Weh dem, der lügt

Weh dem, der lügt

Weh dem, der lügt! ist der Titel einer Komödie von Franz Grillparzer, die am 6. März 1838 im Wiener Burgtheater uraufgeführt wurde. Grillparzer entnahm den Stoff der Historia Francorum von Gregor von Tours. Das Stück löste nach der Aufführung einen Skandal aus, der Grillparzer bewog, sich von der Öffentlichkeit zurückzuziehen.

Bei Weh dem, der lügt handelt es sich um ein Lustspiel, welches in der Zeit der Merowinger spielt. Die komische Handlung basiert auf dem Versprechen des Küchenjungen Leon, die Rettung des von den Germanen gefangenen Neffen des Bischofs Gregor von Chalons durchzuführen, ohne ein einziges Mal zu lügen. Es erinnert an die Ausstrahlung des österreichischen Volkstheaters und an die Tradition des Barock. Das Stück wurde zuerst falsch verstanden, weil Leon sagen darf, was er will. Durch seine kecke Art wird er nicht ernst genommen, auch wenn er die Wahrheit spricht.

Inhaltsverzeichnis

Beurteilung

Vordergründig geht es bei diesem Stück hauptsächlich um Lüge und Wahrheit. Doch es wird nicht nur das Zusammentreffen zweier Kulturen behandelt, die sich miteinander im Krieg befinden (Germanen und Merowinger) und nicht zur Eintracht finden können, sondern auch der Sieg einer praktischen Vernunft (Leons, Edritas) über eine weltfremde Anschauung (Gregors). Die Komödie zeigt auch den Sieg einer Rebellion von gesellschaftlich Benachteiligten (Küchenjunge, junge Frau ohne Recht auf Selbstbestimmung) gegen die verkrustete Ordnung von Adel und Kirche.

