Verhältniswahlrecht

Verhältniswahlrecht

Verhältniswahl ist ein Wahlsystem, bei dem die kandidierenden Gruppen (meist Parteien, seltener Wahlparteien) geordnete Listen von Kandidaten aufstellen. Die Wähler können dann nur zwischen diesen Listen wählen. Die Sitze, die einer Gruppe zugeteilt werden, gehen an die errechnete Anzahl der Kandidaten vom Anfang der Liste.

Bei fast allen Verhältniswahlsystemen gibt es jedoch einen Mindestanteil an Stimmen, die ein Wahlvorschlag erreichen muss, um berücksichtigt zu werden. Erreicht eine Liste weniger Stimmen, als in der Sperrklausel definiert, erhält sie keine Sitze im Parlament.

Inhaltsverzeichnis

Tendenzielle Vor- und Nachteile des Verhältniswahlsystems

Vorteile des Verhältniswahlsystems

  • Der „Wählerwille“ wird gut zum Ausdruck gebracht, da eine Partei entsprechend ihrem Anteil an Stimmen einen Anteil der Sitze im Parlament erhält.
  • Auch kleine und mittlere Parteien erhalten ein „angemessenes“ politisches Mitwirkungsrecht.
  • Das Ergebnis der Wahl ist nur wenig durch den Zuschnitt der Wahlkreise zu beeinflussen.
  • Jede einzelne Stimme – auch für den Wahlverlierer – hat den gleichen Erfolgswert, beeinflusst also die Zusammensetzung eines Parlaments in der gleichen Weise.

Nachteile des Verhältniswahlsystems

  • Gefahr der Zersplitterung des Parlaments, wenn sehr viele Parteien dort vertreten sind (Beispiel: Italien, Weimarer Republik), wodurch:
    • die Regierungsbildung meist erschwert ist (Bildung von Koalitionen nötig) und
    • die Regierungen tendenziell instabiler sein können
  • Der Wähler kann nicht entscheiden, wer (bzw. welche Koalitionspartner) regiert (Einschränkung: Viele Parteien machen vor den Wahlen Koalitionsaussagen).
  • Bei einer Verhältniswahl hat der Wähler keinen direkten Einfluss auf die Kandidaten, die in das Parlament einziehen, da die Listen in der Regel von den Parteien aufgestellt werden. Eine Personenwahl ist daher nicht möglich; gewählt werden kann stets nur die Liste einer Partei als Ganzes. Manche Systeme schwächen mit offenen oder lose gebundenen Listen diesen Nachteil ab.

Deutschland

Bundestag: Personalisierte Verhältniswahl

Personalisierte Verhältniswahl bei der Wahl zum Bundestag

Die personalisierte Verhältniswahl ist ein Wahlverfahren, das bei der Wahl zum Deutschen Bundestag und mehreren Landtagen angewandt wird. Es bringt über eine zusätzliche Stimme (Erststimme) für einen Wahlkreiskandidaten Elemente der Mehrheitswahl wie folgt in das Verhältniswahlsystem ein.

Nach dem Bundestagswahlrecht wird die Zahl der Sitze im Bundestag auf die Parteien bundesweit gemäß deren Anteil an Zweitstimmen nach dem Sainte-Laguë-Verfahren verteilt. Dabei bleiben Parteien unberücksichtigt, die weder fünf Prozent der gültigen Stimmen (Fünf-Prozent-Hürde) noch drei Direktmandate (Grundmandate) errungen haben.

Anschließend werden die jeder Partei zustehenden Sitze auf die Bundesländer verteilt. Besetzt werden die Sitze wie folgt: Kandidaten, die in einem Wahlkreis die meisten Erststimmen gewonnen haben, ziehen in jedem Fall in den Bundestag ein (Direktmandate). Damit nimmt der Wähler Einfluss auf die personelle Zusammensetzung des Bundestages. Die Zahl der Direktmandate in einem Bundesland wird auf die dieser Partei hier zustehende Gesamtsitzzahl angerechnet. Weitere Sitze werden aus der Landeslisten dieser Partei besetzt.

Eine Partei kann in einem Bundesland mehr Direktmandate gewinnen, als ihr dort Sitze anhand der Zweitstimmen zustehen. Sie behält aber auf jeden Fall alle gewonnenen Direktmandate. Die überzähligen nennt man Überhangmandate. Dadurch vergrößert sich die Gesamtanzahl der Bundestagssitze.

