Wiedergeborener Christ

Wiedergeborener Christ

Als Erweckungsbewegungen werden Strömungen im Christentum bezeichnet, die die Bekehrung des Einzelnen und praktische christliche Lebensweise besonders betonen. Gemeinchristliche oder konfessionelle Dogmen sowie rationales Verstehen treten dahinter zurück. Erweckungsbewegungen gehen davon aus, dass lebendiges Christentum mit der Antwort des Menschen auf den Ruf des Evangeliums zu Umkehr und geistiger Erneuerung beginnt.

Der sprachgeschichtliche Hintergrund des Begriffes Erweckung ist das französische „le réveil“, da die Erweckung des 19. Jahrhunderts über die Tuchfabrikanten und -händler in Lyon in den deutschsprachigen Raum kam. Gedanklich fußt der Begriff auf Eph 5,14 LUT: „Wach auf, der du schläfst, und steh auf von den Toten, so wird dich Christus erleuchten.“ Da nur der Glaube ins ewige Leben führe, ist die Existenz des Ungläubigen dem Tode geweiht. Somit erscheint die Hinwendung zum Glauben als Hinwendung zum Leben, bzw. in Analogie zum Osterevangelium als Erweckung vom Tode.

Inhaltsverzeichnis

Allgemeines

Charakteristisch für Erweckungsbewegungen sind persönliche Bekehrungen, die in einer veränderten Lebensweise resultieren. Die meisten Erweckungsbewegungen bildeten sich innerhalb des Protestantismus oder dessen Umfeld. Einige entstanden am Rand von etablierten Kirchen, andere als geistliche Erneuerung innerhalb bestehender kirchlicher Strukturen, wieder andere außerhalb etablierter kirchlicher Strukturen. Gewöhnlich entstanden sie als Reaktion auf ein Christentum, das als dogmatisch fixiert, liturgisch erstarrt oder rein verstandesbetont empfunden wurde. Eine katholische Erweckungsbewegung trat am Ende des 18. Jahrhunderts in Gestalt der Allgäuer Erweckungsbewegung in Erscheinung. Einer ihrer Protagonisten war Martin Boos.

Erweckungsbewegungen sind keine Randerscheinungen, sondern Massenbewegungen: Die Erweckungsbewegungen des 18. bis 20. Jahrhunderts haben jeweils zu einem starken Anwachsen der engagierten Christen in der Bevölkerung geführt. In manchen Fällen wurden dabei Kirchenferne angesprochen, in anderen Fällen Kirchenmitglieder ohne innere Beteiligung. Beispielsweise gab es in England innerhalb von 50 Jahren 75.000 Methodisten, in den Vereinigten Staaten wuchs ihre Zahl von 500 im Jahr 1771 auf 15.000 im Jahr 1784. Das 19. Jahrhundert begann in den Vereinigten Staaten mit 7 Prozent der Bevölkerung als Mitglied einer Kirche – hundert Jahre später waren es über 40 Prozent. Die Pfingstbewegung in Brasilien war 1960 praktisch bedeutungslos, heute umfasst sie 25 Prozent der Bevölkerung.

Ein wesentlicher Faktor bei vielen Erweckungsbewegungen ist die Predigt, die im 18. und 19. Jahrhundert oft auf freiem Feld stattfand und Massen von Kirchenfernen anzog. Im Amerika des zwanzigsten Jahrhunderts spielten manche Fernsehprediger eine ähnliche Rolle.

Neben der Evangelisation haben Erweckungsbewegungen oft eine starke gemeinschaftsfördernde und diakonische Komponente. Dazu gehören die Klassen und Armenapotheken der Methodisten ebenso wie die Gesellenvereine und Diakonissenhäuser der Erweckung in Deutschland oder die Hauskreise und das soziale Engagement der Pfingstgemeinden in Brasilien.

Bei praktisch allen Erweckungsbewegungen kam es teilweise zu starken Emotionen: Leute brechen während der Predigt in Tränen aus, sind überschwänglich glücklich über ihre Bekehrung oder haben ekstatische Erlebnisse. Während diese Begleiterscheinungen in vielen Fällen von den beteiligten Predigern bejaht wurden, trafen sie insbesondere bei den Theologen der etablierten Kirchen auf massive Kritik und dienten oft als Anlass, um eine als Konkurrenz empfundene Bewegung insgesamt zu verurteilen.

Da Erweckungsbewegungen in aller Regel keine geplanten Organisationen sind, haben sie eine dynamischere Struktur als etablierte Kirchen. Vielen von ihnen fehlt zu Anfang sowohl eine ausgearbeitete Theologie als auch eine theologisch gebildete und persönlich gereifte Leiterschaft und eine wirtschaftlich solide Kirchenstruktur. Deshalb hat es einige ungesunde Entwicklungen gegeben, die bis zu totalitären Sekten (Jim Jones) geführt haben.

