Weltenformel

Weltenformel

Eine Weltformel, oder eine Theorie von Allem (TOE, Theory Of Everything) ist eine hypothetische Theorie der theoretischen Physik und Mathematik, die zusammen alle bekannten physikalischen Phänomene gänzlich erklärt und verknüpft. Mit der Zeit ist der Begriff in die Popularisierungen der Elementarteilchenphysik eingeflossen, die zu einer Theorie erweitert werden soll, welche durch ein einzelnes Modell die Theorien von allen grundlegenden Wechselwirkungen der Natur erklären würde.

Inhaltsverzeichnis

Erwartungen

Die Vereinheitlichung der drei Grundkräfte elektromagnetische, schwache (vereinheitlicht in elektroschwacher SU(2) x U(1) Eichtheorie) und starke Wechselwirkung (Quantenchromodynamik, QCD) ohne die Gravitation wird als große vereinheitlichte Theorie bezeichnet (GUT = Grand Unified Theory). Diese Vereinheitlichung wird aufgrund der Ähnlichkeit in der mathematischen Struktur der drei Theorien angenommen.

Die Einbeziehung der Gravitation wird erwartet, weil eine Extrapolation der Wechselwirkungsstärke der einzelnen Grundkräfte zu hohen Energien darauf hinweist, dass bei etwa 1019 GeV alle Wechselwirkungen vergleichbar stark sind.

Bislang gibt es außerhalb kosmologischer Beobachtungen keinerlei Möglichkeiten, eine derartige Theorie zu überprüfen. Viele Physiker sind jedoch weiterhin überzeugt, dass alle physikalischen Vorgänge auf ein Grundprinzip zurückzuführen sind (Reduktionismus). Insbesondere werden von den 2008 im CERN beginnenden Experimenten des Large Hadron Collider Fortschritte in Richtung einer Weltformel erwartet.[1]

Eine derartige Theorie sollte aus heutiger Sicht verschiedene Merkmale aufweisen, zum Beispiel:

  • Meist wird erwartet, dass sie supersymmetrisch ist.
  • Sie sollte die Frage der Natur der dunklen Materie sowie ungeklärte Vorgänge im frühen Universum erklären.
  • Sie sollte eine konsistente, renormierbare Quantentheorie der Gravitation beinhalten
  • Sie sollte die Massen, Kopplungskonstanten und andere Parameter des Standardmodells der Elementarteilchen erklären.

Weltformeln in der Geschichte

Eine frühe Theorie, die die elektromagnetische Wechselwirkung und die Gravitation vereinheitlicht beschrieb, war die Kaluza-Klein-Theorie. Sie entstand allerdings, bevor die schwache und starke Wechselwirkung bekannt waren, und war daher unvollständig.

In den 1950er Jahren versuchte Werner Heisenberg, eine Weltformel aufzustellen. Auch Albert Einstein versuchte dies bis zum Lebensende, blieb aber erfolglos. Seit diesen, teilweise vorschnell und übertrieben in der Presse bejubelten Versuchen wird der Begriff Weltformel auch in einem abwertenden, spöttischen Sinn für ähnliche Kraftakte benutzt.

Zwei der aktuell populärsten Theorien zur einheitlichen Beschreibung der vier Grundkräfte und für eine quantentheoretische Beschreibung der Gravitation sind die Stringtheorie und die Loop-Quantengravitation, wobei Vertreter beider Theorien betonen, dass die bestehenden Theorien unvollständig sind und dass zur Formulierung einer endgültigen Theorie noch wesentliche Probleme gelöst werden müssen.

Schritte der Vereinheitlichung

Vormals getrennt gesehene Theorien wurden bisher oder werden aktuell nach folgender Tabelle zusammengeführt:

Elektrostatik Magnetostatik Schwache
Wechselwirkung
Starke
Wechselwirkung
Gravitation
Elektromagnetische
Wechselwirkung
Quantenelektrodynamik Quantenchromodynamik Allgemeine
Relativitätstheorie
Elektroschwache Wechselwirkung
Große vereinheitlichte Theorie
„Theory of Everything“ oder „Weltformel“ / Quantengravitation

Weltformel in den Medien

In der Komödie Die Physiker von Friedrich Dürrenmatt wird die Weltformel von einem Physiker namens J. W. Möbius gefunden. Allerdings versteckt er diese vor der Allgemeinheit, weil er eine Gefährdung der Menschheit befürchtet, wenn diese und seine anderen Arbeiten an die Öffentlichkeit gelangen.

In Darren Aronofskys Film Pi findet der Mathematiker Maximillian Cohen ebenfalls eine Art Weltformel, die von verschiedenen Parteien heiß begehrt ist; unter anderem weil man mit ihrer Hilfe die Zukunft vorhersagen könnte.

