- Weißtschechen
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Die Tschechoslowakische Legionen waren aus Tschechen und Slowaken gebildete militärische Verbände im Ersten Weltkrieg, die in Frankreich, Italien und in Russland aufgestellt worden waren. Insgesamt umfassten diese Heeresformationen bis zu 250.000 Mann an allen Fronten [1]. Aber nur in Russland trat das dortige Tschechoslowakische Korps als Kampfverband an der russischen Westfront und selbständig im russischen Bürgerkrieg in Erscheinung. Analog zu den antibolschewistischen Weißfinnen, Weißpolen usw. wurden sie von den Bolschewisten daher als Weißtschechen bezeichnet.
Inhaltsverzeichnis
Geschichte
Die Aufstellung dieser Auslandsarmee, später Tschechoslowakische (CS) Legion war ein Teil einer Strategie der organisierten Exilanten unter Führung von Tomas G. Masaryk und Edvard Beneš, unterstützt von den Auslands-Tschechen und Slowaken zur Erlangung der Freiheit und Unabhängigkeit von Österreich-Ungarn, sowie der Anerkennung als souveräner und selbständiger Staat.
In Frankreich meldeten sich schon früh zahlreiche Exiltschechen zur Armee, so dass Mitte 1914 eine eigene Abteilung in der Fremdenlegion entstand [2]. Der weitere Aufbau ging nur langsam vor sich, ab Mitte 1917 kamen ca. 4000 Freiwillige auf abenteuerlichen Weg vom serbischen Kriegsschauplatz [3], ungefähr 1100 Mann aus Russland und ca. 2500 aus den USA. Ein wesentlicher Fortschritt war ein Abkommen, unterzeichnet von französischen Premier Clemenceau und für den tschechoslowakischen Nationalrat von Beneš zur Aufstellung der tschechoslowakischen Nationalarmee als autonomer Verband der französischen Streitkräfte [4].
In einem Kriegsgefangenenlager in Capua in Italien wurde im Januar 1917 ein Freiwilligenkorps aufgestellt. Zuerst als Arbeitsbataillone, ab März 1918 als divisionsstarker tschechischer Kampfverband, der aber nicht mehr eingesetzt wurde. Darüber wurde im April 1918 ein Vertrag geschlossen, der erstmals völkerrechtliche Wirksamkeit erreichte [5].
Russland war aber das hauptsächliche Einsatzgebiet der Legion. Die Moskauer Tschechen reichten schon am 4. August 1914 der russischen Regierung ein Projekt für eine tschechoslowakische Freiwilligentruppe ein, das noch im August genehmigt wurde. So wurde noch im selben Monat im Kiewer Militärbezirk mit der Aufstellung tschechischer Einheiten begonnen. Die Česká družina (Tschechische Gefolgschaft) bildete eigene Einheiten als ein integrierter Teil der russischen Zarenarmee, die bis Jahresende ca. 1000 Mann erreichten. Tschechische Kriegsgefangene aus der k.u.k. Armee wurden noch nicht aufgenommen. [6].
Der weitere Ausbau stieß auf Widerstand russischer Militärs, trotzdem wurde mit Kriegsgefangenen bis Ende 1916 eine Schützenbrigade mit ca. 5700 Mann gebildet. Nach der Februarrevolution 1917 und Verhandlungen durch die tschechoslowakischen Exilpolitiker (u.a. Masaryk) wurde durch den Militärrat der nun provisorischen russischen Regierung die Organisation einer tschechoslowakischen Armee verfügt [7].
Ende Juni 1917 nahm die Legion an der Kerenski-Offensive teil und führte 3000 meist tschechische Soldaten der k.u.k. Armee in die Kriegsgefangenschaft. Der Aufbau wurde nun rasant vorangetrieben, so dass bis Ende 1917 ein tschechoslowakisches Armeekorps mit 2 Divisionen mit Unterstützungs- und Versorgungstruppen, in einer Stärke von ca. 35.000 Mann aufgebaut war [8]. Anderen Angaben zufolge soll sie Anfang 1918 schon zwischen 50.000 Mann [9] und 60.000 Mann [10] umfasst haben.
Oktoberrevolution 1917
Die russische Oktoberrevolution veränderte die Lage der Legion gravierend. Das Land verfiel ins Chaos, die Sowjets wirkten anfangs nur lokal und regional, sie verschlossen sich teils dem Eingriff des SowNarKom und der aus Bolschewiki und linken Sozialrevolutionäre gebildeten Interimsregierung. Die Legion versorgte sich nun, nach Ausfall der Zarenarmee, durch gewaltsame Requirierung.
Nach der Machtergreifung der Bolschewiki führten diese Friedensverhandlungen mit Deutschland, während sich die Tschechoslowakische Legion als Truppenteil der Entente sah, die den Kampf gegen Deutschland und Österreich-Ungarn fortzusetzen bereit war. Masaryk gelang es, im Verein mit Vertretern der Entente und den Bolschewiki ein Abkommen abzuschließen, in dem die Bolschewiki der Legion bewaffnete Neutralität und freien Abzug aus Russland nach Frankreich zusicherten [11]. Dort sollte sie in die Westfront eingegliedert werden.