Übersicht über die verschiedenen Erweckungsbewegungen

Reformationszeit: die radikale Reformation

Während die lutherische und zwinglische Reformation im Allgemeinen die Bevölkerung eines ganzen Staatsgebiets umfassten und daher weniger Gewicht auf die persönliche Glaubensentscheidung des Einzelnen legten, haben die Täufer (aus denen die Mennoniten und Hutterer entstanden) und die reformierten Minderheiten in Frankreich (Hugenotten), den Niederlanden und Schottland Ähnlichkeiten mit Erweckungsbewegungen. Da sie jedoch eine Bekehrung bzw. ein Bekehrungserlebnis nicht zur Voraussetzung für das Christsein machten, unterscheiden sie sich fundamental von den Erweckungsbewegungen, in denen dies der zentrale Punkt für das Glaubensverständnis ist.

17. Jahrhundert: Pietismus und Quäker

Die Puritaner und Quäker in England hatten ebenso wie der Radikale Pietismus und die Inspirierten in Deutschland einiges mit Erweckungsbewegungen gemeinsam, gelten jedoch noch nicht als eigentliche Erweckungsbewegungen.

18. Jahrhundert: Methodisten, Brüdergemeinde und Great Awakening

Die ersten Erweckungsbewegungen, die als solche bezeichnet werden, waren der Methodismus, initiiert von John und Charles Wesley im anglikanischen Kontext in Großbritannien, und das Great Awakening in den amerikanischen Kolonien unter der theologischen Führung von Jonathan Edwards und George Whitefield im reformiert-kongregationalistischen Umfeld. Trotz der unterschiedlichen Ausgangssituationen hatten beide Bewegungen viel gemeinsam: öffentliche Predigten, oft unter freiem Himmel, persönliche Bekehrung der Einzelnen, Integration der Bekehrten in übersichtliche Gruppen, Reform des persönlichen und sozialen Lebens.

19. Jahrhundert: Baptisten, Methodisten, Heiligungsbewegung, Neupietismus

In den Vereinigten Staaten war das 19. Jahrhundert eine Folge von Erweckungsbewegungen. Anfänglich dominierten im Norden die Methodisten mit ihrem Circuit-Rider System, wobei ein Prediger die Gemeinden eines ganzen Distrikts betreute, im Süden die Baptisten mit unabhängigen kongregationalistischen Gemeinden.

Um die Mitte des Jahrhunderts entstanden zahlreiche neue Konfessionen: in den Vereinigten Staaten das Restoration Movement mit den Disciples of Christ, und den Gemeinden Christi, in England die Brüderbewegung und die Heilsarmee, daneben die Siebenten-Tags-Adventisten und am theologischen Rand des Christentums die Bibelforscher-Bewegung, sowie die Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage (Mormonen) und die Christliche Wissenschaft, die von der ACK beide als nichtchristlich betrachtet werden.

Die Erweckungsbewegung im deutschsprachigen Raum hat ihre Wurzeln zum einen im Pietismus des 17./18. Jahrhunderts, zum anderen in der südenglischen Brüderbewegung (Brethren, Plymouth-Brüder, Darbysten), die über das Tuchgewerbe zunächst im französischen Lyon zum Réveil führte und schließlich über Handelsreisende den Weg von dort nach Deutschland fand. Seltener ist eine direkte Vermittlung von den englischen Brethren zur entstehenden deutschen Brüderbewegung (Darbysten). Die Erweckungen des 19. Jahrhunderts in Deutschland und der Schweiz fanden zum größeren Teil innerhalb der Landeskirchen statt, in Deutschland insbesondere in Siegerland und südlichem Oberberg (Homburger Land), am Niederrhein (Pastoren Krummacher), in der Wuppertaler Gegend, in der Lüneburger Heide (Ludwig Harms), im Ravensberger Land (Johann Heinrich Volkening) und in Baden-Württemberg (Ludwig Hofacker), in der Schweiz von Basel, Genf und Bern ausgehend. In Bern gab es durch die Heiligungsbewegung einen zweiten Aufbruch im Umfeld der Evangelischen Gesellschaft um Elias Schrenk und Franz Eugen Schlachter. Daneben entstanden auch Freikirchen, einige wurden von Rückwanderern aus den Vereinigten Staaten (Methodisten, Baptisten) gegründet, andere gingen von Missionsbewegungen aus (Chrischona).

20. Jahrhundert: Evangelikale, Pfingstbewegung und Charismatische Bewegung

Am Anfang des 20. Jahrhunderts kam es in den Vereinigten Staaten zu einer überkonfessionellen Strömung konservativer Christen, die insbesondere ihre Sicht der biblischen Lehre betonten. Diese Bewegung teilte sich in den 1930er Jahren in die Fundamentalisten und die Evangelikalen, die um die Mitte des Jahrhunderts durch Prediger wie Billy Graham starken Zuwachs fanden.

