Valery Giscard d’Estaing

Valery Giscard d’Estaing
Giscard d’Estaing 1978

Valéry Marie René Giscard d’Estaing [valeˈʀi ʒisˌkaʀdɛsˈtɛ̃], im Französischen oft auch kurz VGE genannt, (* 2. Februar 1926 in Koblenz) ist ein französischer Politiker der bürgerlich-liberalen Partei UDF. Von 1974 bis 1981 war er französischer Staatspräsident und Kofürst von Andorra.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Als Sohn von Jean Edmond Lucien Giscard d'Estaing, Generalinspektor im Finanzministerium, Mitglied des Institut de France (*29. März 1894 in Clermont-Ferrand, Puy-de-Dôme - 3. August 1982 in Chanonat, Puy-de-Dôme), der als Teil der französischen Besatzungsarmee im Rheinland stationiert war, und May Giscard d'Estaing, geborene Bardoux, beteiligte sich Valéry Giscard d’Estaing bereits mit 17 Jahren am Widerstand der Résistance gegen die deutsche Besatzung. Nach dem Schulbesuch in Clermont-Ferrand wurde er mit gerade 18 Jahren in der Endphase des Zweiten Weltkrieges Soldat. Mit den Streitkräften des Freien Frankreich nahm er am Vormarsch nach Deutschland teil.

Im Anschluss wurde er nach einem Vorbereitungsjahr in Paris am Lycée Louis-le-Grand bei der École Polytechnique aufgenommen. Er gehörte einer der ersten Abschlussklassen der École nationale d'administration an.

1952 heiratete er Anne-Aymone Sauvage de Brantes, mit der er vier Kinder hat:

  • Valérie-Anne (verheiratet mit dem Verleger Bernard Fixot),
  • Henri (Finanzvorstand des Club Méditerranée),
  • Louis (Bürgermeister von Chamalières) und
  • Jacinte (Tierärztin, verheiratet mit dem Architekten Philippe Guibout).

Im gleichen Jahr startete Giscard d’Estaing seine berufliche Laufbahn nach dem Vorbild des Vaters in der Finanzinspektion. Dort verblieb er bis 1956, legte aber diese Aufgabe nieder, um ein Abgeordnetenmandat für das Département Puy-de-Dôme anzunehmen - für das schon sein Großvater lange Zeit einen Sitz innehatte. Am 2. Januar 1956 wurde er als Abgeordneter in die Nationalversammlung gewählt. Von 1956 bis 1958, dem Jahr, in dem General de Gaulle seine Verfassungsreform durchführte, war Giscard d’Estaing Mitglied der französischen UNO-Delegation.

1962 wurde er schließlich als jüngstes Kabinettsmitglied Staatssekretär im Finanzministerium und erzielte beachtliche Erfolge in der Haushalts-, Stabilitäts- und Währungspolitik. Kurze Zeit später wurde er auf Vorschlag des Premierministers Georges Pompidou von Präsident Charles de Gaulle zum Minister für Finanzen und wirtschaftliche Fragen ernannt und amtierte bis 1966.

Doch seine Popularität schwand schnell. Nachdem es ihm nur knapp gelang, sich bei der folgenden Wahl 1965 gegenüber dem rivalisierenden Kandidaten durchzusetzen, übertrug General de Gaulle das Ministerium Anfang 1966 Michel Debré. Bis zu Beginn seiner Präsidentschaft 1974 behielt Giscard d’Estaing sein Abgeordnetenmandat.

Nach Spaltung seiner Partei, der Republikaner, wurde Giscard D’Estaing Führer der Républicains Indépendents, eines unabhängigen republikanischen Verbandes, der de Gaulles Politik nur bedingt unterstützte. Er bekannte sich erstmals offen zu den Zielsetzungen einer Europäischen Einigung und unterstützte in diesem Zusammenhang die Bewerbung Großbritanniens um eine Aufnahme in die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft 1969. Seine Partei erlitt 1968 eine Wahlniederlage.

Nach der Wahl Georges Pompidous zum Präsidenten vertraute dieser Giscard d’Estaing erneut das Ministerium für Finanzen und Wirtschaft im Kabinett von Jacques Chaban-Delmas von 1969 bis 1972 an. Auch Pierre Messmer, der von 1972 bis 1974 die Funktion des Premierministers übernahm, bestätigte ihn in dieser Funktion.

