- Weitlingkietz
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Der Weitlingkiez ist ein Quartier im Berliner Bezirk Lichtenberg mit einer Grundfläche von rund 50 Hektar, das sich im Wesentlichen im 19. und 20. Jahrhundert entwickelte. Gegenwärtig (Stand Dezember 2007) wohnen etwa 5500 Einwohner in diesem Bereich um die Weitlingstraße.
Inhaltsverzeichnis
Lage
Die etwa in Nord-Süd-Richtung verlaufende Weitlingstraße ist das Zentrum dieses Wohngebietes. Nach Westen wird es durch die Eisenbahngleise der Ostbahn begrenzt, dahinter liegt das Stadtviertel Frankfurter Allee Süd. Im Südwesten schließt die Victoriastadt an. Im Osten grenzt das Gebiet an den Ortsteil Friedrichsfelde. Es finden sich hier ruhige Wohnstraßen, zahlreiche denkmalgeschützte Wohnblöcke, drei Schulen, der Münsterlandplatz und ein Sportstadion.
Das Gebiet ist über die S-Bahnlinien S5, S7 und S75 mit den Bahnhöfen Berlin-Lichtenberg und Nöldnerplatz sowie über die U-Bahn-Linie U5 sowie diverse Buslinien mit dem öffentlichen Verkehr zu erreichen.
Kurze Geschichte
An der von Rummelsburg nach Friedrichsfelde führenden Straße entstand 1783 auf königliche Anordnung die Gartenbaukolonie Lichtenberger Kiez. Hier siedelten sich Kolonisten an und errichteten auf schmalen, tief geschnittenen Parzellen kleine ein- und zweistöckige Häuser. Die noch erhaltenen Kolonistenhäuser in der Lückstraße stehen unter Denkmalschutz.
Um 1870 entwickelte sich im südlichen Teil des angegebenen Bereichs eine zwei- bis dreigeschossige Vorstadtbebauung, während das Gebiet beiderseits der Weitlingstraße erst ab dem späten 19. Jahrhundert und bis in die 1930er-Jahre städtebaulich bedeutsam wurde. Zahlreiche (damals) moderne Architekten verwirklichten in diesem Kiez ihre Vorstellungen vom „Neuen Bauen“; ihre Wohnkomplexe stehen heute fast alle unter Denkmalschutz (siehe → hier).
Straßen, Plätze und Bauten im Weitlingkiez
Weitlingstraße
Das Gebiet hat seinen Namen nach dieser Hauptstraße, die beim Bau der Wohnhäuser eine wichtige Nord-Süd-Verbindung darstellte. Die Straße hieß bei ihrer Anlage zunächst Wilhelmstraße, erhielt dann 1938 ihren Namen nach dem Pädagogen Johann Ludwig Weitling.[1]
Nöldnerplatz bis Fischerstraße
Der Nöldnerplatz ist ein großer, unregelmäßig geformter Platz, auf den zahlreiche Straßen münden. Dazwischen befinden sich Grünanlagen. Der denkmalgeschützte[2] Schulkomplex auf der Südseite des Platzes wurde von 1927 bis 1932 nach Entwürfen von Max Taut gebaut. Er besteht aus mehreren Baukörpern, die von der Fischerstraße bis zur Schlichtallee reichen. Sie wurden ursprünglich als Lyzeum, Mittel- und Berufsschule genutzt. Die einzelnen Gebäude sind baulich miteinander verbunden und funktionell in Schulgebäude, Turnhallen und Aula gegliedert. Die vorwiegend zwei- oder dreigeschossige Eisenbetonkonstruktion ist in ihren verschiedenen Bereichen mit gelben oder roten Klinkern verblendet. Bis auf einen Eingang, der als Schmuck eine aus Terrakotta gefertigte Darstellung einer Frau, umgeben von neun Kindern, trägt, sind alle Bauteile schmucklos.[3]
Die Schulgebäude beherbergten zu DDR-Zeiten die Erweiterte Oberschule „Immanuel Kant“ (nach 1990 Kant-Gymnasium). Seit dem Umzug des Gymnasiums in die Lückstraße heißt der Komplex Max-Taut-Schule und beherbergt das Oberstufenzentrum Versorgungs- und Reinigungstechnik.
