- Wanderers Nachtlied
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Wandrers Nachtlied ist der Titel von zwei der bekanntesten Gedichte Johann Wolfgang Goethes aus den Jahren 1776 beziehungsweise 1780, die immer zusammen abgedruckt werden sollen und dabei jeweils mit „Wandrers Nachtlied“ und „Ein Gleiches“ betitelt werden.
Diese Zusammenstellung hatte Goethe selbst angeordnet, allerdings erst im Jahr 1815 beim ersten Band einer neuen Gesamtausgabe. Zu diesem Zeitpunkt war besonders das zweite Gedicht jedoch bereits in vielen nicht autorisierten Drucken verbreitet und zum berühmtesten Gedicht deutscher Sprache avanciert.
Inhaltsverzeichnis
Wandrers Nachtlied
„Wandrers Nachtlied“ schrieb Goethe im Februar 1776 vom Ettersberg bei Weimar aus und fügte es einem Brief an Charlotte von Stein bei:
Der du von dem Himmel bist,
Alle Freud (Alles Leid) und Schmerzen stillest,
Den, der doppelt elend ist,
Doppelt mit Erquickung füllest;
Ach, ich bin des Treibens müde!
Was soll all die Qual (der Schmerz) und Lust?
Süßer Friede,
Komm, ach komm in meine Brust!Dieses Gedicht findet sich handschriftlich zwischen den Briefen an Frau von Stein mit der Unterschrift „Am Hang des Ettersberg, d. 12. Feb. 76“.
Für die 1789 bei Göschen erschienene Ausgabe seiner Werke führte Goethe einige Änderungen durch, und er ersetzte "Alle Freud" durch "Alles Leid" sowie "die Qual" durch "der Schmerz", oben in Klammer gesetzt.
Durch den frühen Ruhm und das berüchtigte Genie-“Treiben“ kam Goethes literarische Produktivität zum Erliegen. Absorbiert durch die Staatsgeschäfte kam er kaum noch dazu, sich literarisch zu betätigen.
Der Titel „Wanderers Nachtlied“ erweckt den Eindruck, dass das Lied von einem müden Wandersmann handelt. Es stellt sich allerdings die Frage, ob Goethe hier den Wanderer nicht im übertragenen Sinn sehen wollte.
In seinem Buch "Goethe / Neue Ansichten - Neue Einsichten" (Verlag Königshausen & Neumann, 2007) kommt Prof. Hans-Jörg Knobloch jedoch zu einer völlig anderen Interpretation, und weist diesem Gedicht eine starke persönliche Note im Rahmen der Beziehung von Goethe zu Frau Charlotte von Stein zu.
Ein Gleiches
„Ein Gleiches“ schrieb Goethe am Abend des 6. Septembers 1780 mit Bleistift an die Holzwand einer Jagdhütte auf dem Kickelhahn bei Ilmenau und gab ihm den gleichen Namen. Es hat das gleiche Thema, ist also ein weiteres (deshalb „gleiches“) Nachtlied des Wanderers. Die Inschrift erneuerte Goethe 1813 noch einmal.
Über allen Gipfeln
Ist Ruh,
In allen Wipfeln
Spürest du
Kaum einen Hauch;
Die Vögelein schweigen im Walde.
Warte nur, balde
Ruhest du auch.Im August 1831, ein halbes Jahr vor seinem Tod, besuchte Goethe mit dem Bergingenieur Mahr, die Hütte ein letztes Mal und stieg sofort in das obere Stockwerk, um zu schauen, ob sein Gedicht an der Holzwand noch zu lesen war. Mahr berichtet darüber folgendermaßen:
Goethe überlas diese wenigen Verse, und Tränen flossen über seine Wangen. Ganz langsam zog er sein schneeweißes Taschentuch aus seinem dunkelbraunen Tuchrock, trocknete sich die Tränen und sprach in sanftem, wehmütigem Ton: Ja: warte nur, balde ruhest du auch! schwieg eine halbe Minute, sah nochmals durch das Fenster in den düsteren Fichtenwald und wendete sich darauf zu mir mit den Worten: Nun wollen wir wieder gehen!
