Vagantenzeile

Vagantenzeile

Die Vagantenzeile ist das kleinste Teilelement der Vagantendichtung. Vagantenzeilen verdeutlichen den "inneren Aufbau" dieser mittelalterlichen Dichtungsform nur formal, nicht aber semantisch bezüglich der Liebesdichtung, Weindichtung oder der Spottdichtung, die man als Vagant schrieb.

Inhaltsverzeichnis

Aufbau der Verse

Die Vagantenzeile ist eine – in klassisch mittelalterlich, lateinischer Vorstellung – siebenhebige rhythmische Zeile, auch Langzeile genannt, die durch ihre Betonung und Rhythmik (Trochäe) zu dieser wird. Sie müssen inhaltlich eine Teilmenge der Vagantendichtung sein.

Original Strophe von Gottfried A. Bürger

1. Original-Strophe aus "Lenore" von Gottfried August Bürger :

Lenore fuhr ums Morgenrot,
Empor aus schweren Träumen:
"Bist untreu, Wilhelm, oder tot?
Wie lange willst du säumen"-
Er war mit König Friedrichs Macht
Gezogen in die Prager Schlacht
Und hatte nicht geschrieben,
Ob er gesund geblieben.

Diese 1. Strophe aus "Lenore" verdeutlicht zunächst in der Originalfassung gezeigt, wie der Aufbau einer Strophe aussieht.

Vagantenzeile zusammengefasst

Schreibt man dieses vorhergehende Gedichtfragment, nicht wie im Originalen in 8 Verszeilen, sondern als Vierzeiler zusammengefasst, dann sieht es wie folgt aus:

  1. Lenore fuhr ums Morgenrot {,} Empor aus schweren Träumen: ( fettgedruckte Vokale = Betonung )
  2. "Bist untreu, Wilhelm, oder tot {?} Wie lange willst du säumen"-
  3. Er war mit König Friedrichs Macht {} Gezogen in die Prager Schlacht
  4. Und hatte nicht geschrieben {,} Ob er gesund geblieben.

Das Reimschema bleibt innerhalb dieser neuen Vagantenzeile erhalten.

Anmerkung zu den Zeilen

  • zur 1. Zeile (ma. lat. Langzeile, mit 4 + 3 = 7 Hebungen / aber Jambus)
  • zur 2. Zeile (ma. lat. Langzeile, mit 4 + 3 = 7 Hebungen / aber Jambus)
  • zur 3. Zeile (Vagantenzeile der Volks- und Kirchenlieder, mit 4 + 4 = 8 Hebungen / Jambus)
  • zur 4. Zeile (Vagantenzeile der Volks- und Kirchenlieder, mit 3 + 3 = 6 Hebungen /Jambus)

Formale Zusammensetzung

Durch die Zeilenumbrüche, die durch die geschweiften Klammern {} verdeutlicht werden, ist Bürger von der Lutherschen 7-Zeiler Strophe abgerückt, weshalb Bürgers "Original-Strophen" 8 Zeilen haben. Die Siebenhebigkeit bleibt in den ersten 2 ma. lat. Langzeilen erhalten, da sie 7-hebig sind. Die (Zeilenum-) Brüche bei Bürgers Original-Strophen, hier mit geschweiften Klammern {} verdeutlicht, werden als Dihärese bezeichnet.

Vagantenstrophe Bürgers

"Vier Langzeilen mit Paarreim ergeben die Vagantenstrophe" nach Wilpert. Vier Langzeilen (Vagantenzeilen) die nach dem Reimschema aabb gedichtet sind, stellen eine Vagantenstrophe dar, wenn sie inhaltlich Bezug nehmen zur Vagantendichtung (siehe oben).

Deshalb ist es nur schwer zu definieren, ob Bürgers Form nach Wilpert, überhaupt eine echte Vagantenzeile ist, da nicht eine einzige Strophe siebenhebig ist, sondern umgebrochen wurde. Sie verteilen sich im Verhältnis 4:3 (2 mal) und 4:4 und 3:3 in seiner Dichtung. Bürgers Dichtung ist daher eine Vermischung aus klassisch mittelalterlich, lateinischen 7-hebig umgebrochenen Langzeilern, und neueren 8- und 6-hebigen Vagantenzeilen. Ob man diese dann überhaupt noch als Vagantenzeilen bezeichnen kann, steht zur Debatte, zumal diese nicht wie in Wilpert definiert, im Trochäus sondern im Betonungs-Stile des Jambus geschrieben sind.

Die letzten zwei Zeilen des Gedichtes in obiger Form sind Vagantenzeilen, des Volks- und Kirchenliedes, da nach der vierten Hebung "Er war mit König Friedrichs Macht {} Gezogen in die Prager Schlacht" (mit 4 plus 4 Hebungen) noch vier folgen. Die fett gedruckten Vokale werden mittels Stimmhebung besonders betont (Jambus)

Modifikation der Klassische Siebenhebigkeit

In der gängigen Literatur wird gerne der lateinische Satz: "Meum est propositum in taberna mori" (Archipoeta: Confessio, um 1165) als Beispiel für die Siebenhebigkeit des mittelalterlichen lateinischen Lyrik angeführt. Die fett geschriebenen Vokale werden mittels Stimmhebung besonders betont (Trochäus).

Würde man die echte lateinische Vagantenzeile, auch Langzeiler genannt, nun stilistisch trennen, so wie Bürger es getan hat, dann sähe er im Stile Bürgers wie folgt aus:

Meum est propositum ( fettgedruckten Vokale = Betonung )
in taberna mori

Literatur

  • Gero Von Wilpert: Sachwörterbuch der Literatur. 8. verb. und erw. Auflage, Stuttgart 2001
  • Karl Langosch, Vagantendichtung, lateinisch und deutsch, hrsg. u. übertr. von Karl Langosch, 2. Aufl., Leipzig 1984, 389 S., SAMMLUNG DIETERICH

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