Mit der Unterstützung des Gaullisten Jacques Chirac gelang es ihm, sich im ersten Wahlgang der Präsidentschaftswahlen 1974 gegen Chaban-Delmas durchzusetzen; er war jedoch noch schwächer als François Mitterrand. Die zweite Runde entschied er nach einer Fernsehdebatte mit Mitterrand mit 50,81 % für sich, so dass er als mit 48 Jahren jüngster Kandidat im Mai 1974 das Amt des Präsidenten übernahm.

Präsidentschaft

Valéry Giscard d’Estaing (r.) zusammen mit Giulio Andreotti, Fukuda Takeo, Jimmy Carter und Helmut Schmidt auf dem G7-Gipfel in Bonn 1978.

Von 1974 bis 1981 war Giscard d’Estaing Staatspräsident von Frankreich. Als Präsident ernannte er Chirac zum Premierminister, doch kam es zu Spannungen zwischen den beiden und infolgedessen 1976 schließlich zum Rücktritt Chiracs. An seine Stelle trat im August Raymond Barre, den der Präsident als den „herausragendsten Ökonomen Frankreichs“ bezeichnete und mit dem er einen umfassenden Plan zur Wirtschafts- und Sozialreform vorbereitete.

In die Amtszeit von Valéry Giscard d’Estaing fielen Reformprojekte, wie die Gesetzgebung zur Ehescheidung in gegenseitigem Einvernehmen oder, unter der Leitung von Simone Veil, zur Abtreibung und das Volljährigkeitsalter wurde von 21 auf 18 Jahre herabgesetzt. Giscard d'Estaing bezeichnete sich selbst als Gegner der Todesstrafe, doch setzte er deren Abschaffung noch nicht auf die politische Tagesordnung. Die meisten Todesurteile wandelte er in lebenslange Freiheitsstrafen um. Allerdings wurden unter seiner Präsidentschaft auch drei Verurteilte hingerichtet, denen er die Begnadigung verweigert hatte, zuletzt 1977.

Als radikaler Befürworter des Europäischen Aufbauprozesses bestand seine Vision schon vor seinem Eintritt in die aktive Politik in einem Staatenbund nach Vorbild der Vereinigten Staaten von Amerika. In diesem Rahmen, als dritte Alternative zu einem übernationalen Europa und einem Nationalstaat, begründete er die regelmäßige Abhaltung Europäischer Gipfeltreffen und unterstützte die Erweiterung der Befugnisse des Europäischen Parlaments, insbesondere in Bezug auf Fragen der Budgetverwendung. Für das Europäische Parlament wurde erstmals 1979 eine Direktwahl nach allgemeinen und unmittelbaren Abstimmungsgrundsätzen eingeführt.

Giscard d’Estaing wahrte die ökonomische und politische Position Frankreichs gegenüber den afrikanischen Staaten, aber auch gegenüber den Supermächten: Er betonte wiederholt die volle politische Entscheidungsfreiheit seines Landes, das nie zur „Provinz einer Supermacht“ degradiert werden dürfe, traf sich jedoch im Mai 1980 mit Breschnew in Warschau ohne greifbares Ergebnis, nachdem er die sowjetische Intervention in Afghanistan zurückhaltend kommentiert hatte. Er forderte die Bundesrepublik Deutschland dazu auf, die Rolle Europas in der Weltpolitik zu festigen, was den geringen deutschen Spielraum in der Außenpolitik erweiterte.

Immer noch von dem Willen nach einer Modernisierung beseelt, relativierte er staatliche Symbole in ihrer Bedeutung – eine weniger intensive Farbe auf der Flagge, eine Anpassung des Tones und Rhythmus beim Abspielen der Nationalhymne zu öffentlichen Anlässen, Amtsantrittsrede zunächst auf Englisch, Vereinfachung der protokollarischen Vorschriften für den Präsidentschaftspalast, Bemühungen zur Wahrung einer Nähe zur Bevölkerung.

