Wiesenkirche

Wiesenkirche
Blick auf Soest, vom südlich gelegenen Haarstrang aus gesehen. Ganz rechts die zweitürmige gotische Wiesenkirche, der Südturm ist eingerüstet
Die eingerüsteten Türme der Wiesenkirche von Nordwesten gesehen; am freiliegenden Nordturm lässt sich der bauliche Zustand vor Beginn der Restaurierungen gut ablesen
St. Maria zur Wiese, Mittelschiff

Die evangelische Wiesenkirche oder Kirche St. Maria zur Wiese in Soest gilt als die formvollendetste westfälische Hallenkirche. Von annähernd quadratischem Grundriss geprägt, bietet ihr Inneres dem Betrachter von manchen Standpunkten aus den Eindruck einer reinen Fensterfront, getragen von grazilem Bündelpfeilerwerk. Die hohen Fensterbahnen erreichen im Chor beinahe den Boden. Am Tag wirkt das Gotteshaus leicht und lichtdurchflutet. Drei nahezu gleich hohe, sehr flach gewölbte Schiffe geben dem Raum sein Ebenmaß.

Der Grundriss von Maria zur Wiese ist fast quadratisch, und diese Form ist hier so typisch, dass sie in der Kunstgeschichte das „westfälische Quadrat“ genannt wird.[1] In der Hochgotik hatte das Verhältnis der Breite zur Höhe noch 1:4 und mehr betragen, jetzt in der Spätgotik gleichen sich die Verhältnisse aus. Die jetzt in Deutschland, Spanien, England und Südwesteuropa entstehenden Hallen- und Saalkirchen kommen einem neuen, vorreformatorischen Zug zur Predigerkirche entgegen. Der Innenraum einer großen Kirche sollte in allen Teilen von einer einzigen Person, dem Prediger beherrscht werden können, die Wirkung der Predigt sollte nicht durch irgendwelche Raumtrennungen, wie beispielsweise separate Seitenschiffe, beeinträchtigt werden.

Gleichzeitig spiegelt diese Entwicklung der Spätgotik zur Halle und zum quadratischen Grundriss eine allgemeine gesellschaftliche Entwicklung wider: Mittlerweile war das Bürgertum sehr erstarkt. Der Bürger hat den Priester als Kulturträger abgelöst.[2] Dementsprechend sehen die neuen Kirchen nicht mehr so mystisch aus wie zuzeiten der Hochgotik im 13. Jahrhundert. Die Renaissance, das Zeitalter des Humanismus, kündigt sich an, mit dem das Mittelalter zu Ende geht.

Der romanische Vorgängerbau der Kirche stand der Überlieferung nach noch in einem sumpfigen Gebiet, welches dann entwässert wurde. Noch heute sind unter der Kirche verschiedene Bachläufe zu finden. Das neue Kirchengebäude, 1313 begonnen, stand nun also auf einer Wiese: St. Maria in Pratis – St. Maria zur Wiese.

Das Bauwerk wurde seit der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts im Stil der Gotik aus dem südlich von Soest abgebauten Grünsandstein errichtet. Unter der Leitung von drei Baumeistern dauerte die Bauphase bis ins 15. Jahrhundert an. Am Westwerk wurde sogar noch bis 1530 gearbeitet. Die Türme der Wiesenkirche, in der Form, wie sie heute mit ihren durchbrochenen Helmen die Soester Stadtsilhouette mitformen, sind im späten 19. Jahrhundert errichtet worden, nachdem das preußische Königshaus die dafür notwendigen Gelder zur Verfügung gestellt hatte. Der Entwurf stammte von August Soller.

Seit 1987 wird an der Wiesenkirche wieder gebaut: die bei vorherigen Arbeiten, insbesondere im 19. Jahrhundert, verwendeten Steine verwittern und müssen deshalb ausgetauscht werden. Dabei verwenden die Steinmetzen der Dombauhütte Oberkirchener Sandstein, der wesentlich wetterfester ist, leider aber nicht den typischen grünlichen Farbton aufweist.

