Völkermord an Armeniern

Völkermord an Armeniern

Der Völkermord an den Armeniern wurde Anfang des 20. Jahrhunderts begangen, als im Zusammenhang mit armenischen Unabhängigkeitsbestrebungen und dem Ersten Weltkrieg (1914–1918) eine große Zahl von Armeniern im Osmanischen Reich, aus dem die heutige Republik Türkei entstand, getötet wurde. Im engeren Sinn versteht man unter diesem Begriff die Morde in den Jahren von 1915 bis 1917.

Bei den größten Massakern und auf den Todesmärschen kamen je nach Schätzung etwa 300.000[1] bis zu über 1,5 Millionen[2] Armenier um. Die Angaben zu den Opferzahlen der Übergriffe in den beiden vorausgehenden Jahrzehnten schwanken zwischen Zehntausenden und Hunderttausenden Armeniern.[3]

Während viele Armenier die Vertreibungen und Massaker als ungesühntes Unrecht empfinden und seit Jahrzehnten eine angemessene Erinnerung fordern, gelten die Deportationen nach der offiziellen türkischen Sichtweise als „kriegsbedingte Sicherheitsmaßnahme“. Die Todesfälle führt sie auf die Umstände und Übergriffe zurück[4] und legt den Fokus auf die damaligen armenischen Aufstände.[5]

Inhaltsverzeichnis

Vorgeschichte

Gesellschaftsstruktur und Demographie

Die Armenier bildeten nach den Griechen die zweitgrößte christliche Minderheit im Osmanischen Reich.[6] Die Bevölkerungsgruppen waren nach ihrer Religionszugehörigkeit in Millets organisiert.[7] Die Armenier galten aus osmanischer Sicht traditionell als „loyale Nation“ (Osmanisch: millet-i sādiqa), konnten ihren Glauben ohne wesentliche Einschränkungen ausüben und hatten innerhalb des osmanischen Staates durchaus Möglichkeiten, Ehre, Wohlstand und Status zu erwerben. Zu diesem Bild der Toleranz im Osmanischen Reich muss allerdings hinzugefügt werden, dass Nichtmuslime im Gegensatz zu Muslimen grundsätzlich einen niedrigeren Status in der Gesellschaft einnahmen, rechtlich und steuerlich benachteiligt waren und auch keine hohen Ämter in Verwaltung und Armee bekleiden durften. Solange die Armenier und andere Nichtmuslime diese Beschränkungen des osmanischen Systems akzeptierten, konnten sie innerhalb ihrer Gemeinden aber „relativ gut“ leben[8].[9]

Armenisch besiedelte Regionen 1896; Karte aus Petermanns Geographische Mitteilungen

Um 1800 lebten die Armenier mehrheitlich unter osmanischer Herrschaft. Ihre Hauptsiedlungsgebiete im Osmanischen Reich lagen

Vor dem Ersten Weltkrieg lag die Zahl der anatolischen Armenier bei 1.700.000 Personen. Das entsprach ungefähr 10 Prozent der gesamten Bevölkerung Anatoliens. In keinem Vilayet übertraf ihre Zahl die der Muslime, nur in wenigen Kazas (türkisch kaza, arabisch qadâ’ = Gerichtsbezirk) der Sandschaks Van und Siirt (Saird oder Sairt) war das 1896 der Fall. Als Minderheit waren sie jedoch unübersehbar.[6] Die türkische Regierung gab (später) die Zahl mit 1.300.000 an.[10] Das armenisch-apostolische Patriarchat in Konstantinopel bezifferte nach einer Volkszählung, die es 1913/14 in seinen Gemeinden durchführen ließ, die armenisch-apostolische Bevölkerung im Osmanischen Reich dagegen auf knapp 2.000.000.[11]

Osmanen und Armenier in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts

Reformversuche, Nationalismus und Zuspitzung der innenpolitischen Lage

Im Laufe des 19. Jahrhunderts wurde das „empfindliche Gleichgewicht zwischen offizieller Ungleichheit und relativer Toleranz“ immer stärker gestört,[12] einerseits durch die Probleme, die sich aus der Tatsache ergaben, dass es dem Osmanischen Reich zunehmend schwerer fiel, mit den europäischen Rivalen wirtschaftlich und militärisch mitzuhalten, andererseits durch das erwachende Nationalbewusstsein seiner Völker und Ethnien. Das im Niedergang befindliche, multiethnische Osmanische Reich, damals oft als „Kranker Mann am Bosporus“ bezeichnet, versuchte in der Tanzimat-Periode (1839–1876) den Staat durch Übernahme westlicher Konzepte zu reformieren. Zunehmend wurden Reformen auch von den europäischen Mächten eingemahnt, die dabei aber ebenso wie Russland, das im Rahmen seiner Expansionspolitik die anatolischen Armenier für die Destabilisierung des Osmanischen Reiches einzusetzen versuchte, eigene Interessen verfolgten.[6] Unter dem Druck äußerer Ereignisse wie der Balkankrise von 1876 führte Sultan Abdülhamid II. die grundsätzlich notwendigen Reformen seiner Vorgänger zunächst weiter und verpflichtete sich in Artikel 61 des Berliner Vertrages von 1878 zum Schutz der Armenier vor Übergriffen durch die Kurden und zur Durchführung einer Verwaltungsreform, die den Armeniern gewisse Autonomierechte bringen sollte.[13] Da Sultan Abdülhamid II., ein Verfechter der absoluten Sultansmacht, noch während des Russisch-Türkischen Krieges im Februar 1878 das Parlament auf unbestimmte Zeit aufgelöst und den in Artikel 61 festgeschriebenen Verpflichtungen ohnehin nur halbherzig zugestimmt hatte, wurden diese Verpflichtungen aber nie umgesetzt.

Der Sultan betrachtete die Initiativen nach Reformen und die Suche nach dem Schutz durch europäische Mächte, die von einem eher kleinen Teil der armenischen Elite ausgingen, ebenso mit zunehmendem Argwohn, wie die konservativen und die liberalen Eliten des Reiches. „Für Sultan Abdul Hamid II. … verkörperten die Armenier alle Fehlentwicklungen im Osmanischen Reich“,[14] und er war entschlossen, der von ihnen ausgehenden vermeintlichen Bedrohung energisch zu begegnen. Auf armenischer Seite wiederum lieferte die Verschleppung der 1878 zugesagten Reformen in den osmanischen Ostprovinzen Anlass zu permanenter Unzufriedenheit und verstärkte armenische Unabhängigkeitsbestrebungen, die auch von den in den 1880er Jahren neu entstandenen politischen Parteien verfochten wurden. 1885 wurde in Van die Partei Armenakan Kasmakerputjun („Armenische Organisation“) gegründet, die jedoch noch keine derart radikalen Forderungen nach Unabhängigkeit erhob, wie die 1887 gegründete Huntschak bzw. „Glocken“-Partei, die im Kampf für Unabhängigkeit auch den Einsatz terroristischer Mittel für gerechtfertigt hielt. 1890 entstand schließlich die Daschnak-Partei, die den Volkskrieg gegen die Osmanische Regierung propagierte.[15] Noch im selben Jahr begannen armenische Terroristen auch mit der gezielten Ermordung osmanischer Beamter.[16]

Die Daschnak-Partei war als Organisation gegründet worden, die alle bis zu diesem Zeitpunkt existierenden revolutionären Kräfte vereinigen sollte, von der sich die Huntschak-Partei allerdings bald darauf wieder löste. Als sich die Huntschak 1896 in zwei verfeindete Lager spaltete, nahm ihre Effektivität ab. In der Folgezeit war die Daschnak der Hauptakteur der revolutionären Bewegung der armenischen Gemeinde.[17] Zusätzlich entstanden ab 1885 durch Eid verschworene Kampfgruppen der armenischen Landbevölkerung, die sich als „Selbstschutzverbände“ verstanden und Hajdukner oder Fedajiner nannten. Im Gegenzug stellte der Sultan ab 1891 nach dem Vorbild der Kosaken und in der Tradition der Akıncı und Deli irreguläre Kavallerieeinheiten auf, die sich vorwiegend aus regierungsloyalen kurdischen Stämmen rekrutierten und ihm zu Ehren Hamidiye genannt wurden. Für ihre Dienste wurden die Hamidiye mit Steuerfreiheit und dem Recht auf Plünderung belohnt. Offiziell waren sie zum Schutz der Grenzen vor Russland gegründet worden, tatsächlich aber sollten sie als innenpolitische Kampftruppe gegen die Armenier fungieren.[18]

Die Massaker der Jahre 1894 bis 1896

Der wachsende Nationalismus verstärkte die ohnehin schon lange bestehenden Spannungen zwischen Armeniern und Kurden. Eine wesentliche Ursache dafür war der so genannte kischlak, die Überwinterung kurdischer Hirtennomaden in armenischen Dörfern für vier bis sechs Monate im Jahr. In der zum Vilayet Bitlis gehörenden, südwestlich des Vansees gelegenen Region Sasun, hatte es sich dabei anfangs um eine Art gegenseitiger Vereinbarung gehandelt. Im Laufe der Zeit waren die Kurden jedoch dazu übergegangen, den kischlak als Gewohnheitsrecht ohne Gegenleistung einzufordern. Hinzu kam, dass die Kurden von den Armeniern, die wie alle osmanischen Staatsangehörigen unter einem enormen Steuerdruck standen, häufig irreguläre Abgaben in Form von Geld, Naturalien oder Frondiensten einforderten und diese im Weigerungsfall auch mit Gewalt durchsetzten. Die osmanischen Behörden wiederum konnten oder wollten die Armenier vor solchen Willkürakten oft nicht schützen.[19]

1893 hatten die armenischen Bewohner Sasuns aus dem Gebiet um Diyarbakir kommende kurdische Eindringlinge erfolgreich abgewiesen. Auch ein erneuter Angriff, zu dem die Kurden daraufhin von den osmanischen Behörden ermuntert worden waren, konnte von den als sehr wehrhaft geltenden Sasun-Armeniern abgeschlagen werden.[20] Im Sommer 1894 weigerten sich die Sasun-Armenier, die von der Regierung und den örtlichen kurdischen Stammesführern eingeforderte doppelte Steuerlast zu bezahlen. Aktivisten der Huntschak-Partei versuchten diese Steuerrevolte, die schließlich 25 Dörfer erfasste, zu nutzen und einen landesweiten Aufstand anzuzetteln. Es kam zwar zu bewaffneten Widersetzlichkeiten, aber diese hatten nicht den Charakter einer allgemeinen armenischen Aufstandsbewegung. Dennoch schlug die osmanische Staatsmacht nun mit aller Härte zurück. Türkisches Militär und irreguläre Hamidije-Einheiten in einer Stärke von etwa 3.000 Mann erstürmten die aufsässigen Dörfer im August nach mehr als zweiwöchigen blutigen Kämpfen und richteten Massaker an, bei denen zwischen 900 und 4.000 Armenier[3] getötet wurden. 32 der 40 armenischen Dörfer der Region wurden dabei zerstört.[21] Die „Sasuner Gemetzel“ erregten in den übrigen europäischen Staaten Entsetzen und Abscheu und verstärkten wieder einmal den Ruf nach Reformen und einer Autonomie für die sechs östlichen und in großer Zahl von Armeniern bewohnten Vilajets des Osmanischen Reiches. Dennoch kam es abermals zu keinerlei Reformen seitens des Sultans, woraufhin Großbritannien, Frankreich und Russland im April 1895 einen eigenen Reformvorschlag vorlegten.[21]

