- YY-Syndrom
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Das XYY-Syndrom (auch als XYY-Trisomie, Diplo-Mann-Syndrom, Supermaskulinitäts-Syndrom, Jacobs-Syndrom, Diplo-Y-Syndrom, YY-Syndrom oder Polysomie Y bezeichnet) ist eine numerische Chromosomenaberration (Aneuploidie) der Geschlechtschromosomen. Menschen mit diesem Syndrom sind phänotypisch männlich, besitzen jedoch, abweichend vom üblichen männlichen Karyotyp (46, XY), ein zusätzliches Y-Chromosom (47, XYY). Es können auch weitere X-Chromosomen vorhanden sein, so dass auch Karyotypen wie (48, XXYY) oder (52, XXXXXXYY) möglich sind.
Inhaltsverzeichnis
Entdeckung
Der erste wissenschaftlich belegte Fall wurde im August 1961 von der Arbeitsgruppe um Dr. Avery A. Sandberg in der Zeitschrift „The Lancet“ publiziert. Es handelte sich dabei um einen zufälligen Fund, der betroffene Mann war phänotypisch völlig unauffällig.
Bezeichnung
Im Gegensatz zu anderen Syndromen, wie zum Beispiel dem Klinefelter-Syndrom oder dem Turner-Syndrom, wurde das XYY-Syndrom nicht nach seinen Entdeckern benannt. Dies erklärt sich damit, dass die Nomenklatur ab etwa 1960 keine Benennung nach dem Erstbeschreiber mehr vorsah, sondern nach der chromosomalen Struktur, in diesem Fall also 47, XYY.
Symptome und Verlauf
Körperliche Symptome
Einige Symptome dieses Syndroms kommen häufiger vor, sind jedoch keinesfalls zwingend vorhanden. Dazu zählen:
- Eine erhöhte durchschnittliche Körpergröße, die durch ein beschleunigtes Längenwachstum bereits im frühen Kindesalter bedingt ist. Die Menschen sind im Vergleich zur prognostizierten Körpergröße um etwa sieben bis acht Zentimeter größer. Bedingt dadurch wirken sie eher schlank, denn ihr Körpergewicht nimmt nicht im gleichen Maße zu. Wegen dieses Habitus wird oft fälschlich zuerst ein Marfan-Syndrom angenommen.
- In vielen Fällen wird von heftiger Akne in der Jugend berichtet, die sich durchaus bis weit ins Erwachsenenalter erstrecken kann.
- In einigen Studien wurde ein erhöhter Testosteronspiegel festgestellt.
Weitere körperliche Auffälligkeiten, die bei Männern mit dem XYY-Syndrom häufiger vorkommen als im Rest der Bevölkerung, sind z. B.:
- Leicht vergrößerte Proportionen im Gesichtsbereich (z. B. größere Zähne, Ohren und Gesichtsschädel, prominenter Nasenrücken)
- Längere Hände und Füße
- Leichte Delle am Brustbein (Pectus excavatum)
- knöcherne Verbindung zwischen Elle und Speiche (Radio-ulnare Synostose)
- unterschiedliche Herzfehler
- Hodenhochstand (Maldescensus testis)
All diese Symptome sind rein fakultativ, d. h. sie können auftreten, müssen es aber nicht. Es existieren also auch kleine, dickliche Männer ohne Akneprobleme, die ein zusätzliches Y-Chromosom aufweisen.
Prognose
Die Prognose für die Menschen mit diesem Syndrom ist gut. Ihre Lebenserwartung ist nicht beeinflusst und ihre Fruchtbarkeit in der Regel gegeben, wenn auch durch einige Symptome (beispielsweise Hodenhochstand) leicht herabgesetzt.
Fruchtbarkeit
Oft ist von einer verringerten Fertilität zu lesen. Dies trifft so nicht zu. Die Männer weisen zwar eine verringerte Spermienqualität mit hohem Anteil an unreifen Spermien (Spermatogonien) auf, die reifen Spermien sind allerdings wie üblich ausgebildet, wenn auch in geringerer Anzahl. Sie haben nur ein sehr geringes Risiko (unter 1 %), das zusätzliche Y-Chromosom weiterzuvererben, da es bei der Spermatogenese verloren geht. Es besteht daher, abgesehen von dem weitestgehend fehlenden „Krankheitswert“ dieses Phänomens, kein Grund für betroffene Männer, sich nicht fortzupflanzen, wie es noch in den 1960er und 1970er Jahren von Ärzten empfohlen wurde.
Verhalten
In diesem Bereich gibt es größere Missverständnisse, die trotz Aufklärung nur langsam verschwinden.
Falsche Annahmen
XYY-Männer sind kognitiv retardiert
Dies ist ein Vorurteil. Die Intelligenz der Männer unterliegt den gleichen Schwankungen, wie die des Durchschnitts der Bevölkerung. Lediglich im direkten Vergleich mit nichtbetroffenen Geschwistern lassen sich Unterschiede feststellen. Das ist jedoch nicht gravierend, da diese geringen Unterschiede im IQ keine Aussagen über die kognitiven Fähigkeiten erlauben.
Dieses Missverständnis entstand vermutlich durch statistische Fehler. Es wurden fast nur solche Personen auf XYY-Syndrom getestet, die bereits Auffälligkeiten gezeigt hatten. In dieser Stichprobe war also schon eine Vorauswahl enthalten. Diese Annahme verschweigt, dass der größte Teil der Männer mit dem XYY-Syndrom unauffällig und ungetestet durchs Leben geht.