Die Kirche wurde – wie aus dem Namen abzuleiten ist – erbaut, um darin ein Marienbild aufzubewahren, welches aus dem 12. Jahrhundert stammt und über viele Jahrhunderte Pilger aus nah und fern anzog. Dieses Marienbild wurde in der Reformationszeit, in der die Kirche evangelisch wurde, entfernt und laut einer Legende auf dem Dachboden der Kirche aufbewahrt. 1661 wurde es als Sühnegabe für einen Waldfrevel an die Nachbarstadt Werl übergeben, wo noch heute jährlich mehr als 200.000 Menschen zur Muttergottes von Werl pilgern.

Inhaltsverzeichnis

Bedeutende Kunstwerke im Inneren der Kirche

Südportal und „Westfälische Madonna“

Marienfigur am Südportal

Das Südportal stammt aus dem ausgehenden 14. Jahrhundert. Die Figuren – ebenfalls aus der Zeit um 1400 – sind Repliken; die Originale stehen im Inneren der Kirche. In der Mitte steht die zumindest für Westfalen legendäre Plastik der sogenannten Westfälischen Madonna. (Tatsächlich ist sie möglicherweise rheinischen Ursprungs – stilistische Ähnlichkeiten zur Bildhauerei der Kölner Kathedralschule sind nicht zu übersehen.)

Die Maria ist eine sehr anmutige Gestalt, eine dynamisch wunderbar ausgewogene Erscheinung. Die hoheitsvolle Distanz der Hochgotik ist hier aufgegeben worden zugunsten einer dekorativen Schönheit auch in der Schilderung von Gewanddetails, die wohl ohne den Einfluss der „Schönen Madonnen“ aus der Parlerschule nicht zu denken ist. Die Parler waren eine Baumeister- und Bildhauerfamilie des 14. Jahrhunderts, die in Köln und in Süddeutschland eine Rolle spielte. Sie beeinflussten wesentlich die gesamte Kunstgeschichte Deutschlands, in der Plastik vor allem durch einen neuen Stil in der Madonnendarstellung, der durch eine dekorativ-schöne und anmutig dynamisch-bewegte Gestaltung geprägt ist – hier also offenbar eine westfälische Variante.

Aldegrever-Altar

In der südlichen Apsis des Chores steht das kunsthistorische Hauptwerk der Wiesenkirche, der Aldegrever-Altar von 1526. Es ist eigentlich ein Marienaltar von Heinrich Aldegrever, einem Meister, der als Kupferstecher zur Zeit Holbeins und Dürers Ruhm erwarb, dessen Wirken als Maler aber bestritten ist. Aldegrever gilt als der begabteste Künstler Westfalens im Umbruch zwischen Mittelalter und Neuzeit. In diesem geschnitzten Schrein steht in der Mitte die Madonna im Strahlenkranz zwischen den Heiligen Antonius und Agathe. Mit diesen Figuren hat Aldegrever nichts zu tun. Aber die Seitenflügel stammen von ihm. Besonders auf der rechten Tafel beweisen die gemalten Balustradenständer, dass Aldegrever hier bereits 1526/27 typische Renaissance-Formen in seiner Malerei gebraucht hat.

