- Wandermusikant
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Der Begriff Fahrendes Volk ist heute im Umgangsdeutsch veraltet und spielt sonst nur bei der Selbstbeschreibung der Fahrenden noch eine Rolle, wie sie sich intern auch kurzab bezeichnen. Damit sind solche Berufsgruppen gemeint, die mehrheitlich einen nichtsesshaften Lebensstil pflegen (nicht aber eine fest umrissene ethnische Gruppe).
Vagant wie auch Landstreicher sind historische, rechtliche Bezeichnungen, die darauf Bezug nehmen.
Inhaltsverzeichnis
Definition im Wandel der Zeit
Früher wurden als fahrendes Volk (auch fahrende Leute oder Fahrende) zahlreiche, oft sehr unterschiedliche Gruppierungen umschrieben. Dazu gehörten Wanderhändler und -höker (von Büchern: Kolporteure), fahrende Scholaren (z. B. als Briefschreiber auf Märkten), Wanderprediger, Kirmesleute (wie Schausteller, Zirkusangehörige, Gaukler, Akrobaten, Jongleure, Wanderschauspieler und -musikanten, Zauberkünstler (Taschenspieler), Possenreißer, Wahrsager, Sagen- und Märchenerzähler, Sangspruchdichter, Bärenführer); auch Wanderprofessionen (Kesselflicker, Scherenschleifer, Korbflechter, Löffelschnitzer, Quacksalber, Wunderheiler, Zahnreißer und dergleichen, Dirnen, Tanzlehrer, Kiepenkerle).
Die Menschen übten in aller Regel mehrere Tätigkeiten nebeneinander oder in der zeitlichen Folge aus und bettelten häufig zugleich, wenn sie von einer Tätigkeit nicht leben konnten. Mehrheitsgesellschaftliche historische Bezeichnungen für die Angehörige dieser hoch fragmentierten, sozial, kulturell und ethnisch sehr unterschiedlich zusammengesetzten Population sind „Gängler“, "Landfahrer" oder „Landläufer“, wovon „Landstreicher“ sich ableitet. Zur Sicherung des Überlebens unter den Bedingungen des ökonomischen, rechtlichen und gesellschaftlichen Ausschlusses gehörte auch typische Formen der kleinen Delinquenz, wie sie ebenfalls als „Berufsbezeichnungen“ Anwendung fanden („Riemenstecher“ oder „Beutelschneider“ auf Kirchfesten und Jahrmärkten).[1]
Auch Jenische, Tinker und „Heiden" („Zigeuner“, „Ägypter“) – historische Fremdbezeichnungen für Roma und ihre Subgruppen wie Sinti, Jerli, Lalleri, Manusch, Lowara oder Kalderasch – wurden dem „Fahrenden Volk“ zugeordnet, teilweise als das „Fahrende Volk“ schlechthin wahrgenommen. Etliche – nicht alle – von diesen wurden als Vaganten (vom lateinischen vagari „herum streifen“, heute Vagabund) beschrieben und beargwöhnt.
Nicht zum fahrenden Volk gehörten (und gehören) Handwerker auf Stör, wandernde Handwerksgesellen (auf der Walz, auch Freireisende), unzünftige Handwerker (Bönhasen); Fernkaufleute; Seeleute – sowie ortsfeste Bettler und Obdachlose (Berber), Räuber und berufsmäßige Taschendiebe (die große Messen und Sportveranstaltungen aufsuchen, aber einen festen Wohnsitz, ggf. auch einen Tarnberuf haben). Auch Handelsvertreter (z. B. Pharmareferenten) sind kein „Fahrendes Volk“, sondern werden zu den „Reisenden“ gezählt. Ebenso gehörten die Ballettmeister sowie die musikalischen Virtuosen, die für den Adel und das gehobene Bürgertum tätig waren, eher zu den Reisenden als zu den Fahrenden (wogegen es viele Tanzmusiker gab, die zu den Fahrenden gezählt wurden). Auch bei den Schauspielern spielte die allmähliche Aufwertung von Fahrenden zu Reisenden eine Rolle (siehe Deutsche Wanderbühne). Traditionen der Fahrenden hielten sich auch bei hoch geachteten Musikern und Theaterleuten wie Richard Wagner bis weit ins 19. Jahrhundert hinein.
Historische Entwicklung
Allgemein
Zu den Fahrenden stießen – besonders in Kriegs- und Notzeiten – immer wieder ruinierte oder entlaufene Angehörige aus anderen sozialen Gruppierungen, zumal aus dem Bauernstand, ferner z. B. Knechte oder Mägde, entlassene („abgedankte“) Landsknechte, entlaufene Mönche und Nonnen. Anderen gelang es, sesshaft zu werden. Um Nachstellungen und Willkür seitens der städtischen Gerichtsbarkeit zu entgehen, bildeten die Fahrenden oft selbst zunftmäßige Vereinigungen, die unter dem Schutz eines vornehmen Herrn standen (der natürlich zu bezahlen war) mit eigenen Rechten (etwa das Pfeiferrecht der Herren zu Rappoltstein). Im späteren Mittelalter wandten sich die Fahrenden, deren Anzahl nach den Kreuzzügen immer größer wurde, mit ihren Diensten und Darbietungen fast ausschließlich nur noch an das Volk. Hier zeigten sie ihre Künste als Musikanten, Kraftmenschen, Feuerfresser, Fechter, Schwertschlucker, Seiltänzer und Puppenspieler. Sie führten seltene Tiere vor oder Behinderte als Missgeburten.