Als der Sultan darauf abermals nicht reagierte, organisierte die Huntschak-Partei am 30. September 1895 eine Protestdemonstration in Konstantinopel, die von der Polizei zusammengeschossen wurde. Rund 20 Demonstranten fanden dabei den Tod. Aufgehetzte türkische Gegendemonstranten verfolgten die flüchtenden Armenier und erschlugen viele von ihnen. Etwa 3.000 Armenier, die sich in ihre Kirchen geflüchtet hatten, wurden vom wütenden Mob dort tagelang belagert, ohne dass die türkische Polizei dagegen einschritt. Erst als sich die russische Botschaft vermittelnd einschaltete, fanden diese Übergriffe in der Hauptstadt ein Ende.[21][6]

Französische Karikatur aus den 1890er Jahren, die Sultan Abdülhamid II. als „Schlächter“ der Armenier zeigt

Diese Protestaktion wurde zum groß angelegten Aufstandsversuch aufgebauscht und diente Sultan Abdülhamid II. als Anlass für „eine Schreckenskampagne gegen die armenische Bevölkerung.[22] Am 8. Oktober 1895[23] beispielsweise kam es zu einem Massaker an den Armeniern in Trabzon mit mehreren hundert Toten. Die Massaker dehnten sich rasch auch auf das Hochland aus.[22] Im Februar 1896 konnte die Niederschlagung eines angeblichen „Armenieraufstands“ in Zeytun/Ulnia, dem heutigen Süleymanlı bei Maraş, nach monatelangen Kämpfen nur durch Vermittlung der Großmächte beendet werden.[6]

Am 26. August 1896 besetzten 25 Daschnaken die Ottomanische Bank in Konstantinopel und nahmen die 160 Bankangestellten als Geiseln,[24] um Autonomie für die armenischen Provinzen unter der Aufsicht europäischer Mächte, die Freilassung armenischer Gefangener und die Rückgabe beschlagnahmten Eigentums durchzusetzen. Ihre Forderungen wurden nicht erfüllt, sie konnten aber freien Abzug nach Frankreich erreichen.[25][26] Als türkische „Reaktion“ darauf kam es in Konstantinopel zu überaus blutigen Übergriffen auf Armenier, die 6.000 bis 14.000 Tote forderten. Alle Berichte ausländischer Diplomaten stimmten darin überein, dass die Mörder organisiert und in Absprache mit den Behörden handelten.[27] Nachdem es im Juni 1896 schon zu Massakern an Armeniern in Van und seiner Umgebung gekommen war, folgten nun im September weitere in Egin und Niksar.[24]

Die Anzahl der während der Pogrome der Jahre 1894–1896 getöteten und verwundeten Armenier wird mit 80.000 bis 300.000 angegeben.[28] Wie bei den vergleichbaren Massakern an den Juden in Russland kam auch hier das Signal zum Angriff von der Regierung. Die Polizei ließ der Gewalt in der Regel freien Lauf, bis von Regierungsseite entsprechende Befehle zu Beendigung der Massaker kamen. Dennoch fallen die armenischen Massaker dieser Jahre „nicht in die Kategorie des Völkermords ... Das Ziel war eine harte Bestrafung, keine Ausrottung.[29] Es handelte sich dabei auch um keine ethnische Säuberung, da kein Versuch gemacht wurde, die Armenier generell aus ihren Heimatgebieten zu vertreiben. Vielmehr sollten sie „auf «ihren Platz» zurückgedrängt werden“.[30]

Die weitere Entwicklung bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs

Obgleich es auch Beispiele gemeinsamen armenisch-türkischen Protests gegen die Steuerpolitik der Hohen Pforte gab,[6] blieb die Lage nach der Beendigung der großen Pogrome von 1894–1896 angespannt. Bereits 1904 kam es abermals zu schweren Kämpfen in der Region Sasun, und am 21. Juli 1905 verübten armenische Terroristen einen Anschlag auf Sultan Abdülhamid II. Der Sultan blieb unverletzt, doch kamen dabei 28 Menschen zu Tode.[31] Terrorakte wie dieser mussten türkischerseits die Sichtweise, dass von den Armeniern eine permanente Bedrohung ausgehe, nahezu zwangsläufig bestätigen und antiarmenische Ressentiments verstärken oder aber wecken.[32]

Der Machtantritt der Jungtürken, die sich als Oppositionsgruppe gegen die despotische Amtsführung Sultan Abdülhamids II. formiert hatten und ihn 1908 zwangen, die Verfassung wieder in Kraft zu setzen, schien zunächst eine wesentliche Besserung der Lage der Armenier zu versprechen. Die in verschiedene Fraktionen aufgesplitterten Jungtürken können durchaus als Repräsentanten einer westlich-liberalen Ideenwelt angesehen werden und versuchten zu Beginn ihrer Herrschaft ein parlamentarisch-konstitutionelles Regierungssystem im Osmanischen Reich einzurichten, das auch christlichen und nichttürkischen islamischen Minderheiten des Vielvölkerstaats Mitbestimmungs- oder Autonomierechte zu gewähren bereit war. Doch relativ rasch gewannen bei ihnen türkisch-nationalistische und sogar turko-rassistische Vorstellungen gegenüber liberal-aufklärerischen Ideen die Oberhand, vor allem innerhalb des berühmt-berüchtigt gewordenen Komitees mit dem Namen „Einheit und Fortschritt“ (İttihad ve Terakki), das 1889 als Geheimorganisation gegründet worden war und schon bald die eigentliche Macht ausübte. Insbesondere Enver Bey (der spätere Kriegsminister Enver Paşa) strebte nach der Errichtung eines „Großtürkischen ,Turanischen‛ Reiches“ unter Einbeziehung Aserbaidschans, Usbekistans, Turkmenistans und sogar von Teilen Chinas.[33]

Der gescheiterte Versuch Sultan Abdülhamids II., den durch die Bosnische Annexionskrise innenpolitisch geschwächten Jungtürken im März 1909 die Macht wieder zu entreißen, führte nicht nur zu seiner Absetzung, sondern war im kilikischen Adana und in den umliegenden Gebieten auch von schweren Übergriffen auf die Armenier begleitet. Zwischen 15.000 und 20.000 Armenier fanden innerhalb weniger Wochen den Tod.[34] Sich vor der Küste befindliche Kriegsschiffe Deutschlands, Frankreichs, Großbritanniens, Italiens, Österreichs, Russlands und der USA, die die Massaker möglicherweise hätten stoppen können, schritten nicht ein[35] und die von der Konstantinopeler Regierung verfügte Hinrichtung von 134 „Schuldigen“ (127 Muslime und 7 Armenier) konnte angesichts des Ausmaßes dieser Ereignisse kaum zur „Schadensbegrenzung“ beitragen.[6]

Am Vorabend des Ersten Weltkriegs verschärfte sich die Lage für die Minderheiten des Osmanischen Reiches durch die militärischen Niederlagen im Tripoliskrieg und im Ersten Balkankrieg abermals. Die aus den Kriegen resultierenden gewaltigen territorialen Verluste des Reiches hatten innerhalb des „Komitees für Einheit und Fortschritt“ (İttihad ve Terakki Cemiyeti) eine extreme Radikalisierung zur Folge. Die Schuld am Territorialverlust wurde gerade hier zu einem nicht unwesentlichen Teil auch dem Wirken „illoyaler Bevölkerungsgruppen“ zugeschrieben.[36] 1913 etablierte das „jungtürkische TriumviratTalat Bey (der spätere Großwesir Talat Paşa), Enver Bey und Cemal Bey (der spätere Marineminister Cemal Paşa) nach einem Staatsstreich ein diktatorisches System, das gewillt war, künftig gegen die „inneren Feinde“ vorzugehen. Historiker orten bereits zu dieser Zeit „eine latente Gefahr von Massenmord“,[37] die durch die fast zwanghaft zu nennende Vorstellung, dass primär die Armenier kollektiv zu den Staatsfeinden zu zählen seien, verschärft worden sei.[38]

Der Genozid

Ausgangslage

Am 14. November 1914 trat das Osmanische Reich an der Seite der Mittelmächte in den Ersten Weltkrieg gegen die Entente ein, zu der auch Russland gehörte. Getrieben vom Wunsch nach der Rückeroberung jener Gebiete, die dem Osmanischen Reich dort in vorhergehenden Kriegen gegen Russland verloren gegangen waren, mehr noch aber von pantürkischen Vorstellungen, befahl die türkische Führung Ende 1914 eine groß angelegte Offensive im Kaukasus. Diese lief nicht nur den Vorstellungen der Verbündeten zuwider, sondern stellte angesichts des schwierigen winterlichen Terrains und des schlechten Ausrüstungszustandes der osmanischen Armee ein nicht unbeträchtliches Wagnis dar. Die nachfolgende Schlacht von Sarıkamış endete daher um die Jahrswende 1914/15 mit einer verheerenden Niederlage des Osmanischen Reiches und Gebietsverlusten im Zuge der russischen Gegenoffensive.[39]

Die Tatsache, dass eine Minderheit der Armenier die russische Armee in der Hoffnung auf Unabhängigkeit unterstützt hatte und auf russischer Seite armenische Freiwilligenbataillone an den Kampfhandlungen beteiligt waren,[40] verstärkte innerhalb der jungtürkischen Führung „das Zerrbild eines angeblichen armenischen Sabotageplans.[41] Obwohl die armenische Zivilbevölkerung und die in der osmanischen Armee dienenden Soldaten mehrheitlich loyal geblieben waren, machte die Staatsführung des Osmanischen Reiches die Armenier nun kollektiv für die militärischen Probleme in Ostanatolien verantwortlich.