Die Amtszeit von Giscard d’Estaing wurde von den Konsequenzen der Ölpreisschocks geprägt. Angesichts der Notwendigkeit zur Energieeinsparung führte er 1975 die Sommerzeit ein. In diese Periode fiel ebenfalls das Aufkeimen einer neuen Form von Massenarbeitslosigkeit. Auch dem neuen Kabinett Barre gelang es nicht, dieser Entwicklung zu bremsen. Gemeinsam mit Bundeskanzler Helmut Schmidt mussten die Staaten der Europäischen Gemeinschaft in Folge des Zusammenbruchs des Weltwährungssystems von Bretton Woods und der mit den Ölpreis-Schocks verbundenen rasanten Inflation Schritte zu deren Überwindung und zur Einführung eines Europäischen Währungssystems (EWS) zur Reduzierung der Wechselkursrisiken zwischen den Mitgliedsstaaten einleiten. Die im Zusammenhang mit dem Europäischen Währungssystem aus dem Währungskorb geschaffene Kunstwährung wurde European Currency Unit (ECU) als Vorläufer der Einheitswährung in Euro genannt. Dank der großen wirtschafts- und finanzpolitischen Übereinstimmung zwischen Giscard d’Estaing und Schmidt entwickelten die beiden befreundeten Politiker den Plan von informellen Treffen der wirtschaftlich wichtigsten Staaten USA, Kanada, Japan, Frankreich, Großbritannien, Deutschland und Italien (G7), die sich in Schloss Rambouillet auf Einladung Giscard d’Estaings erstmals zu „Kamingesprächen“ ohne feste Tagesordnung, Protokoll und große Stäbe trafen.

Zum Ende seiner Amtszeit kam es zu einem Skandal, als ihn bei privaten oder Staatsbesuchen der Diktator der Zentralafrikanischen Republik Bokassa mit Diamanten beschenkte. Letztlich gab er diese Geschenke zurück, doch sein Ansehen erlitt damit insbesondere im Hinblick auf die Präsidentschaftswahlen von 1981 einen unwiederbringlichen Schaden. Nachdem es vor dem zweiten Wahlgang zu einem erneuten Fernsehduell der beiden verbleibenden Kandidaten Giscard d’Estaing und Mitterrand kam, musste er sich mit 48,25 % geschlagen geben und sein Amt für den neuen Präsidenten räumen.

Die Zeit nach 1981

Obwohl ihm als ehemaligem Präsidenten ein Sitz im Verfassungsrat (Conseil constitutionnel) zusteht, nahm er diesen zunächst nicht in Anspruch, um sich jede Form der freien Meinungsäußerung zu bewahren. Seit 1986 ist er jedoch Mitglied. Für kurze Zeit übernahm er die Führung der liberalen Partei UDF, die er 1978 mitbegründet hatte.

Giscard d’Estaing zog sich in die Auvergne zurück, wo er in seinem Heimatort Chamalières zum Generalrat gewählt und Vorsitzender des Regionalrates wurde, ebenso bei einer Nachwahl am 23. September 1984 zur Nationalversammlung, scheiterte jedoch im Kampf um das Bürgermeisteramt von Clermont-Ferrand. Sein politischer Comeback-Versuch stützte sich organisatorisch auf den Zusammenschluss zentristischer politischer Klubs (Perspectives et réalités), was zu seinem Scheitern letztlich beitrug. Er vertrat die Auffassung, alle bürgerlichen Kräfte (also Barre und Chirac) müssten kooperieren, um bei den folgenden Wahlen erfolgreicher zu sein. Während er sein Engagement in der Politik auf nationaler Ebene quasi aufgab, konzentriert er sich auf Aufgaben auf regionaler und europäischer Ebene.

Giscard d’Estaing spricht 1990 bei einer Wahlkundgebung des Bundes Freier Demokraten in Dresden

Von 1989 bis 1993 saß Giscard d’Estaing als Abgeordneter im Europäischen Parlament. Er war in dieser Zeit Vorsitzender der liberalen Fraktion im Europaparlament.

Einige Zeit widmete er sich einer schriftstellerischen Tätigkeit. 1994 veröffentlichte er einen Roman.

Noch heute kümmert er sich engagiert um Fragen der europäischen Einheit. Beim europäischen Gipfel von Laeken im Dezember 2001 schließlich wurde er als Präsident des Europäischen Konvents (Convention sur l’Avenir de l’Europe) berufen. Aufgabe der Kommission ist es, die Abstimmungsverfahren auf Europäischer Ebene zu vereinfachen, die verschiedenen Abkommen zusammenzufassen und daraus einen Entwurf einer Europäischen Verfassung auszuarbeiten. Am 15. Juli 2003 konnte dann ein fertiger Entwurf vorgelegt werden.

Im Vorfeld des Referendums zur Europäischen Verfassung unterstützte er die Kampagne der Befürworter. Die Ablehnung kam aus seiner Sicht unerwartet. Zwischenzeitlich von den 25 Mitgliedsstaaten unterzeichnet, scheiterte der Vertrag in seiner damaligen Fassung an der Ablehnung der Franzosen (Mai 2005) und Niederländer (Juni 2005) bei ihren Referenden. Aufgrund dieser Tätigkeit als Präsident des Europäischen Konvents erhielt er im Jahr 2003 den Karlspreis der Stadt Aachen.