Die Reformation sowie die stärker werdenden Landesverwaltungen bedeuteten einen Rückgang des fahrenden Volkes. Ende des 15. Jahrhunderts verschwindet auch langsam die Bezeichnung. Einige wenige wurden als Hofnarren und Fechtkünstler sesshaft. Allerdings traten nun neuere Typen auf. Jetzt sah man vermehrt Bänkelsänger, Alchimisten, Geisterbeschwörer (vgl. Scharlatan), landfahrende Hausierer und Komödianten.
Mit dem Absolutismus vor allem seit dem 17. Jahrhundert entwickelte sich eine staatliche Bürokratie, die sich unabhängig von der Kirche um eine Erfassung der Einwohner und Förderung der Sesshaftigkeit bemühte. Seither ging die Zahl der Fahrenden zurück.
Mit aller Vorsicht lässt sich jedoch vertreten, dass die Fahrenden, zusammen mit Räubern, Verbannten u. ä., im 18. Jahrhundert oft noch mehr als 10 % der Gesamtbevölkerung Deutschlands ausmachten.
Rechtlich
Die rechtliche, kirchliche und soziale Geltung blieb bis Ende des Mittelalters sehr gering. Gesetzestexte wie Sachsenspiegel und Schwabenspiegel und auch die ältesten Stadtrechte schützten weder das Leben der Fahrenden, geschweige denn deren Unversehrtheit und Eigentum. Sie standen außerhalb der gesellschaftlichen Standesordnung. Gerade auch äußerlich unterschieden sie sich von der heimischen Bevölkerung und den herrschenden Ständen.
Vaganten
Der Begriff Vagant (lat. vagari, "umher streifen", „ziellos unterwegs sein“, vergl. Vagabund) schließt Kriminalität (z. B. Diebstahl, Betrug) ein, auch ist die Grenze zum Landraub und zur Bandenbildung mit Schwerkriminalität (Raub, Raubmord, oft verbunden mit Brandstiftung) nicht klar zu ziehen.
So war das amtliche und allgemeine Misstrauen gegen sie groß. Der aufgegriffene Vagant erhielt keinen gültigen Pass im modernen Sinne, sondern eine Art Laufzettel, nach dem er auf dem kürzesten Wege seinen angegebenen Zielort oder seine Heimat aufsuchen musste. Bei mehrfacher Festnahme konnte er auch nicht mehr im erforderlichen Maße, sei es durch Bettel, Diebstahl oder gar Arbeit, für seinen Unterhalt sorgen und riskierte zudem als unverbesserlicher Landstreicher in ein Arbeitshaus gesteckt zu werden oder unter Umständen sogar einem Inquisitionsprozess, falls er sich irgend etwas hatte zuschulden kommen lassen.
Landstreicher
Landstreicherei ist ein älterer Begriff für eine eigene Form der Nichtsesshaftigkeit. Er repräsentiert eine dörflich geprägte vorindustrielle Lebenswelt. Landstreicher ist ein Fremdbegriff, der eine wenig differenzierende Außensicht wiedergibt. Er meint in der Regel obdachlos lebende Einzelpersonen ohne familiäre, traditionelle oder historische Bindungen an größere nicht ortsfest lebende Gruppen, die unter häufigem Wechsel des Aufenthaltsorts "auf dem Land" umherziehen und ihre materielle Existenz in individueller Aktivität durch Gelegenheitsarbeit und Betteln sichern. Staatliche Abwehrvorschriften gegen Landstreicher bzw. - offener definiert - Landläufer, Vagabunden u. ä. schlossen in der Regel unter Verzicht auf nähere Differenzierungen Angehörige soziokultureller und ethnisch-kultureller Gruppen wie Jenische oder Sinti und Roma mit ein.
Während Jahrhunderten wurden Landstreicher teils verfolgt, teils mit milden Gaben unterstützt. In Deutschland wurden sie während der Zeit des Nationalsozialismus - wie Sinti und Roma oder Jenische - zu den Asozialen gerechnet und in Konzentrationslagern inhaftiert und ermordet.