Unter bestimmten Voraussetzungen bekommt eine Partei einen Sitz weniger dadurch, dass sie zu viele Zweitstimmen erhält (negatives Stimmgewicht bei Wahlen). Ein Normenkontrollantrag des Landes Niedersachsen zur entsprechenden Regelung wurde am 10. April 1997 bei Stimmengleichheit der Richter abgewiesen, die Zahl der Überhangmandate aber auf einen Anteil von 5 Prozent der vergebenen Zahl der Bundestagsmandate begrenzt. Am 3. Juli 2008 urteilte das Bundesverfassungsgericht jedoch in einem Wahlprüfungsverfahren, dass der Bundestag das negative Stimmgewicht bis Juni 2011 im Bundeswahlgesetz beseitigen müsse.

Kommunen

In den meisten deutschen Bundesländern (außer NRW, Saarland, Berlin und teilweise Schleswig-Holstein) wird auf kommunaler Ebene das Verhältniswahlrecht durch Kumulieren (jeder Wähler hat mehrere Stimmen und kann einzelnen Abgeordneten auch mehr als eine Stimme geben), Panaschieren (Wähler können nicht nur Listen ankreuzen, sondern auch Kandidaten von anderen Listen einzelne Stimmen geben) und Streichen (Wähler können Abgeordnete von der Liste, die sie ankreuzen, streichen) aufgelockert.

Siehe auch: Politisches System Deutschlands


Schweiz

Der in der Schweiz gebräuchliche Begriff für die Verhältniswahl ist die Proporzwahl. Im Gegensatz dazu steht die Majorzwahl, eine Mehrheitswahl.

Die Mitglieder des Nationalrats werden in den meisten Kantonen mittels Proporzwahl bestimmt, jene des Ständerats hingegen in einer Majorzwahl. Eine Ausnahme bilden die Kantone UR, OW, NW, GL, AI und AR mit nur je einem Nationalrat. In diesen Kantonen gilt die Majorzwahl mit relativem Mehr bereits im ersten Wahlgang. Eine explizite Sperrklausel gibt es nicht, die faktische Sperrklausel, gegeben durch das natürliche Quorum, kann durch Listenverbindungen abgeschwächt werden.

Das Proporzverfahren wird auch bei den Parlamentswahlen in Kantonen und größeren Gemeinden angewandt. In kleineren Gemeinden werden in der Regel keine Parlamente gewählt und die legislativen Aufgaben von einer Volksversammlung wahrgenommen. In den Kantonen Zug und Tessin gilt auch für die Exekutivwahlen das Verhältniswahlrecht. In den übrigen Kantonen wird der so genannte „freiwillige Proporz“ praktiziert: Die Wahl erfolgt zwar nach dem Majorzverfahren; da aber entweder die größten Parteien darauf verzichten, für alle Sitze Kandidaten aufzustellen, oder deren Wähler z. T. auch Kandidaten anderer, kleinerer Parteien berücksichtigen, haben auch Letztere – im Rahmen des allgemein als legitim geltenden Sitzanspruchs ihrer Partei – reelle Wahlchancen.

Siehe auch: Politisches System der Schweiz

Italien

Bis 1994 wurde in Italien mit einem Verhältniswahlsystem gewählt, das faktisch keine Prozenthürden vorsah und somit maßgeblich die Zersplitterung der italienischen Parteienlandschaft ermöglichte, die zu häufigen Regierungswechseln führte.

Nach einem Referendum wurde 1994 unter anderem bei den Wahlen zum Abgeordnetenhaus eine Vier-Prozent-Hürde (Sperrklausel) eingeführt, außerdem wurden mittlerweile nur noch 25 Prozent der Sitze nach dem Verhältniswahlrecht vergeben, die restlichen 75 Prozent nach dem Mehrheitswahlrecht.

Durch das Wahlrechtsreformgesetz 270/2005 wurde das Wahlrecht erneut geändert. Nach der Zustimmung der Camera dei Deputati beschloss am 14. Dezember 2005 auch der Senato della Repubblica mit 160:119 Stimmen ein (modifiziertes) Verhältniswahlsystem (wieder)einzuführen. Das neue Wahlrecht wurde am 22. Dezember 2005 von Staatspräsident Ciampi verkündet und wurde bereits für die Parlamentswahlen im April 2006 angewendet. Das Gesetz sieht einen „Bonus“ für den Wahlsieger vor, um klare Mehrheiten im Parlament zu sichern (Mehrheits-Proporzsystem), d. h. das Erreichen von 340 Sitzen in der Abgeordnetenkammer wird für die mehrheitliche Koalition garantiert. Außerdem sind Sperrklauseln für kleine Parteien festgesetzt. Es gibt drei Hürden für das Abgeordnetenhaus: 10 % für die Listenverbindungen, 4 % für nicht verbundene Parteien und 2 % für Parteien in Listenverbindungen. Für Parteien, die anerkannte Minderheiten vertreten, gilt eine Ausnahmeregelung.

Siehe auch: Politisches System Italiens

Weblinks


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