Vorbereitung und Durchführung

Wann genau das jungtürkische „Komitee für Einheit und Fortschritt“ den Beschluss fasste, die Armenier als Ganzes zu vernichten, lässt sich nach wie vor nicht mit absoluter Sicherheit bestimmen, da entsprechende Dokumente entweder fehlen, (noch) nicht zugänglich sind oder aber nie existierten. Ein möglicher Grund dafür wird auch im konspirativen Charakter des „Komitees für Einheit und Fortschritt“ gesehen, bei dem es üblich war, wichtige Befehle mündlich zu erteilen.[42] Die zunächst bedrohliche Kriegssituation aufgrund der verlorenen Schlacht von Sarıkamış und die Frustration der jungtürkischen Führung werden als ebenso wichtige Elemente der Vorgeschichte der Vernichtung angesehen, wie die ersten osmanischen Erfolge in der Schlacht bei Gallipoli im März 1915. Im Zeitraum von Mitte März bis Anfang April 1915 dürften jedenfalls die entscheidenden Weichenstellungen für die kommenden Ereignisse erfolgt sein.[43]

Der erste Schritt bestand in der Entwaffnung der armenischen Soldaten der osmanischen Armeen, die zum Teil anschließend getötet, zum Teil in Arbeitsbataillonen zusammengefasst wurden. Wenig später erfolgte die Hinrichtung mehrerer dieser Bataillone.[44] Bei diesen und auch den folgenden Aktionen waren hauptsächlich die aus Kurden, freigelassenen Strafgefangenen und Flüchtlingen aus dem Balkan- und Kaukasusgebiet bestehenden Angehörigen der von Dr. Bahaettin Şakir geleiteten Spezialeinheit Teşkilat-ı Mahsusa beteiligt, welcher vermutlich noch weitere Freiwilligenbanden (Çete) aller Art zugerechnet werden müssen.[45]

Vor dem eigentlichen Deportationsgesetz vom 27. Mai 1915 fanden bereits im Februar und April die ersten Deportationen in Anatolien statt, die jedoch noch nicht das planmäßige Ziel der Vernichtung zum Ziel hatten und sich deshalb auf die Überführung von Bevölkerungsteilen aus Adana, Zeytun und Dörtyol ins Landesinnere beschränkten.[46] Auch in diesem Zusammenhang ist nicht völlig geklärt, wann schlussendlich der Entschluss gefasst wurde, die Deportationen so ablaufen zu lassen, dass sie zum Tod möglichst vieler Armenier führen mussten.[42]

Im April 1915 erhoben sich die Armenier in Van und ließen sich nach erfolgreichem Widerstand „zahlreiche Schandtaten gegen die wehrlose muslimische Bevölkerung zuschulden kommen“.[40] Dieser Aufstand und die revolutionäre Gewalt der Huntschak-Aktivisten galten der Zentralregierung als durchaus willkommene Rechtfertigung für ihr weiteres Vorgehen gegen das armenische Volk. Die armenisch-sozialistische Huntschak-Partei praktizierte indes die Beseitigung all jener armenischen und nichtarmenischen Repräsentanten, die ihren Zielen im Wege standen, und wollte damit staatliche Repressionen gegen die armenische Bevölkerung provozieren, um insbesondere Russland zum Eingreifen zu bewegen.[40][47] Ferner gab es die sogenannten armenischen Fedayin, die von Persien oder Russland aus „in ganz Armenien Schrecken bei Türken und Kurden“ verbreiteten.[48]

Im April und im Juni 1915 erfolgten Razzien gegen die armenische Elite in Konstantinopel. Die treibende Kraft dahinter war Innenminister Talat Bey. Er setzte sich gegen den Widerstand von Kollegen, die internationale Verwicklungen befürchteten, für die Entfernung der Armenier aus der Hauptstadt ein.[49] Am 24. und 25. April 1915 wurden zunächst 235 Personen verhaftet.[50][51] Laut offizieller Darstellung vom 24. Mai 1915 betrug die Zahl der Verhafteten schließlich 2.345.[52] In den Akten des Auswärtigen Amtes des Deutschen Reiches werden weitere Verhaftungen und Deportationen von Armeniern Konstantinopels erwähnt und teilweise in Einzelheiten beschrieben.[53] [54] Sie geschahen im Laufe des Jahres 1915 trotz der Versicherung der osmanischen Regierung, die Armenier Konstantinopels zu schonen.[55]

Routen, Fluchtwege, vorübergehende Sammelplätze und Konzentrationsorte der armenischen Deportierten 1915 bis 1917

Am 27. Mai 1915 wurde von der Regierung ein Deportationsgesetz erlassen. Mit diesem Gesetz wurden die Sicherheitskräfte angewiesen, die Armenier einzeln oder insgesamt zu deportieren. Die Armee wurde verpflichtet und beauftragt, Opposition oder bewaffneten Widerstand gegen Befehle der Regierung, gegen die Landesverteidigung oder gegen die öffentliche Ordnung unverzüglich mit militärischer Gewalt in härtester Form „zur Raison zu bringen“ und Übertretungen und Widerstand von „Grund auf zu vernichten“.[56] Im Einzelnen liegen Berichte darüber vor, dass Grundstücke von Deportierten per Gesetz zwangsübertragen, Barmittel und zurückgelassene bewegliche Habe „vereinnahmt“ wurden.[57] Es sind keine Fälle bekannt, in denen den Deportierten Kompensation für die Enteignung gezahlt wurde.[58] In Häusern verbliebene Möbel und Gegenstände wurden geplündert.[59] Vielfach wurden Gold und Schmuck unterwegs geraubt.[60]

In Erzurum kabelte Hilmi Bey, der Inspektor des „Komitees für Einheit und Fortschritt“, nach dessen englischer bzw. französischer Bezeichnung (Committee of Union and Progress bzw. Comité Union et Progrès; abgekürzt: CUP) seine Mitglieder auch Unionisten genannt werden, an Bahaettin Şakır:

„Es gibt Individuen innerhalb des Landes, die beseitigt werden müssen. Wir verfolgen diese Perspektive.[61]

Im Juni 1915 schrieb der deutsche Botschafter Hans von Wangenheim aus Konstantinopel an den deutschen Reichskanzler Theobald von Bethmann Hollweg:

„Daß die Verbannung der Armenier nicht allein durch militärische Rücksichten motiviert ist, liegt zutage. Der Minister des Innern Talaat Bey hat sich hierüber kürzlich gegenüber dem zur Zeit bei der Kaiserlichen Botschaft beschäftigten Dr. Mordtmann ohne Rückhalt dahin ausgesprochen „daß die Pforte den Weltkrieg dazu benutzen wollte, um mit ihren inneren Feinden - den einheimischen Christen - gründlich aufzuräumen, ohne dabei durch die diplomatische Intervention des Auslandes gestört zu werden; das sei auch im Interesse der mit der Türkei verbündeten Deutschen, da die Türkei auf diese Weise gestärkt würde.“[62]

Ebenfalls im Juni berichtete der Generalkonsul in Konstantinopel Mordtmann:

„Das läßt sich nicht mehr durch militärische Rücksichten rechtfertigen; es handelt sich vielmehr, wie mir Talaat bej vor einigen Wochen sagte, darum die Armenier zu vernichten.[63]

Bis in den Juli des Jahres 1915 hinein wurden die meisten Armenier zunächst in ihren Hauptsiedlungsgebieten an einigen Orten konzentriert, überwiegend in den Hauptstädten der betroffenen Vilayets.[64] Sie wurden entweder gleich dort von türkischen Polizisten und Soldaten oder kurdischen Hilfstruppen ermordet[65] oder auf Befehl Talats ab dem 27. Mai 1915 auf Todesmärsche über unwegsames Gebirge Richtung Aleppo geschickt. Dabei ging es nicht nur um eine Umsiedlung. Max Erwin von Scheubner-Richter, der damalige deutsche Vizekonsul in Erzurum, berichtete dazu Ende Juli 1915 in einem Schreiben an den Botschafter Wangenheim:

„Von den Anhaengern letzterer [i.e. der ,schrofferen Richtung‛] wird uebrigens unumwunden zugegeben, dass das Endziel ihres Vorgehens gegen die Armenier die gaenzliche Ausrottung derselben in der Tuerkei ist. Nach dem Kriege werden wir ,keine Armenier mehr in der Türkei haben‛ ist der wörtliche Ausspruch einer maßgebenden Persoenlichkeit. Soweit sich dieses Ziel nicht durch die verschiedenen Massakers [ sic!] erreichen lässt, hofft man, dass Entbehrungen der langen Wanderung bis Mesopotamien und das ungewohnte Klima dort ein Uebriges tun werden. Diese Loesung der Armenierfrage scheint den Anhaengern der schroffen Richtung, zu der fast alle Militär- und Regierungsbeamte gehoeren [sic!], eine ideale zu sein. Das tuerkische Volk selbst ist mit dieser Loesung der Armenierfrage keineswegs einverstanden und empfindet schon jetzt schwer die infolge der Vertreibung der Armenier ueber das Land hier hereinbrechenden wirtschaftlichen Not [sic!].[66]

Ende August 1915 verkündete Talat den Abschluss der „Maßnahmen“ gegen die Armenier: „La question arménienne n'existe plus.“[67]. Möglicherweise fiel diese Äußerung im Bestreben, den Beweis zu liefern, „daß die Zentralregierung ernstlich bemüht ist, den im Innern vorgekommenen Ausschreitungen gegen die Armenier ein Ende zu machen“. Die deutschen Diplomaten schenkten diesen Beteuerungen allerdings wenig oder keinen Glauben.[68] Ernst Jäckh, Leiter der „Zentralstelle für Auslandsdienste“ im Auswärtigen Amt des Deutschen Reiches, erklärte im Oktober 1915 zur Rolle Talats:

„Talaat freilich machte keinen Hehl daraus, dass er die Vernichtung des armenischen Volkes als eine politische Erleichterung begrüße.[69][70]

Talat stand damit laut Jäckh im Widerspruch zum Finanzminister Mehmet Cavit Bey und zum Herausgeber der regierungstreuen Zeitung „Tanin“, Hüseyin Cahit Yalçın: „Dschawid und Hussein Dschahid opponierten immer energisch gegen diese armenische Politik, ersterer besonders aus wirtschaftlichen Erwägungen.“[71] Hüseyin Cahit Yalçın war allerdings später der Meinung, dass diejenigen, die die Deportationen befohlen und ausgeführt hatten, damit die Türkei gerettet hätten.[72] Aber auch andere ausländische Gesandte erfassten die Vorgänge in ihrer ganzen Tragweite, so zum Beispiel der US-Botschafter Henry Morgenthau, der aufgrund von Gesprächen mit den jungtürkischen Führern in seinen 1918 veröffentlichten Memoiren resümierte:

„When the Turkish authorities gave the orders for these deportations, they were merely giving the death warrant to a whole race; they understood this well, and, in their conversations with me, they made no particular attempt to conceal the fact. [...] I am confident that the whole history of the human race contains no such horrible episode as this. The great massacres and persecutions of the past seem almost insignificant when compared to the sufferings of the Armenian race in 1915.[73]

Abdulahad Nuri, ein hoher Deportationsoffizier, bekräftigte später laut Gerichtsakten, Talat habe ihm erklärt, die Deportationen verfolgten den Zweck der Vernichtung. [74][75] Beim Yozgat-Verfahren wurden am 22. Februar 1919 zwölf Telegramme verlesen. In diesen Telegrammen wurde die Aussage Nuris, dass die Vernichtung das Ziel der Deportation sei, mehrfach bestätigt.[76] Der später im Bayburt-Verfahren wegen seiner Beteiligung am Völkermord hingerichtete Landrat Nuri sagte später vor Gericht aus, er habe den geheimen Befehl erhalten, keinen Armenier am Leben zu lassen.[77] General Vehip Pascha, Oberkommandierender der 3. Armee erklärte nach dem Krieg vor der sogenannten Mazhar-Kommission:

„Die Deportationen der Armenier wurden im völligen Widerspruch zur Menschlichkeit, Zivilisation und behördlichen Ehre durchgeführt. Die Massaker und die Ausrottung der Armenier, der Raub und die Plünderung ihres Eigentums waren das Resultat von Entscheidungen, die vom Zentralkomitee des Komitees für Einheit und Fortschritt ausgingen.[40]

Die Deportationen wiesen überall dasselbe Grundmuster auf: Entwaffnung, Ausschaltung der wehrfähigen Männer, Liquidierung der lokalen Führung, Enteignung, Todesmärsche und Massaker. [78] Maßnahmen zur Wiederansiedlung wurden nicht getroffen, alle Angebote anderer Staaten, den Deportierten während der Märsche oder am Zielort humanitäre Hilfe zu leisten, lehnte Konstantinopel strikt ab.[79] Es existiert kein Beweis, dass den Deportierten am Zielort Land zugewiesen wurde oder ihnen andere Güter zur Verfügung gestellt wurden.[80] Çerkez Hasan (Hasan, der Tscherkesse), ein osmanischer Offizier, der für die Wiederansiedlung der Armenier in der syrischen und irakischen Wüste verantwortlich war, trat im Jahre 1915 zurück, als ihm klar wurde, dass das Ziel nicht die Wiederansiedlung, sondern die Vernichtung war.[81] Die Zentralregierung ergriff harte Maßnahmen gegen Gouverneure und Landräte, die sich den Deportationsbefehlen widersetzten. Die Gouverneure von Ankara, Kastamonu und Yozgat wurden abgesetzt.[82]. Der Gouverneur Ankaras, Mazhar Bey, berichtete später, der Grund seiner Absetzung, sei seine Weigerung gewesen, den mündlich übergebenen Befehl des Innenministers auszuführen, die Armenier während der Deportation zu töten.[83] Die Landräte von Lice, Midyat, Diyarbakir[84] und Beşiri sowie die Gouverneure von Basra und Müntefak wurden aus diesem Grunde ermordet oder hingerichtet.[85] Unter Moses Der Kalousdian kam es auf dem Mosesberg zum einzigen erfolgreichen Widerstand gegen den Völkermord.

Militärische Erfordernisse für die Deportationen scheiden aus, da der Verdacht auf Zusammenarbeit mit dem Feind sich nicht auf Frauen und Kinder und frontferne Armenier erstrecken konnte, die zudem direkt in die Kriegszone deportiert wurden.[86] Die Deportationen betrafen ferner nahezu die gesamte armenische Zivilbevölkerung Anatoliens[87][88], die sich im Allgemeinen ruhig verhielt.[89] Sie waren auch nicht die Folge eines Bürgerkrieges, da es keine zentral gesteuerte landesweite Rebellion der Armenier gab.[40]

Allen Beteiligten und Verantwortlichen muss klar gewesen sein, dass die „Delokalisierung“ (Osmanisch tehcîr oder teb'îd, ‏تهجير‎ oder ‏تبعيد‎) unter den Bedingungen von 1915/16 einem Todesurteil sehr nahe kommen musste.[6] In den schließlich erreichten Lagern im heutigen Syrien starben die Armenier mangels Versorgung durch Auszehrung und Seuchen,[40] sofern sie nicht unterwegs durch Angriffe kurdischer Stämme ums Leben kamen.[90] Nach Darstellung des deutschen Offiziers im Dienste der osmanischen Armee und Augenzeugen der Ereignisse, Rafael de Nogales, wurden die Armenier in den Todeszügen mancherorts von Zivilisten beschützt und versteckt. An anderen Orten musste die Gendarmerie die Kolonne vor Angriffen der Bevölkerung schützen.[91] Auch beteiligten „türkische Polizisten, Gendarmen und Soldaten“ sich „teils auf Befehl ihrer Vorgesetzten, teils eigenmächtig, an der Tötung der Ausgesiedelten“.[92]

In den folgenden zwei Jahren wurden nach und nach auch die in den westanatolischen Provinzen lebenden Armenier – mit Ausnahme von Konstantinopel und Smyrna, wo sich der deutsche General Liman von Sanders unter Androhung von militärischen Gegenmaßnahmen gegen die Deportationen und Massaker stellte [93] – deportiert oder ermordet.

Die Opferzahl

Das Hauptproblem bei der Bezifferung der Anzahl der Opfer, welche die Massaker und Deportationen forderten, ergibt sich aus den gravierenden Mängeln der osmanischen Demografie in den letzten Jahrzehnten des Osmanischen Reiches. Es gibt keine verlässlichen Angaben über die Vorkriegsanzahl der Armenier im Osmanischen Reich.[42] Das armenische Patriarchat bezifferte die Anzahl der armenischen Untertanen des Reiches mit rund 2,1 Millionen, die letzte osmanische Volkszählung hingegen mit 1,29 Millionen. Je nachdem, von welcher Vorkriegsanzahl ausgegangen wird, und ob ausschließlich die Hauptphase des Genozids 1915–1917 oder aber der gesamte Zeitraum bis 1923 berücksichtigt wird, belaufen sich die Schätzungen von etwa 300.000 (türkischerseits)[1] bis zu 1,5 Millionen toten Armeniern.[94]

Eine Kommission des osmanischen Innenministers bezifferte 1919 die Zahl der armenischen Opfer auf 800.000.[95] Einem Bericht des amerikanischen Generals James G. Harbord zufolge habe auch Mustafa Kemal, der spätere Atatürk, diese Zahl anlässlich eines von den beiden im Oktober 1919 geführten Gespräches genannt.[96] Raymond Haroutioun Kévorkian, der sich auf die Zahlen des Patriarchats stützt, schätzt die Zahl der bereits in Kleinasien Ermordeten auf rund 880.000. Die Anzahl derer, die im Sommer oder Herbst 1915 lebend in Nordsyrien ankamen, gibt er mit 800.000 an. Etwa 300.000 weiteren in Kleinasien lebenden Armeniern dürfte es gelungen sein, zu flüchten oder sich zu verbergen bzw. auf andere Art den Deportationen und Massakern zu entgehen. Tausende weitere, vor allem Frauen und Kinder, so Kévorkian, dürften schließlich in muslimische Familien gebracht worden sein, wo sie zwangsweise zum Islam konvertieren mussten bzw. als Muslime erzogen wurden.[97]

Die Nachkriegszeit

Die juristische Aufarbeitung

Die „Unionistenprozesse“ und die politische Entwicklung bis 1920

Die Regierungen Frankreichs, Großbritanniens und Russlands hatten die Hohe Pforte bereits am 24. Mai 1915 in einer gemeinsamen Erklärung davon in Kenntnis gesetzt, dass sie alle Mitglieder der osmanischen Regierung und deren Beauftragte persönlich verantwortlich machen würden, sollte sich deren Verwicklung in die an den Armeniern verübten Gräueltaten herausstellen. Unter ihrem Druck, allen voran dem Großbritanniens, ordnete Sultan Mehmed V. am 14. Dezember 1918 die strafrechtliche Verfolgung der für den Genozid verantwortlichen jungtürkischen Funktionäre an, die von einem Militärgericht als Sondertribunal abgeurteilt werden sollten. Die Einsetzung eines von Großbritannien favorisierten internationalen Gerichtshofes war bereits im Vorfeld an den Interessengegensätzen der Ententemächte, vor allem denen Frankreichs und Großbritanniens, gescheitert.[98]

Nachdem am 23. Jänner 1919 auf einer Konferenz in London die Verfahrensgrundsätze festgelegt worden waren, begannen am 5. Februar die Gerichtsverfahren. Was die Verbrechen an den Armeniern betraf, ging es dabei um folgende Straftatbestände: Verletzung der Abkommen über Kriegsführung, Übergriffe gegen Armenier und andere Volksgruppen sowie Raub, Plünderung und Zerstörung von Eigentum. Der Straftatbestand Völkermord wurde damals noch nicht festgeschrieben, doch ließen insbesondere die Briten keinen Zweifel daran, dass es sich bei den von den Jungtürken begangenen Verbrechen um besonders schwere und darum unnachsichtig zu ahndende Straftaten handelte.[99] Die als Unionistenprozesse bezeichneten Verfahren stellten erstmals in der Rechtsgeschichte den Versuch dar, Staats- und Kriegsverbrechen auf Regierungsebene zu ahnden. Angeklagt waren zahlreiche regionale und lokale Beamte, Offiziere und Funktionäre sowie 31 Minister der Kriegskabinette, die dem „Komitee für Einheit und Fortschritt“ (Ittihat ve Terakki Cemiyeti) angehört hatten. Die Verfahren gegen letztere liefen vom 28. April bis 25. Juni 1919. Unter ihnen befanden sich auch der ehemalige Innenminister und Großwesir Talat Paşa, der ehemalige Kriegsminister Enver Paşa und der einstige Marineminister Cemal Paşa. Diese hatten sich dem Prozess jedoch durch Flucht nach Deutschland entzogen und wurden in Abwesenheit zum Tode verurteilt.[100] Insgesamt sprach das Militärgericht 17 Todesurteile aus, von denen drei vollstreckt wurden. Auf Seiten des türkischen Volkes sorgten diese Prozesse für eine gewaltige nationale Entrüstung, in Regierungskreisen wiederum wurden sie als „notwendiges Zugeständnis“ betrachtet, weil man so hoffte, die Bedingungen des mit den Ententemächten noch zu unterzeichnenden Friedensvertrages zu mildern und ihnen die Anerkennung der staatlichen Souveränität abringen zu können.[99]

Als aber griechische Truppen im Mai 1919 Smyrna besetzten, nahm vonseiten der türkischen Regierung die Bereitschaft zur weiteren Strafverfolgung rasch ab. Nachdem die Türken sogar 41 Verdächtige freigelassen hatten, überstellten die Briten Ende Mai zwölf Häftlinge nach Moudros und 55 weitere nach Malta. Sie wurden später allerdings von der sich unter Mustafa Kemal formierenden türkischen Nationalbewegung später regelrecht frei gepresst, indem britischen Geiseln mit der Hinrichtung gedroht wurde. Mustafa Kemal, der spätere Atatürk, hatte nicht nur ein gespanntes Verhältnis zu den drei jungtürkischen Führern[101], die er als Hauptverantwortliche für die Armenierdeportationen nicht in den Reihen der türkischen Nationalbewegung sehen wollte,[102] sondern zunächst auch eine harte Bestrafung der Täter befürwortet.[96] Aufgrund der zunehmend chaotischer werden Situation im beginnenden „Türkischen Befreiungskrieg“ und der Erkenntnis, dass die Ententemächte die türkischen Wünsche nach staatlicher Souveränität nicht berücksichtigen würden, verlor aber auch er das Interesse an der Strafverfolgung der für den Genozid Verantwortlichen. Am 24. April 1920, einen Tag nach der Eröffnung der Großen Türkischen Nationalversammlung in Ankara nahm Mustafa Kemal in seiner Rede zur Forderung der Briten, die Massaker an Armeniern, zu denen es im Zuge der armenisch-türkischen Kampfhandlungen nach der Ausrufung der Demokratischen Republik Armenien im Mai 1918 abermals gekommen war, wie folgt Stellung:

„Der [...] Vorschlag sieht vor, im Innern des Landes keine Massaker an Armeniern zu verüben. Dass solche an Armeniern vorkamen, ist ausgeschlossen. Wir alle kennen unser Land. Auf welchem seiner Kontinente wurden oder werden Massaker an Armeniern verübt? Ich möchte nicht über die Phasen am Anfang des [1.] Weltkrieges sprechen, und ohnehin ist auch das, worüber die Entente-Staaten sprechen, selbstverständlich keine der Vergangenheit angehörende Schandtat. Mit ihrer Behauptung, dass derartige Katastrophen heute in unserem Land durchgeführt würden, forderten sie von uns, davon Abstand zu nehmen.[103][104]

Die weitere politische Entwicklung und das Ende der Prozesse 1923

Im Vertrag von Sèvres, dem am 10. August 1920 unterzeichneten fünften und letzten der Pariser Vorortverträge, wurde den Türken nicht mehr als ein „Rumpfstaat ohne eigentliche Souveränität“ belassen.[105] Der Vertrag sah nicht nur die Gründung eines armenischen Staates vor (de facto bestand dieser ja bereits und hatte auch die osmanischen Provinzen Ostanatoliens annektiert), dessen Grenzen der US-amerikanische Präsident Woodrow Wilson im Auftrag der Signatarmächte des Vertrages festlegte,[106] sondern auch die internationale Kontrolle Konstantinopels und der Meerengen (Bosporus und Dardanellen) sowie die Aufteilung des Restes des Osmanischen Reiches unter den Ententemächten und ihren Verbündeten. Diesen Vertrag erkannte insbesondere die türkische Nationalversammlung in Ankara nicht an und setzte nun ihren „Befreiungskampf“ mit allen Mitteln fort. Zunächst wandten sich deren Streitkräfte der Demokratischen Republik Armenien zu und zwangen deren Repräsentanten nach schweren Kämpfen am 3. Dezember 1920 zur Unterzeichnung des Vertrag von Alexandropol (türkisch Gümrü; armenisch Gjumri ), in welchem der heutige Grenzverlauf festgelegt wurde. Damit waren die Bedingungen des Vertrages von Sèvres hinsichtlich Armeniens de facto aufgehoben. Das Ergebnis dieses Vertrages wurde auch in einem Freundschaftsvertrag mit Sowjetrussland im März 1921 bestätigt.

Inzwischen hatten die griechischen Truppen im Westen die armenisch-türkischen Kampfhandlungen im Osten genützt und mit ihrem von Massakern an der Zivilbevölkerung begleiteten Vormarsch ins türkische Landesinnere begonnen. Den Truppen der türkischen Nationalversammlung gelang es jedoch im nun folgenden Griechisch-Türkischen Krieg die Invasionsarmee in mehreren Schlachten zu schlagen und zur Ägäisküste zurückzutreiben. Innen- und außenpolitisch gestärkt konnte die türkische Nationalversammlung unter Mustafa Kemal nun offen auf eine Revision des Vertrags von Sèvres drängen, der die Ententemächte und ihre Verbündeten, die mittlerweile große Teile der besetzten türkischen Gebiete geräumt hatten, schließlich am 24. Juli 1923 im Vertrag von Lausanne zustimmen. Die gerichtliche Verfolgung der für den Genozid Verantwortlichen war bereits lange zuvor nahezu völlig zum Stillstand gekommen. Die auf Malta internierten Straftäter waren bereits im Oktober 1921 von den Briten freigelassen worden und am 31. März 1923 erließ die türkische Regierung unter Mustafa Kemal eine allgemeine Amnestie (Aff-ı Umumi) für alle im Zusammenhang mit dem Völkermord Angeklagten.[107] Wesentlich mitbedingt war dieser Schritt durch die Tatsache, dass nicht wenige der für den Genozid Mitverantwortlichen aus den Reihen des „Komitees für Einheit und Fortschritt“ der türkischen Nationalbewegung unter Mustafa Kemal angehörten.[108] Die Armenier hatten nach der Inkorporation ihres Staates in die Sowjetunion und seiner Umwandlung zur Armenischen Sozialistischen Sowjetrepublik diplomatisch keinerlei Möglichkeiten mehr auf eine Fortführung der Prozesse zu drängen, und die Ententemächte wiederum hatten daran kein Interesse mehr, weil sie in diesem Fall ein Zusammengehen der neu gegründeten Republik Türkei mit der von ihnen nicht anerkannten Sowjetunion fürchteten.[108]

Die „Operation Nemesis“

Da schon nach 1921 außer den Armeniern niemand mehr ernsthaft daran interssiert war, die im Zuge der Unionistenprozesse verkündeten Todesurteile zu vollstrecken bzw. die Täter weiter gerichtlich zu verfolgen, nahmen „Rächer des armenischen Volkes“ die Sache selbst in die Hand. Am 15. März 1921 erschoss der armenische Student Soghomon Tehlirian im Berliner Exil den ehemaligen Innenminister Talat Paşa, einen der Hauptverantwortlichen für den Genozid.[109] Nach einem manipulierten Prozess wurde der Täter auch aufgrund der Darlegung der Geschehnisse in Armenien durch überlebende Augenzeugen (z. B. Bischof Krikor Balakian) aber vom Gericht freigesprochen.[109] Wie sich später herausstellte, war Tehlirian Mitglied eines geheimen Daschnaken-Sonderkommandos, das unter dem Codenamen Operation Nemesis mit der Liquidierung von am Völkermord Beteiligten beauftragt war.[110] Er hatte zuvor in Konstantinopel den armenischen Kollaborateur Harutiun Mugerditchian (auch: Mkrttschjan) erschossen, der die Liste der am 24. April 1915 verhafteten Notabeln erstellt hatte.[110]

Der Mord an Talat war der Auftakt zu einer Serie von Liquidierungen, denen in der Folgezeit weitere für den Genozid Verantwortliche zum Opfer fielen. Am 6. Dezember 1921 wurde der ehemalige Großwesir Said Halim Paşa in Rom erschossen; am 17. April 1922 liquidierten zwei Armenier in Berlin Dr. Bahaettin Şakir, den Chef der Teşkilât-ı Mahsusa, und Cemal Azmi, einen weiteren jungtürkischen Führer. Am 25. Juni desselben Jahres wurden Cemal Paşa und sein Sekretär Nusrat Bey von drei Armeniern während eines Spaziergangs in Tiflis erschossen. Enver Paşa, der sich panislamischen Aufständischen in Zentralasien angeschlossen hatte, entging den Rächern, fiel aber am 4. August 1922 in einem Gefecht mit russischen Truppen in Tadschikistan.[110]

Folgen des Genozids

Flucht und Diaspora

Die Ereignisse von 1915–1917 und der Folgejahre hatten letztlich ein beträchtliches Anwachsen der armenischen Diaspora zur Folge. Zunächst waren trotz der Anstrengungen der Jungtürken, möglichst alle Armenier zu vernichten, schätzungsweise bis zu 600.000 am Leben geblieben, davon rund 150.000 in ihren ursprünglichen Siedlungsgebieten,[111] weil es ihnen gelungen war, den Deportationen zu entgehen; unter ihnen befanden sich auch rund 250.000 Überlebende der Todesmärsche und -lager.[112] Zusammen mit Angehörigen anderer christlicher Minderheiten gelangten viele dieser beiden Gruppen von Überlebenden zunächst in die weiter südlich gelegenen arabischen Reichsteile und an die Mittelmeerküste, von wo später eine große Zahl in die USA sowie nach Lateinamerika und Australien emigrierten. Nicht wenige blieben auch in den bald darauf entstehenden Staaten des Nahen und Mittleren Ostens. Zahlreiche überlebende Armenier und sonstige orientalische Christen waren auch in den zu Russland gehörenden Teil Armeniens geflüchtet. Insgesamt dürften es kaum weniger gewesen sein als die, welche in die südlichen Reichsteile geflüchtet waren.[111]

Ein zahlenmäßig nicht unbeträchtlicher Teil hatte zunächst auch noch in den westlichen Provinzen des Osmanischen Reiches überlebt, vor allem in den großen Städten.[111] Dort hatten die Jungtürken wohl wegen der Präsenz ausländischer Beobachter und Diplomaten nicht gewagt, mit der offenen Unbarmherzigkeit gegen sie vorzugehen, wie sie es im Osten getan hatten. Allerdings wurden viele von ihnen in den chaotischen Jahren des „Türkischen Befreiungskrieges“ von dort vertrieben oder aber umgebracht.

1922 lebten in der entstehenden Türkei schätzungsweise nur noch etwa 100.000 Armenier,[113] das waren vermutlich nicht mehr als 5 Prozent des armenischen Bevölkerungsanteils des Osmanischen Reiches von 1914.[114]

In den 1980er Jahren wurde die Zahl der in der Türkei lebenden Armenier mit rund 25.000 angegeben;[115] hinzu kamen bis zu 40.000 Kryptoarmenier, also jene Armenier, die ihre Abstammung verleugneten. Rund die Hälfte von ihnen zählte zu den so genannten Hemşinli, deren Hauptwohngebiete zwischen Trabzon und Erzurum liegen.[116]

Materielle Verluste

Abgesehen von den menschlichen Verlusten stellten die Ereignisse von 1915–1917 durch die fast immer gewaltsame und entschädigungslose Enteignung armenischen Eigentums an Grund und Boden, Häusern und Wohnungen sowie persönlicher Habe aller Art für die Armenier auch einen ungeheuren materiellen Verlust dar. Die Aneignung ihres materiellen Vermögens stellte zweifelsohne einen nicht zu unterschätzenden Anreiz für die Deportation und Ermordung der Armenier dar. Es gibt zwar keine völlig verlässlichen Quellen, die als Ausgangspunkt für eine Schätzung des armenischen Vorkriegsvermögens dienen könnten, doch wurde es in einem Bericht der Pariser Friedenskonferenz 1919/20 auf 7,84 Milliarden französische Francs (nach damaligem Währungsstand) geschätzt. Diese Summe entsprach rund 1,8 Milliarden Franc von 1914 oder 80 Millionen Türkischen Lira und damit zweieinhalb Jahreshaushalten der Zentralregierung in Friedenszeiten.[117] Eine weitere Möglichkeit den Wert des armenischen Vermögens abzuschätzen bietet der Vorschlag, das gesamte Ententevermögen im Osmanischen Reich zu beschlagnahmen, den die Deutschen den Jungtürken 1917 machten. Das in Frage kommende „feindliche“ Vermögen wurde nach damaligen Währungsstand auf nur eine bis höchstens zwei Milliarden Francs geschätzt.[118] Das armenische Eigentum fiel prinzipiell an den Staat, dem es zur „Nationalisierung“ der Wirtschaft, zur Neuansiedlung von Muslimen in den entvölkerten Gebieten und zur Finanzierung der Kriegskosten diente. Jungtürkische Funktionäre, örtliche Beamte und Lokalpotentaten bereicherten sich ebenso daran wie viele einfache Dorfbewohner.[119]