Weitere Altäre und Fenster

Fenster mit dem „westfälischen Abendmahl“

Glocken

Das Geläut besteht aus folgenden neun Glocken:

Nr. Name Nominal Gussjahr Gießer, Gussort Gewicht Funktion Inschrift
1 Gloriosa 1856 Wilhelm Rincker, Westhofen 2 295 kg nur zu Hochfesten „Unser Gott kommt und schweigt nicht.“
2 Große Sonntagsglocke d′ 1933 Franz Schilling/Söhne, Apolda 1 600 kg an Sonntagen „Ehre sei Gott in der Höhe.“
3 Mittlere Sonntagsglocke g′ 2002 A. Bachert, Bad Friedrichshall 950 kg an Sonntagen „Komm o mein Heiland Jesu Christ, meins Herzens Tür Dir offen ist. Ach zieh mit deiner Gnade ein, Dein Freundlichkeit auch uns erschein.“
4 Kleine Sonntagsglocke a′ 700 kg u.a. Trauerfeier „Dein heil'ger Geist uns führ und leit den Weg zur ew'gen Seligkeit.“
5 Vaterunserglocke h′ 550 kg zum Vaterunser „Dem Namen Dein, o Herr, sei ewig Preis und Ehr.“
6 Sakramentsglocke d″ 390 kg zur Einsetzung (Abendmahl) „Deinen Tod, o Herr, verkünden wir und Deine Auferstehung preisen wir bis Du kommst in Herrlichkeit.“
7 Gottvaterglocke e″ 300 kg „Sanctus Sanctus Sanctus Deus Sabaoth, pleni sunt coeli et terrae gloria eius.“
(Heilig, heilig, heilig ist der Herr Zebaoth, voll sind Himmel und Erde seiner Herrlichkeit.)
8 Christusglocke fis″ 250 kg „Christus est imagio Dei invisibilis, primogenitus omnis creaturae.“
(Jesus Christus ist das Ebenbild des unsichtbaren Gottes, der Erstgeborene aller Schöpfung.)
9 Gottgeistglocke g″ 210 kg „Spiritus Domini replevit orbem terrarum. Cum sex sororibus fusa sum ut laudem Dei aeterni tantummodo signem.“
(Der Geist des Herrn erfüllt den Erdkreis. Mit sechs Schwestern bin ich gegossen worden, dass ich den ewigen Gott lobe, wann immer ich ihn nenne.)

Bildergalerie

Maße der Wiesenkirche

Der Architekt Memminger, der bei der Vollendung und Restaurierung der Wiesenkirche im vergangenen Jahrhundert verdienstvoll beteiligt war, hat festgestellt, dass man alle Abmessungen der Kirche durch Kreise von 13,5 m Durchmesser festlegen kann. Legt man ihrer drei nebeneinander, so umschreibt der östliche das Zehneck des Hauptchores, während die beiden anderen die Kirchenlänge bis zur Turnhalle ergeben. Mit dem gleichen Kreis lassen sich die vier Pfeiler des Langhauses umschließen; zwei dieser Kreise aneinandergereiht rühren an die Außenkanten der nördlichen und südlichen Umfassungsmauer. Der Radius dieser Kreise (= 6,75 m) stellt nach Memminger das Einheitsmaß für alle Bauteile dar; er ist im Durchmesser der Seitenchöre einmal, in der Höhe der Kirchenschiffe bis zum Scheitelpunkt der Gewölbe viermal, in der Turmhöhe bis zum Ansatz der Helme achtmal und bis zur Spitze (81 m) zwölfmal enthalten.

  • Länge der Kirche 50 m,
  • Breite der Kirche 27 m,
  • Höhe der Kirche 24 m,
  • Länge des Kirchenschiffes ohne Chöre und Türme 29 m,
  • Rauminhalt 27.000 m³,
  • Wand- und Deckenflächen 2.600 m²,
  • Fensterflächen 836 m².
  • Höhe der Türme: 81 m

Quellen und Anmerkungen

  1. Koch, Wilfried: Baustilkunde. Das große Standardwerk zur europäischen Baukunst von der Antike bis zur Gegenwart, München 1994, S. 157
  2. Koch, Wilfried: Baustilkunde. Das große Standardwerk zur europäischen Baukunst von der Antike bis zur Gegenwart, München 1994, S. 214

Weblinks

51.5758.10944444444447Koordinaten: 51° 34′ 30″ N, 8° 6′ 34″ O


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