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Okot p’Bitek (* 7. Juni 1931 in Gulu; † 20. Juli 1982 in Kampala) war ein ugandischer Dichter, Lehrer und Ethnologe. Sein größtes Werk ist Lawinos Lied.
Inhaltsverzeichnis
Leben
Kindheit und Schule
Okot p’Bitek war sowohl ein typisches Kind der Übergangszeit vom Kolonialismus zu uhuru (kisuaheli = Freiheit), als auch eine außergewöhnliche Persönlichkeit. Er wurde am 7. Juni 1931 in ein begeisterungsfähiges und innovatives Elternhaus hinein geboren. Sein christlicher Name war Jekeri, eine Verballhornung des Prophetennamens Ezechiel. Okots Mutter war eine bekannte Tänzerin und Liedermacherin gewesen, die man auch Lawino nannte, sein Vater ein anerkannter Erzähler und Tänzer. In dieser anregenden Atmosphäre blühte die Kreativität des kleinen Okot auf. Hier wurde der Grundstein für Okots Selbstbewusstsein und sein Streben nach Individualität gelegt. Die Eltern schickten Okot auf die Gulu Grundschule, dann auf die Gulu High School.
Danach besuchte Okot das 1906 gegründete King’s College, Budo in Kampala. Das College, eigentlich für die Söhne und Töchter des Baganda-Adels bestimmt, hatte zwei Zweige: im einen wurde in Kiganda, im anderen in Englisch unterrichtet. Unabhängig von seinem musikalischen Interesse, entdeckte Okot, dass das College auch eine bezaubernde Chorleiterin hatte, die obendrein noch Poesie liebte. Über kurz oder lang unterhielt sie Okot gern durch private Lesungen aus Henry Wadsworth Longfellows „The Song of Hiawatha“ (Das Lied von Hiawatha). Mittels metaphysischer Kräfte glaubte sie Hiawatha in Okot wiedergeboren. Der nahm die ihm zugedachte Heldenrolle gerne an. Seine Teilnahme an der College-Aufführung von Mozarts „Zauberflöte“ beeinflusste ihn so stark, dass er sogleich eine Oper mit dem Namen „Achan“ komponierte, die ebenfalls an seinem College aufgeführt wurde. „Achan“ war eine einfache Geschichte, in der ein junger Mann in die Stadt kam, um sich den Brautpreis zu verdienen. Weiteres ist bis jetzt über diese Komposition nicht bekannt.
Okot gründete mit einigen Mitschülern einen Chor, die „Budo Nachtigallen“. Er komponierte für diesen Chor einige Lieder. Einige davon wurden in Uganda ziemlich bekannt, zum Beispiel „Rip Kipe“ und „Can-na“. Beide Lieder handelten von einem Mädchen, dass seinen Freund schmählich verlassen hatte, weil er arm war. In einem der Lieder taucht Okots Familienphilosophie auf: Ento anyaka, kare na pudi (Wisse, mein Freund, meine Zeit ist noch nicht gekommen. Beurteile mich nicht nach meiner Vergangenheit). Für seine literarischen und musikalischen Aktivitäten gewann Okot am College einen Buchpreis, den Roman von Alan Paton „Cry, The Beloved Country“.
Lehrerseminar
Von 1951 bis 1952 besuchte Okot das Lehrerseminar (Teachers Training College - TTC) in Mbarara/West-Uganda. Die berühmte Makerere-Universität in Kampala konnte er nicht besuchen, da seine Eltern nicht über das nötige Geld verfügten. In diese Zeit fallen zwei wichtige Ereignisse in Okots Leben: Er wurde zum einen in die ugandische Fußball-Nationalelf berufen, mit der er sein Land über mehrere Jahre vertrat und zum anderen vollendete er seinen ersten und einzigen Roman in Acholi „Lak Tar Miyo Kinyero wi Lobo“ (Mein Mund lacht, aber mein Herz blutet). Okots frühestes literarisches Werk in Manuskriptform jedoch, ein Gedicht „Der verlorene Speer“, das die Luo-Geschichte vom Speer, der Perle und der Bohne erzählt, ging leider verloren und wurde deshalb nie veröffentlicht. Dieses Gedicht war stark durch den von ihm seit seiner College-Zeit sehr geschätzten Longfellow, bzw. dessen Werk „Hiawatha“ beeinflusst. Veröffentlicht wurde jedoch 1953 „Lak Tar …“.