Rezeption
Dem Goethe-Kult auch um den Entstehungsort, der bereits 1838 auf Wanderkarten als „Goethehäuschen“ verzeichnet ist, entsprach eine Verehrung des Gedichtes, das als Feier universeller Ruhe gesehen wurde.
Die Hütte brannte 1870 ab. Es existiert jedoch eine Fotografie aus dem Jahr 1869, die den Text in dem Zustand dokumentiert, den er 90 Jahre nach seiner Entstehung - verändert durch Übermalungen usw. - hatte. Das Foto zeigt auch Sägespuren: Ein Tourist hatte vergeblich versucht, den Text aus der Wand herauszuschneiden.
Die Hütte selbst wurde 1874 wieder aufgebaut, wobei auch gerettete Überreste der alten Hütte verwendet wurden.
Folgende Aussagen wurden diesem Gedicht zugeschrieben:
- ein Abendlied, das an den Tod mahnt
- ein Naturgedicht
- Stellung des Menschen im Kosmos
Für die beiden letzten Deutungen spricht die Organisation der Elemente:
- Gipfel - Wipfel - Vögel - du
- unbelebt - 2x belebt, aber schon ruhig - noch unruhig
- Gestein - Pflanze - Tier - Mensch
- Ferne - zoom-artig näher bis ins Innere des Menschen
Im Goethejahr 1999 wurde im Goethehäuschen eine Schautafel angebracht, auf welcher das Gedicht „Ein Gleiches“ in zahlreiche Sprachen übersetzt abgedruckt ist.
In dem Film "Valkyrie" (2009) von Bryan Singer über das Stauffenberg-Attentat wurde das Gedicht für die Abspann-Musik in einem Choral verwendet.
Parodien
Bei dem hohen Bekanntheitsgrad von Goethes Gedichten konnte es - wie bei Schillers Lied von der Glocke - nicht ausbleiben, dass sie oft parodiert wurden. Eine der bekanntesten Parodien auf dieses Gedicht ist 'Fisches Nachtgesang' von Christian Morgenstern, das - den Angaben des Autors zufolge - „tiefste deutsche Gedicht“.
In Karl Kraus' Tragödie Die letzten Tage der Menschheit, das als Reaktion auf den Ersten Weltkrieg entstand, wird in der 13. Szene des zweiten Akts ein „Wanderers Schlachtlied“ vorgestellt:
Über allen Gipfeln ist Ruh.
Über allen Wipfeln spürest du
Kaum einen Hauch.
Der Hindenburg schlafet im Walde,
Warte nur balde
Fällt Warschau auch. *Das von Kraus in kritischer Absicht zitierte Gedicht mit seiner bewusst falschen Interpretation der beiden Schlussverse findet seinen Widerhall in der Verwendung dieser Verse durch die RAF: Wulf Segebrecht verweist darauf, dass die RAF mit den Worten "Warte nur, balde ruhest du auch" eine Morddrohung gegen führende Politiker der Bundesrepublik Deutschland ausgesprochen habe.
Weblinks
- Ein Gleiches in gesprochener Form unter freier Lizenz?/i (283 KB, OGG)
- Wanderers Nachtlied / Ein Gleiches
- Wandrers Nachtlied (1780) PDF
- Wandrers Nachtlied Foto der Inschrift
- Ein Gleiches
- Musterklausur Deutsch
- Goethezeitportal (Postkarten mit dem Goethegedicht)
- Gedichtinterpretation
Literatur
- Wulf Segebrecht: Goethes Gedicht über allen Gipfeln ist Ruh und seine Folgen. Texte, Materialien, Kommentar. Carl Hanser, 1978, ISBN 3446124993
- Uwe C. Steiner: Gipfelpoesie. Wandrers Leiden, Höhen und Tiefen in Goethes beiden Nachtliedern. in Bernd Witte (Hg.): „Gedichte von Johann Wolfgang Goethe“ (Interpretationen). Stuttgart: Philipp Reclam jun., 1995, ISBN 3-15-017504-6
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