Die historische Aula wurde im Zweiten Weltkrieg zerstört und die Bausubstanz 60 Jahre lang nur notdürftig gesichert. Sie wurde unter Leitung von Max Dudler wieder aufgebaut und 2006, nach dem Architekten Taut-Aula genannt, wieder eingeweiht. Sie dient neben schulischen Aufgaben auch Konzerten und anderen öffentlichen Veranstaltungen sowie Sitzungen der Bezirksverordnetenversammlung von Lichtenberg.
Es gibt Planungen, direkt am Platz vor dem Ausgang des S-Bahnhofs Nöldnerplatz einen Wochenmarkt einzurichten. Die Spielplätze auf dem Platz wurden neu gestaltet. Einige der ursprünglich von der Stadtreinigung genutzten Flächen in der Fischerstraße 15/16 wurden von der Stadt Berlin erworben und 2008 darauf Sportplätze eingerichtet.
Der Maler Heinrich Zille wuchs in der heutigen Fischerstraße auf. [4]
Lückstraße
In der Lückstraße steht die 1906 unter Adolph Schlicht errichtete erste Gemeindeschule für Rummelsburg. Das Gebäude ist ein drei- bis viergeschossiger verputzter Ziegelsteinbau mit einem auffälligen Treppenturm, der durch eine Uhrenlaterne bekrönt wird. Die Straßenfront ist „rustifiziert“ (mit Kunststein verkleidet), auf dem Erker in der ersten Etage des angebauten ehemaligen Rektorenwohnhauses sieht man eine humorige Darstellung eines Schülers: Dieser sitzt auf einer Schnecke und liest ein Buch. Durch Änderung der Nutzung der Max-Taut-Schule ist in dieses Gebäude nun das Immanuel-Kant-Gymnasium eingezogen.
In der Lückstraße gibt es auch mehrere unter Denkmalschutz stehende [5] sogenannte „Kolonistenhäuser“ vom Ende des 18. Jahrhunderts; eines (Hausnummer 18/19) ist stark einsturzgefährdet und wurde durch das Bezirksamt Lichtenberg notdürftig gesichert.
Münsterlandplatz
Der Münsterlandplatz ist eine kleine Grünanlage von rund 1400 m², begrenzt durch die Münsterland- und Weitlingstraße, die Straße Münsterlandplatz sowie die Wönnichstraße. Der Platz wurde mit Beginn der Bebauung um 1905 angelegt. Er trug zuerst den Namen Augustaplatz.[6] Am 10. Mai 1951 wurde er nach der gleichnamigen Landschaft in Nordrhein-Westfalen umbenannt.[7]
Direkt am Münsterlandplatz Ecke Wönnichstraße steht das Gebäude der Neuapostolischen Kirche. Zweimal wöchentlich findet auf dem Münsterlandplatz ein Wochenmarkt statt.
Robinson-Grundschule
In der Wönnichstraße 7 befindet sich die Robinson-Grundschule, 1907–1908 nach Vorlagen von Franz Knipping geplant und erbaut, heute unter Denkmalschutz stehend.[8] 1973 erhielt die Schule den Namen des Widerstandskämpfers Horst Viedt und es wurde eine entsprechende Gedenktafel am Schulgebäude angebracht.[9] (Seit der Umbenennung der Schule in „Robinson-Grundschule“ ist die Tafel jedoch nicht mehr vorhanden.)
Erlenhof, Pappelhof, Ulmenhof
In den 1920er-Jahren führten Architekten wie Jacobus Goettel, Paul Mebes & Paul Emmerich, Erwin Anton Gutkind, um nur einige bedeutende zu nennen, weitere Wohnbauten im Stil des Neuen Bauens in diesem Kiez aus, die sich durch eine klare Formensprache und Funktionalität auszeichnen: Ganze Wohnkomplexe wurden mit einfachsten Gestaltungselementen so gebaut, dass viele Familien preisgünstigen aber relativ komfortablen Wohnraum erhalten konnten, die Innenhöfe wurden zu kleinen grünen Spiel- und Erholungsoasen gestaltet.