Okot behandelt hier die Frage nach dem Brautpreis in der Acholi-Gesellschaft, die das Geld eingeführt hatte. Er erzählt die Geschichte von Okeca Ladwong, einem Jungen, dessen Vater früh stirbt. Erwachsen geworden verliebt sich dieser Junge in das Mädchen Cecilia Laliya, das ihn gern heiraten möchte. Er aber kann den sehr hohen Brautpreis nicht bezahlen. Stiefvater und die Brüder seines Vaters weigern sich ihn zu unterstützen. Da bleibt ihm nichts anderes übrig, als nach Kampala zu ziehen und sein Glück dort zu versuchen. Es gelingt ihm nicht Arbeit zu finden. So zieht er weiter auf die Zuckerplantagen von Jinja. Im Verlauf von zwei Jahren geht alles Mögliche schief, er hat nicht einmal den ganzen Brautpreis beisammen. Trotzdem beschließt er nach Hause zu ziehen. Unterwegs wird er ausgeraubt. So muss er den letzten Teil der Reise zu Fuß laufen. Unter jedem dritten Baum bleibt er im Schatten liegen und philosophiert über sein Leben. Schließlich kommt er zu Hause an, elend und mittellos.
Dieses bedeutende Werk erschien erst 1989 unter dem Titel „White Teeth“ bei Heinemann/Nairobi auf Englisch. In ihm sind viele Motive entwickelt, die Okot später nochmals in „Lawino“ aufnimmt und weiterentwickelt.
Lehrer
1954 wurde Okot als Lehrer an die neu gegründete Sir Samuel Baker Schule, an der zu jener Zeit ganze drei schwarze Lehrer unterrichteten, nach Gulu geschickt. Neben seinem Unterricht (Englisch und Religion) leitete er das Kulturprogramm der Schule, was Sport, Pfadfinderwesen, Chor und Theater einschloss. Im gleichen Zeitraum begannen sich in Uganda viele Afrikaner politisch zu betätigen. Okot war ein Gründungsmitglied des Ugandischen Nationalkongresses (U.N.C.), Gulu, und er wurde als Kandidat für das Acholi District Council aufgestellt.
Neben Schule, Politik und Kulturarbeit war Okot ja ein begeisterter Fußballspieler. Er spielte für seine Schule und sein College, für Dorfclubs und im Distrikt-Team und später auch in der ugandischen Nationalmannschaft. Wegen des Fußballs reiste er weit und oft im Land umher. Er machte viele neue Erfahrungen und gewann gute Freunde. 1956 reiste er mit der Nationalelf nach Großbritannien und spielte in London - barfuß! Am Ende der Fußballtour entschloss er sich in England zu bleiben, um ein Universitätsstudium in Bristol abzuschließen.
Studium in Bristol
Er schrieb sich zu einem postgraduierten Diplomkurs im erziehungswissenschaftlichen Institut ein, quasi um seiner bisherigen Lehrertätigkeit eine akademische Weihe zu geben. In Bristol kam er mit zwei Professoren zusammen, die seinen wachen Geist erkannten und ungemein förderten: mit dem Quäker und Pazifisten M. Wilson sowie dem Philosophen und katholischen Theologen S. John. Okot begann dem Christentum, sowohl dem Glauben als auch der Geschichte gegenüber, eine kritische Haltung einzunehmen. Schließlich verließ er die Kirche und legte seinen christlichen Namen Jekeri ganz ab.
In jenen Tagen der beginnenden Unabhängigkeit schien es für jeden Afrikaner, der in die Politik gehen und den Prozess der Entkolonisierung vorantreiben wollte, eine ausgezeichnete Grundlage zu sein, Jura zu studieren. Deshalb ging Okot nach Wales, um ein Jurastudium zu absolvieren. Und es muss ihn aber noch etwas getrieben haben: Ein Kolonialverwaltungsbeamter in Gulu namens Barber habe ihn, so erzählt es Okot selbst, einstmals verhöhnt, er als Afrikaner würde niemals Jura bewältigen. Um sich selbst zu beweisen und den Spötter zu beschämen, nahm Okot den Fehdehandschuh auf, studierte hart und schloss Jura erfolgreich ab. Umgehend telegrafierte er Barber das positive Ergebnis.
