Zollinger-Dach

Zollinger-Dach
Wohnhaus mit Zollingerdach in Schweicheln-Bermbeck, Gemeinde Hiddenhausen, Nordrhein-Westfalen
Wohnhäuser mit Zollingerdach in Merseburg
Zollingerdach-Häuser (um 1925) in Coburg
Wohnhäuser mit Zollingerdach in Magdeburg-Westerhüsen
Lagerhaus in Heilbad Heiligenstadt
Werkstatt in Höchst im Odenwald
Bootshaus in Radebeul

Als Zollingerdach, korrekter: Zollbau-Lamellen-Bauweise, bezeichnet man eine Dachform, die der Merseburger Stadtbaurat Friedrich Zollinger Anfang des 20. Jahrhunderts entwarf. Sie ist eine Zwischenform von Mansarddach und Tonnendach.

Inhaltsverzeichnis

Merkmale

Gegenüber dem klassischen Satteldach bietet das Zollingerdach einige Vorteile:

  • Die gewölbte Außenform des Daches und der Verzicht auf Balken und Stützen ergibt eine bessere Raumnutzung
  • Die notwendige Menge Holz für den Dachstuhl verringert sich um über 40 Prozent.[1]
  • Wegen der segmentweisen Aneinanderreihung kurzer Holzstücke wird der Bedarf an langen geraden Bohlen verringert.
  • Die Montage des Daches ist so einfach, dass Bauherren beziehungsweise zukünftige Mieter bei dessen Errichtung mithelfen und somit Kosten sparen können. [2]

Entwicklung

Die Wohnungsnot der 1920er Jahre in Deutschland zwang Architekten und Stadtplaner, möglichst rasch und kostengünstig Wohnungen zu errichten. Bestehende Bautechniken wurden verbessert, Verfahren rationalisiert und neue Ideen entwickelt. In Merseburg befasste sich Stadtbaurat Friedrich Zollinger damit, Systeme für die fabrikmäßige Massenherstellung von typisierten Konstruktionen zu entwickeln. Er griff das von ihm bereits 1904-1910 erprobte Zollbauverfahren, ein schnelles Mauererrichtungsverfahren mithilfe typisierter Schalungen und Schüttbeton, wieder auf und entwickelte passend hierzu ein leicht, schnell und kostengünstig zu errichtendes Dach.[3]

Basierend auf den Konstruktionsmerkmalen des gewölbten Bohlenbinderdachs (Tonnendach) mit parallelen Sparren, die jeweils durch zwei versetzt angeordnete Bretter miteinander verleimt waren, entwickelte Zollinger das Prinzip eines Rauten-Lamellendachs ohne Bohlen und Sparren. Am 14. Oktober 1921 meldete er seine Dachkonstruktion aus Brettlamellen zur Patentierung an. Am 28. Dezember 1923 wurde die Patentschrift ausgegeben. In ihr werden raumabschließende, ebene oder gekrümmte Bauteile festgeschrieben, die sowohl die Ausbildung gerader Dachflächen aus geraden Brettern als auch die Konstruktion der gewölbten Dachhaut aus gekrümmten Brettern ermöglicht. [4]

Die gewölbte Lamellenkonstruktion bot neben der Holzeinsparung weitere Vorteile: Aufgrund hoher Biegungsfestigkeit konnten problemlos Öffnungen für Fenster oder Gauben aus dem Dachtragwerk ausgeschnitten werden. Durch die typisierten Abmessungen der Lamellen konnten sie gebäudeunabhängig maschinell im Sägewerk in großen Stückzahlen vorgefertigt werden. Das Zollinger-Lamellendach wurde nicht nur beim Wohnungsneubau verwendet, sondern aufgrund seiner besonderen Eigenschaften auch beim Bau öffentlicher Gebäude, Scheunen, Flugzeug- und Eisenbahnhallen, Stadien, Markthallen und Kirchen. Von 1921 bis 1926 erfolgte der Vertrieb durch die Deutsche Zollbau-Licenz-Gesellschaft m.b.H., die danach durch die Europäische Zollbau-Syndikat A.G. ersetzt wurde. Während die Deutsche Zollbau-Licenz-Gesellschaft das Schüttbetonverfahren zusammen mit dem Lamellendach als System Zollbau vermarktete, vertrieb die Europäische Zollbau-Syndikat A.G. nur noch das Zollingerdach. [5]

