Wassili Kandinski

Wassili Kandinski
Wassily Kandinsky, um 1913

Wassily Kandinsky (russisch Василий Васильевич Кандинский/Wassili Wassiljewitsch Kandinski, wiss. Transliteration Vasilij Vasil'evič Kandinskij; * 4. Dezember 1866 in Moskau; † 13. Dezember 1944 in Neuilly-sur-Seine, Frankreich) war ein russischer Maler, Grafiker und Kunsttheoretiker, der auch in Deutschland und Frankreich lebte und wirkte. Kandinsky war ein Künstler des Expressionismus und vor allem der abstrakten Kunst, er wird häufig als Schöpfer des ersten abstrakten Bildes der Welt genannt, das aber möglicherweise mit der Angabe des Jahres 1911 vordatiert ist.[1]

Inhaltsverzeichnis

Leben

Kindheit und Ausbildung

Wassily Kandinsky war der Sohn einer wohlhabenden Teehändlerfamilie aus Moskau, die aber bald nach Odessa zog. Der Vater, Wassily Kandinsky senior, stammte aus Ostsibirien, die Mutter war die Moskauerin Lydia Ticheeva. Die Eltern trennten sich in seiner Kindheit, so dass er weitgehend ohne Vater aufwuchs und größtenteils von seiner Tante Elizabeth Ticheeva erzogen wurde.[2] Nach dem Abitur begann er 1886 in Moskau Rechtswissenschaften, Nationalökonomie und Ethnologie an der Lomonossow-Universität zu studieren. Während des Studiums malte er und besuchte Kunstausstellungen.

1889 unternahm Kandinsky eine Expedition in das nördliche Ural-Gebirge, um dort das Rechtssystem der Syrjanen zu studieren. Ihn faszinierten die mythischen, abstrakten Bemalungen der Trommeln dieses Urvolkes. Der Einfluss dieser Eindrücke ist in Kandinskys Frühwerk deutlich zu erkennen. [3] 1892 wurde er Assistent der Juristischen Fakultät an der Moskauer Universität und heiratete seine Cousine Anna Tschimjakin.

Eine Berufung an die estnische Universität in Dorpat lehnte er im Jahr 1896 ab, entschied sich für die Malerei und zog nach München, wo er zunächst von 1897 bis 1899 an der privaten Malschule von Anton Ažbe, ab 1900 an der Kunstakademie München bei Franz von Stuck studierte.[4]

Gabriele Münter, 1900

Gründung der „Phalanx“ und Begegnung mit Gabriele Münter

1901 war er zusammen mit Wilhelm Hüsgen einer der Gründer der Künstlergruppe „Phalanx“ und der dazugehörigen „Schule für Malerei und Aktzeichnen“. Die Resonanz war allerdings so gering, dass „Phalanx“ 1904 wieder geschlossen werden musste. Während des Unterrichts dort begegnete er Gabriele Münter, die seine Lebensgefährtin wurde, obwohl er in Russland schon verheiratet war. 1906 bis 1907 verbrachte er in der französischen Stadt Sèvres bei Paris, wo er Werke von Paul Gauguin, Paul Cézanne und der umstrittenen Gruppe der Fauvisten kennen lernte, deren Malweise ihn begeisterte.

1902 war Kandinsky zum ersten Mal in der Berliner Secession ausgestellt. In den Jahren 1903 bis 1904 machte er Reisen nach Italien, in die Niederlande und nach Nordafrika, zudem Besuche in Russland. Ab 1904 war er im Salon d’Automne in Paris vertreten. Mit seiner Geliebten Gabriele Münter lebte er ab 1908 im bayerischen Murnau, das er wegen seiner Lichtverhältnisse besonders schätzte, und schuf dort zahlreiche Landschaftsgemälde. In diesem Jahr lernte er auch Rudolf Steiner kennen, dessen damalige Theosophie und nachherige Anthroposophie sein späteres Schaffen inspirierte und beeinflusste [5].

„Die neue Künstlervereinigung München“ und „Der Blaue Reiter“

Münters Haus in Murnau,
die sogenannte „Russen-Villa“.
Foto von 2006

Am 22. Januar 1909 gründete Kandinsky zusammen mit Gabriele Münter, Alexej von Jawlensky, Adolf Erbslöh, Marianne von Werefkin, Alexander Kanoldt, Wladimir von Bechtejeff, Karl Hofer und Alfred Kubin die Neue Künstlervereinigung München. In dieser Vereinigung, die sich das Ziel gesetzt hatte, „Kunstausstellungen in Deutschland, wie im Ausland zu veranstalten“, fungierte er zunächst als Vorsitzender. Innerhalb dieses Kreises kam es zu drei bedeutenden Gemeinschaftsausstellungen in der Modernen Galerie Heinrich Thannhauser in München. In diese Zeit fällt auch seine Entwicklung hin zur abstrakten Malerei. Als bei der dritten Ausstellung der „Neuen Künstlervereinigung“ im Dezember 1911 die Jury Kandinskys fast vollständig abstrakte „Komposition V“ ablehnte, traten er, Franz Marc, Gabriele Münter und Alfred Kubin aus der Künstlervereinigung aus. Kandinsky und Marc entwickelten daraufhin neue Ideen für eine Zusammenarbeit.