Rechtsanwalt
Okot wurde in England als Anwalt zugelassen und bereitete sich darauf vor, die schwarze Robe zu tragen. Zur gleichen Zeit verbrachte er drei Monate am Internationalen Gerichtshof in Den Haag, um sich in Völkerrecht fortzubilden. Aber langsam verschwand die große Begeisterung, mit der Okot den Beruf des Juristen begonnen hatte. In der Tat, er trat nie vor ein Gericht. Vielleicht hat es Okot gereicht zu beweisen, dass er Jura mit sehr gutem Ergebnis abschließen konnte. Vielleicht aber war ihm sein beruflicher Weg als Jurist in Afrika unklar. Als Politiker mit dem U.N.C. zu arbeiten wäre eine Möglichkeit gewesen. Er schrieb in dieser Zeit ein politisches Pamphlet: „Wege zur Freiheit Ugandas“. Die andere: als erfolgreicher Anwalt in Uganda ein angenehmes Leben zu führen. Sich ihn aber mit steifer Perücke und würdevoller Robe vorzustellen, fällt schwer. Denn dazu war Okot zu freiheitsliebend, zu unabhängig und zu spielerisch-experimentierfreudig. Okot machte in dieser scheinbar unklaren Lebenssituation einen mächtigen Entwicklungsschritt. Anstelle des Enthusiasmus für das Recht trat deutlich eine neue - und alte - Leidenschaft: die Kultur seines Volkes und ganz Afrikas. Eines Tages diskutierte in Den Haag ein Professor für Rechtsgeschichte das Phänomen des Gottesurteils, einer alten Methode, um Schuld oder Unschuld eines Angeklagten herauszufinden, indem der Betreffende Feuer, Wasser oder einer anderen Gefahr ausgesetzt wurde. Das Ergebnis galt als göttlicher Fingerzeig. Okot erinnert sich an die gleiche Methode in seiner Heimat. Der Professor empfahl Okot darauf hin, sich in Oxford für Sozialanthropologie einzuschreiben, um sein Wissen über dieses Thema zu vertiefen.
Studium in Oxford
Okot folgte dem Rat und erlebte in den drei Jahren seines Aufenthaltes in Wales nicht nur eine Universität, sondern ein Volk voller Leidenschaft für seine walisischen Musik und Lieder. In Kneipen oder in den Fußballarenen geschah es immer wieder, dass die Waliser begeistert eines ihrer Lieder anstimmten. Beim Hören dieser Lieder stiegen ugandische Kirchenlieder aus Okots Erinnerung auf. Am meisten jedoch war er vom „Eisteddford“, dem jährlichen Festival der Barden beeindruckt. Dichter, Musiker und andere Künstler aus ganz Wales versammelten sich, um das Leben mit Musik, Dichtkunst und Liedern zu feiern. Okot besuchte auch das jährliche Internationale Festival von Edinburgh/Schottland, bei dem Künstler der ganzen Welt zusammenkamen. Es ist sehr wahrscheinlich, dass Okots Idee, später in Uganda und Kenia solche Festivals zu organisieren, in den Erfahrungen von Wales und Schottland ihren Ursprung hat.
Ab 1960 studierte Okot an der altehrwürdigen und berühmten Universität von Oxford im St. Peter’s College. Dieses College hatte eine problematische Beziehung zu Uganda, weil es 1885 die schicksalhafte Missionsreise von Bischof James Hannington nach Uganda finanziert hatte. Hannington war damals auf Befehl des Bagandakönigs Kabaka Mwanga II. ermordet worden. 1960 war in Oxford ein schwarzer Student immer noch eine Kuriosität im Tempel der weißen Wissenschaft, umso mehr, da dieser aus dem problematischen Uganda kam. Okot schreibt darüber: „Wenn jemand von uns die Universität mit Stolz und Neugier betrat, dann waren die ersten Monate schnell von Schock, Wut und Verwirrung, ja, mit dem Gefühl am völlig falschen Platz zu sein, erfüllt.“
Sozialanthropologie
Das Institut für Sozialanthropologie wurde von dem bekannten Sozialanthropologen Prof. Edward E. Evans-Pritchard geleitet, der selbst Feldforschung in Ostafrika betrieben hatte. Einer der Dozenten war Dr. Godfrey Lienhardt, der die Dinkas des Südsudan studiert hatte, und ein weiterer war Dr. John M. Beattie, der durch seine Arbeiten über die Banyoros bekannt geworden war. Alle diese Wissenschaftler hatten umfangreich publiziert und Okot - nun immerhin mit einem englischen Lehrer- und einem Juradiplom ausgestattet - war gespannt darauf, unter ihrer Anleitung erneut studieren zu können.