Seit 1977 sind die oben genannten und 1928 bis 1931 von Goettel geplanten und der Firma Lenz gebauten Höfe im Karree Kraetkestraße, Ribbecker, Rummelsburger und Zachertstraße unter Denkmalschutz gestellt.[10][11]
Sonnenhof
Von 1925 bis 1927 errichtete die Siedlungsgesellschaft Stadt- und Land nach Plänen von Erwin Anton Gutkind im Straßengeviert Marie-Curie-Allee, Delbrückstraße, Archenholdstraße, Bietzkestraße eine monumental wirkende Blockbebauung, die den Namen Sonnenhof erhielt. In der nach Süden ausgerichteten Fassade sind die breiten Fenster mit weißen Pfeilern dazwischen völlig gleichmäßig angeordnet, in horizontaler Richtung gibt es durch die dunkelgrauen Stahlbetonbalken und durchgängige rote Klinkerbänder einen farblichen Kontrast. In den 1970er-Jahren erfolgte eine Teil-Aufstockung der ursprünglich vier Etagen. Der Innenhof ist als großzügige Grünanlage angelegt. Die Hofseiten des Blockes sind mit betonten Treppenteilen aufgelockert; ein gesonderter Baukörper im Hof bot einen geschützten Platz für den Kindergarten. Der „Sonnenhof“ steht unter Denkmalschutz, worauf auch eine 2003 enthüllte Tafel an der östlichen Doppeleinfahrt hinweist.[12]
Sportstadion
Zwischen Zachert- und Kraetkestraße entstand nach dem Zweiten Weltkrieg aus mehreren enttrümmerten Grundstücken eine Freiluft-Sportanlage, die heute Stadion Friedrichsfelde genannt wird. Sie bietet Platz für etliche kleine Kiezsportvereine und den Schulsport.
Weitere Baudenkmale im Kiez
- Wohnanlage Archibaldweg 28–40; 1925–1930 von Bruno Ahrens [13]
- Wohnhaus Einbecker Straße 45 [14]
- Bauernhaus Einbecker Straße 74 [15]
- Bauernhaus Einbecker Straße 78 [16]
- Wohnkomplex Friedastraße, Irenenstraße, Metastraße; 1930–1933 von Adolf Rading [17]
- Mietshaus Irenenstraße 2–3 [18]
- Wohnanlage Lincolnstraße, Bietzkestraße, Eggersdorfer Straße, Zachertstraße; 1926/1927 von Paul Mebes & Paul Emmerich [19]
- Mietshäuser Margarethenstraße 5–6; um 1890 [20]
- Wohnanlage Metastraße 2–30; 1931 von Rudolf Henning [21]
- Wohnanlage Weitlingstraße 19/21 und 25/27 mit Rückseite Wönnichstraße 16–26, genannt „Alte Fabrik“; um 1930 von Volker Raatz [22]
Rechtsextremismus
Schon zu Vorwendezeiten hatte eine kleine Ost-Berliner Neonazi-Szene einige ihrer Treffpunkte im Weitlingkiez. 1990 besetzten Neonazis die Häuser Weitlingstraße 120 und 122 (an der Ecke Lückstraße), die schließlich durch Brandstiftung unbewohnbar wurden. Äußerlich wurden die Gebäude inzwischen saniert, sind jedoch nur zum Teil bewohnt.
Der Weitlingkiez ist danach immer wieder durch Übergriffe von Rechtsextremen auf Ausländer, Linke und Andersdenkende deutschlandweit bekannt geworden. Besondere Aufmerksamkeit erregten die beiden Überfälle auf den PDS-Politiker Giyasettin Sayan am 18. Mai 2006 [23] und Kirill Jermak am 26. November 2006 [24]. Die Anzahl der gewaltbereiten Rechtsextremen wird auf etwa 65 geschätzt.[25]
Die Ortslage unterliegt einer besonderen Beobachtung der Sicherheitsbehörden, da es überdurchschnittlich viele politische Gewalttaten gibt. Laut Landeskriminalamt für das Jahr 2006: 7 Gewalttaten in der Kategorie „Politisch motivierte Kriminalität – rechts“ und 13 Gewalttaten in der Kategorie „Politisch motivierte Kriminalität – links“.[26]
2007 hat das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ein Aktionsprogramm mit dem Titel „VIELFALT TUT GUT – Jugend für Vielfalt, Toleranz und Demokratie“ ins Leben gerufen, um Projekte gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus zu fördern. 100.000 Euro wurden für das Fördergebiet Lichtenberg-Mitte mit Schwerpunkt Weitlingkiez zur Verfügung gestellt, der damit einen Großteil von Aktionen gegen Gewalt und Rechtsextremismus im Weitlingkiez fördert, als Beispiele seien genannt:
- Das vietnamesische Mondfest als Straßenfest (unter Schirmherrschaft des Bezirksamtes und gemeinsam mit der Vereinigung der Vietnamesen in Berlin & Brandenburg e. V.) unter dem Slogan „Wir im Kiez“ (September 2007).
