Verbrechertisch (Leipzig)

Verbrechertisch (Leipzig)
Werbemarke des Gasthofs „Gute Quelle“ in dem der Verbrechertisch stand

Der Verbrechertisch von Leipzig war seit der Mitte des 19. Jahrhundert eine Versammlung der geistigen Elite der Stadt, die demokratischer und fortschrittlicher Gesinnung war. Es handelte sich dabei um Überlebende der Revolution von 1848, die sich dem Geist von Robert Blum verpflichtet fühlten. Die Versammlungen fanden im Kellerlokal „Zur Guten Quelle“ am Brühl statt, das Gebäude ist nicht mehr erhalten. Als Versammlungsort war der Verbrechertisch auch für die beginnende deutsche Arbeiterbewegung von Bedeutung.

Am Verbrechertisch waren nur Personen zugelassen, die folgenden Kriterien entsprachen:

Die illustre Gesellschaft in der „Guten Quelle“ gliederte sich in „seßhafte“ Mitglieder, sie hatten „gesessen“, „zugelassene“, sie gehörten ihrer politischen Überzeugnung nach dazu, hatten aber keine Haftstrafen hinter sich, und in Gäste, gelegentliche Teilnehmer der Zusammenkünfte oder „seßhafte“. Jeder, der an dieser seltsamen Stammtischrunde teilnehmen wollte, musste ein feierliches Aufnahmeverfahren über sich ergehen lassen, gleichgültig, um welchen Status er sich bewarb.[1]

Es bedeutete demnach eine Auszeichnung an diesem Tisch Platz nehmen zu dürfen.

Diesen Tisch ziert folgende Inschrift: „Aller treu Gedenken, die mit uns gestrebt, kann der Tod doch kränken keinen, der gelebt. 1856“.[2] Damit ist vermutlich das Jahr seiner Einweihung benannt.

Auf der Tischplatte sind die Namen derer zu lesen, die an ihm saßen. Zu ihnen gehörten Gelehrte wie u. a. die Naturforscher Emil Adolf Roßmäßler oder Alfred Brehm wie auch Politiker wie August Bebel. Ob Wilhelm Liebknecht dort saß, ist nicht sicher, wenngleich auch denkbar, zumal selbst Walter Fellmann und Bebel ihn diesbezüglich nicht erwähnen. Im Hotel de Saxe, den Bebel erwähnt, waren u. a. Wilhelm Liebknecht als auch Karl Liebknecht indes vertreten. Würkert trat an ihm häufig als demokratischer Vortragsredner auf. Auch Ernst Keil der Verleger der Gartenlaube war an ihm vertreten. Bebel erwähnte den Verbrechertisch in seiner Autobiografie. Zu ihm schrieb er:

„Nicht im Gegensatz, sondern vielmehr in Ergänzung der Zusammenkünfte im Hotel de Saxe stand die Restauration zur Guten Quelle auf dem Brühl, ein damals eben gebautes großes Kellerlokal, dessen Wirt der Achtundvierziger Grun war. In der einen Ecke jenes Lokals stand ein großer runder Tisch, der der Verbrechertisch hieß. Das besagte, daß hier nur die ehrwürdigen Häupter der Demokratie Platz nehmen durften, die zu Zuchthaus oder Gefängnis verurteilt worden waren oder die man gemaßregelt hatte. Öfter traf beides zu. Da saßen Roßmäßler, Dolge, der wegen seiner Beteiligung am Maiaufstand zum Tode verurteilt worden war, nachher zu lebenslänglichem Zuchthaus begnadigt wurde und dann acht Jahre in Waldheim gesessen hatte. Zu den „Verbrechern“ gehörten weiter Dr. Albrecht, der in unserem Verein Stenographie lehrte, Dr. Burckhardt, Dr. Peters, Friedrich Ölkers, Dr. Fritz Hofmann, Gartenlaube-Hofmann genannt, usw. Wir Jungen rechneten es uns zur besonderen Ehre an, wenn wir an diesem Tisch in Gesellschaft der Alten ein Glas Bier trinken durften. […]“

Der von Bebel genannte Dr. Peters ist kein anderer als August Peters, der Ehemann von der Frauenrechtlerin Louise Otto-Peters. Unter den auswärtigen Gästen befand sich der Schriftsteller Fritz Reuter.

Der Verbrechertisch in Leipzig befindet sich im Stadtgeschichtlichen Museum. Er ist nicht ausgestellt, sondern wird im Magazin verwahrt.

Literatur

  • Andreas W. Daum: Wissenschaftspopularisierung im 19. Jahrhundert. Bürgerliche Kultur, naturwissenschaftliche Bildung und die deutsche Öffentlichkeit 1848–1914. Oldenbourg Wissenschaftsverlag, München 2002, ISBN 3-486-56551-6, S. 494.
  • Walter Fellmann: Verbrechertisch. In: Ders.: Leipziger Pitaval. Militärverlag der DDR, Berlin 1982, S. 104–110.
  • James N. Retallack (Hrsg.): Saxony in German History. Culture, society, politics 1830-1930. University of Michigan Press, Ann Arbor, Mich. 2000, ISBN 0-472-11104-3, S. 163.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Fellmann S. 105
  2. Fellmann S. 110

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