Doch er wurde herb enttäuscht. Gerade aus dieser Zeit stammen viele seiner Ansichten und Haltungen, die er so klar und deutlich in seinen Gesängen und wissenschaftlichen Büchern ausdrückt. So schreibt er im Vorwort zu „Afrikanische Religionen in der westlichen Wissenschaft“ über den Konflikt mit seinen Lehrern: „Schon in der allerersten Vorlesung nannte der Dozent alle Afrikaner oder nicht-westlichen Menschen Barbaren, Wilde, primitive Stämme usw. Ich widersprach erfolglos.“ Okot war es offensichtlich nicht klar gewesen, dass alle Institute der Sozialanthropologie, sowohl in den britischen Universitäten als auch den der anderen Kolonialmächte, ausschließlich die Funktion hatten, zukünftige Kolonialverwaltungsbeamte heranzubilden. Diese Aufgabe war einem vorurteilslosen Herangehen an den wissenschaftlichen Gegenstand zumindest nicht förderlich. Basis des wissenschaftlichen Verständnisses der Kolonialherren war deshalb auch die tiefe Überzeugung von der Überlegenheit der westlich-urbanen Kultur und Zivilisation sowie die Unterlegenheit der Kolonisierten. In seinen Veröffentlichungen nahm Okot einen äußert kritischen Standpunkt gegenüber der Sozialanthropologie als Wissenschaft ein. Er warf ihr vor, dass sie nicht nur den Kolonialismus unterstütze, sondern - schlimmer - erst seine Rechtfertigung liefere! In Oxford verlangte Okot von seinen Professoren das - zumindest zu jener Zeit - Unmögliche: er wollte, dass die Sozialanthropologie den Standpunkt des Afrikaners einnähme. Eine Position, wie sie Leo Frobenius oder Janheinz Jahn vertreten haben. Aber das eben war nicht die Funktion dieser Institute! In Okot aber begann sich wieder der Erzieher durchzusetzen.
In dem Maße, wie Okot sich von westlichen Traditionen und Ansichten entfernte, wuchs sein Hang, afrikanische Formen für seine Dichtkunst zu finden. Er war höchst unzufrieden mit den sogenannten Theorien, mit denen man ihn vollgestopft hatte. Trotzdem studierte er weiter, weil er hoffte, dass er durch ein Feldstudium der afrikanischen Lieder, Geschichten, Sprichwörter und Tänze eine Ahnung davon bekäme, was sein Volk als das wahre Leben ansah. Seine anthropologischen Kenntnisse waren es schließlich, die ihn mehr und mehr zum Studium seiner eigenen Leute trieben: der Zentral-Luo, die Acholi, der Jo-Palwo und manchmal auch der Jo-Lang'o. 1960 kehrt er dem Christentum durch Kirchenaustritt den Rücken.
1962 - im Jahr der Unabhängigkeit - kehrte Okot für kurze Zeit in sein Heimatland zurück. Er hatte zunächst beabsichtigt, sich in Gulu als Kandidat für den U.P.C. aufstellen zu lassen, änderte dann aber seine Meinung. Stattdessen unternahm er zahlreiche wissenschaftliche Feldstudien, die er benötigte, um seine Abschlussarbeit „Oralliteratur und ihr Hintergrund bei den Acholi und Lang'o“ fertigstellen zu können. Nach England zurückgekehrt, stritt Okot sich weiter mit seinen Professoren herum. Die Forschungsarbeit ging in einem gereizten Ton vonstatten, das Ergebnis war mäßig. Trotzdem wurde die Arbeit angenommen. 1963 erhielt Okot dafür den Titel eines Bachelors (B.Litt.).
Oxford war in jener Zeit das renommierteste Institut für Afrikanistik. Okot hatte also die berühmteste Schule seiner Zeit durchlaufen, die qualifiziertesten Lehrer gehört. All das, was er gelesen hatte, all das was er gelernt hatte und all das, was er persönlich erlebt hatte, all das, sei es innerhalb oder außerhalb von Schulmauern, bildete in seinem Unbewussten einen reichen Schatz an Bildern der Erinnerung. Dieser reiche Schatz wurde gehoben, als er „Song of Lawino“ (Lawinos Lied) schrieb.
Rücklehr nach Uganda, Makerere
Okot kehrte nach Uganda zurück. Er nahm eine Lehrtätigkeit an der Makerere-Universität, Fachbereich für Soziologie und Sozialanthropologie, auf. In dieser Zeit bewegte ihn die Frage stark, welche Art von Soziologie die Afrikaner aus den Ruinen der Kolonialzeit entwickeln sollten. Die Frage nach dem Ziel zeigte sich nicht nur in der politischen oder wirtschaftlichen Entwicklung, sondern auch im kulturellen Bereich. Und dabei käme - so Okot - der Universität eine führende Rolle zu. Nach acht Jahren der akademischen Auseinandersetzung war für Okot klar, dass Afrika sich niemals eine fremde Kultur erbetteln und leihen würde können, ohne die eigene - und damit die afrikanische Identität - zu zerstören. Kulturell könnten Afrikaner niemals Europäer werden, vielleicht gelänge es, die Europäer nachzuäffen. Das bedeutete aber, Afrika habe seine eigene Kultur zu entwerfen. Okot glaubte, dass die Gelegenheit für Afrika, es selbst zu sein, für die Universität und andere bereit läge. Es käme nur darauf an, dass alle, die dazu bereit wären, diese Aufgabe auch anpackten.