Personen

  • Gregor: Bischof von Chalons, Onkel des Atalus. Hält an der Wahrheit fest, verabscheut die Lüge, denn ohne Lüge gäbe es keine Sünde. Spart an seinem eigenen Essen, damit er Geld zur Seite legen kann, um seinen Neffen von der Geiselnahme zu befreien. Das gehäufte Geld der Kirche von den Steuern und Spenden rührt er nicht an, weil es nicht sein privates ist.
  • Atalus: Gregors Neffe, wurde als Geisel ausgezahlt, um Frieden im Land zu schließen. Allerdings wurde man betrogen, der Frieden nur erlogen, Atalus wird nach Ablauf der Jahresfrist trotzdem weiter behalten. Man verlangt für ihn hundert Pfund, was unglaublich viel für seinen Onkel ist, aufzubringen. Er arbeitet als Pferdeknecht und betrachtet diese Arbeit höhergestellt als die eines Küchengehilfen, weil er so wenigstens mit ritterlich edlen Tieren zu tun hat. Verliebt ist er in Edrita, von welcher er glaubt, sie würde seine Gefühle erwidern. Er ist aber nur ein bisschen tölpelhaft, wehrt sich nicht und fühlt sich trotz allem zu etwas Besserem geboren.
  • Leon: Küchengehilfe im Hause Gregors, mutiert aber zum Koch, damit Gregor sich nur jemanden leisten muss. Ist clever und geschickt und hat immer eine Antwort parat, was ihn sehr spitzfindig und wortgewandt macht. Er kann nicht mit ansehen, wie geizig sein Herr mit dem Geld umgeht, zumal er früher dem König im Heer hätte dienen wollen. Nachdem er aber diese hohe, müde, zerbrechliche Gestalt des Bischofs gesehen hatte, fand er seine Berufung, diese Person zu unterstützen. Findet später sehr wohl Gefallen an Edrita, die ihm nicht abgeneigt ist.
  • Edrita: Ist die Tochter des Grafen Kattwalds, ebenfalls nicht auf den Mund gefallen. Sie wollte mehr von den Lehren des einen Gottes hören, weil bei ihr zu Lande die germanischen Götter noch weit bekannt sind. Allerdings wurde es ihr verwehrt, weshalb sie Interesse an Leon findet. Sie weiß sich zu wehren und ihre Meinung durchzusetzen, was für die damalige Zeit wohl nicht üblich war. Schnell fühlt sie sich zu Leon, der gleichermaßen agiert wie sie, hingezogen. Sie verhilft den beiden zur Flucht.
  • Kattwald: Graf im Rheingau, hinter Trier. Besitzt genügend Geld, um sich allerlei Hauspersonal zu leisten. Speist sehr gerne, weshalb ihm Leon gerade recht erscheint. Er meint alles in der Hand zu haben, weit im Lande ist er verhasst, doch gehorchen muss ihm ein jeder. Ein Codewort verbündet alle seine Mitarbeiter, Untertanen und Wachen, welches zum Zeichen seiner Treue verwendet wird, so dass ein Außenstehender sofort erkannt werden kann.
  • Gregors Hausverwalter: Will zuerst Leon davon abhalten, sich beim Bischof zu beschweren sowie seinen Dienst zu kündigen. Es scheint, als wisse er von dem Geld, das Gregor spart, zudem, weshalb und wo Atalus gefangen gehalten wird. Ist für den Hof Gregors zuständig.
  • Galomir: Ist der Bräutigam von Edrita, welche sich aber schlicht weigert, diesen zu heiraten, obwohl er ihr nächster Blutsverwandter ist. Er ist schwachsinnig und spricht nie in ganzen Sätzen. Er wird leicht von den drei Flüchtigen überwältigt. Er besitzt auch keine richtige Aufgabe im Haus, er ist nur da, bis er geheiratet hat und Edrita auf seine Hube (kleines Landgut) mitnimmt.
  • Schaffer: Grundbesitzer und Befehlshaber über Kattwalds Knechte. Dient als eine Art Kommandant der Wachen.
  • Knechte: Müssen gehorchen und dienen als Wachen. Sie nehmen Atalus gefangen, bis er von seinen Landsbrüdern befreit wird.
  • Fränkischer Anführer: Hat Metz übernommen, wo vorher die anderen hausten. Nahm die gesamte Stadt über Nacht ein. Greift ein, als die Knechte Leon fassen.
  • Fischer: Besitzt am Fluss ein Boot, welches Passagiere auf die andere Seite transportieren soll. Ist dem Grafen Kattwald untertan, verachtet und hasst ihn jedoch auf Grund seiner Tyrannei. Will Edrita, Leon und Atalus im Flusse versenken, sobald sie weit genug draußen sind. Edrita bat ihn nämlich, sie hinüberzubringen, mit bereits erwähntem Codewort.
  • Knecht: Knecht des Fischers macht das Boot klar und erhält den Auftrag, alle über Bord zu werfen. Glücklicherweise greift Leon dazwischen, der allerseits Lügen vermeidet und erklärt, auf der Flucht zu sein. Erst danach bringt man sie sicher auf die andere Seite.

Inhalt

1. Aufzug

Leon beschwert sich beim Hausverwalter, dass er nicht arbeiten kann, wenn er alles zurückgeben muss, was er so billig erstanden hat. Der gute, saftige Rindsbraten musste sogar mit Verlust weiterverkauft werden. Der Hausverwalter kann Leon nicht zurückhalten, seine Wut bei Gregor abzulassen, da Leon den Bischof einen Silberling küssen sah. Zuerst erkennt ihn Gregor nicht, allerdings bemerkt er seine Wut. Er findet heraus, was Leon so bedrückt, dass dieser kündigen will, und erklärt ihm die Lage.