Bis 1975 konnten Landstreicher in der Bundesrepublik Deutschland mit einer Geldstrafe bis zu 500 DM oder mit einer Haftstrafe von bis zu sechs Wochen bestraft werden (§ 361 Ziff. 3 StGB). Es handelte sich hierbei aber um eine Übertretung, war also unterhalb des Vergehens angesiedelt. Heute können die Gemeinden aufgrund des Polizeirechtes gegen Bettler vorgehen, wobei in der Regel aber nur aggressives Betteln als Ordnungswidrigkeit geahndet wird, während zurückhaltendes Betteln zumindest geduldet, wenn nicht sogar gestattet wird. Die Ordnungswidrigkeit wird mit einem Bußgeld geahndet, die Höhe hängt vom Landesrecht ab. Die Obergrenze der Buße bewegt sich meist zwischen 500 und 2500 Euro.
In Österreich war außerdem die Stellung unter Polizeiaufsicht zulässig (Gesetze vom 10. Mai 1873 und 24. Mai 1885; aufgehoben mit Wirkung vom 1. Jänner 1975).
In den Erklärungen zu Artikel II-6 (Titel II Artikel 6 - Erläuterung (1) e) ) des Vertrags über eine Verfassung für Europa wird Artikel 5 der Europäischen Menschenrechtskonvention zitiert[2]. Danach ist der Freiheitsentzug unter anderem auch für Landstreicher wieder erlaubt.
Gegenwart
Heute spricht man eher von nichtsesshaften Personen. Auch ist die oben erwähnte Negativassoziation mit dem Begriff nicht länger verbunden. Unter den historisch nicht ortsfest lebenden, inzwischen freilich in hohem Maße sesshaften Gruppen sind als die größte Gruppe in Europa die ethnische Minderheit der Roma und die in ihrer Größe nicht einschätzbare in West- und Mitteleuropa beheimatete soziokulturelle Minderheit der Jenischen zu sehen.
In der Schweiz wird "Fahrende" als staatlich-offizieller und rechtlicher Terminus verwendet. Er bezeichnet dort die - allerdings nicht als Einzelgruppen, sondern nur gemeinsam - als kulturelle und "nationale Minderheit" anerkannten und betrachteten Manouches (synonym für "Sinti") und Jenischen mit Schweizer Staatsbürgerschaft. [3] Gegen Personen, die sich "auf der Durchreise" befinden, kann im Schuldbetreibungs- und Konkursrecht ein Arrest bewilligt werden "für Forderungen, die ihrer Natur nach sofort zu erfüllen sind" (Art. 271 Abs. 1 Z. 3 SchKG).[4]
Die landwirtschaftlichen Wanderarbeiter der USA und anderer Länder werden nicht darunter gefasst, nicht einmal die saisonal wandernden landwirtschaftlichen Tagelöhner im Ost- und Mitteleuropa des 19. Jahrhundert wurden dazu gerechnet. Überhaupt sind zeitgenössische Formen horizontaler sozialer Mobilität nicht mehr darunter zu rechnen, trotz struktureller Ähnlichkeiten und der Ausbildung eigener Subkulturen, wie z. B. Fernfahrer, Ensembles von Wanderbühnen oder gewerbsmäßige Schlepper.
Belletristik
Figuren aus dem Fahrenden Volk erscheinen in zahlreichen Romanen, Erzählungen, Gedichten seit Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen; einen guten Querschnitt durch die hoch unterschiedlichen Berufsgruppen im 19. Jahrhundert gibt Karl von Holteis Roman Die Vagabunden 1852.
Siehe auch
Literatur
- Margit Bachfischer: Musikanten, Gaukler und Vaganten. Spielmannskunst im Mittelalter, Battenberg, 1998, ISBN 3-89441-371-9
- Karl Härter: Art. Fahrende Leute. In: Albrecht Cordes/Heiner Lück/Dieter Werkmüller/Ruth Schmidt-Wiegand (Hgg.), Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, 2., völlig überarbeitete und erweiterte Auflage, Band I, Erich Schmidt Verlag, Berlin 2008, Sp. 1465-1470. ISBN 978-3-503-07912-4
- Ernst Schubert: Fahrendes Volk im Mittelalter, Verlag für Regionalgeschichte, 1995, ISBN 3-89534-155-X
Weblinks
- Literatur - Fahrende – Meister Eckhart und seine Zeit
- Fahrende in der Schweiz
- Ulrich Vöikiein: Hungerstreik der Sinti – Was damals Rechtens war... Demonstration nicht ohne Erfolg. In: DIE ZEIT Nr. 17 vom 18. April 1980
- Klaus Jünschkes Chronologie zur Geschichte der „Zigeuner“ besonders in Köln (… zeigt Kontinuitäten und Brüche auf)
Einzelnachweise
- ↑ Naumann, Göbe: Illustrierte Geschichte der Deutschen Literatur
- ↑ Artikel 5 der Europäischen Menschenrechtskonvention – WikiSource
- ↑ Siehe: Gutachten des Bundesamtes fuer Justiz zur Rechtsstellung der Fahrenden in ihrer Eigenschaft als anerkannte nationale Minderheit, 27.3.2002, S. 5
- ↑ vgl. dazu Hunziker/Pellascio, S. 289
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