Volksschauspiele Ötigheim

Volksschauspiele Ötigheim

Die Freilichtbühne Ötigheim ist eine von dem Verein Volksschauspiele Ötigheim e.V. betriebene Freilichtbühne in dem baden-württembergischen Dorf Ötigheim bei Rastatt. Mit einer Zuschauertribüne für bis zu 4.000 Personen ist die Ötigheimer Bühne unter den von Amateurtheatern bespielten Freilichtbühnen Deutschlands die größte.[1] Die Bühne ist Mitglied im Verband deutscher Freilichtbühnen.

48.8838898.2319447Koordinaten: 48° 53′ 2″ N, 8° 13′ 55″ O

Freilichtbühne Ötigheim (Baden-Württemberg)
DEC
Freilichtbühne Ötigheim
Freilichtbühne Ötigheim
Land Baden-Württemberg

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Die Freilichtbühne Ötigheim kann auf eine über hundertjährige Geschichte zurückblicken. Bereits im Jahr 1906 fanden die ersten Aufführungen auf der heutigen Anlage statt.

Gründung

Zur Einrichtung der Bühne kam es durch die Initiative des Ötigheimer Ortsgeistlichen Josef Saier. Dieser hegte die Befürchtung, durch die Zunahme der industriellen Arbeit könnte die Jugend vor Ort dem Leben auf dem Dorf entfremdet werden. Daher suchte Saier nach einer Möglichkeit, den örtlichen Jugendlichen eine sinnvolle Freizeitbeschäftigung zu bieten. Bereits ein Jahr nach seinem Amtsantritt in Ötigheim im Jahre 1905 konnte Saier am 30. September 1906 unter Mitwirkung vieler freiwilliger Helfer aus dem Dorf in einer ehemaligen Kiesgrube die Freilichtbühne Ötigheim in Betrieb nehmen. Zur Aufführung kam das Stück Die beiden Tilly.[1][2]

Erste Jahre

Die beiden Tilly wurde zwar im Jahr 1907 nochmals einige Male aufgeführt, wegen mangelnder Rentabilität kam der Theaterbetrieb in Ötigheim jedoch im selben Jahr wieder zum Erliegen. 1910 jedoch konnte Saier wieder genügend Mitwirkende vor und hinter der Bühne aktivieren, sodass im selben Jahr Schillers Wilhelm Tell aufgeführt werden konnte. Die Inszenierung war so erfolgreich, dass dasselbe Stück auch 1911 und 1913 wieder gespielt wurde, 1913 kamen dabei erstmals über 100.000 Zuschauer zu den Aufführungen.[3]

Kontinuierlicher Spielbetrieb

Von nun an wuchs der Bekanntheitsgrad der Ötigheimer Volksschauspiele von Jahr zu Jahr und in jedem Sommer kamen Stücke zur Aufführung. Ein großer Teil der Einwohnerschaft des Dorfes war direkt oder indirekt an den Spielen beteiligt. Bis 1939 wurde ununterbrochen gespielt, der Zweite Weltkrieg erzwang dann eine Unterbrechung, jedoch wurde der Spielbetrieb bereits 1945, kurz nach Kriegsende wieder aufgenommen.[1] Das bis heute meistgespielte Drama auf der Ötigheimer Freilichtbühne ist Wilhelm Tell, was der Theateranlage in der Bevölkerung den Beinamen „Tellplatz“ eingebracht hat.[2] Seit 1950 führen die Volksschauspiele Ötigheim jeweils zu Beginn eines neuen Jahrzehnts ein von Josef Saier eigens für die Bühne verfasstes Passionsspiel auf, dessen Uraufführung 1948 war. Die Volksschauspiele bekennen sich nach wie vor zur von Saier geprägten „künstlerischen und kulturpolitisch-christlichen Linie“[1].

Ausweitung des Programms

Schon in den 1930er Jahren waren neben dem Theaterstück auch Tanzabende und vereinzelt parallel veranstaltete zweite Inszenierungen auf der Bühne angeboten worden. Ab etwa 1950 wurde es zur Regel, dass nicht nur eine Inszenierung auf dem Spielplan stand.