Bei den Überlegungen und Variationen über die Route des Abmarsches, blieb der fast utopische Plan, durch das asiatische Russland - die Transsibirische Eisenbahn ausnützend - an den Pazifik und von dort per Schiff über die USA nach Frankreich zu gehen, der einzig mögliche Weg [12]. Vereinbart war der Transport in kleinen, kontrollierbaren Kontingenten, die nur so viel Waffen und Munition wie für den Wachdienst nötig mitführen sollten. Statt dessen füllten die Tschechoslowaken die Züge mit jeweils über 1.000 Mann, versteckten Maschinengewehre in den Zügen und nahmen so viel Munition mit, wie in ihre Gürteltaschen paßten. [13]
Der Transport begann und im Laufe der Monate April und Mai 1918 hatte sich die gesamte Legion von Pensa bis Wladiwostok, auf einer Strecke von über 9000 km verteilt. Dazwischen standen bolschewistische Truppen oder internationale Militäreinheiten, meist kriegsgefangene Ungarn oder Deutsche [14]. Unterwegs nahmen die Tschechoslowaken zudem versprengte Weißgardisten auf, wodurch die Legion auf über 90.000 ebenso anwuchs wie das antibolschewistische Element in ihr.
Am 14. Mai 1918 kam es in der westsibirischen Stadt Tscheljabinsk zu einem Zwischenfall, der den neuen Kriegskommissar Trotzki veranlasste, den Weitermarsch zu verbieten und die gewaltsame Entwaffnung zu befehlen. Dem widersetzten sich die Tschechoslowaken, in der Nacht zum 25. Mai begann ihr Aufstand.
Daraufhin begannen die Kämpfe um die Bahnstrecke. Innerhalb von zwei Wochen nahm die Legion einen Abschnitt von der mittleren Wolga (Pensa, Kasan) bis Irkutsk am Baikalsee und bis September die gesamte Strecke bis Wladiwostok in Besitz. Durch die Unterbrechung der Transsibirischen Bahn wurde die Versorgung der Roten Armee mit Gütern aus Sibirien empfindlich gestört. Die Rote Armee befand sich nämlich im Westen im Abwehrkampf gegen das neuerstandene Polen, gegen die Weiße Armee unter Denikin im Schwarzmeergebiet und gegen die Interventionsmächte England und Frankreich, die im Archangelsker Gebiet gelandet waren. Als Konsequenzen für die Legion ergab sich ein Abweichen von der unbedingten Neutralität in den russischen Auseinandersetzungen, einem der wesentlichen Grundsätze Masaryks [15]. Sie agierte nun als Speerspitze der alliierten Interventionstruppen und der weißen Truppen. Einigen Historikern zufolge erfolgte die Wendung gegen die Bolschewiki jedoch nicht aus ideologischen Gründen, sondern nur um des Überlebens willen. [16]. In jedem Falle dürften sich sowohl Bolschewiki als auch Tschechoslowaken voneinander bedroht gefühlt haben. Auf dem II. Delegiertenkongress der Legion schloss sich eine Minderheit der Tschechoslowaken, unter ihnen Jaroslav Hašek, den Bolschewiki an [17].
Rückzug
Nach der Eroberung von Kasan zeigten sich aber die Grenzen der Legion. Die Bevölkerung war äußerst zurückhaltend, die Arbeiterschaft war bolschewistisch, das Auftreten der Legion und der Weißen war provozierend und teilweise grausam. Zugleich hatten die Maßnahmen Trotzkis bei der Erneuerung der Roten Armee erste Erfolge, so dass sie nun entlang der Kama und Wolga offensiv werden konnte. Die Legion musste sich daher ab Anfang September 1918 unter schweren Verlusten aus der Umklammerung lösen und zur Gänze aus den Wolgagebieten Richtung Osten zurückziehen.
Die bislang so erfolgreiche Legion stürzte in die Krise. Ihre Ziele, die sie motiviert hatten, den Kampf entlang der Bahn Richtung Heimat, hatten sie selbst verraten. Der Stolz als Speerspitze der Alliierten zu kämpfen und die Erfolge waren verblasst. Oft waren es nur gewagte Abenteuer gewesen, des Öfteren war es nur Geltungsbedürfnis und Habgier, wenn auch nur einzelner Offiziere. Die erwartete Unterstützung durch alliierte Truppen war für sie nicht erkennbar gewesen und deren Zielsetzungen ihnen völlig unklar.
Als im November der russische Admiral Koltschak gegen die gemäßigte national-konservative weiße Regierung in Omsk putschte, traten mehrere Offiziere zu ihm über, die Legion selbst aber distanzierte sich öffentlich vom seinem Regime.
Der Befehlshaber der Legion und spätere Premierminister General Jan Syrový legte den Oberbefehl über die gesamte weiße Front nieder, er wurde am 1. Februar 1919 der Kommandant des Tschechoslowakischen Heeres in Russland als ein Teil der Tschechoslowakischen Heimatarmee.
