Bisexueller

Bisexueller
Druckgrafik von Nishikawa Sukenobu (Anfang 18. Jahrhundert)

Als Bisexualität (eigentlich „Ambisexualität“, nach der lateinischen Vorsilbe bi- für „zwei“) bezeichnet man die sexuelle Orientierung oder Neigung, sich zu Menschen (beziehungsweise Artgenossen) beiderlei Geschlechts sexuell hingezogen zu fühlen. Als Kurzform ist das Adjektiv bi gebräuchlich.

Obwohl es keine Voraussetzung für die Bisexualität ist, seine Neigung auszuleben, werden in der Regel nur solche Menschen als bisexuell bezeichnet, die mit Personen beiderlei Geschlechts sexuelle Beziehungen oder Partnerschaften einzugehen bereit sind.

Als Bisexualität wurde Anfang des 20. Jahrhunderts gelegentlich auch das Vorhandensein von beiderlei Geschlechtsmerkmalen an einem Individuum bezeichnet, was man heute als Hermaphroditismus oder Zwittertum einordnet.

Inhaltsverzeichnis

Statistische Häufigkeit in westlichen Industrieländern

Wie hoch der Anteil der Bisexualität in der Bevölkerung ist, lässt sich nur schwer einschätzen. Aussagen in der Literatur bewegen sich daher sehr weit auseinander. Eine obere Grenze wurde vom Kinsey-Report ermittelt, der 1948 zwischen 90 und 95 Prozent der Bevölkerung als „bis zu einem gewissen Grad bisexuell“ einstufte. Tatsächliches bisexuelles Verhalten ist in den meisten Industrieländern aber laut jüngeren Umfragen zur Angelegenheit einer relativ kleinen Minderheit von häufig nicht mehr als 10 Prozent der Bevölkerung geworden. Einige Sexualwissenschaftler erklären dies mit der Durchsetzung einer „monosexuellenNorm in unserer Kultur.[1]

Nach der Selbsteinschätzung der Befragten in repräsentativen Studien zu urteilen, ist Bisexualität unter Frauen in westlichen Industriestaaten weiter verbreitet als unter Männern. Darüber hinaus geben Menschen mittleren Alters bisexuelle Neigungen häufiger an als Personen jüngeren Alters. Hierbei könnte es sich um einen Generationeneffekt handeln, da die Häufigkeit homosexueller Handlungen unter männlichen Jugendlichen laut einer Studie des Instituts für Sexualforschung an der Universität Hamburg in den letzten 30 Jahren von etwa 18 Prozent auf zwei Prozent gesunken ist. Erklärt wird dies unter anderem mit Befürchtungen, als „Schwuler“ zu gelten.

Eine weitere Interpretationsmöglichkeit wäre auch, dass heute das offene Ausleben von Homosexualität möglich ist, Bisexualität also nicht mehr als Ausrede benutzt werden muss. Somit verringerte sich der Anteil an bisexuellen Menschen. Der höhere Anteil an bisexuellen Frauen bestätigt das insofern, als sich Frauen in geringerem Maße als Männer als homosexuell „outen“.[2]

Eine kontroverse Studie in den USA [3] kommt zu dem Schluss, dass eine bisexuelle Selbstbezeichnung nur in ca 2% der Fälle eine sexuelle Orientierung zu beiden Geschlechtern bedeutet. Drei Viertel der als bisexuell bezeichneten Probanden seien homosexuell, der Rest heterosexuell. Die große Diskrepanz zu Kinsey ist aber unter der Prämisse zu sehen, dass jener alle diejenigen als bisexuell bezeichnete, die irgendwann in ihrem Leben sexuellen Kontakt mit beiden Geschlechtern hatten, während viele andere Forscher rein von der Selbstidentifikation der Probanden ausgehen.

Ursachenforschung

Sigmund Freud stellte die These auf, dass im Grunde jeder Mensch bisexuell sei. Gesellschaftliche Zwänge und Tabus führten aber häufig zur Unterdrückung des homosexuellen Anteils.

Bisexualität ist auch relativ häufig im Tierreich beobachtbar. So gelten etwa die Bonobos als eine vollständig bisexuelle Tierart, die vor allem für ihren ausgeprägten „Lesbianismus“ bekannt ist. Angenommen wird hier eine über die Vermehrung hinausgehende Multifunktionalität sexuellen Verhaltens.