Kindertheater

1991 wurde parallel zu den regulären Stücken ein eigenes Kinderprogramm ins Leben gerufen. Seither werden pro Spielzeit meist drei Inszenierungen parallel durchgeführt.[4]

Musik

Ab Mitte der 1970er Jahre kamen in Ötigheim zunehmend auch Musicals, Operetten und Opern zur Aufführung. So standen etwa Schwarzwaldmädel (1973–1975), My Fair Lady (1999) oder Mozarts Zauberflöte (2002) auf dem Spielplan.[4] Hatte in den früheren Jahren noch ein Liveorchester für die Bühnenmusik gesorgt, kam diese ab 1970 vom Band. Aus den ehemaligen Bühnenmusikern entstand das Kammerorchester Ötigheim, das seit 2007 wieder als Orchester der Volksschauspiele Ötigheim fungiert.[3][5]

Gastspiele

Auch für Gastspiele hat sich die Ötigheimer Freilichtbühne geöffnet. So fanden hier neben regelmäßigen Musicalnächten auch schon Konzerte von Udo Jürgens, Montserrat Caballé und Helmut Lotti statt.[3]

Anlage

Die Bühne in Ötigheim ist mit einer Breite von 200 m bei einer Tiefe von 60 m so groß, dass bereits bis zu 400 Akteure gleichzeitig das Podium bevölkerten.[2] Der Zuschauerraum bietet 4.000 Besuchern Platz. Die Überdachung des Zuschauerraums wurde bereits im Jahre 1911 begonnen, etliche Ötigheimer Bürger hatten zur Finanzierung eigens Vieh gezüchtet und verkauft. 1960 und 1961 wurde der Zuschauerbereich völlig neu gestaltet.[6] Regelmäßig sehen über 100.000 Menschen pro Spielzeit die Aufführungen in Ötigheim. An einer normalen Aufführung sind auf, hinter und um die Bühne zwischen 400 und 600 Personen beteiligt.

Spielbetrieb

Neben den bis zu 80 Rolleninhabern, die zum allergrößten Teil Laiendarsteller sind, werden noch viele andere Personen an den Aufführungen beteiligt. So gehört zum Betreiberverein eine eigene Ballettschule mit rund 60 Schülern, ein großer Chor mit rund 140 und ein Jugendchor mit etwa 50 Mitgliedern, ein Ensemble von bis zu 500 Statisten, das Orchester der Bühne, wie auch ein zugehöriges Jugendorchester und Personen, die sich um die Pflege und Dressur von bei den Inszenierungen eingesetzten Tieren kümmern. Daneben sind noch in der ganzen Vereinsverwaltung viele Ehrenamtliche aktiv, lediglich in den Bereichen Technik, Kostüme, Bühnenbau, Maske und Geschäftsstelle gibt es wenige hauptamtliche Mitarbeiter.[5]

Die Mitwirkenden erhalten eine kleine Aufwandsentschädigung, nur 10 Prozent der Einnahmen der Bühne stammen aus Zuschüssen, die restlichen 90 Prozent müssen an der Kasse eingespielt werden.[7]

Kleine Bühne

1963 wurde auf dem Gelände der Freilichtbühne Ötigheim die sogenannte „Kleine Bühne“ eingerichtet, eine Saalbühne, auf der auch im Winter Theaterstücke gezeigt werden. Die Kleine Bühne ist Sprungbrett für talentierte und ambitionierte Nachwuchsschauspieler und Regisseure und bietet jedes Jahr mehrere Stücke und Liederabende.[8]

Amateure und Berufsschauspieler

Waren die Ötigheimer Volksschauspiele bis 1934 ein reines Amateurtheater, so zwangen Vorschriften der Nationalsozialisten die Theatermacher um Josef Saier in diesem Jahr erstmals zum Einsatz von Berufsschauspielern. Bis heute werden vereinzelt professionelle Schauspieler, Sänger und Regisseure für besonders schwierige Rollen und Inszenierungen engagiert. So spielten in Ötigheim unter anderem bereits Toni Berger, Günter Mack, Antje Hagen und Holger Marks.[9]

Einzelnachweise

  1. a b c d Geschichte der Freilichtbühne Ötigheim
  2. a b c Portrait Josef Saiers auf den Seiten der Erzdiözese Freiburg
  3. a b c "Volksschauspiele Ötigheim sind dem VDF beigetreten" - In: Freilichtbühne Aktuell - Dezember 2007, S.20f
  4. a b Archiv der Freilichtbühne Ötigheim
  5. a b Abteilungen der Volksschauspiele
  6. "Wir wollen sein ein ein(z)ig Volk von Brüdern..." In: Schau.Spiel. Zeitschrift des Landesverbandes Amateurtheater Baden-Württemberg. Ausgabe 2/2006.
  7. Matthias Heine: Das Über-Oberammergau. In: Die Welt, 25. Juli 2007. Hier online
  8. Die Kleine Bühne
  9. Werner Sachsenmeier: Ötigheimer Urgestein, Vorstand, Schauspieler, Archivar. In: Schau.Spiel. Zeitschrift des Landesverbandes Amateurtheater Baden-Württemberg. Ausgabe 2/2006.

Literatur

  • Martin Walter, 100 Jahre Volksschauspiele Ötigheim – Volk spielt fürs Volk, ISBN 3-89735-432-2
  • Volksschauspiele Ötigheim sind dem VdF beigetreten. In: Freilichtbühne Aktuell, Dezember 2007

Weblinks


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