Nach dem Tod von Léopold Sédar Senghor wurde er am 11. Dezember 2003 mit 19 von 34 Stimmen zudem auf den freigewordenen Sitz 16 der Académie Française gewählt.

Als Listenführer des Parteienzusammenschlusses UMP-UDF für das Département Puy-de-Dôme in der Auvergne bei den Regionalwahlen 2004, unterlag er im zweiten Wahlgang Pierre-Noël Bonté vom PS, dem zusammen mit den anderen linksgerichteten Parteien die Mehrheit der Regionen zufielen. Als er damit seinen Posten als Vorsitzender des Regionalrates verlor, den er seit März 1986 besetzte, fasste er den Entschluss, sich aus der aktiven Politik endgültig zurückzuziehen und seine Aufgaben im Verfassungsrat wahrzunehmen.

Am 22. Oktober 2006 wurde Valéry Giscard d’Estaing zum Ehrenbürger seiner Geburtsstadt Koblenz ernannt.

Schloss d’Estaing

Giscard d’Estaings Familie stammt aus der Auvergne. Der adlige Nachname Giscards geht auf einen Titelkauf von Vater Edmond Giscard im Jahr 1922 zurück. Die Schloss- und Freiherren aus dem gleichnamigen Dorf Estaing (Départment Aveyron, Südfrankreich) führen ihre Ahnenreihe bis auf Richard Löwenherz zurück. Seit dem 15. Jahrhundert gibt es dort in der Haute Vallée du Lot ein Schloss, das Giscard d’Estaing zusammen mit seinem Bruder im Februar 2005 für 750.000 Euro erworben hat. Zwischen 1834 und 2000 wohnten hier Nonnen des Josefs-Ordens. Nach der Restaurierung soll es zu einer Kultur- und Begegnungsstätte werden, in dem Konzerte, Begegnungen und Tagungen abgehalten, sowie seine persönlichen Aufzeichnungen als Präsident der Convention Européenne archiviert werden.

Der Wissenschafts- und Freizeitpark „Vulcania“

Giscard begeistert sich für die Vulkanlandschaft des Zentralmassivs. In den neunziger Jahren begann er sein Engagement für die Einrichtung eines Wissenschafts- und Freizeitparks Vulcania. Gegen das zuständige Expertengremium setzte er einen eigenen Architekten Hans Hollein durch und brachte das Projekt auch sonst autoritär und eigensinnig voran. 1997 wurde dann mit den Bauarbeiten begonnen, die Einweihung fand 20. Februar 2002 statt. Die geplanten Baukosten wurden um ein Vielfaches überschritten.

Publikationen

  • Démocratie Francaise (dt. Französische Demokratie), Essay, 1976
  • Deux Français sur Trois (dt. Zwei von drei Franzosen), Essay, 1984
  • Le Pouvoir et la Vie (dt. Macht und Leben – Begegnung), Denkschrift, 1. Teil: La Rencontre, 1988
  • Le Pouvoir et la Vie (dt. Macht und Leben – Auseinandersetzungen), Denkschrift, 2. Teil: L’Affrontement, 1991
  • Le Passage (dt. Der Durchgang), Roman, 1994
  • Dans cinq ans, l’an 2000 (dt. In fünf Jahren das Jahr 2000), 1995
  • Les Français, Réflexion sur le Destin d’un Peuple (dt. Die Franzosen, Überlegungen zur Zukunft eines Volkes), 2000
  • Giscard d’Estaing – Entretien avec Agathe Fourgnaud (dt. Giscard d’Estaing – Gespräch mit Agathe Fourgnaud)
  • Giscard d’Estaing présente la Constitution pour l’Europe (dt. Giscard d’Estaing stellt die Europäische Verfassung vor), 2003

Orden und Auszeichnungen

  • Großkreuz der Ehrenlegion und des nationalen Verdienstordens, Kriegskreuz 39-45.
  • Ehrendomherr des Ordens Saint-Jean-de-Latran (1978), Nansen-Medaille.
  • Ehren- und Devotions-Großkreuz-Bailli des souveränen Malteserordens.
  • Ehrendoktorat der Universität Mainz (22. Mai 2006) anlässlich der 60-Jahrfeier der Wiedereröffnung der Universität durch die französische Besatzungsmacht(Général Pierre KOENIG)
  • Internationaler Karlspreis zu Aachen 2003
  • Ehrenbürgerschaft seiner Geburtsstadt Koblenz (22. Oktober 2006)
  • Westfälischer Friedenspreis 2006

Weblinks


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