Konstruktion

Beim Zollbau-Lamellendach werden gleichartige Brett- oder Bohlenstücke derart im Winkel zueinander angeordnet, dass in der Mitte einer senkrecht verlaufenden Lamelle zwei andere schräg verbaute Lamellen auftreffen und mittels Schlossschraube und krallenbewehrter Unterlegscheibe durch ein Langloch miteinander verbunden werden. Die Grundelemente aus jeweils drei nur außenseitig gerundeten Lamellbrettern werden gegeneinander eingedreht verbunden, so dass ein netzartiges Flächengebilde entsteht, das den optischen Eindruck von vielen nebeneinander und übereinander angeordneten Rauten vermittelt. Die verarbeiteten Lamellen, die an beiden Enden abgeschrägt sind, haben alle dieselben Maße 3x20 cm bei 2,0 bis 2,5 m Länge. Durch diese Bauweise können auch besonders große Spannweiten ohne zusätzliche Abstützungen erreicht werden. [6][7]

Zur Zeit der Patentanmeldung ließ sich die Statik des Zollbau-Lamellendachs nicht exakt berechnen. Das Staatliche Materialprüfungsamt Berlin-Lichterfelde führte daher im Sommer 1922 und im Frühjahr 1923 an unterschiedlichen Zollingerdächern praktische Belastungsproben durch, ebenso die Materialprüfungsämter der Technischen Hochschulen in Dresden und Hannover. Da die Ergebnisse den theoretischen Näherungsrechnungen entsprachen, die Professor Robert Otzen von der TH Hannover im Zuge der statischen Prüfung erstellt hatte, fiel diese letztlich positiv aus. Auch wenn sich aus heutiger Sicht Otzens nachträglichen Berechnungen als unzureichend erweisen, zeigt die große Zahl erhaltener Dächer, dass die Zollinger-Konstruktion ausreichende Tragereserven aufwies. [8]

Die in der Patentschrift ebenfalls erwähnte ebene Variante unterschied sich von der gewölbten lediglich in der Verwendung ungerundeter statt gerundeter Lamellen. Für das gewölbte Zollbau-Lamellendach wurden anfangs beidseitig gekrümmt zugeschnittene Bretter verwendet. Der Grad der Längsseiten-Wölbung bestimmte die Wölbung des Daches. Nach kurzer Zeit beschränkte man sich darauf, lediglich die nach oben zeigende Brettseite gekrümmt zuzuschneiden; die untere Seite blieb gerade. Dadurch konnten die in Mengen vorgefertigten Lamellen wahlweise für beide Dachformen verarbeitet werden. [9]

Risiken

Die Konstruktion eines Zollingerdachs barg auch Risiken. Mangelhafte Pflege stellte einen Unsicherheitsfaktor dar, da die Schraubverbindungen regelmäßig zu kontrollieren und gegebenenfalls nachzuziehen waren. Durch minderwertiges Holz, Fehlbelastungen und Folgeschäden am Holz aus undichter Dachhaut konnten Verformungen auftreten. [10]

Die Gefahr, dass zu flach konstruierte Dächer im Laufe der Zeit durchhingen, bestand ebenfalls. Auch monierten Brandsachverständige, dass die nur wenige Zentimeter dicken Lamellen einem Brand nicht lange Stand halten könnten. [11]