Am 18. Dezember 1911 eröffneten sie die erste Ausstellung der neu gegründeten Redaktionsgemeinschaft „Der Blaue Reiter“ in der Galerie Thannhauser in München. Begleitend zur Ausstellung erschien 1912 der gleichnamige Almanach, eine geplante zweite Ausgabe konnte jedoch nicht mehr realisiert werden.

1911/1912 erschien Kandinskys einflussreiche kunsttheoretische Schrift Über das Geistige in der Kunst. Die hier zusammengetragenen Gedanken waren für die weitere Entwicklung der abstrakten Malerei von grundlegender Bedeutung. Im Almanach wurde sein Beitrag Über die Formfrage veröffentlicht, die auf dieser Schrift aufbaut. Hier postulierte er Meditation und Innerlichkeit als unabdingbare Voraussetzung für das künstlerische Schaffen.[6]

Rückkehr nach Russland

Nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs konnte er nicht in Deutschland bleiben und floh 1914 mit Gabriele Münter in die Schweiz. Er reiste von dort aus allein weiter nach Russland. Dort ging er u.a. einer Tätigkeit als Professor in den „Freien staatlichen Kunstwerkstätten“ und in anderen staatlichen Institutionen nach. Am 11. Februar 1917 heiratete er seine zweite Frau Nina Andreewsky, nachdem er bereits 1911 von seiner ersten Frau geschieden war und mit Gabriele Münter nach einem letzten Treffen in Stockholm 1916 gebrochen hatte. Nach der russischen Revolution verlor er sein Vermögen, das dank der Erbschaft von einem Onkel nicht unbedeutend gewesen war. 1920 starb sein Sohn Wsewolod. Die Verhältnisse in der neuen Sowjetunion, die Einschränkungen der Kunstfreiheit durch die neuen Machthaber, wurden für ihn zunehmend unerträglich, so dass er 1922 gerne dem Ruf von Walter Gropius folgte, am Bauhaus in Weimar als Lehrer tätig zu werden. Er konnte zwar legal ausreisen, aber seine Bilder nicht mitnehmen.

Lehrer am Bauhaus

Das rekonstruierte Bauhaus-Gebäude in Dessau-Roßlau

Bis 1933 war Kandinsky als Lehrer am Bauhaus in Weimar, Dessau und Berlin tätig, wo er in Kontakt mit dem russischen Konstruktivismus kam. In dieser Zeit setzten sich endgültig die geometrischen Strukturen in seinen Bildern durch. In Dessau war er einer der Bewohner der „Meisterhäuser“ des Bauhauses. 1924 gründete er mit Lyonel Feininger, Paul Klee und Alexej von Jawlensky die Künstlergruppe „Blaue Vier“. 1926 erschien seine theoretische Schrift: „Punkt und Linie zu Fläche“. 1928 erwarb er die deutsche Staatsbürgerschaft. 1929 fand seine erste Einzelausstellung von Aquarellen und Zeichnungen in der Galerie Zack in Paris statt.

Im Jahr 1930 traf er in Dessau mit Solomon R. Guggenheim zusammen. Diese Begegnung hatte Hilla von Rebay vermittelt, die den „Kupferkönig“ Guggenheim dazu hatte bewegen können, eine Sammlung abstrakter zeitgenössischer Kunst anzulegen. Guggenheim kaufte einige Bilder; nach und nach wurde daraus mit über 150 Arbeiten eine der größten Sammlungen von Kandinsky-Werken, die im „Museum of Non-Objective Painting”, dem heutigen Guggenheim-Museum, zu sehen sind.