XYY-Männer sind kriminelle Soziopathen
Dieses Vorurteil gab es zwar schon seit der Entdeckung, aber als es 1968 in einem Artikel der Arbeitsgruppe um Dr. Johannes Nielsen in der Zeitschrift „The Lancet“ um Analysen bei Insassen von Gefängnissen ging, hat insbesondere dieser Artikel (und die Berichterstattung der Massenmedien) diese falsche Annahme im Gedächtnis der Menschen verankert.
Es wurde festgestellt, dass die Anzahl der Männer mit dem Syndrom in Gefängnissen im Verhältnis zur Gesamtzahl der Insassen 25- bis 60-mal größer ist als in der übrigen Bevölkerung. Dieses Ergebnis lieferte für die Allgemeinheit den letzten Beweis, dass die Männer gestörte Persönlichkeiten seien. Was allerdings in den Medien unterging, war die Tatsache, dass die Stichprobe klein war und nur zwei XYY-Männer enthielt. Aus einer solchen Stichprobe auf die Gesamtheit zu schließen, ist nicht möglich, da der statistische Fehler zu groß ist. Größere Studien der letzten Jahrzehnte zeigten dann auch keine Korrelation von XYY und antisozialem Verhalten mehr.
In den Medien wurde das Bild des kriminellen XYY-Manns mit einem Hang zu Sexualstraftaten in dem Film Alien 3 propagiert.
XYY-Syndrom bei einem Massenmörder
Der Fall von Richard Speck, der 1966 acht Schwesternschülerinnen tötete, erlangte dadurch Berühmtheit, dass sich der Anwalt des Täters zur Verteidigung auf den XYY-Karyotyp seines Mandanten berief. Sein Mandant wäre kognitiv retardiert und daher nicht voll verantwortlich für seine Taten. Dieser Prozess wurde in den Medien hochgespielt, und Speck wurde zu 400 Jahren Gefängnis verurteilt. Tatsächlich war er nicht vom XYY-Syndrom betroffen; weder der Staatsanwalt noch die Verteidigung hatten ein Gutachten erstellen lassen.
Tatsächliche Unterschiede
Es gibt jedoch phänotypische Unterschiede zwischen Männern mit und ohne XYY-Syndrom. XYY-Männer können, vermutlich bedingt durch den erhöhten Testosteronspiegel, folgende Probleme aufweisen:
- Ihre Intelligenz ist ebenso verteilt wie der Durchschnitt, lediglich im Vergleich zu direkten Geschwistern lag der IQ in den meisten beobachteten Fällen um 5-15 Punkte tiefer.
- Jungen haben in der Jugend gegenüber Mädchen ohnehin ein Entwicklungsdefizit. Durch das zusätzliche Y-Chromosom wird dieses noch verstärkt, weshalb XYY-Jungen beispielsweise eine etwas schlechtere Feinmotorik haben.
- Durch den erhöhten Testosteronwert kommen spezifisch männliche Verhaltensmuster eher zum Ausdruck. Dies kann sich in einem aufbrausenderen Temperament, einem Aufmerksamkeitsdefizit oder erhöhter Unruhe äußern. Die Varianz der Ausprägung ist allerdings hoch, so dass auch hieran keine gesicherte Diagnose festgemacht werden kann.
Häufigkeit
Die Prävalenz liegt weltweit zwischen 1:850 (Nordeuropa) und 1:2000 (USA), wobei es zu wenige hinreichend große Studien gibt, um eine präzise Aussage zuzulassen.
Ursache
Bei der Spermatogenese, also der Bildung der männlichen Keimzellen, kommt es in der Meiose II zu einem Non-Disjunction-Ereignis beim Y-Chromosom. Die beiden Chromatiden trennen sich nicht voneinander. Dadurch entstehen mit einem Verhältnis von 50% Spermien mit dem Karyotyp (23, X), welcher der übliche ist. Aber zu 25% entstehen auch Spermien mit dem Karyotyp (24, YY) und zu ebenfalls 25% Spermien ganz ohne Gonosomen. Verschmilzt nun ein (24, YY)-Spermium mit einer (23, X)-Eizelle ist die Zygote demnach (47, XYY).
Literatur
Artikel
- Sandberg AA, Koepf GF, Ishihara T, Hauschka TS (1961): An XYY human male. Lancet, Vol. 2: 488-489.
- Nielsen J, Tsuboi T, Sturup G, Romano D (1968): XYY chromosomal constitution in criminal psychopaths. Lancet, Vol. 7: 576.
- Shi Q, Martin RH (2001): Aneuploidy in human spermatozoa: FISH analysis in men with constitutional chromosomal abnormalities, and in infertile men. Reproduction, Vol. 121: 655-666. [1]
Bücher
- Wiedemann H-R, Kunze J, Spranger J (2001). Atlas der Klinischen Syndrome. 5. Auflage. Schattauer F.K. Verlag, Stuttgart. ISBN 3-7945-2043-2.
- Emery A (2001). Emery and Rimoin's Principles and Practices of Medical Genetics (3 Bände) 4. Auflage. Churchill Livingstone, London. ISBN 0-4430-6434-2.
Weblinks
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