Weiterentwicklung

In der Patentschrift zum Zollingerdach ist bereits die Möglichkeit erwähnt, statt Holz auch Beton oder Eisen als Werkstoff zu nutzen. Tatsächlich entwickelte die Firma Junkers in Dessau 1928 eine Konstruktion aus dünnen Aluminiumblechen, für Bauten mit großen Spannweiten zukunftsweisend. Es entbrannte ein erbitterter, nie entschiedener Rechtsstreit darüber, wer die Lamellentechnik aus Metall vertreiben durfte. Die Europäische Zollbau-Syndikat AG und die Firma Junkers einigten sich außergerichtlich dahingehend, die Metallkonstruktion unter dem Namen Junkers-Zollbau-Lamellendach gemeinsam zu vermarkten. [12]

Verbreitung

Die ersten, heute noch erhaltenen Zollinger-Lamellendächer wurden bereits ein Jahr vor der Patenterteilung in Merseburg errichtet und in den Jahren 1923-1926 zur Standardkonstruktion für verschiedene Bauaufgaben. Mithilfe der Deutschen Zollbau-Licenz-Gesellschaft und nachfolgend.der Europäischen Zollbau-Syndikat AG wurde das Zollingerdach in alle Welt verbreitet. Auf regionaler Ebene bildeten sich dabei verschiedene bauausführende und lizenzvermittelnde Firmen. [13] 1926 warb die Europäische Zollbau-Syndikat AG auf einem Faltblatt mit bereits 850.000 errichteten Quadratmetern. [14]

Standorte

Gebäude mit Zollingerdach befinden sich heute in Deutschland beispielsweise in Berlin, Coburg, Darmstadt, Düsseldorf, Essen, Frankfurt am Main, Halle an der Saale, Hamburg, Heidelberg, Lübeck, Magdeburg, Marburg, Meiningen, Merseburg, München, Ostfildern-Nellingen, Querfurt, Radebeul (Bootshaus (Radebeul), Zollingerdachhaus Lößnitzgrundstraße 140 (Radebeul), Lutherhaus (Kötzschenbroda)), Schkopau, Stuttgart und in Wietze in der Wilhelmstraße. [15]

Einzelnachweise

  1. Klaus Winter, Wolfgang Rug, Bautechnik 69, 1992, Heft 4, Seite 193
  2. Florian Zimmermann, Verbreitung und Vertrieb in Das Dach der Zukunft, 1997, Seiten 44–53
  3. Karl Barth, Aus dem Siedlungswesen, Merseburg, 1922, Seite 64
  4. Klaus Winter, Wolfgang Rug, Bautechnik 69, 1992, Heft 4, Seiten 190–197
  5. Florian Zimmermann, Verbreitung und Vertrieb in Das Dach der Zukunft, 1997, Seiten 44–53
  6. Charlotte Bairstow, Denkmalpflege in Hessen, 2000, ISSN: 0935-8307
  7. [1] baunetzwissen.de, Seite 49113
  8. Robert Otzen, Die statische Berechnung der Zollbau-Lamellendächer in Der Industriebau, Heft August–September 1923, Seiten 96–103
  9. Charlotte Bairstow, Die Konstruktion in Das Dach der Zukunft, 1997, Seite 20
  10. Charlotte Bairstow, Nach 1945, Zollinger Dächer und verwandte moderne Holzmethoden in Das Dach der Zukunft, 1997, Seite 64
  11. Florian Zimmermann, Verbreitung und Vertrieb in Das Dach der Zukunft, 1997, Seiten 44–53
  12. Florian Zimmermann, Verbreitung und Vertrieb in Das Dach der Zukunft, 1997, Seiten 44–53
  13. Florian Zimmermann, Verbreitung und Vertrieb in Das Dach der Zukunft, 1997, Seiten 44–53
  14. Karin Heise, Friedrich Reinhardt Balthasar Zollinger - Ingenieurporträt in Deutsche Bauzeitung, 2004, Heft 2, Seite 72
  15. Charlotte Bairstow, Denkmalpflege in Hessen, 2000, ISSN: 0935-8307

Weblinks


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