird die minimal erreichbare Unschärfe. Man beachte, dass bei diesem Beispiel für zwei nicht gleichzeitig durchgeführte Messungen eine Unschärferelation vorliegt. Für zwei instantan durchgeführte Messungen des Ortes verschwindet der Kommutator und die untere Schranke der Ungleichung wird gleich 0.

6. Die minimale Breite einer Tunnelbarriere kann über die Unschärferelation abgeschätzt werden. Betrachtet man ein Elektron mit der Masse me, welches eine Potentialdifferenz U durchtunnelt, so ergibt sich für die Ortsunschärfe und somit die minimale Breite der Tunnelbarriere

\Delta x \geq \frac{\hbar}{\sqrt{8 m_e e U}}.

Bei einer Potentialdifferenz von 100 mV, wie sie etwa bei der Rastertunnelmikroskopie vorkommt, ergibt sich aufgrund dieser Beziehung eine kleinste Tunnelbarriere von etwa 0,3 nm, was sich gut mit experimentellen Beobachtungen deckt.

Siehe auch

Literatur

  • Werner Heisenberg: Gesammelte Werke. Herausgegeben von Walter Blum, Hans-Peter Dürr und Helmut Rechenberg. Piper, München 1984–1992; Springer, Heidelberg/Berlin/New York 1994.
  • ders.: Der Teil und das Ganze. Piper, München 1969.
  • ders.: Quantentheorie und Philosophie. Reclam, Stuttgart 1979.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. a b c d e Werner Heisenberg: Physikalische Prinzipien der Quantentheorie. S. Hirzel Verlag, Leipzig 1930.
  2. Paul Busch, Teiko Heinonen, Pekka Lahti: Heisenberg's uncertainty principle. In: Physics Reports. 452, Nr. 6, 2007, S. 155–176 (arXiv:quant-ph/0609185v3) (doi:10.1016/j.physrep.2007.05.006). 
  3. E. H. Kennard: Zur Quantenmechanik einfacher Bewegungstypen. In: Zeitschrift für Physik. 44, Nr. 4, 1927, S. 326–352. 
  4. a b c W. Heisenberg: Über den anschaulichen Inhalt der quantentheoretischen Kinematik und Mechanik. In: Zeitschrift für Physik. 43, Nr. 3, 1927, S. 172–198 (doi:10.1007/BF01397280) (Originalarbeit als HTML). 
  5. J. B. M. Uffink, J. Hilgevoord: Uncertainty principle and uncertainty relations. In: Foundations of Physics. 15, Nr. 9, 1985, S. 925–944 (doi:10.1007/BF00739034). 
  6. T. Schürmann, I. Hoffmann: A closer look at the uncertainty relation of position and momentum. In: Foundations of Physics. 2009 (arXiv:0811.2582) (doi:10.1007/s10701-009-9310-0). 
  7. Für eine Diskussion siehe Asher Peres: Quantum Theory, Concepts and Methods. Kluwer, 1995, ISBN 0-792-33632-1, S. 413 ff.
  8. P. Busch: The Time-Energy Uncertainty Relation. In: J. G. Muga, R. Sala Mayato, I. L. Egusquiza: Time in Quantum Mechanics. Springer-Verlag, Berlin 2002, S. 69–98. (2. Ausgabe von 2007) arXiv:quant-ph/0105049.
  9. Karl Popper: Logik der Forschung. 10. Auflage, Tübingen 1994/1934.
  10. Bem.: Wäre eine mathematisch stringente Herleitung von (2) möglich, so gäbe es demnach eine experimentelle Falsifizierung der Quantentheorie.
  11. T. Schürmann: A Single Particle Uncertainty Relation. In: Acta Physica Polonica B. 39, Nr. 3, 2008, S. 587–597 (PDF).
  12. W. Görlich, I. Hoffmann, T. Schürmann: Experimental test of the Heisenberg uncertainty relation for position and momentum. In: arXiv. Quantum Physics. 2008 (arXiv:0812.4775). 
  13. a b R. P. Feynman: Vorlesungen über Physik, Band III: Quantenmechanik, Oldenbourg Verlag München, Wien (1999), S. 36, Kap. 2.2 .
  14. a b H. P. Robertson: The Uncertainty Principle. In: Physical Review. 34, Nr. 1, 1929, S. 163–164 (doi:10.1103/PhysRev.34.163). 

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