Gulu
Nach ein paar Monaten Lehre in Kampala wechselte Okot - konsequent in der Verfolgung seines Ziels dem „Volk aufs Maul zu schauen“ - ins „Extra Mural Department“ der Universität, einer Außenstelle also, über. Er sah sich nicht im Stande, an der Universität das zu lehren, was er vor kurzem in England noch heftig bekämpft hatte, weil er es schädlich für die afrikanische Gesellschaft hielt. Er ging nach Gulu und war für Norduganda zuständig, was die Gebiete Bunyoro, Lang'o, Acholi, Karamoja und Westnil umfasste. Mit diesem Schritt hatte er die einmalige Gelegenheit, intensive Forschungen über die Religionssysteme der Völker in dieser verlassenen Gegend anzustellen. Das Ergebnis dieser Studien gab er als „Religion of the central Luo“ beim East African Literature Bureau heraus.
Und hier in seiner Heimatstadt Gulu war es auch, wo sich die Erfahrungen aus Schottland und Wales ihre Bahn brachen. Mit einer großen Gruppe von Freunden begann er 1965, das Gulu Festival of Acholi Culture ins Leben zu rufen. Die Vorbereitungen gingen über Monate und lockten Künstler aus der Stadt, aber auch vom platten Lande an. Okot war ein wahres Multitalent: er trat als Künstler auf, er organisierte, er tanzte und sang. Er studierte auch mit anderen neue Formen der Darbietung ein. Er war Regisseur und Diskutant, Lehrer und Schüler in einer Person.
Song of Lawino
In diese Zeit der Vorbereitung fällt auch die Wiederbelebung des 1956 liegen gebliebenen Werkes „Wer pa Lawino“ (Lawinos Lied). In langen Diskussionen mit seinen Künstlerfreunden formte er das 30-seitige Manuskript (1. Fassung) zu einem ca. 140-seitigen Werk (2. Fassung) in Acholi um. Die Aufführung war ein voller Erfolg. Der Erfolg ermutigte ihn, einen Ausschnitt ins Englische zu übertragen und auf einem Schriftstellerkongress in Nairobi vorzutragen. Auch hier rief das Werk so große Begeisterung hervor, dass sich Okot entschloss, den ganzen Gesang 1966 beim East African Printing House auf Englisch herauszubringen. Die (2.) Acholifassung kam dann 1969 im gleichen Verlag heraus. Im gleichen Jahr (1966) wurde Okot zum ersten afrikanischen Direktor des National Cultural Centre (U.C.C.) in Kampala berufen. Diese Institution war bislang ein gesellschaftlicher Tummelplatz für Nicht-Afrikaner, seien es Europäer oder Inder, gewesen. Okot arbeitete hart daran, es zu afrikanisieren. Dies gelang gegen zahlreiche kleine und große Widerstände innerhalb von zwei Jahren. Ugandisches Theater, Bildhauerei, Dichtkunst, Tänze, Spiele, Gemälde und Schnitzereien blühten auf. Okots ganze Liebe gehörte von Anfang an dem Aufbau einer großen und professionellen Traditionstanzgruppe, den „Heartbeat of Africa“. Diese Truppe bereiste erfolgreich weite Teile der Welt.
Exil in Kenia
Im Oktober 1968 organisierte Okot zu den fünfjährigen Unabhängigkeitsfeierlichkeiten ein einwöchiges Festival. Kurz darauf reiste er nach Zambia. Als er zurückkam, fand er sich durch Präsident Milton Obote seines Postens kommentarlos enthoben. Für 11 Jahre ging er daraufhin nach Kenia ins Exil.
Nairobi
Während seines elfjährigen Exils in Kenia - bis 1971 unter dem Regime von Milton Obote, dann unter Idi Amin - erlebte Okot seine schriftstellerisch fruchtbarste Zeit. Aber auch seine Lehrtätigkeit an verschiedenen Universitäten fand ihren Niederschlag in Essays und wissenschaftlichen Büchern. Zunächst lehrte er in Kisumu am Victoriasee, an der Außenstelle der Universität von Nairobi. Es nimmt nicht Wunder, dass er dort sofort ungebrochen seine Arbeit wieder aufnahm und das Kisumu Arts Festival organisierte. 1969 nahm er am „International Writing Program“ der University of Iowa (USA) teil. Von September 1971 an war er Dozent (senior research fellow und lecturer) am University College in Nairobi, wo er zahlreiche Lehrer und Lehrerinnen für ihre Tätigkeit am Gymnasium vorbereitete. Heute sind auch mehrere Literatur-Dozenten in Nairobi seine einstigen Schüler. Er lehrte auch an der „University of Texas“ in Austin/USA und 1978-79 an der „University of Ife“ in Nigeria.