Neubeginn in Frankreich – Die späten Jahre

Mit der Schließung des Bauhauses im Jahr 1933 verließ Kandinsky Deutschland und ging nach Frankreich. In den 30er Jahren war er Mitglied der Künstlerbewegung Abstraction-Création in Paris. 1936 nahm er an den Ausstellungen „Abstract and Concrete“ in London und „Cubism and Abstract Art“ in New York teil. 1939 nahm er die französische Staatsbürgerschaft an und beendete seine letzte große Arbeit „Komposition X“. 1937 wurden 57 seiner Werke in deutschen Museen beschlagnahmt und einige dann von den Nationalsozialisten in der Ausstellung „Entartete Kunst“ gezeigt. Einige dieser Werke wurden postum auf der documenta 1 (1955), der documenta II (1959), der documenta III (1964) und auch der documenta 8 im Jahr 1987 in Kassel gezeigt. 1944 fand seine letzte Ausstellung, die er miterlebte, in der Pariser Galerie l'Esquisse statt.

1944 starb Kandinsky in seinem Wohnort Neuilly-sur-Seine bei Paris.

Farbtheorie

Farben und Formen

Kandinsky besaß eine außergewöhnliche bildnerische Intelligenz und hatte ein ausgeprägtes Empfinden für Farbe und Form. Er ordnete den Farben tiefere Bedeutungen und Assoziationen zu und stellte sie in Gegensatzpaaren gegenüber:

  • Blau (kalt, Himmel, Übersinnliches, Unendlichkeit und Ruhe, konzentrisch) – Gelb (warm, irdisch bis zu aufdringlich, aggressiv, exzentrisch)
  • Schwarz (dunkel) – Weiß (hell)
  • Rot – Grün
  • Orange – Violett

Kandinsky ging von der Synästhesie (Verschmelzen verschiedener Sinneseindrücke) aus und ordnete den Farben verschiedene andere Sinneseindrücke zu, der Farbe Blau bspw. die Eigenschaften „weich“ und „aromatisch“, der Farbe Gelb hingegen „scharf“ und „stechend“.

„Der Punkt ist Urelement, Befruchtung der leeren Fläche. Die Horizontale ist kalte, tragende Basis, schweigend und „schwarz“. Die Vertikale ist aktiv, warm, „weiß“. Die freien Geraden sind beweglich, „blau“ und „gelb“. Die Fläche selbst ist unten schwer, oben leicht, links wie „Ferne“, rechts wie „Haus“.“

Wassily Kandinsky: Punkt und Linie zu Fläche (1925)

Des Weiteren versuchte er die Zugehörigkeit bestimmter Farben zu bestimmten Formen nachzuweisen:

  • Blau - Kreis
  • Rot - Quadrat
  • Gelb - Dreieck

Parallelen zur Musik

Mit dem zunehmenden Abstraktionsgrad seiner Bilder entwickelte Kandinsky eine Art Grammatik, die es ihm möglich machte, in der Gegenstandslosigkeit zu arbeiten. Als Vorbild diente ihm hierbei die Musik, wo es möglich ist, Gefühle durch Noten auszudrücken. Ähnlich wie in der Musik teilte er seine Werke in drei Gruppen ein:

  • „Impressionen“: Eindrücke aus der äußeren Natur
  • „Improvisationen“: unbewusste, plötzliche Vorgänge in der „inneren Natur“, dem Charakter
  • „Kompositionen“: sich langsam bildende Ausdrücke des Charakters, die beinahe pedantisch geprüft und ausgearbeitet werden; das Bewusste steht im Vordergrund.

Die Grundidee bei diesen Bildern ist das Hören von Farben bzw. das Sehen von Klängen. Ziel der Kunst ist die Farbharmonie und das Berühren der menschlichen Seele. Dazu ordnet er „Farbklänge“ zu „Farbsymphonien“ an, die - ähnlich wie die Töne und Klänge in der Musik - Harmonie- oder Dissonanzgefühle auslösen.

Vergleiche:

  • die Form = eine Klaviertaste
  • grellgelb = hohe Trompetentöne
  • helles Blau = Flöte
  • dunkles Blau = Cello
  • tiefer gehendes Blau = Ton eines Kontrabasses
  • tiefes, feierliches Blau = Klang einer tiefen Orgel

Werk

Bilder

Kandinsky war ein Synästhet, empfand also Farben nicht nur als optische, sondern z. B. auch als akustische Reize. Er ordnete den Farben Klänge, Gerüche, Formen usw. zu. So empfand er Gelb als eine „spitze“ Farbe, die sich in Verbindung mit der spitzen Form des Dreieckes steigere. Daher versuchte er Bilder zu malen, wie man Musik komponiert; er sprach von „Farbklängen“ und verglich die Harmonie von Farben mit der Harmonie von Klängen. Kandinsky sah auch die Gefahren für die abstrakte Kunst und schrieb, dass die Schönheit der Farbe und der Form kein genügendes Ziel der Kunst sei.

