- Berchtold Gierer
-
Walter Scheidt (* 27. Juli 1895 in Weiler im Allgäu; † 9. Juli 1976 in Lindenberg im Allgäu[1]) war ein deutscher Eugeniker und Anthropologe. Unter dem Pseudonym Berchtold Gierer verfasste er auch Trivialliteratur[2]. Er war der erste Direktor des 1933 gegründeten Institut für Rassen und Kulturbiologie der Universität Hamburg. Sein Lehrstuhl für Rassenbiologie entstand durch Umwidmung des Lehrstuhls des kurz zuvor emigrierten Ernst Cassirer, der 1929 der erste jüdische Rektor an einer deutschen Universität geworden war. Auch nach der Umbenennung 1945 in Anthropologisches Institut wirkte Scheidt dort bis zu seiner Pensionierung 1964.
Von 1926 bis 1927 war Scheidt Herausgeber der Zeitschrift Volk und Rasse.[1] Nach der „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten gehörte er am 11. November 1933 zu den Unterzeichnern des Bekenntnisses der Professoren an den deutschen Universitäten und Hochschulen zu Adolf Hitler und dem nationalsozialistischen Staat.[1]
Historisch wird Scheidt als gemäßigter Vertreter der von den Nationalsozialisten institutionalisierten Rassenbiologie eingeordnet[3] und als Ausnahmeerscheinung und Sonderling unter den deutschen Rassenhygienikern und -biologen bezeichnet. [4] Einerseits begrüßte er 1935, dass die Rassenbiologie durch den Nationalsozialismus 'zur Wirklichkeit Aller' gemacht wurde,[3] und er gab zusammen mit Ernst Dobers Hefte für den rassenbiologischen Schulunterricht heraus.[4] Andererseits machte er ohne Parteibuch Karriere, wahrte Distanz zur Politik und bestand auf seiner Unabhängigkeit als Wissenschaftler.[4] Scheidts Institut gab als einziges Anthropologisches Institut keine Rassegutachten ab.[3]
Scheidt trat bereits in den 1920ern für eine Verbindung von Populationsgenetik, Bevölkerungsgeschichte und Genealogie ein. Seine Mitarbeiter und er selbst führten von 1923 bis 1936 zehn Forschungsprojekte durch. Dazu zählt Scheidts 1932 erschienenes Buch Bevölkerungsbiologie der Elbinsel Finkenwärder vom Dreißigjährigen Kriege bis zur Gegenwart.[5]
Unter dem Pseudonym Berchtold Gierer erhielt er 1941 als völkisch-propagandistischer Schriftsteller für Geschlechter am See den neu gestifteten Wilhelm Raabe Preis der Stadt Braunschweig.[6][7]
Inhaltsverzeichnis
Werke
Unter dem Namen Walter Scheidt:
- Einführung in die naturwissenschaftliche Familienkunde / Familienanthropologie, 1923, J.F. Lehmann, München.
- Allgemeine Rassenkunde als Einführung in das Studium der Menschenrassen, 1925, J.F. Lehmann, München.
- Kulturbiologie: Vorlesungen für Studierende aller Wissensgebiete, 1930, Fischer, Jena.
- Rassenbiologie und Kulturpolitik (1) Rassenkunde, 1930, Reclam, Leipzig.
- Rassenbiologie und Kulturpolitik (1) Kulturkunde, 1931, Reclam, Leipzig.
- Die Träger der Kultur, 1934, Metzner, Berlin
- Die Lebensgeschichte eines Volkes: Einführung in die rassenbiologische und kulturbiologische Forschung 1934, Hermes, Hamburg.
- Niedersächsische Bauern in der Lüneburger Heide: Lebensgeschichte eines Heidekirchspiels, 1936, Hermes, Hamburg.
- Die Sprachoberfläche der Seele (1): Versuch einer Sprachdeutung für rassenpsychologische Forschungen, 1936, Hermes, Hamburg.
- Die Sprachoberfläche der Seele (2):Die zahlenmäßige Kennzeichnung verschiedener Stile, 1936, Hermes, Hamburg.
- Schriftleiter (ab 1927) von "Volk und Rasse. Illustrierte Vierteljahresschrift für deutsches Volkstum" Julius Friedrich Lehmann Verlag [8]
Unter dem Pseudonym Berchtold Gierer:
- Tross der Reiter, Berlin: Verl. d. Druckhauses Tempelhof, 1949
- Geschlechter am See, Berlin: Verl. d. Druckhauses Tempelhof, 1940
- Die Geige, Berlin: Propyläen-Verl., 1944
- Pallasch und Federkiel, Berlin: Propyläen-Verl., 1939
Literatur
- Heidrun Kaupen-Haas, Christian Saller (Hrsg.): Wissenschaftlicher Rassismus: Analysen einer Kontinuität in den Human- und Naturwissenschaften. Campus Verlag, 1999, ISBN 3593362287.