- 1967 (manche Quellen nennen 1970) folgte die Herausgabe von „Song of Ocol“ in englisch.
- 1971 kam „Song of Malaya“ (Gesang der Prostituierten) und „Song of Prisoner“ gemeinsam unter dem Titel „Two Songs“ heraus, wofür Okot 1972 den „Kenyatta Prize for Literature“ gewann.
- 1973 kam „Africa's Cultural Revolution“, eine Sammlung von Essays heraus.
- 1974 erschien „Horn of My Love“,
- 1978 „Hare and The Hornbil“.
- 1979 schrieb er „Mere Words“, was neben vielem anderen nicht publiziert wurde.
Ein großes Werk war wohl auch „Song of Soldier“, was Okot aber nie vollendete, weil, wie er sagte, dieses Thema zu bearbeiten „eine tränenreiche Sache“ sei. Okots Veröffentlichungen, seine Interviews, seine Vorlesungen, seine Konferenzvorlagen usw. sind alle von der glühenden Überzeugung getragen, dass Afrikas Kultur und seine Nationen nur auf einer afrikanischen Grundlage erbaut werden können. Okot wollte zwar die weiße Technologie „borgen“, aber nicht die Kultur des Okzidents.
Kampala
Okot kehrte 1979 nach Kampala zurück, nachdem er auf den Posten eines wissenschaftlichen Mitarbeiters berufen worden war. Diese Position erschien ihm entwürdigend, da ihn die Universität wie einen „liegengebliebenen Lastwagen“ behandele. In einem offenen Brief an die Universitätsleitung mit dem Titel „Jesus, Respekt und Makerere“ formulierte Okot anklagend: „Als ich nach elf Jahren aufgezwungenen Exils an der Universität um einen Posten nachsuchte, war es etwas mehr, als nur ein Zweijahresvertrag eines wissen-schaftlichen Mitarbeiters. Ich wie, dass es im Fachbereich, dem ich beitreten will, heftigen Widerstand gab. Da gab's dieses falsche und manchmal ärgerliche Argument: 'Okot, aber wohin gehörst du? In Soziologie oder Literatur oder Religion oder Philosophie oder Jura?' Ich denke, dass die Frage beantwortet gehört, ob es irgendeinen großen Name in den Sozialwissenschaften gab, der nicht einen multidisziplinären Ansatz verfolgte. Lasst es nicht dazu kommen, dass Makerere - heute wieder eine der führenden Institutionen auf dem Kontinent - ein Lernort sein wird, an dem Intellekt und Wissenschaft paralysiert werden. Lasst das Denken aufblühen, denn nur so kann Makerere Denker heranbilden …“ Ein von ihm erwarteter Ruf an die Universität von Ife/Nigeria blieb aus, was ihn sehr entmutigt haben muss. Aber es scheint, als sei Okots inneres Feuer langsam geringer geworden, als sei die einstige Brillanz dahin gewesen.
Endlich aber, 1982, anerkannte die Makerere Universität Okots Beitrag als Poet und Wissenschaftler doch noch und berief ihn als ersten Professor auf den am Fachbereich für Literatur neu eingerichteten Stuhl für Kreatives Schreiben. Doch das Schicksal war dem unermüdlichen Kämpfer für die afrikanische Sache nicht wohlgesinnt. Kurz nach der Ernennung schlief Okot friedlich im Bett seines Hauses für immer ein. Uganda hatte seinen größten Dichter verloren.
Zwei Wochen vor seinem Tod am 20. Juli 1982 hatte er gerade ein neues Werk vollendet, das 1986 postmortem als eine Sammlung über Kunst, Kultur und Werte erscheinen sollte: „Artist the Ruler“. Auch die Veröffentlichung seines Romans „Lak Tar“ sollte er nicht mehr erleben, obwohl er bis zu seinem Tode ständig daran gearbeitet hatte, ohne es aber vollendet zu haben. Die fehlenden Teile übersetzte sein Freund Lubwa P'chong, sodass das Werk in der Übersetzung „White teeth“ 1989 bei Heinemann/Nairobi erscheinen konnte.