Begriff

Der Begriff Theory of Everything (dt. Theorie von Allem) meint eine widerspruchsfreie bzw. unzweideutige Beschreibung und Vorhersage der in der Natur beobachtbaren Phänomene im Rahmen eines möglichst einfachen Satzes von Formeln. Die TOE wird demgemäß als Gegensatz zum aktuellen Stand der Physik begriffen, wo man mit jeweils unterschiedlichen Theorien zu verschiedenen Vorhersagen kommt. Dies wird gegenwärtig so gelöst, dass je nach Zusammenhang diejenige Theorie herangezogen wird, welche erfahrungsgemäß die größte Übereinstimmung mit dem Experiment liefert. In den Grenzgebieten zwischen den bestehenden Theorien bzw. deren Gültigkeitsbereichen ergeben sich dadurch zwangsläufig Entscheidungskonflikte und mehr oder weniger große Abweichungen von den Experimenten.

Grundsätzlich bezieht sich der Begriff nur auf (prinzipiell) messbare Größen der Physik. Inwieweit Aspekte außerhalb der Physik, etwa der Psychologie oder der Kunst, auf physikalische Phänomene rückführbar sind, ist nicht direkter Gegenstand einer Theory of Everything. Darüber hinaus stoßen auch die besten gegenwärtigen Theorien mit zunehmender Komplexität des betrachteten Systems auf praktische Grenzen der Berechenbarkeit. Dies ist dennoch keine Einschränkung des umfassenden Erklärungsanspruches dieser Theorien in ihrem jeweiligen Gültigkeitsbereich.

So ist es z.B. auch heute nicht im Ansatz möglich, einen menschlichen Organismus mittels der Quantenelektrodynamik (QED) zu berechnen, weil allein schon die Anzahl der in ihm enthaltenen Materieteilchen die Speicherkapazität gegenwärtiger Computer bei weitem übersteigt. Dennoch besitzt die Physik einen sehr hohen Grad des Vertrauens in die Gültigkeit der Quantenelektrodynamik in diesem Problembereich, da ihre Anwendung auf alle bisher untersuchten praktisch lösbaren Probleme eine außerordentlich gute Übereinstimmung mit den Experimenten gezeigt hat. Somit nimmt man auch an, dass zusammengesetzte aber nicht mehr praktisch lösbare Systeme der QED diesen Grad an Übereinstimmung zeigen werden. Genau in demselben Sinne wird daher auch eine zukünftige TOE Anspruch auf die Erklärung aller vermessbaren Naturphänomene erheben.

Der Ausdruck Weltformel ist nur im figurativen Sinne zu verstehen, da sich eine physikalische Theory of Everything vermutlich nicht auf eine einzige Formel reduzieren ließe. Zudem beinhaltet jede physikalische Theorie eines bestimmten Aspektes der Welt neben den sie tragenden Formeln noch viele weitere erklärende Elemente, ohne die sie nicht anwendbar ist. Zu diesen gehören vor allem die Vorschriften darüber, wie die in den Formeln vorkommenden Größen zu messen sind.

Kritik

Das Konzept einer Theory of everything steht im Mittelpunkt einer innerwissenschaftlichen Debatte um Reduktionismus. Manche Wissenschaftler, darunter Robert B. Laughlin und Philip W. Anderson, bestreiten die grundsätzliche Möglichkeit, mit einer solchen Theorie komplexe Sachverhalte zu erklären [2][3], kritisieren die in ihren Augen unverhältnismäßigen Forschungsmittel, die für die Suche nach der Weltformel aufgebracht werden und stellen ihr die Konzepte von Emergenz und Selbstorganisation entgegen.

Einzelnachweise

  1. SWR2 Wissen (Aula 07.06.2008) : Im Innern der Welt (rtf)
  2. Robert B. Laughlin und David Pines: "The Theory of Everything", Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS) 97, 28-31.
  3. Robert B. Laughlin: Abschied von der Weltformel: Die Neuerfindung der Physik. 4. Auflage. Piper Verlag, München 2007, ISBN 978-3-4920-4718-0. 

Literatur

  • John D. Barrow: New theories of everything - the quest for ultimate explanation. Oxford Univ. Press, Oxford 2007, ISBN 0-19-280721-8
  • Robert B. Laughlin: Abschied von der Weltformel - die Neuerfindung der Physik. Piper, München 2007, ISBN 978-3-492-04718-0
  • Paul Davies: Auf dem Weg zur Weltformel - Superstrings, Chaos, Komplexität; über den neuesten Stand der Physik. Komet, Köln 2005, ISBN 3-89836-498-4

Weblinks

Gibt es eine Weltformel? - Focus-Artikel von Peter Haberkorn zur Debatte um die Weltformel


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