Weblinks
- Literatur von und über Walter Scheidt im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Wissenschaftlicher Rassismus bei books.google.de
- Auszüge aus: Walter Scheidt an Franz Boas, Brief vom 19. 4. 1933
Einzelnachweise
- ↑ a b c Ernst Klee: Das Personenlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945. Fischer Taschenbuch Verlag, Zweite aktualisierte Auflage, Frankfurt am Main 2005, ISBN 978-3-596-16048-8, S. 529.
- ↑ Nachweis des Pseudonyms im Nominalkatalog der ULB Tirol [1]
- ↑ a b c Heidrun Kaupen-Haas, Christian Saller: Wissenschaftlicher Rassismus, Campus Verlag 1999, ISBN 3593362287, S.37, S.42; S.19: "Sogar der als gemäßigt einzustufende Walter Scheidt führt 1935 aus […] 'daß die nationalsozialistische Bewegung als politische Macht in auf eine ihrem Geiste wesensgleiche wissenschaftliche Entwicklung der Rassenbiologie traf'. In seinem Buch Die Träger der Kultur (1934) ist außerdem zu lesen '[…] die weltgeschichtliche Tat unseres Führers Adolf Hitler hat, daß was einmal Theorie Weniger gewesen ist, zur Wirklichkeit Aller gemacht. […] Die Zeit, da rassenbiologische Lehren belächelt, bezweifelt und bekämpft wurden, liegt für immer hinter uns.'"
- ↑ a b c Hans-Christian Harten, Uwe Neirich, Matthias Schwerendt: Rassenhygiene als Erziehungsideologie des Dritten Reichs, Akademie Verlag 2006, ISBN 3050040947, S.324, S.333; S.285f: "1936 schrieb der Rektor der Hamburger Universität, Scheidt sei zwar nicht Parteigenosse, 'er bejaht aber unbedingt den Nationalsozialismus […]'. Die Gauleitung der NSDAP äußert sich zwei Jahre später erheblich kritischer über ihn: Er hänge zwar die Hakenkreuzfahne heraus, lehne aber den Beitritt seiner Kinder zur HJ ab, beteilige sich nicht an Gemeinschaftsfeiern der Partei, sein Leben […] stimme nicht mit seiner Lehre überein. 1941 wird er als politisch unzuverlässig bezeichnet, die Kinder immer noch nicht in der HJ, schlimmer noch, Scheidt soll zu jenen Personen gehören, 'die den Führer in ihren Reden ironisch behandeln.'"
- ↑ Eugen Fischer (Hrsg.): Deutsche Rassenkunde. Forschungen über Rassen und Stämme, Volkstum und Familien im Deutschen Volk; Bd. 10: Niedersächsische Bauern, Walter Scheidt: II. Bevölkerungsbiologie der Elbinsel Finkenwärder vom dreißigjährigen Krieg bis zur Gegenwart, Verlag von Gustav Fischer, Jena 1932.
- ↑ Hanna Leitgeb: Der Ausgezeichnete Autor: Städtische Literaturpreise und Kulturpolitik. 1994 Walter de Gruyter http://books.google.de/books?id=SJUKa13SGxoC&pg=PA227&lpg=PA227&dq=%22walter+scheidt%22+rasse&source=web&ots=yXc7UxaUGF&sig=L8rwhKrUi4CjVS5zYLeKkEHVofI&hl=de
- ↑ Frank Westenfelder: Entstehung, Entwicklung und Wirkung der nationalsozialistischen Ideologie zwischen 1890 und 1950 am Beispiel des "Massenmediums" historischer Roman. http://www.westfr.de/ns-literatur/dekadenz.htm
- ↑ http://links.jstor.org/sici?sici=0002-7294(192701%2F03)2%3A29%3A1%3C146%3AAN%3E2.0.CO%3B2-R
Personendaten NAME Scheidt, Walter ALTERNATIVNAMEN Gierer, Berchtold (Pseudonym) KURZBESCHREIBUNG Eugeniker und Anthropologe GEBURTSDATUM 27. Juli 1895 GEBURTSORT Weiler im Allgäu STERBEDATUM 9. Juli 1976 STERBEORT Lindenberg im Allgäu
Wikimedia Foundation.