Kulturelle Verluste

Nicht einmal ansatzweise kann der kulturelle Verlust quantifiziert werden, der mit der Vertreibung und Ermordung der Armenier einherging. Hunderte armenische Schulen, Kirchen und Klöster wurden in den Jahren 1915–1917 und auch danach geplündert und zerstört oder in Moscheen umgewandelt; viele weitere historische Monumente, Kunstwerke und Kulturgüter wurden vernichtet oder gingen für immer verloren. Die westarmenische, kulturelle Renaissance (Զարթօնք/Zartʻōnkʻ), die in Smyrna begonnen und sich in Konstantinopel erst vollständig entfaltet hatte, erfuhr ein abruptes Ende. Charakteristisch für diese Periode war ein pulsierendes literarisches Leben. Konstantinopel war in dieser Zeit Herausgabeort zahlreicher armenischer Zeitungen und Zeitschriften, Wohn- und Aufenthaltsort vieler armenischer Intellektueller, Dichter und Schriftsteller wie Daniel Varuschan oder Siamanto. Beide fanden im Zuge der am 24.April 1915 erfolgten Massenverhaftung armenischer Intellektueller den Tod.[120]

Situation der Überlebenden

Im Vergleich zu Überlebenden anderer Völkermorde ist der psychische Zustand der Überlebenden der Ereignisse von 1915–1917 weit schlechter dokumentiert. Oral History-Projekte und entsprechende systematische Auswertungen derselben konnten aufgrund der zeitlichen Distanz zu den Ereignissen weit seltener durchgeführt werden.[121] Die Holocaust-Forschung hat deutlich gezeigt, dass es den Überlebenden eines Genozids häufig unmöglich ist, ihre Erfahrungen und Erlebnisse medial mitzuteilen oder auch nur für sich selbst zu thematisieren. Viele von ihnen litten am so genannten Überlebenssyndrom, das sich in Angstzuständen, Depressionen, kognitiven Störungen, Erinnerungsverlusten, gesellschaftlichem Rückzug oder auch Hyperchondrie äußerte.[122] Hinzu kam, dass die Überlebenden in der Diaspora vor vielfältigen neuen Problemen standen. Als sozial und kulturell entwurzelte, überwiegend bäuerliche Landbewohner fanden sie sich nun als meist völlig mittellose Flüchtlinge in fremden Städten mit einer für sie völlig fremden Kultur und Mentalität wieder.[111] Im Gegensatz zu jenen ihrer Volkszugehörigen, die in den zu Russland gehörenden Teil Armeniens geflüchtet waren, befanden sie sich aber in Sicherheit. Für jene Armenier jedoch, die nach Russisch-Armenien geflüchtet waren, gingen die Schrecken noch weiter. Viele von ihnen waren schon während der Flucht durch die dabei erlittenen Entbehrungen, an Hunger und Krankheiten gestorben.[111] Zehntausende weitere wurden während der Angriffe osmanischer bzw. türkischer Streitkräfte auf die Demokratische Republik Armenien in den Jahren 1918 und 1920 massakriert.[123] Schlussendlich hatten noch beide Gruppen die schmerzliche Erfahrung machen müssen, dass die Regierungen der einstigen „Schutzmächte“ in Westeuropa und in der USA ihrem Schicksal auch nach dem Ersten Weltkrieg letztlich gleichgültig gegenübergestanden waren und keine konkreten Schritte unternommen hatten, um ihnen zu helfen.[124]

Bewertung der Ereignisse

Bedeutung für die Armenier

Die Erinnerung an die Ereignisse von 1915–1917 stellt – neben Religion und Sprache – die stärkste gefühlsmäßige Klammer dar, die das über rund 120 Staaten der Welt verstreute armenische Volk eint. Der 24. April, der Tag, an dem in Konstantinopel die Verhaftung armenischer Intellektueller einsetzte, gilt als nationaler Gedenk- und Trauertag des armenischen Volkes. Als „Genozid-Gedenktag“ (armenisch: Եղեռնի զոհերի հիշատակի օր) ist er einer der wichtigsten staatlichen Feiertage der Republik Armenien. Hunderttausende Armenier pilgern alljährlich an diesem Tag zum 1967 errichteten Völkermordmahnmal Jerern auf dem Eriwaner Hügel Tsitsernakaberd („Schwalbenfestung“), Millionen weitere gedenken in der übrigen Welt. Diese tiefe emotionale Bedeutung, welche die Ereignisse von 1915–1917 für die Armenier haben, erklärt auch den hartnäckigen Kampf, den armenische Politiker, Organisationen und Lobbys in aller Welt seit Jahrzehnten einerseits gegen die Bagatellisierung und Leugnung der Vorgänge von damals, andererseits für ihre Anerkennung als Genozid am armenischen Volk aufgrund der Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes (offiziell: Convention on the Prevention and Punishment of the Crime of Genocide, CPPCG) von 1948, führen.[125]

Für die armenischen Bestrebungen um eine Anerkennung der Ereignisse von 1915–1917 als Völkmord war die Tatsache besonders erschwerend, dass das armenische Volk lange Zeit über keinen eigenen Staat als Plattform für den Kampf um Anerkennung verfügte. In der Sowjetunion, deren Bestandteil Armenien bis zur Auflösung der UdSSR 1991 war, galten die Ereignisse von 1915–1917 als Tabu. Erst in der so genannten „Tauwetter-Periode“ nach dem Tod Josef Stalins konnten diese erstmals öffentlich thematisiert werden. Als Folge davon konnte sich eine von der Sowjetführung tolerierte Memorialarchitektur entfalten, deren sichtbare Zeugnisse die in den 1960er und 1970er Jahren errichteten Gedenkstätten in Eriwan, Sardarapat und einigen anderen Orten sind.[126]

Während der Periode des Kalten Krieges gab es jedoch für die Armenier keine politischen Möglichkeiten, ihrem Anliegen bei der internationalen Staatengemeinschaft Gehör zu verschaffen. Der „freien Welt“ und den NATO-Staaten erschien es nicht opportun, die Türkei – aus geostrategischer Sicht ein enorm wichtiger NATO-Partner – wegen dieser Frage zu vergrämen.[127] Als Folge davon kam es in der armenischen Diaspora zur Bildung mehrer Terrorgruppen, deren aktivste die ASALA (Armenian Secret Army for the Liberation of Armenia) war. Diese Gruppen kämpften mit terroristischen Mitteln nicht nur gegen das – aus ihrer Sicht – „Verbrechen des Schweigens“, sondern auch für die „Befreiung“ der einst von Armeniern bewohnten Gebiete in der Türkei. Die Anschläge dieser Gruppen forderten zwischen 1975 und 1984 insgesamt 79 Menschenleben: 40 Türken, 30 Armenier und neun Angehörige anderer Nationalität.[128] Im Zuge dieser Anschläge war auch eine gewisse Bewegung in der Anerkennungsfrage feststellbar, die Öffentlichkeit befasste sich damit ebenso wie kirchliche und politische Gremien.[128] Aber erst mit der Entstehung eines unabhängigen armenischen Staates und dessen Aufnahme in internationale Gremien bot sich den Armeniern nun erstmals die Möglichkeit, ihrem Wunsch nach Anerkennung der Ereignisse von 1915–1917 als Völkermord auch mit politisch-diplomatischen Mitteln Nachdruck zu verschaffen. Dieses Bestreben ist seither ein wesentlicher Bestandteil der Außenpolitik der jeweils amtierenden armenischen Regierung.[129]

Bewertung in der Türkei

Obwohl Großwesir Damat Ferid Paşa die Verbrechen am 11. Juni 1919 öffentlich eingestanden hatte,[130] wehrt sich die jeweils amtierende türkische Regierung bis heute gegen eine Bewertung der damaligen Vorgänge als Völkermord[5][131] und versucht mit wechselndem Erfolg, durch politischen Druck und Ausschlüsse bei internationalen Auftragsvergaben anderslautende Entschließungen und Veröffentlichungen zu beeinflussen.[132] Die türkische Seite verwendet für die Ereignisse Termini wie Ermeni soykırımı iddiaları („Behaupteter Völkermord an den Armeniern“), Sözde ermeni soykırımı („Angeblicher Völkermord an den Armeniern“) und Ermeni Kırımı.

Die türkische Leugnung des Genozids bedeutet nicht die grundsätzliche Leugnung hunderttausender Toter. Die Türkei geht von ca. 300.000[1] armenischen Opfern aus und betrachtet die Deportationen als Notmaßnahme eines Staates, der um seine Existenz bangen musste und sich der Loyalität seiner armenischen Untertanen nicht sicher gewesen sei.[133] Manche türkische Wissenschaftler verneinen eine vorsätzliche und geplante Vernichtung und vertreten den Standpunkt, dass diese historisch nicht belegt sei.[134] Die vielen Toten schreibt die offizielle türkische Historiographie Überfällen, Hunger und Seuchen zu und verweist auf die bürgerkriegsähnlichen Zustände[135], bei denen auch 570.000 Türken umgekommen seien.[136] Manche türkischen Wissenschaftler betrachten die kontrovers diskutierten Andonian-Dokumente[137] als Fälschung.[138] Arnold J. Toynbees Blue Book und die Memoiren des amerikanischen Botschafters Henry Morgenthau bewerten sie als parteiisch.[139][140] Zudem bemängeln sie die Beweisaufnahme der Istanbuler Prozesse[141] und machen geltend, dass es eine Reihe von jungtürkischen Erlassen gab, die Deportierten gut zu behandeln.[142] Vereinzelte nicht-türkische Wissenschaftler, einige davon mit Professuren in der Türkei, stufen die Ereignisse ebenso nicht als Völkermord ein. Ein prominenter Vertreter dieser Ansicht ohne direkten Bezug zur Türkei war der österreichische Schriftsteller und Dokumentarfilmer Erich Feigl, der sich dem Thema widmete, nachdem einer seiner Freunde von der Asala ermordet wurde.

Der bisher einzige türkische Politiker, der die Opfer des Völkermords durch einen Besuch der Gedenkstätte in Eriwan ehrte, war im Juni 1995 Gürbüz Capan, der sozialdemokratische Bürgermeister Esenyurts.[143] Innertürkische Kritiker der offiziellen Sichtweise wie Orhan Pamuk mussten mit juristischer Verfolgung rechnen. Pamuk wurde der öffentlichen Verunglimpfung des Türkentums angeklagt, weil er im Februar 2005 in einem Interview mit dem Zürcher Tages-Anzeiger offen über die Ereignisse gesprochen hatte. Das Verfahren wurde aber aus formalen Gründen eingestellt.[144] Das dem Minister Hüseyin Çelik unterstehende türkische Erziehungsministerium veranlasste am 14. April 2003 mit einem Rundschreiben die Schüler aller Primar- und Sekundarschulen dazu, an einem Aufsatzwettbewerb gegen die „haltlosen Völkermord-Behauptungen“ der Armenier, Pontosgriechen sowie Syrisch-Orthodoxen mitzuwirken.[145]

Es gab seitens türkischer Regierungen mehrmals den Vorschlag, die Geschehnisse durch eine gemeinsame türkisch-armenische „Historiker-Kommission“ wissenschaftlich untersuchen zu lassen. Dieser Vorschlag wurde unter anderem 2005 vom türkischen Ministerpräsidenten Erdoğan dem armenischen Präsidenten Robert Kotscharjan[146] und 2007 vom türkischen Außenminister Ali Babacan seinem armenischen Kollegen Wartan Oskanjan unterbreitet[147]. Bislang wurde allerdings keine solche Kommission einberufen.