Der Dichter Okot p'Bitek
Okots Leben ist ungewöhnlich reich an Erfahrungen. In den sieben Jahren seiner Studentenzeit in England bemühte er sich ebenso wie später als Universtitätslehrer und kultureller Aktivist um einen philosophioschen und kulturellen Standpunkt als Afrikaner. Er lehnte die pessimistische Sichtweise ab, die dem konkreten Leben keinerlei Bedeutung zumaß. Er glaubte an das schöne und konstruktive Leben, an die volle Teilhabe am kulturellen Leben seines Volkes. Er liebte es mit Männern und Frauen zusammenzusitzen, gut zu essen und zu trinken. Besonders liebte er in Nairobi die Veranda-Bar des Norfolk-Hotels, deren inspirierende Atmosphäre vor ihm schon so viele andere Schriftsteller genossen hatten. Robert Ruark z.B. pflege ja sogar seine Schreibmaschine mitzunehmen und seine Großwildjäger-Romane zu tippen. Das Trinken wurde Okot dabei - genau wie anderen Großen - zum Verhängnis. Okot mochte kecke Mädchen oder junge Frauen, die schön, fröhlich und einem kleinen Flirt nicht abgeneigt waren. In dieser kreativen und ermunternden Atmosphäre sang er am liebsten seine Lieder und nahm gleichzeitig empfindsam auf, was um ihn her ablief. Er war zweimal verheiratet und hatte vier Töchter. Eine von ihnen, Jane, ist kürzlich mit dem „Song of farewell“ in seine Fußstapfen getreten. Für die kulturelle Bewusstwerdung Ugandas hat Okot einen großen Beitrag geleistet. Er verzichtete dafür auf Bequemlichkeit, Reichtum, Ansehen und Vaterland. Denn er wollte sich am Ende seines Lebens fragen können: „Was habe ich Sinnvolles mit meinem Leben getan?“
Okot passt nicht so leicht in ein Schema, sei es in ein politisches oder ein wissenschaftliches. Er war auf vielen Gebieten talentiert, war bescheiden, empfindsam und scharfzüngig. Das brachte ihm Neider und Feinde aus den Reihen derer, die ihre Pfründe wackeln sahen. Es muss für ihn äußerst schockierend gewesen sein zu erleben, dass es nicht die weiße Elite war, die sich gegen kreative Offenheit, Brüderlichkeit und Tradition stemmte, sondern seine eigenen schwarzen Leute. Er kämpfte den guten Kampf für die Bewusstwerdung der kleinen Leute, soweit die Ahnen das Volk führen würden. Schon als junger Mann hatte er in der Schulhymne von Sir Baker's School seine Grundüberzeugung formuliert: „Verlass die Welt besser, als du sie fandest!“ Aber Kämpfer, obwohl ständig im Kampf, war er nicht zuerst. Zuallererst war er ein Tänzer und ein „Lacher“. Taban lo Liyong, sein ehemaliger Kollege, erzählt, dass Okot einmal, als sie nach Tanzania einreisten, in das Einreiseformular unter „Berufsangabe“: „Lacher“ schrieb. Okot war ein echter Mann, prallvoll mit Leben.
Okots Ansatz, von Europa die Technologie borgen zu wollen, bei gleichzeitigem Beibehalten der afrikanischen Kultur, erweist ihn auch als Romantiker, vielleicht sogar als eine tragische Figur. Es ist nicht möglich, eine Technologie unbeschadet oder unberührt von deren innewohnenden Gesetzen, von deren psychologischen und sozialen Implikationen zu übernehmen.
Über ihn wird folgende Anekdote erzählt, die seinen täglich gelebten Widerspruch gut zu illustrieren vermag. Eines Tages besuchte Okot in der Nähe von Nairobi ein College, um einen Vortrag zu halten. Er hörte den Schüler-Chor das Lied „My Bonny is Over the Ocean“ proben und wurde daraufhin fuchsteufelswild. Er herrschte die Studenten an, sie sollten doch ihre eigenen afrikanischen Lieder singen, denn was könne es ihnen schon bedeuten, dass irgendein „Bonny“ in den USA sei. Die Jungen schwiegen dem Älteren gegenüber, aber sie hatten sehr wohl wahrgenommen, dass Okot mit seinem geliebten 12-Zylinder-Jaguar gekommen war.
Die Wirkung Okots auf die Literatur Ostafrikas lässt sich nachweisen, auch wenn nicht allzu viele Autoren seinem Weg gefolgt sind. Als Beispiele seien hier nur Joseph Burunga mit The Abandoned Hut (Die aufgegebene Hütte) und Okello Oculi mit Orphan (Das Waisenkind) und mit Malak (Die Prostituierte) genannt. Relativ früh griff Okots Einfluss auch auf Burundi über. Der 1972 von Tutsi umgebrachte Priesterdichter Michel Kayoya schrieb in Französisch zwei auch ins Deutsche übersetzte Gesänge: Sur la trace de mon père (Auf den Spuren meines Vaters) und Entre deux mondes (Sprich deine Sprache, Afrika!“) Aus Tanzania kommt in jüngster Zeit ein Spottgesang in Englisch „The Black-Eaters“ (Die Schwarzen-Fresser) von Nchim-bi. 1994 veröffentlichte die Kenianerin Micere Githae Mugo „My mother's poems and other songs“ und weist nochmals im Untertitel „Songs und poems“ in der Tradition von Okot auf den Unterschied zwischen Songs und Gedichten hin. Ebenso neu ist 1994 Okots Tochter, Jane Okot p'Bitek, mit einem beachtlichen Erstlingswerk (Song of farewell) hervorgetreten, in dem sie die Schule ihres Vaters fortführt. Okot wurde mit seinem Stil der Begründer der „East African Song School“.