Er schickt seinen Neffen Atalus in den fernen Rheingau hinter Trier, als Handelsgut für einen erkauften Frieden. Allerdings ist die Geiselfrist abgelaufen, der Krieg aber von neuem ausgebrochen. So halten sie nun seinen geliebten Atalus immer noch gefangen. Für ihn verlangen sie 100 Pfund, wobei er bis jetzt schon 10 Pfund gespart hat. Das Kirchgeld gehöre den Armen und Bedürftigen, deshalb spare er an allem was ihn selbst betreffe, so auch beim Essen. Leon erklärt sich bereit, seinen Neffen zurückzubringen. Gregor ist dagegen, weil er dann gegen das Gebot der Lüge handeln würde. Nach einiger Überlegung verspricht Leon, Atalus zurückzubringen, ohne die Sünde zu begehen, und erhält die 10 Pfund, die der Bischof bereits gesammelt hatte zum Verteilen an die Armen.

2. Aufzug

Leon trifft auf einen Pilger, der auf dem Weg in den Rheingau ist. Er erhält Geld und geleitet ihn bis zum Schloss Kattwald. Da, weit von seinem Heimweg abgekommen, beklagt er sich über die versprochene Belohnung. Leon verkauft sich selbst als Sklaven, gleichzeitig als Spitzenkoch dem Grafen.

Da die Hochzeit von Edrita und Galomir bevorsteht, benötigt Graf Kattwald dringend einen Koch. Edrita, seine Tochter, erhielt den Auftrag, sich ein bisschen von Leons Können abzuschauen. Allerdings bemerkt sie bereits, was Leon vorhat, denn er erkundigt sich nach seinem Landsmann Atalus.

Atalus weigert sich vorerst, als Küchengehilfen zu arbeiten. Kattwald, der das Wirken Leons begutachten wollte, stellt fest, dass dieser sich auf der Wiese mit Atalus zu unterhalten scheint, und eilt ebenfalls herbei. Mit gewitztem Trick schafft es Leon, dass Atalus doch als Küchengehilfe einspringen muss.

3. Aufzug

Abends kocht Leon einen saftigen Braten, der die Gäste anregt, jede Menge Wein zu trinken. Müde und betrunken vergisst Kattwald, den Schlüssel der Tür abzuziehen, der auch die Tür nach draußen öffnet. Leider kommt Leon und Atalus ein Diener zuvor, der den Schlüssel abzieht. Leon hat in Erfahrung gebracht, dass der Schlüssel sicher über dem Grafen Kattwald an der Wand hängt, wo er ihn holen wird. Atalus wird in derselben Zeit einen Brückenpfeiler angraben, damit dieser auf der Flucht beim Betreten der Verfolger zusammenbricht.

Während Atalus gräbt, schleicht sich Leon in Kattwalds Schlafzimmer. Edrita steigt durch eine Hintertür ein und zieht den Schlüssel einer Seitentür ab. Doch Kattwald wacht auf. Sofort schleudert Leon den Schlüssel von sich und tut so, als würde er den Schlüssel suchen. Da er nicht lügen darf, erzählt er natürlich, dass er selbst ihn gestohlen hat, was Kattwald als einen Scherz auffasst. Edrita tritt währenddessen aus dem Schatten und tauscht die Schlüssel aus. Leon findet diesen und hängt ihn zurück, obwohl er bemerkt, dass der Schlüssel leichter ist. Kattwald will nichts hören und schläft wieder ein.

Leon ist am Boden zerstört und will zu Atalus zurück, der mit dem Graben fast fertig ist. Er sieht aber den Schlüssel in der Tür stecken. Edrita gesteht, dass sie selbst den Schlüssel hineingesteckt hat. Atalus und Leon können fliehen, lassen aber die Tür offen. Galomir, der die Verfolgung aufnehmen wollte, stürzt in den Graben, woraufhin Edrita ihn auslacht. Kattwald droht seiner Tochter mit dem Tod, welche nun doch beschließt, ebenfalls zu fliehen. Die Tür verschließt sie von außen.

4. Aufzug

Leon und Atalus streiten sich während der Flucht, bis plötzlich Edrita zu ihnen kommt. Sie hat beschlossen, nicht zurückzukehren, zumal ihr der Vater den Tod geschworen hat. Galomir erscheint mit seinem Pferd. Edrita tut so, als müssten sie die Hochzeit üben, und überlistet ihn. Zu dritt fesseln sie Galomir, der sich dann befreien kann und mit dem Horn ruft.