- Interkulturelles Bildungszentrum und Bürgercafé (2007)
- Interkulturelle Mediathek in der Bodo-Uhse-Bibliothek (2007)
Literatur
- Jan Feustel: Spaziergänge in Lichtenberg, „Berlinische Reminiszenzen“ Nr. 75, Verlag Haude und Spener, Berlin, 1996, ISBN 3-7759-0409-3
Weblinks
- Senatsverwaltung für Stadtentwicklung – Info über den Weitlingkiez
- Besuch in der Gefahrenzone, TAZ vom 23. Mai 2006
- Koordinierungsstelle für Vielfaltprojekte in Lichtenberg
- Vielfaltprojekt „Action im Kiez“ - Produktion von satirischen Videoclips über den Weitlingkiez mit Jugendlichen
Einzelnachweise
- ↑ Weitlingstraße im Straßenlexikon bei luise-berlin.de
- ↑ Berliner Landesdenkmalliste: Schulkomplex Nöldnerplatz
- ↑ Die Bau- und Kunstdenkmale der DDR, Berlin, Band II, Seiten 206/207
- ↑ Mitteilung des Bezirksamtes zur Einweihung des Gedenksteins für Zille
- ↑ Berliner Landesdenkmalliste: Kolonistenhäuser in der Lückstraße
- ↑ Historische Ansichtskarte des Augustaplatzes
- ↑ Münsterlandplatz bei luise-berlin.de
- ↑ Berliner Landesdenkmalliste: Robinson-Grundschule
- ↑ Beschreibung der Gedenktafel für Horst Viedt bei luise-berlin.de
- ↑ Berliner Landesdenkmalliste: Erlenhof, Pappelhof, Ulmenhof
- ↑ Berliner Landesdenkmalliste: Freiflächen als Gartendenkmal
- ↑ Berliner Landesdenkmalliste: Wohnanlage Sonnenhof
- ↑ Berliner Landesdenkmalliste: Wohnanlage Archibaldweg 28–40
- ↑ Berliner Landesdenkmalliste: Wohnhaus Einbecker Straße 45
- ↑ Berliner Landesdenkmalliste: Bauernhaus Einbecker Straße 74
- ↑ Berliner Landesdenkmalliste: Bauernhaus Einbecker Straße 78
- ↑ Berliner Landesdenkmalliste: Wohnkomplex Friedastraße, Irenenstraße, Metastraße
- ↑ Berliner Landesdenkmalliste: Mietshaus Irenenstraße 2–3
- ↑ Berliner Landesdenkmalliste: Wohnanlage Lincolnstraße, Bietzkestraße, Eggersdorfer Straße, Zachertstraße
- ↑ Berliner Landesdenkmalliste: Mietshäuser Margarethenstraße 5–6
- ↑ Berliner Landesdenkmalliste: Wohnanlage Metastraße 2–30
- ↑ Berliner Landesdenkmalliste: Wohnanlage Weitlingstraße 19/21 und 25/27 mit Rückseite Wönnichstraße 16–26
- ↑ PDS-Politiker Sayan in Lichtenberg angegriffen, Der Tagesspiegel. 21. Mai 2006
- ↑ PDS-Jungpolitiker niedergeschlagen, Der Tagesspiegel. 27. November 2006
- ↑ Zeichen gegen Neonazis im Weitlingkiez.
- ↑ Weitlingkiez im Fokus der Berliner Sicherheitsbehörden, berlin.de, 7. Dezember 2006
52.50611111111113.495833333333Koordinaten: 52° 30′ 22″ N, 13° 29′ 45″ O
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