In einer Studie aus Schweden von 2008 an eineiigen Zwillingen wurde belegt, dass die Faktoren, die die sexuelle Orientierung steuern, sehr komplex seien. [4]

Bisexualität in anderen Kulturen

In manchen Gesellschaften, wie der griechisch-römischen Antike oder der islamischen Welt[5], galt die erotische Anziehung zu beiden Geschlechtern als nahezu universelle Norm. Die ausschließliche Fixierung auf ein Geschlecht, wie wir sie heute unter den Begriffen „Homosexualität“ und „Heterosexualität“ kennen, mag es zwar gegeben haben, wurde aber nur selten zum Thema gemacht. Dort wo dies geschah, wie etwa in Pseudo-Lukians Die Arten zu lieben, ist die ironische Intention des Autors unverkennbar. So wird der eine von zwei Diskutanten in diesem fiktiven Dialog aus dem beginnenden vierten Jahrhundert n. Chr. mit dem Stigma der Effeminiertheit bedacht, weil sich sein erotisches Interesse ausschließlich auf Frauen richtet, während der andere als Kauz erscheint, da er aufgrund seiner sexuellen Neigungen einen rein männlichen Haushalt führt.

Auch viele islamische Geistliche des Mittelalters sahen, obwohl sie den gleichgeschlechtlichen Verkehr gemäß ihrer Religion als schwere Sünde bewerteten, die erotische Anziehung gegenüber beiden Geschlechtern als eine Grundgegebenheit des menschlichen Daseins an. So schreibt der im Jahr 1200 n. Chr. verstorbene hanbalitische Rechtsgelehrte Ibn al-Gauzi: „Derjenige, der behauptet, dass er keine Begierde empfindet [wenn er schöne Knaben erblickt], ist ein Lügner, und wenn wir ihm glauben könnten, wäre er ein Tier, nicht ein menschliches Wesen.“

Infolge der patriarchalen Grundlage und Strukturen vieler vormoderner Gesellschaften bleiben verlässliche historische Aussagen oft auf die Sexualität von Männern beschränkt. Eine literarische Bewegung, die weibliche Interessen widerspiegelte, entstand erst im Europa des 18. Jahrhunderts. Die Liebe zwischen zwei Freundinnen bildete dabei eines der populärsten Themen. Manifeste sexuelle Beziehungen blieben aber wegen ihrer gesellschaftlichen Anstößigkeit grundsätzlich ausgespart. Stattdessen war romantisierend von der Freundschaft oder „Seelenverwandtschaft“ zwischen zwei Frauen die Rede, die auch durch die Heirat mit einem Mann nicht unterbrochen werden konnte.

Etwas anders verhielt es sich in der arabischen Welt, wenn die Lebenswelt von Frauen ausnahmsweise einmal in den Fokus der Literatur geriet. Sexuelle Beziehungen wurden hier relativ offen bei ihrem Namen genannt. Gebräuchlich war vor allem der Begriff sihaq (dt. „Reiben“) als Bezeichnung für die sexuelle Praktik der Tribadie.[6] Die Liebe zwischen zwei Frauen wurde dabei literarisch nicht als Widerspruch zur Ehe konstruiert, obwohl manche Juristen die Tribadie als strafbare außereheliche Aktivität ansahen. Deren Nachweis durch die von der Schari'a verlangten vier Augenzeugen war aber praktisch unmöglich, so dass dieses Verbot rein theoretischer Natur blieb.[7]

Siehe auch

Portal
 Portal: Homo- und Bisexualität – Übersicht zu Wikipedia-Inhalten zum Thema Homo- und Bisexualität

Literatur

  • Ellen Bass, Kate Kaufman: Wir lieben, wen wir wollen: Selbsthilfe für lesbische, schwule und bisexuelle Jugendliche. Berlin 1999, ISBN 3-929823-62-4.
  • Agnes Frei: Lieb doch die Männer und die Frauen: Bisexualität – der zweite siebte Himmel. Essays und Reportagen, Gedichte und Geschichten. Reinbek bei Hamburg 1989, ISBN 3-499-12542-0.
  • Marjorie Garber: Die Vielfalt des Begehrens. Bisexualität von der Antike bis heute. Frankfurt am Main 2000, ISBN 3-596-14817-0.
  • Kerstin Münder: 'Ich liebe den Menschen und nicht das Geschlecht'. Königstein/Taunus 2004, ISBN 3-89741-140-7.

Quellen

  1. Siehe http://www.lsbk.ch/articles/gunter_schmidt.asp
  2. Siehe http://www.bvvp.de/artikel/jugendsex.html
  3. Siehe http://www.nytimes.com/2005/07/05/health/05sex.html
  4. Zeit:So nah am anderen Ufer
  5. Siehe http://gigi.x-berg.de/texte/boswell
  6. Siehe taz vom 14.3.1996 (http://www.taz.de/pt/1996/03/14/a0129.nf/text)
  7. Siehe http://www.well.com/user/queerjhd/fm_marriage.htm

Weblinks


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