Beobachter zweiter Ordnung

Beobachter zweiter Ordnung

Beobachtung zweiter Ordnung nannte der Soziologie-Dozent Niklas Luhmann die Beobachtung von Beobachtung.

Genau genommen, ist jedes Lesen von Texten oder Betrachten von Bildern „Beobachtung zweiter Ordnung“: Man beobachtet die Aufzeichnungen eines Autors, Malers oder Fotografen, der damit seine eigenen Beobachtungen fixiert hat. Der Soziologe Luhmann verwendet diesen Begriff, um moderne Phänomene wie institutionelle Sicherheit oder die Glaubwürdigkeit von Informationen zu erklären. Durch die Zunahme der Aufzeichnungen im täglichen Leben seit der Neuzeit werden Beobachtungen erster Ordnung abgelöst und ergänzt von Beobachtungen zweiter Ordnung. Das Unvermittelte wird ersetzt durch das Vermittelte, dem man eher vertraut als den eigenen Sinnen.

Beobachtung zweiter Ordnung macht den „blinden Fleck“ sichtbar, also das, was in der gewählten Beobachterperspektive nicht wahrgenommen werden kann oder soll (vgl. Selektive Wahrnehmung): Der Beobachter kann nicht sein eigenes Beobachten beobachten. Beobachtung zweiter Ordnung macht wenigstens die Gegebenheiten und Beschränkungen der vorausgehenden Beobachtungen sichtbar.

Beispiele

Beobachtung zweiter Ordnung setzt Treue der vorausgehenden und Vertrauen der nachfolgenden Beobachter voraus. Dies wird dadurch begünstigt, dass sie in einer größeren Öffentlichkeit geschieht als die Beobachtung erster Ordnung:

  • Man nimmt Münzen bei ihrem aufgeprägten Nennwert, statt sie jedes mal auf die Waage zu legen, um ihren Wert zu bestimmen (Metallismus).
  • Man hält die Unterschrift unter einen Vertrag für wirklicher als die gegenwärtigen Aussagen des Unterzeichneten.

Vom Was zum Wie

Der Übergang von der Beobachtung erster Ordnung zur Beobachtung zweiter Ordnung ist nach Luhmanns Darstellung ein Wechsel vom Was-Fragen zum Wie-Fragen. Also nicht: „Was hat der Krieg bewirkt?“ – „Er hat Menschenleben gefordert“, sondern: „Wie hat der Krieg das bewirkt?“ – „Er ist auf diese und jene Weise verlaufen.“

Ein solcher Distanzgewinn ist mit jeder Verwissenschaftlichung verbunden. Die politische, soziale, emotionale Neutralisierung des Beobachteten soll eine Gemeinschaft als Wechselwirkung zwischen den Beobachtern schaffen.

Literatur

  • Niklas Luhmann: Die Kunst der Gesellschaft. Frankfurt am Main: Suhrkamp 5. Aufl. 1997. ISBN 3518289039

Wikimedia Foundation.

Игры ⚽ Поможем решить контрольную работу

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Beobachtung zweiter Ordnung — Unter einer Beobachtung zweiter Ordnung wird in der Kybernetik zweiter Ordnung die Beobachtung von Beobachtung verstanden. Genau genommen, ist jedes Lesen von Texten oder Betrachten von Bildern „Beobachtung zweiter Ordnung“: Man beobachtet die… …   Deutsch Wikipedia

  • Kybernetik zweiter Ordnung — bezeichnet eine progressive intellektuelle Bewegung in Kybernetik und Systemforschung, die auf Heinz von Foerster zurückgeht, der aus der Erzeugung subjektiver Realitäten im Nervensystem eine Theorie ableitete, die in ihrer extremen Form als… …   Deutsch Wikipedia

  • Zweiter Tschetschenien-Krieg — Zweiter Tschetschenienkrieg Datum 1999–2006, offiziell beendet Ort Tschetschenien Ausgang Weitgehende Vertreibung der Rebellen, Liquidierung der wichtigsten Anführer …   Deutsch Wikipedia

  • Zweiter Tschetschenienkrieg — Datum 1999–2009, offiziell beendet Ort Tschetschenien Ausgang Militärischer Sieg der russischen Streitkräfte, Liquidierung der wichtigsten A …   Deutsch Wikipedia

  • Kybernetik 2. Ordnung — Kybernetik zweiter Ordnung bezeichnet eine progressive intellektuelle Bewegung in Kybernetik und Systemforschung, die auf Heinz von Foerster zurückgeht, der aus der Erzeugung subjektiver Realitäten im Nervensystem eine Theorie ableitete, die in… …   Deutsch Wikipedia

  • Beobachtungsperspektive — Der Begriff Beobachterperspektive (auch Beobachtungsperspektive) betont die Subjektivität jeder Information. Im Unterschied zum Begriff Standpunkt berücksichtigt er, dass Beobachter beweglich sind. Jedes Bild, jeder mündliche oder schriftliche… …   Deutsch Wikipedia

  • Doppelbindung (Psychologie) — Die Doppelbindungstheorie (engl. double bind theory, franz. double contrainte) ist eine kommunikationstheoretische Vorstellung zur Entstehung schizophrener Erkrankungen.[1] Die Theorie wurde von einer Gruppe um den Anthropologen und… …   Deutsch Wikipedia

  • Double-Bind — Die Doppelbindungstheorie (engl. double bind theory, franz. double contrainte) ist eine kommunikationstheoretische Vorstellung zur Entstehung schizophrener Erkrankungen.[1] Die Theorie wurde von einer Gruppe um den Anthropologen und… …   Deutsch Wikipedia

  • Double-Bind-Theorie — Die Doppelbindungstheorie (engl. double bind theory, franz. double contrainte) ist eine kommunikationstheoretische Vorstellung zur Entstehung schizophrener Erkrankungen.[1] Die Theorie wurde von einer Gruppe um den Anthropologen und… …   Deutsch Wikipedia

  • Double-bind — Die Doppelbindungstheorie (engl. double bind theory, franz. double contrainte) ist eine kommunikationstheoretische Vorstellung zur Entstehung schizophrener Erkrankungen.[1] Die Theorie wurde von einer Gruppe um den Anthropologen und… …   Deutsch Wikipedia

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”