Am Fluss angekommen sagt Edrita dem Fischer das Passwort „Arbogast“, damit er sie über den Fluss führt, da sie im Auftrag des Grafen Kattwalds unterwegs sind. Hier überlistet Leon den Fischer.

5. Aufzug

In einer Scheune vor Metz haben alle drei eine Pause gemacht, während Leon nicht schlafen konnte und ins Freie geht. Dort wird er überfallen und beginnt zu beten. In diesem Moment öffnen sich die Tore und heraus kommt ein fränkischer Anführer. Die Franken haben über Nacht Metz eingenommen, welches nun für Kattwald fremdes Territorium bedeutet.

Gregor schließt Atalus in die Arme. Statt ins Kloster zu gehen, möchte er Edrita heiraten. Sie ist schon dabei, seine Hand zu nehmen, als er einige Missverständnisse während seiner Flucht aufklärt. Atalus erklärt sich bereit, Edrita Leon zu überlassen, weil dieser ihn nach langer Zeit der Geiselnahme endlich befreit hat und er einsieht, dass sie nur ihn liebt. Glücklich schließen sich alle in die Arme.

Weiteres zum Werk

Entstehung: Grillparzer besuchte in den zwanziger Jahren die Artistenfakultät an der Universität Wien und hatte dort einen Jesuiten als Lehrer. Dieser erklärte ihm die zehn Gebote mit dem Ausspruch: ,,Es kommt auf den Geist der Handlung an, nicht auf die Worte". Diese These gab Grillparzer erste Ideen zu einem Lustspiel, welche er aber erst 1831 nach dem Erfolg des Stückes ,,Der Traum ein Leben" in die Tat umsetzte. Der Stoff des Lustspiels in fünf Akten ist einer Anekdote des westfränkischen Geschichtsschreibers Gregor von Tours (6. Jahrhundert) in seiner ,,Historica Francorum" entnommen. Die Idee in ihrer Gesamtheit und die eingeflochtene Liebesgeschichte sind jedoch Grillparzers Eigentum. Die Neugierde des literarischen Wiens stieg Anfang 1838 aufs Höchste, als man hörte, dass im Hoftheater bald ein Lustspiel des gefeierten Tragödiendichters Grillparzer aufgeführt werden würde. Von Augenzeugen der berühmten Aufführung des 6. März 1838 ist überliefert, dass das Theater schon lange vor Beginn des Lustspiels voll war und dass sich einige Aristokraten schon vor Öffnung der Türen von ihren Bediensteten einen Platz besetzen ließen. Genauso groß wie die Spannung vor der Aufführung war der Misserfolg hinterher. Nachdem das Publikum die ersten Aufzüge noch mit lautem Beifall würdigte, wurde es im Laufe der Aufführung immer gemäßigter und die letzten Szenen begegneten schließlich einer ungeduldigen Gleichgültigkeit. Von wenigen wurde behauptet, dass der Misserfolg des Stückes darauf zurückzuführen sei, dass Grillparzer mit seinem ,,literarischen Lustspiel", wie jemand schrieb, viel zu hoch gezielt hätte, da das Publikum wegen seiner Unwissenheit in Bezug auf Literatur ganz einfach überfordert war. Vor allem aber die Aristokratie zeigte sich gegenüber dem Stück vollkommen verständnislos, da man darin eine Kritik an die Reichen sah. Durch den Misserfolg völlig gedemütigt, zog sich Grillparzer fortan total von der literarischen Öffentlichkeit und von der Wiener Gesellschaft zurück. Nach seinem Tod fand man in seinem verschlossenen Schreibtisch drei weitere Tragödien (,,Libussa", ,,Die Jüdin von Toledo" und ,,Ein Bruderzwist in Habsburg"), welche dann von Katharina Fröhlich veröffentlicht wurden.

Weblinks

Originaltext (Projekt Gutenberg-DE)


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