Bewertung durch die Staatengemeinschaft

Seit 1965 haben 21 Staaten die durch den osmanischen Staat begangenen Deportationen und Massaker der Jahre 1915–1917 offiziell als Genozid entsprechend der UN-Völkermordkonvention von 1948 anerkannt (u. a. Argentinien, Belgien, Griechenland, Italien, Kanada, Libanon, Niederlande, Russland, Schweiz, die Slowakei, Uruguay und Zypern).[148][149][150] Andere Staaten (u.a. Dänemark, Bulgarien, Schweden, Georgien und Aserbaidschan) hingegen sprechen offiziell nicht von Völkermord.[151][152][153] Die Regierung des Vereinigten Königreichs verurteilte die Verbrechen, sah aber die Kriterien für eine Einstufung als Völkermord gemäß der UN-Völkermordkonvention als nicht gegeben an.[154]

Die Türkei wirft Ländern wie Frankreich und Russland vor, Parlamentsbeschlüsse zu erlassen, ohne auf die eigene grausame Vergangenheit mit vielen Völkermorden zu blicken.[155] Als beispielsweise die Französische Nationalversammlung 2001 eine Resolution verabschiedete, welche die Leugnung des Völkermords unter Strafe stellen sollte, kam es zu schweren diplomatischen Auseinandersetzungen und wirtschaftlichen Boykotten durch die Regierung in Ankara.[132]

In Frankreich wurde am 12. Oktober 2006 ein von der Sozialistischen Partei (PS) eingebrachter Gesetzentwurf von der französischen Nationalversammlung mit großer Mehrheit angenommen. Ein Großteil der Abgeordneten war während der Abstimmung jedoch nicht anwesend. Dieser Gesetzesentwurf sollte die Leugnung des Völkermordes an den Armeniern in Zukunft mit einer Gefängnisstrafe von bis zu einem Jahr und einer Geldbuße von bis zu 45.000 Euro belegen. Dies zog erneute Boykottdrohungen gegen französische Produkte von türkischer Seite nach sich.[156] Allerdings nahm der Senat den Gesetzentwurf nicht an.[157]

Der Deutsche Bundestag debattierte in seiner Sitzung vom 24. April 2005 erstmals eine von CDU/CSU vorgelegte Entschließung, die die Türkei aufforderte, sich zu ihrer historischen Verantwortung für die Massaker an armenischen Christen im Osmanischen Reich zu bekennen. Der Begriff „Völkermord“ wird im Antrag vermieden. Dieser Antrag wurde am 15. Juli 2005 vom Deutschen Bundestag ohne Gegenstimme verabschiedet. Als Begründung des Antrages wurde auf über eine Million Opfer verwiesen und angeführt, dass zahlreiche unabhängige Historiker, Parlamente und internationale Organisationen die Vertreibung und Vernichtung der Armenier als Völkermord bezeichnen würden.[158]

Der Unterausschuss für die Verhütung von Diskriminierung und den Schutz von Minderheiten der UN-Menschenrechtskommission erwähnte die Ereignisse am 29. August 1985 in einem Bericht über Völkermordverbrechen als Genozid. Durch die Annahme des Berichtes wurde der Völkermord an den Armeniern von diesem Unterausschuss der UNO anerkannt.[159][160][161] Das Europäische Parlament hat mit den Beschlüssen vom 18. Juni 1987 und 15. November 2001 die Anerkennung des Völkermordes durch den heutigen türkischen Staat zu einer Voraussetzung des EU-Beitritts der Türkei erklärt und am 28. Februar 2002 in einer weiteren Beschlussfassung die Türkei zur Einhaltung dieser Vorgabe gemahnt.[162]

In den Vereinigten Staaten dauert eine Diskussion über die Einschätzung der Massaker seit Jahren an. Ein erster Versuch des Kongresses, die Geschehnisse offiziell als Völkermord anzuerkennen, scheiterte im Jahr 2000 am Widerstand von Präsident Bill Clinton. Am 10. Oktober 2007 stimmte der Auswärtige Ausschuss des Repräsentantenhauses mehrheitlich einer Resolution zu, die aussagt, dass die Verfolgung und Vertreibung von Armeniern im Osmanischen Reich im Ersten Weltkrieg als „Völkermord“ eingestuft werden soll.[163] Die Resolution soll nun dem Repräsentantenhaus vorgelegt werden. Eine ähnliche Erklärung wird auch im Senat vorbereitet. Sowohl Präsident Bush als auch das US-amerikanische Außenministerium kritisierten die Entscheidung und befürchteten eine Verschlechterung der Beziehungen zur Türkei.[164] So rief die Türkei einen Tag später ihren Botschafter aus den USA vorübergehend zurück.[165] Die Türkei hatte dem Kongressmitglied Robert L. Livingston 12 Mio. Dollar für Lobby-Arbeit gegen die Armenien-Resolution gezahlt.[166]

Israel verwendet die Begriffe Völkermord und Genozid in Bezug auf die Vorkommnisse von 1915/16 nicht.[167][168] 2001 sagte der jetzige Präsident und damalige Außenminister Israels, Shimon Peres, in einem Interview, die Armenier hätten zwar eine Tragödie durchlebt, jedoch keinen Völkermord.[169]

Völkerrechtliche Aspekte

Für die völkerrechtliche Bewertung der Geschehnisse von 1915/16 als Völkermord ist die am 9. Dezember 1948 von den Vereinten Nationen beschlossenen Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes maßgeblich. Sie trat am 12. Januar 1951 in Kraft. Der Beitritt der Republik Türkei geschah am 31. Juli 1950. Für die Republik Türkei trat die Konvention am 12. Januar 1951 in Kraft. Damit erkannte die Republik Türkei auch die Definitionen in den Artikeln I und II an.[170]

Für die Frage, ob die Ereignisse von 1915-17 als Völkermord im Sinne der UN-Konvention von 1948 zu betrachten sind, war wesentlich, ob die Konvention für Ereignisse vor ihrem Beschluss überhaupt anzuwenden sei. Fest steht, dass die Verbrechen der Jungtürken nach Auffassung der Ententestaaten schon den damals geltenden allgemeinen Rechtsgrundsätzen widersprachen und als schwere internationale Verbrechen angesehen wurden, die es unnachsichtig zu bestrafen gelte[171] – und das lange, bevor der Begriff Genozid überhaupt Eingang in das Völkerrecht fand. Im Vertrag von Sèvres wurde auf die Bestrafung der für Massaker und Deportationen Verantwortlichen eindeutig Bezug genommen und die osmanische Regierung in Artikel 230 verpflichtet, die Verdächtigen auszuliefern. In Artikel 144 wurde sie darauf verpflichtet, das Gesetz von 1915, mit dem das Vermögen der Armenier zum „Aufgegebenen Eigentum“ geworden war, für null und nichtig zu erklären.[172] Der Vertrag von Sèvres wurde zwar nie ratifiziert, doch findet sich ein deutlicher Beweis für seine Relevanz auch in den Materialien der United Nations War Crimes Commission zum Londoner Statut vom August 1945. Dort heißt es:

„The provisions of Article 230 in the Peace Treaty of Sèvres were obviously intended to cover, in conformity with the Allied note of 1915 ... This article constitutes, therefore, a precedent for Articles 6 c) and 5 c) of the Nuremberg and Tokyo Charters, and offers an example of one of the categories of ,crimes against humanity‛ as understood by these enactments.[173]

In einem Rechtsgutachten vom Mai 1951, bei dem es um die Frage eventueller Vorbehalte hinsichtlich der Gültigkeit der Völkermordkonvention ging, verwies der Internationale Gerichtshof schließlich auf die hohen humanitären Ziele dieser Konvention, die den elementarsten Prinzipien der Moralität entsprächen, und führte aus, dass zivilisierte Staaten diese der Konvention zugrunde liegenden Prinzipien ohnehin als bindend ansähen, weswegen sie auch ohne Verpflichtung durch die Konvention Geltung hätten. Daher kann die Konvention rechtlich als Ius Cogens angesehen werden, was bedeutet, dass sie auch Anwendung auf Völkermorde findet, die sich vor ihrem Inkrafttreten ereigneten.[174]

Filme

Dokumentarfilme

  • Carla Garapedian: Screamers. 2006[175]
  • Andrew Goldberg: The Armenian Genocide. 2006[176][177]
  • Michael Hagopian: The Forgotten Genocide. 1976[178]
  • PeÅ Holmqvist und Suzanne Khardalian: Back to Ararat. 1988
  • Laurence Jourdan: Le génocide arménien. 2004[179]

Spielfilme

Musik

  • Charles Aznavour: Ils sont tombés. [Sie fielen.], 1975
  • Gregg Bendian: After Chomaklou Was a Desert (Threnody to the Victims of the Armenian Genocide) [Nach Chomaklou war eine Wüste (Klagelied für die Opfer des armenischen Völkermordes)], 1996
  • Alan Hovhaness: 1. Sinfonie Exile, 1936 (1. u. 3. Satz), 1970 (2. Satz).
  • Alan Hovhaness: Norahrash, Mystery Of the Holy Martyrs, Op.251, 1976 (3. Satz der Suite Khorhoort Nahadagats)
  • System of a Down: P.L.U.C.K. or Politically Lying, Unholy, Cowardly Killers.
  • System of a Down: Forest
  • System of a Down: Holy Mountains
  • Integrity[180]: Armenian Persecution[181]
  • Haig Vartan: Requiem, 2001

Quellen und Literatur

Quellen

Die wissenschaftlichen Arbeiten zum Völkermord an den Armeniern stützen sich hauptsächlich auf folgende Quellenbestände:

  • Dokumente aus dem Politischen Archiv des Auswärtigen Amtes des Deutschen Reiches:
    Sie stammen aus dem diplomatischen Archiv des kriegsverbündeten Deutschen Reichs und beinhalten die Berichte der deutschen Konsuln, Vizekonsuln und Wahlkonsuln in Trapezunt, Adana, Alexandrette, Mossul, Samsun, Erzurum, Aleppo und Täbris aber auch Berichte von zahllosen weiteren Zeitzeugen (Offizieren, Missionaren, Mitarbeitern der Bagdadbahn, Ärzten, Krankenschwestern, Journalisten, Ingenieuren usw.).[182]
    Diese Berichte waren nicht für die Öffentlichkeit bestimmt und unterlagen verschiedenen Geheimhaltungsstufen. Die berichterstattenden Diplomaten gerieten mit ihren Positionen fast durchweg in Widerspruch zu ihren Vorgesetzten in Berlin, welche noch lange Zeit die Position der türkischen Führung unterstützten, wohingegen andere westeuropäische Staaten auf eine Verurteilung des Völkermordes drängten.
    Eine Dokumentation des deutschen Geistlichen und Orientkenners Johannes Lepsius zum Völkermord an den Armeniern wurde im August 1916 von der Reichsregierung verboten.[183] Lepsius konnte jedoch nach dem Krieg eine Sammlung von aussagekräftigen, teilweise durch ihn, teilweise durch das Auswärtige Amt bearbeiteten und dabei verfälschten Aktenstücken des deutschen Auswärtigen Amtes publizieren,[184] die bis heute – vor allem in einer 2005 veröffentlichten, unverfälschten und ergänzten kritischen Auswahl [182] – eine der Hauptquellen für die Vorgänge ist. Die Bearbeitungen hatten hauptsächlich den Sinn, das Wissen der deutschen Regierung um den Völkermord an den Armeniern und damit deren Mitverantwortung zu vertuschen.[185]
  • Dokumente aus den Archiven Österreich-Ungarns, die im Österreichischen Staatsarchiv in Wien lagern:[186][187]
    Zum Haus-, Hof- und Staatsarchiv gehört das Gesandtschaftsarchiv Konstantinopel, das Dokumente zu Armenischen Fragen und Reformen, zu den Armenischen Unruhen 1895-1911 und zu Internationalen Verhandlungen über die Reformen in Armenien, Juni 1913 bis Juli 1914 enthält. Das Politische Archiv bietet Dokumente zur Türkei 1915-1918.[188]
  • Zeugnisse von Überlebenden,[204][205][206][207], von denen beispielsweise einige Hundert auf Video festgehaltenwurden:[208]
  • Osmanische Quellen:
    Dazu zählen beispielsweise die teilweise im amtlichen Gesetzblatt des Osmanischen Reiches gedruckten Protokolle der Istanbuler Prozesse, Sitzungsprotokolle des osmanischen Parlamentes, Berichte der postjungtürkischen parlamentarischen Untersuchungungskommission und der sogenannten Mazhar-Kommission sowie Zeitungen.[188]

Ferner besteht seit 2000 ein Workshop for Armenian/Turkish Scholarship, ein Forschungsprojekt zur gemeinsamen türkisch-armenischen Geschichte.[210] Das Projekt arbeitet nicht öffentlich, damit die Teilnehmer in der Lage sind, völlig frei Ideen zu postulieren und zu prüfen.[211] Teilnehmende Wissenschaftler sind u.a. der US-Armenier Ronald Grigor Suny[212] und die US-Türkin Fatma Müge Göçek.[213]

Literatur

Der Völkermord an den Armeniern ist von einer Vielzahl von international renommierten Wissenschaftlern in zahlreichen Gesamt- und Detailstudien sowie wissenschaftlichen Aufsätzen erforscht worden. Sie kamen zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen, die den Völkermord bestätigen oder seine Anerkennung ablehnen. Nur wenige der diesbezüglichen Veröffentlichungen konnten hier unter dem Punkt Fachliteratur aufgenommen werden.

Fachliteratur

  • Taner Akçam: Armenien und der Völkermord. Die Istanbuler Prozesse und die türkische Nationalbewegung. Hamburg : Hamburger Ed., 2. Auflage 2004, ISBN 3-930908-99-9. (Die einzige ausführliche Behandlung der Istanbuler Prozesse von 1919ff. in einer europäischen Sprache)
  • Taner Akçam: A Shameful Act: The Armenian Genocide and the Question of Turkish Responsibility. Metropolitan Books, New York 2006, ISBN 978-0-8050-7932-6; ins Englische übersetzt von Paul Bessemer, türkisches Original: İnsan Hakları ve Ermeni Sorunu, Ankara 1999, ISBN 975533246-4.
  • ArbeitsKreis Armenien (Hrsg.): Völkermord und Verdrängung. Der Genozid an den Armeniern - die Schweiz und die Shoah. Zürich: Chronos Verlag, 1998, ISBN 3-905312-40-9.
  • Peter Balakian: The Burning Tigris. The Armenian Genocide and America's Response. New York: Harper-Collins, 2003, ISBN 0-06-019840-0.
  • Donald Bloxham: The Great Game of Genocide: Imperialism, Nationalism, and the Destruction of the Ottoman Armenians. New York: Oxford University Press, 2005, ISBN 978-0199273560
  • Viscount James Bryce: The Treatment of Armenians in the Ottoman Empire 1915-1916. Taderon Press, ISBN 1-903-65651-6.
  • Mihran Dabag: Jungtürkische Visionen und der Völkermord an den Armeniern. In: Dabag / Platt: Genozid und Moderne (Band 1), Opladen 1998, ISBN 3-8100-1822-8.
  • Vahakn N. Dadrian: The History of the Armenian Genocide: Ethnic Conflict from the Balkans to Anatolia to the Caucasus. Oxford-Providence: Berghahn Books, 2004, ISBN 978-1571816665.
  • Helmut Donat (Hrsg.): Armenien, die Türkei und die Pflichten Europas. Bremen: Donat Verlag, 2005.
  • Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik (GEP) (Hrsg.): Der Völkermord an den Armeniern und syrischen Christen. Frankfurt/Main 2005.
  • François Georgeon: Abdulhamid II. Le sultan calife, Paris 2003 Rezension in deutscher Sprache (aus nebenstehender Rezension: Die erste europäischsprachige Biografie seit Jahrzehnten überhaupt [über Sultan Abdülhamid II.])
  • Gesellschaft für bedrohte Völker (Hrsg.): Das Verbrechen des Schweigens: Die Verhandlungen des türkischen Völkermordes an den Armeniern vor dem Ständigen Tribunal der Völker (Paris, 13.-16.4.1984), Göttingen 1985.
  • Wolfgang Gust: Der Völkermord an den Armeniern 1915/16. Dokumente aus dem Politischen Archiv des deutschen Auswärtigen Amts. Verlag zu Klampen, 2005, ISBN 3-934920-59-4.
  • Yusuf Halaçoğlu: Die Armenierfrage, Klagenfurt: Wieser Verlag, 2006, ISBN 978-3-85129-535-1.
  • Yusuf Halaçoğlu: Sürgünden Soykırıma Ermeni İddiaları, Ankara: BABIALİ KÜLTÜR YAYINCILIĞI, 2006, ISBN 9758486969.
  • Yusuf Halaçoğlu: Tarih Gelecektir, Ankara: BABIALİ KÜLTÜR YAYINCILIĞI, 2007, ISBN 978-9944-1-1832-3.
  • Rolf Hosfeld: Operation Nemesis: Die Türkei, Deutschland und der Völkermord an den Armeniern. Köln 2005, ISBN 3462034685.
  • Raymond Kévorkian: Le Génocide des Arméniens. Paris: Odile Jacob, 2006, ISBN 2-7381-1830-5.
  • Hans-Lukas Kieser und Dominik J.Schaller (Hrsg.): Der Völkermord an den Armeniern und die Shoah – The Armenian Genocide and the Shoa. Zürich: Chronos Verlag, 2002, ISBN 3-0340-0561-X.
  • Hans-Lukas Kieser (Hrsg.): Die armenische Frage und die Schweiz (1896-1923) - La question armenienne et la Suisse (1896-1923). Zürich: Chronos Verlag, 1999, ISBN 3-905313-05-7.
  • Hans-Lukas Kieser: Der verpasste Friede - Mission, Ethnie und Staat in den Ostprovinzen der Türkei, 1839-1938. Zürich: Chronos Verlag, 2000, ISBN 3-905313-49-9.
  • Jörg Berlin; Adrian Klenner: Völkermord oder Umsiedlung? Das Schicksal der Armenier im Osmanischen Reich - Darstellung und Dokumente. PapyRossa Verlagsgesellschaft 2006, ISBN 3894383461.
  • Johannes Lepsius: Bericht über die Lage des armenischen Volkes in der Türkei. Potsdam: Tempel-Verlag, 1916.
  • Johannes Lepsius: Der Todesgang des armenischen Volkes in der Türkei während des Weltkrieges. Potsdam: Tempel-Verlag, 1927.
  • Johannes Lepsius (Hrsg.): Deutschland und Armenien 1914-1918: Sammlung diplomatischer Aktenstücke. Potsdam, 1919 (Neuausgabe: Verlag Donat & Temmen, Bremen 1986 ISBN 3-924444-22-6 ), Hamburg-Bergedorf 1930 (Neuausg. Bremen, 1985).
  • Guenter Lewy: The Armenian Massacres in Ottoman Turkey. A Disputed Genocide. Salt Lake City: The University of Utah Press, 2005, ISBN 0874808499. Online unter.
  • Justin McCarthy: Death and Exile - The Ethnic Cleansing of Ottoman Muslims 1821–1922. 5. Aufl., 2004, ISBN 0878500944.
  • Donald E. Miller und Lorna Touryan-Miller: Survivors. An Oral History of the Armenian Genocide. Berkeley u.a.: University of California Press, 1999, ISBN 978-0520219564.
  • Cem Özgönül: Der Mythos eines Völkermordes- eine kritische Betrachtung der Lepsiusdokumente sowie der deutschen Rolle in Geschichte und Gegenwart der armenischen Frage. Köln: Önel- Verlag, 2006.
  • Annette Schaefgen: „Schwieriges Erinnern – Der Völkermord an den Armeniern". Berlin: Metropol Verlag, 2006, ISBN 393869016X.
  • Philip H. Stoddard: The Ottoman Government and the Arabs, 1911 to 1918: A Study of the Teskilat-i Mahsusa, Princeton University, 1963 (Die einzige ausführliche Behandlung der exekutierenden Geheimorganisation Teşkilât-ı Mahsusa in einer europäischen Sprache)
  • Heinrich Vierbücher: Armenien 1915: Was die kaiserliche Regierung den deutschen Untertanen verschwiegen hat: Die Abschlachtung eines Kulturvolkes durch die Türken. Fackelreiter Verlag (Nachdruck: 4. Auflage. Bremen: Donat, 2004, ISBN 3-934836-73-9).
  • Christopher J. Walker: Armenia : the Survival of a Nation. London 1980, 2. Aufl., 1991, ISBN 0-415-04684-X. Elektronische Version 1990, daraus besonders Kapitel 7.

Erinnerungen

  • Peter Balakian: Die Hunde vom Ararat. Eine armenische Kindheit in Amerika. Wien: Zsolnay Verlag, 2000, ISBN 3552049517 (halbdokumentarisch).
  • Jakob Künzler: Im Lande des Blutes und der Tränen. Erlebnisse in Mesopotamien während des Weltkrieges. Potsdam 1921 (Neuaufl. im Chronos-Verlag, Zürich; 2. Neuaufl. 2004, ISBN 3905313065).
  • Therese Lehmann-Haupt: Erlebnisse eines zwölfjährigen Knaben während der armenischen Deportationen: Aufgezeichnet nach dem mündlichen Bericht des Knaben. Bremen: Donat und Temmen, 1985, ISBN 3-924444-05-6.

Literarische Werke

Hörspiel

Weblinks

Quellenarchive

Internationale Institutionen

Wissenschaftliche Rezeption

Zeitungsdossiers

Einzelnachweise


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