- Wituland
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Witu (auch Wituland) war ein afrikanisches Sultanat an der nördlichen Küste des heutigen Kenia. Von 1885 bis 1890 wurde in Witu ein deutsches Schutzgebiet eingerichtet. Es erstreckte sich nördlich des Tanaflusses vom Ort Kipini am Osifluss bis zum Ort Mkonumbe an der Lamubucht gegenüber der Insel Lamu über eine Länge von etwa 40 km. 1890 ging das Protektorat an Großbritannien über, das in der Folgezeit Witu als Teil von Britisch-Ostafrika verwaltete. Dadurch verlor das kleine Sultanat seine Eigenständigkeit.
Inhaltsverzeichnis
Vorgeschichte
1858 gründete Sultan Ahmad ibn Fumo Bakari von der Stadt Pate auf der gleichnamigen Insel aus der alten Herrscherfamilie der Nabahani den Ort Witu als Regierungssitz auf dem Festland, um vor der Expansion der Macht Sansibars auszuweichen. Angesichts der Versuche Sansibars, auch das Gebiet von Witu unter Kontrolle zu bekommen, wandte sich der Sultan bereits 1867 an den deutschen Afrikareisenden Brenner mit der Bitte, einen Schutzvertrag mit Preußen zu vermitteln. 1878/79 lernte der Sultan die deutschen Brüder Clemens und Gustav Denhardt kennen, die damals das Gebiet am Fluss Tana erforschten. Auch bei ihnen klopfte er wegen einer Verbindung nach Deutschland an. Diese gründeten dann in Deutschland die Tana-Gesellschaft und kehrten 1885 nach Ostafrika zurück.
Wituland
Am 8. April 1885 erwarben die Brüder Denhardt vom Sultan Ahmad ein Gebiet von 25 x 25 Meilen (1600 km²) für ihre Tana-Gesellschaft und beantragten einen Schutzbrief des Deutschen Reiches. Dieser Schutz wurde am 27. Mai 1885 ausgesprochen. Die Denhardts verkauften dann 1400 km² an die Deutsche Witugesellschaft, die als Kolonialgesellschaft deutschen Rechts die Souveränität im Auftrag des Reiches innehatte. Das Gebiet des Sultans scheint zunächst nicht den Status eines Schutzgebietes gehabt zu haben.
Sultan Seyyid Bargash von Sansibar war inzwischen höchst beunruhigt, da erst wenige Wochen zuvor im Februar 1885 der deutsche Schutzbrief für die Ansprüche von Carl Peters auf dem Festland gegenüber Sansibar (Tanganyika) ausgestellt worden war. Der Sultan protestierte im April 1885 telegrafisch in Berlin und setzte Soldaten gegen Witu in Marsch. Das Auftauchen deutscher Kriegsschiffe vor Sansibar zwang ihn jedoch zum Einlenken und zur Anerkennung der deutschen Ansprüche.
Einige deutsche Siedler begannen mit Plantagenwirtschaft und Handel. Es war aber nicht genügend Kapital für Investitionen vorhanden. Die deutsche Regierung hielt sich finanziell ganz zurück und beschränkte sich auf ein kleines Militärkontingent sowie auf die Einrichtung einer kaiserlichen Poststation auf Lamu. Die britischen Ostafrikadampfer legten aber so selten in Lamu an, dass der Post- und Güterverkehr meist zeitraubend und teuer über die größeren Häfen in Malindi oder Mombasa abgewickelt werden musste.
1890 war die Tana-Gesellschaft finanziell am Ende und ging durch Vertrag vom 10. Mai 1890 mit der Deutsch-Ostafrikanischen Gesellschaft auf. Inzwischen hatte der deutsche Generalkonsul zu Sansibar 5. April einen Schutzvertrag mit dem neuen Sultan Fumo Bakari von Witu über den Herrschaftsbereich des Sultanats geschlossen.
Britische Besitzergreifung
Für alle Beteiligten überraschend kam die Nachricht vom deutsch-britischen Abkommen vom 1. Juli 1890: Deutschland zog seine Schutzherrschaft über Witu zugunsten von Großbritannien zurück. Großbritannien verpflichtet sich, die Souveränität des Sultans von Witu über das Gebiet anzuerkennen, welches sich von Kipini bis zu dem im Jahre 1887 als Grenze festgesetzten Punkt gegenüber der Insel von Kweihu (heute: Kiwaiyu, nördlichste Insel des Lamu-Archipels) erstreckt. Deutschland verzichtet ferner auf seine bislang nicht realisierten Ansprüche auf die an Witu nördlich angrenzende Küste bis nach Kismayu sowie auf die Inseln Pate und Manda. Der Sultan war verärgert und sah sich von den Deutschen verraten. Der Ärger verbreitete sich auch in der Bevölkerung.