In den Erweckungen der Pfingstbewegung wurde der Heilige Geist, die Erfüllung eines Gläubigen mit dem Heiligen Geist und die Gaben des Heiligen Geistes wiederentdeckt. Diese Bewegung nahm um die Jahrhundertwende in Kalifornien ihren Anfang und verbreitete sich in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts über alle Kontinente, mit Schwergewicht in Lateinamerika, Afrika südlich der Sahara, Korea und den Vereinigten Staaten. Während sie in Europa eher eine Randerscheinung ist, umfasst sie in der Dritten Welt einen großen Teil des christlichen Zuwachses der letzten fünfzig Jahre.

Neben den zahlreichen selbständigen oder lose verbundenen Pfingstkirchen hat die Pfingstbewegung auch ihre Parallele innerhalb der Großkirchen, die Charismatische Erneuerung, die, im Gegensatz zu den meisten früheren Erweckungsbewegungen, auch in der katholischen Kirche Zulauf hat.

Eine weitere Erweckungsbewegung der letzten Jahre geht von Pensacola in Florida aus. Sie ist in der amerikanischen pfingstlerischen Strömung einzuordnen, besonders werden die Heiligkeit Gottes und die Notwendigkeit eines Sündenbekenntnisses betont.

Die Erweckungsbewegungen in den Volkskirchen stehen zumeist in einer Spannung zu kirchlicher Tradition. In der Folge entstehen sowohl innerkirchliche Gemeinschaften wie auch unabhängige Gemeinden.

Siehe auch

Literatur

  • Gustav Adolf Benrath, Reinhard Deichgräber, Walter J. Hollenweger: Art. Erweckung/Erweckungsbewegung I. Historisch II. Dogmatisch III. Praktisch-theologisch; in: Theologische Realenzyklopädie 10 (1982), 205–227.
  • Erich Beyreuther: Erweckungsbewegung. In: RGG3 2, Sp. 631ff.
  • Friedrich Wilhelm Kantzenbach: Die Erweckungsbewegung. Studien zur Geschichte ihrer Entstehung und ersten Ausbreitung in Deutschland; Neuendettelsau: Freimund, 1957
  • Erich Beyreuther: Die Erweckungsbewegung; Die Kirche in ihrer Geschichte, Band 4, Lieferung R, Teil 1; Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1963 (19772)
  • Stephan Holthaus: „Heil – Heilung – Heiligung“. Die Geschichte der deutschen Heiligungs- und Evangelisationsbewegung (1874–1909); Gießen: TVG Brunnen, 2005; ISBN 3-7655-9485-7
  • William Reginald Ward: The Protestant Evangelical Awakening; Cambridge: Repr. University Press, 1994
  • Thomas K. Kuhn: Religion und neuzeitliche Gesellschaft. Studien zum sozialen und diakonischen Handeln in Pietismus, Aufklärung und Erweckungsbewegung; Beiträge zur historischen Theologie 122; Tübingen: Mohr (Siebeck), 2003; ISBN 3-16-148169-0
  • verschiedene Artikel im Jahrbuch Pietismus und Neuzeit 1 (1974)ff. (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht) ISSN 0172-6943, historisch orientiert

Einzelbeispiele

  • Gerlinde Viertel: Anfänge der Rettungshausbewegung unter Adelberdt Graf von der Recke-Volmerstein (1791–1878). Eine Untersuchung zu Erweckungsbewegung und Diakonie; Schriften des Vereins für Rheinische Kirchengeschichte 110; Köln: Rheinland-Verlag, 1993
  • Gerhard Schwinge: Jung-Stilling als Erbauungsschriftsteller der Erweckung. Eine literatur- und frömmigkeitsgeschichtliche Untersuchung seiner periodischen Schriften 1795–1816 und ihres Umfelds; Arbeiten zur Geschichte des Pietismus 32; Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1994
  • Karsten Ernst: Auferstehungsmorgen. Heinrich A. Chr. Hävernick. Erweckung zwischen Reformation, Reaktion und Revolution; Gießen: Brunnen, 1997; ISBN 3-7655-9420-2
  • Siegfried Hermle (Hrsg.): Kirchengeschichte Württembergs in Porträts. Pietismus und Erweckungsbewegung; Holzgerlingen: Hänssler, 2001; ISBN 3-7751-3704-1
  • Christine Stuber: „Eine fröhliche Zeit der Erweckung für viele“. Quellenstudien zur Erweckungsbewegung in Bern 1818–1831; Basler und Berner Studien zur historischen und systematischen Theologie 69; Bern: Lang, 20022; ISBN 3-906768-56-2
  • Nicholas M. Railton: Transnational Evangelicalism. The case of Friedrich Bialloblotzky (1799–1869); Arbeiten zur Geschichte des Pietismus 41; Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2002
  • Iain H. Murray: Revival and Revivalism. The Making and Marring of American Evangelicalism. 1750–1858; Edinburgh: Banner of Truth Trust, 1994
  • John B. Boles: The Great Revival. Beginnings of the Bible Belt; Lexington, Ky., 1996; ISBN 0-8131-0862-4

Weblinks


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