Kurzbiographie
Die folgende Kurzbiographie enthält die meisten Daten zu Okots Veröffentlichungen. Dabei ist jedoch keine Vollständigkeit möglich, da die Materiallage noch nicht ganz übersichtlich ist.
- 1931 Geburt in Gulu, Nord-Uganda, Besuch der Gulu High School King's College, Budo/Kampala
- 1950 - Komposition der Schuloper Achan
- 1951 - 1956: Ausbildung und Lehrtätigkeit
- 1952 Government Teacher Training College, Mbarara, West-Uganda
- 1953 - Erste Publikation des Romans Lak Tar in Acholi-Sprache (engl. 1995)
- 1954 Lehrer für Englisch und Religion sowie Chorleiter
- 1956 - Wer pa Lawino (Song of Lawino), 1. Fassung in acholi; Veröffentlichung abgelehnt
- 1956 - 1957: Bristol Universität
- 1956 als Mitglied der ugandischen Fußballnationalmannschaft Tour durch Großbritannien, Okot bleibt dort, studiert
- 1957 Diplom in Pädagogik, Universität Bristol
- 1957 - 1960: Wales Universität, Aberystwyth
- 1960 Diplom in Jura, Aberystwyth, Kirchenaustritt - Wege zur Freiheit Ugandas
- 1960 - 1964: Oxford Universität
- 1962 Feldforschung in Uganda f_r seine Abschlussarbeit
- 1963 Diplom (B.Litt.) in Sozialanthropologie, Oxford Universität - Die Oralliteratur und ihre sozialen Hintergründe bei den Acholi und Lang'o
- 1964 - 1968: Makerere Universität, Kampala/Uganda
- 1964 Rückkehr nach Gulu, dort Lehrtätigkeit an der Außenstelle der Makerere Universität in Gulu
- 1965 Gulu_Festival - Wer pa Lawino wird gründlich im Diskurs mit Freunden überarbeitet (2. Fassung) und unter großer Begeisterung aufgeführt
- 1966 Kampala, Direktor des Uganda Cultural Centre (UCC)
- 1966 - Song of Lawino, East African Printing House (EAPH), Nairobi 1967 - Song of Ocol (engl.) erscheint in Nairobi
- 1967 - Religion of the Central Luo
- 1968 Ausschluss von seinen Posten am UCC wegen Kritik der schwarzen Elite unter Präsident Milton Obote
- 1968 - 1979: Exil: Nairobi Universität/Kenia
- 1968 Lehrtätigkeit an der Universität Nairobi, Außenstelle Kisumu
- 1969 - Wer pa Lawino (acholi) erscheint in Nairobi
- 1971 Lehrtätigkeit an der Universität Nairobi
- 1971 - Song of Malaya. Song of Prisoner. erschienen als Two songs. EAPH,
- 1972 dafür Gewinn des „Kenyatta Prize for Literature“
- 1971 - African Religions in Western Scholarship. East African Literature Bureau (EALB) 1973 - Africa's urltural Revolution, Macmillan Books For Africa, Nairobi
- 1974 - The Horn Of My Love. Heinemann, London
- 1978 - Hare and The Hornbil. Heinemann, London
- 1979 - 1982: Makerere Universität, Kampala/Uganda
- 1979 Wissenschaftlicher Mitarbeiter in Makerere
- 1982 Inhaber des Lehrstuhls für Kreatives Schreiben, Makerere. Okot stirbt in Kampala 52-jährig.
Werke
Post mortem erschienen:
- 1986 - Artist the Ruler: Essays on Art, Culture and Values 1988 -
- 1989 - White Teeth (engl. Übersetzung von Lak Tar), Heinemann/Nairobi
Noch ungeklärt:
- Other Men's God
Weblinks
- Literatur von und über Okot p’Bitek im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
Personendaten NAME Bitek, Okot p’ KURZBESCHREIBUNG ugandischer Dichter, Lehrer und Ethnologe GEBURTSDATUM 7. Juni 1931 GEBURTSORT Gulu (Uganda) STERBEDATUM 20. Juli 1982 STERBEORT Kampala
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