Ein Zwischenfall führte dann zum gewalttätigen Ende der deutschen Präsenz (nach einem britischen Bericht): der bayrische Landwirt Andreas Küntzel legte bei Mkonumbi auf dem Gebiete des Sultans eine Sägemühle an und begann Holz zu fällen. Er hatte dazu keine Erlaubnis des Sultans. Am 15. September tauchten bewaffnete Leute des Sultans an seiner Sägemühle auf. Küntzels ging mit 8 Begleitern nach Witu und verlangte des Sultan zu sprechen. Er sollte vor dem Stadttor warten, drang aber gewaltsam in die Palisadenbefestigung ein. Dabei wurden Küntzel und 4 seiner Begleiter erschossen. Ein junger Deutscher, der an der Sägemühle verblieben war, wurde am folgenden Tag erschossen, ein weiter Deutscher wurde 2 Tage später überfallen und getötet. [1]
Die deutsche Regierung sandte eine Protestnote nach Großbritannien und forderte Bestrafung und Schadenersatz. Die Briten forderten Sultan Fumo Bakari auf, sich einem Gerichtsverfahren auf Lamu zu stellen. Da er dem keine Folge leistete, landeten die Briten eine Streitmacht aus fast 800 Seeleuten und Marineinfanteristen, 150 indischen Polizisten der Britischen Ostafrikanischen Gesellschaft, 200 sansibarische Soldaten sowie 250 einheimischen Hilfstruppen und riefen das Kriegsrecht über Witu aus. Mehrere Dörfer wurden abgebrannt und Witu gestürmt und ebenfalls niedergebrannt. Der Sultan zog sich mit seiner Streitmacht vor den britischen Geschützen in den Busch zurück. Die britische Streitmacht zog wieder nach Sansibar ab.
Am 15. November erklärte Großbritannien Witu zum Protektorat, unternahm aber noch keine Schritte zur Durchsetzung. Bakari starb Anfang 1891. Sein Bruder Shehe wollte Friedensverhandlungen aufnehmen, wurde aber abgesetzt und eingesperrt. Sein Bruder Fumo Omani übernahm die Regierung.
Im März 1891 wurde dann ein Abkommen zwischen der britischen Regierung, der Britischen Ostafrikanischen Gesellschaft und den Vertretern Witus abgeschlossen. Die Verwaltung wurde der Gesellschaft übertragen, die Sklaverei für abgeschafft erklärt und 250 indische Polizisten der Gesellschaft unter dem Kommando eines britischen Offiziers stationiert.
Sultan Fumo Omari hielt sich nicht sehr an die Oberhoheit der britischen Gesellschaft, und so kam es seit März 1893 wieder zu Kämpfen, die sich das ganze Jahr über hinzogen. Die Britische Ostafrikanische Gesellschaft gab Witu an die britische Regierung zurück. Nur mit zwei erneuten Invasionen britischer Marinestreitkräfte war die Kontrolle über das Gebiet aufrechtzuerhalten. Die Briten unterstellten das Gebiet dem Sultan von Sansibar, sodass nun die rote Fahne Sansibars über Witu aufgezogen wurde.
Erst als Fumo Oman starb, beruhigte sich die Lage endgültig. 1895 war die britische Position stark genug, um mit Omar-bin-Hamed einen neuen Sultan einsetzen zu können. Ihm wurde - ähnlich wie dem Sultan von Sansibar - ein britischer Resident zur Seite gestellt, der die Durchsetzung der britischen Interessen unter Beibehaltung eines gewissen Maßes an Eigenverwaltung sicherstellte.
1905 wechselte die britische Zuständigkeit für Witu vom Außenministerium zum Kolonialministerium. Seither wurde Witu nur noch als Teil der Tanaprovinz des kenianischen Küstenprotektorats verwaltet. Von der vertraglich zugesicherten Souveränität war später keine Rede mehr. Mit dem Tod von Omar bin Hamed im Jahr 1923 war das Kapitel dann endgültig abgeschlossen.
Gustav Denhardt versuchte anscheinend weiterhin, Aktivitäten in Witu aufrecht zu erhalten. Er wurde dort von den Briten zu Beginn des 1. Weltkrieges 1914 verhaftet und in Indien interniert.
Heute gehört Witu zu Kenia und ist Teil des Distriktes von Lamu.
Literatur
- Rochus Schmidt: Kolonialpioniere, Safari-Verlag Carl Boldt, Berlin, 1938
- Hans Zache: Das deutsche Kolonialbuch, Wilhelm-Andermann-Verlag, Berlin-Leipzig, 1925
- Josef Hübner: Die Saat des Andreas Küntzel in Ostafrika, Verlag Wilhelm Saalfrank, Helmbrechts, 1930
- Hermann Schreiber: Denhardts Griff nach Afrika, Verlag Scherl, Berlin, 1938
- R. Lerche: Das deutsche Schutzgebiet Suaheliland und die Postwertzeichen des Suhahelilandes, Germania-Ring, Leipzig, 1930
- Johannes Sigleur: Kampf um Wituland, Clemens und Gustav Denhardt erwerben für das Deutsche Reich eine Kolonie, Steinger Verlag, Berlin, 1939
- Herbert Schrey: Die ersten deutschen Posteinrichtungen an der Ostküste Afrikas u. die Sultanatspost Wituland und Malakote, Kassel, 1961
- Bernd Nowack: Die Kolonie Deutsch-Witu und ihr Tausch gegen Helgoland, Deutsches Witu-Archiv, Dessau, 1999
Weblinks
- Karte des Witulandes
- Witugebiet. In: Meyers Konversations-Lexikon. Bd. 16, 4. Aufl. Leipzig: Bibliographisches Institut, 1885–1892, S. 705.
- britische Inbesitznahme des Witugebietes. In: Meyers Konversations-Lexikon. Bd. 18, 4. Aufl. Leipzig: Bibliographisches Institut, 1885–1892, S. 1006.
- en: Witu or Vitu (Enc. Britannica 1911)
- Witu im Deutschen Koloniallexikon 1914/1920
- http://www.deutsche-schutzgebiete.de/witu.htm Deutsch-Witu
Anmerkungen
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