In Russland umfasste das tschechoslowakische Heer Anfang 1919 eine Stärke von ca. 60.000 Mann, gegliedert in drei Divisionen je vier Regimenter, ein Ersatzregiment, zwei Kavallerieregimenter, drei leichte Artillerieregimenter und drei schwere Artilleriebataillone, eine Eisenbahnartilleriebatterie, eine kleine Fliegereinheit, sowie eine große Anzahl an Versorgungs- und technische Truppen [18].
Ab Anfang 1919 begann die Legion abschnittsweise Richtung Irkutsk zu verlegen und begleitete den Rückzug der Armee Koltschaks. Nach dem Zusammenbruch der weißen Front kämpfte sie nur mehr um sich selbst zu schützen. Sie transportierte den Großteil des Zarengoldes. Anfang 1920 regelte ein Vertrag mit den Sowjets den ungehinderten Truppentransport nach Wladiwostok. Zur gleichen Zeit stellte der Oberbefehlshaber der alliierten Interventionstruppen in Sibirien, Maurice Janin, Koltschak unter den „alliierten Schutz“ der Legion. Als Gegenleistung für freien Abzug erhielt die Tschechische Legion in Irkutsk 30 Waggons Kohlen und lieferte den militärischen Führer der „Weißen“, Admiral Koltschak, an die Bolschwisten aus, die ihn exekutierten. Am 15. Januar 1920 verließ das erste Schiff Wladiwostok, am 2. September das letzte, die Soldaten dieses Transports erreichten am 20. November 1920 Prag.
Die Geschichte der Legion ist in Russland zuletzt verbunden mit erheblichen Diebstählen aus den Schlössern der Aristokraten, Wucherhandel mit Lebensmitteln gegenüber fliehenden Zivilisten aus Legions-Waggons heraus sowie Vergewaltigungen mit Todesfolge unter Ausnutzung der Hungersnot. Die Legion schützte allein sich selbst. Dem Massensterben der russischen Bourgeoisie beim Rückzug Koltschkas entlang der transsibirischen Eisenbahnlinie gegenüber blieb sie unbeteiligt bzw. bereicherte sich daran.
Einzelnachweis
- ↑ Taschenlexikon CSSR, S. 241
- ↑ Strauss, 1934, S. 95
- ↑ Beneš, Aufstand, 114f.
- ↑ Bosl, Handbuch, S. 361-363
- ↑ Plaschka, 1987
- ↑ Strauss, 1934, S. 94
- ↑ Thunig, 1970, S.17-21
- ↑ Thunig, 1970, S. 23
- ↑ Golinkow, S. 133f
- ↑ Potjomkin, S. 454
- ↑ Masaryk, 1925, S. 184
- ↑ Thunig, 1970, S. 31
- ↑ Potjomkin, S. 453f
- ↑ Thunig, 1970, S. 46-48
- ↑ Masaryk, 1925, S.199
- ↑ Thunig, 1970, S.65-67
- ↑ Taschenlexikon CSSR, S. 241
- ↑ Thunig, 1970, S. 90-92
Literatur
- Edvard Beneš: Der Aufstand der Nationen. Der Weltkrieg und die Tschechoslowakische Revolution. Berlin 1928.
- Karl Bosl: Handbuch der Geschichte der Böhmischen Länder. Bd. 3, Stuttgart 1968.
- Thomas G. Masaryk: Die Weltrevolution. Erinnerungen und Betrachtungen 1914 - 1918. Berlin 1925.
- Richard G. Plaschka: Odvanzo und Piazza Venezia. Zur Aufstellung tschechoslowakischer Freiwilligenverbände in Italien im Ersten Weltkrieg. In: Römische Historische Mitteilungen. 29. 1987, S. 459-475.
- Konstantin W. Sakharow: Die tschechischen Legionen in Sibirien, Berlin 1930 (Reprint München 1995).
- Emil Strauss: Die Entstehung der Tschechoslowakischen Republik. Prag 1934.
- Gerburg Thunig-Nittner: Die Tschechoslowakische Legion in Russland. Ihre Geschichte und Bedeutung bei der Entstehung der 1. Tschechoslowakischen Republik. Wiesbaden 1970.
- Edwin Erich Dwinger: Zwischen Weiß und Rot. Die russische Tragödie 1919-1920. Diederichs. Jena 1930
- Maurice Janin: Ma mission en Sibérie 1918-1920. Payot. Paris. 1933
- W.P. Potjomkin (Hrsg.): Geschichte der Diplomatie, Zweiter Band (Die Diplomatie der Neuzeit, 1872–1919). Berlin/Leipzig 1948
- David Golinkow: Fiasko einer Konterrevolution - Das Scheitern antisowjetischer Verschwörungen in der UdSSR. Berlin 1982
- Bibliographisches Institut Leipzig: Taschenlexikon CSSR. Leipzig 1983.
Weblinks
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