  • 1903: Gabriele Münter beim Malen in Kallmünz, München, Städtische Galerie im Lenbachhaus
  • 1909: Friedhof und Pfarrhaus in Kochel, München, Lenbachhaus
  • 1909: Murnau – Aussicht mit Eisenbahn und Schloss, München, Lenbachhaus
  • 1909: Grüngasse in Murnau, München, Lenbachhaus
  • 1910: Aquarell ohne Titel, oft als erstes abstraktes Bild genannt; rückdatiert, tatsächliches Entstehungsjahr eher 1913 (Datierung umstritten)
  • 1910: Improvisation 9, Stuttgart, Staatsgalerie
  • 1911: Romantische Landschaft, München, Lenbachhaus
  • 1913: Landschaft mit Kirche, Essen Museum Folkwang
  • 1919: Le Gris Dance, Paris, Louvre, sale XI
  • 1921: Roter Fleck II, München, Lenbachhaus
  • 1923: Durchgehender Strich
  • 1928: Inszenierung von Modest Mussorgskys Bilder einer Ausstellung am Dessauer Theater
  • 1934: Zarter Aufstieg

Die größte Sammlung von Werken Kandinskys befindet sich mit über 150 Arbeiten im Guggenheim-Museum New York.

Schriften

  • Wassily Kandinsky: Über das Geistige in der Kunst. Insbesondere in der Malerei. Originalausgabe von 1912. Revidierte Neuauflage, Benteli Verlag, Bern 2004, ISBN 3-7165-1326-1
  • Wassily Kandinsky: Punkt und Linie zu Fläche. Beitrag zur Analyse der malerischen Elemente. 8. Auflage, Benteli, Bern 2002, ISBN 3-7165-0182-4
  • Wassily Kandinsky/Franz Marc: Der Blaue Reiter. Piper Verlag, München 2004, ISBN 3-492-24121-2 Vollständiger, unveränderter Originaltext mit sämtlichen Abbildungen und dokumentarischer Anhang

Transkription des Namens

Die hier verwendete Namensschreibung Wassily Kandinsky entspricht der vom Künstler in Frankreich angenommenen französischen Transkription.

Film

  • Wassily Kandinsky. Der Klang der Farbe. Dokumentarfilm, Deutschland, 2008, 26 Min., Regie: Angelika Lizius, Produktion: arte, Erstsendung: 25. Januar 2009, [7]

Hörspiel

  • Ute Mings: Kandinsky, Münter, Jawlensky, Werefkin und Co., Die Neue Künstlervereinigung München (1909-1912), Bayerischer Rundfunk 2, 2009

Literatur

Lexika
  • Kindlers Malerei-Lexikon. DTV, München 1984, ISBN 3-4230-5995-8
  • Werner Broer u.a.: Kammerlohr - Epochen der Kunst, Bd. 5. 2. Auflage, München 1997, ISBN 3-486-87525-6
Darstellungen
  • Harwig Fischer, Sean Rainbird (Hrsg.): Kandinsky. Malerei 1908-1921. Kunstmuseum Basel, Basel 2006, ISBN 978-3-7757-1855-4
  • Norbert Göttler: Der Blaue Reiter. Rowohlt Verlag, Reinbek 2008, ISBN 978-3-499-50607-9
Kataloge
  • Thomas Krens (Vorwort): Rendezvous. Masterpieces from the Centre Georges Pompidou and the Guggenheim Museums. Guggenheim Museum Publications, New York 1998, ISBN 0-89207-213-X

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Susanna Partsch: Wer malte zuerst Kuben und Kreise? Der Streit über die Anfänge der abstrakten Malerei; in: Peter Cornelius Claussen, Katharina Corsepius, Wanda Schmid: Opus Tessellatum. Georg Olms Verlag, 2004, ISBN 348712579X, S. 352 Als Google-Buch
  2. Hajo Düchting: Wassily Kandinsky. Taschen, 2000, ISBN 3-8228-5982-6, S. 7. 
  3. Die Magie Sibiriens. Wassily Kandinsky als Ethnograf und Schamane. ZDF Aspekte
  4. Norbert Göttler: Der Blaue Reiter, Rowohlt, Reinbek 2008, S. 16 ff
  5. Becker, Kurt E.: Anthroposophie - Revolution von innen, Leitlinien im Denken Rudolf Steiners. Fischer, Frankfurt am Main 1984; ISBN 3-596-23336-4; Seite 73 sowie [1], [2], [3] (Zugriff jeweils am 2. Februar 2006)
  6. Norbert Göttler: Der Blaue Reiter, S. 99
  7. Inhaltsangabe von arte
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