Burgfriede

Burgfriede

Als Burgfriedenspolitik wird im Allgemeinen das Zurückstellen innenpolitischer Konflikte und wirtschaftlicher Auseinandersetzungen in Deutschland während des Ersten Weltkriegs bezeichnet. In Frankreich wurde zur selben Zeit der Begriff Union sacrée gebräuchlich.

Inhaltsverzeichnis

Entstehung

Am 4. August 1914 versammelte Kaiser Wilhelm II. in Berlin die Vertreter aller im Reichstag vertretenen Parteien um sich und erklärte in einer Thronrede:

„Ich kenne keine Parteien mehr, ich kenne nur noch Deutsche! Zum Zeichen dessen, dass Sie fest entschlossen sind, ohne Parteiunterschied, ohne Stammesunterschied, ohne Konfessionsunterschied durchzuhalten mit mir durch dick und dünn, durch Not und Tod zu gehen, fordere ich die Vorstände der Parteien auf, vorzutreten und mir das in die Hand zu geloben.“

Diese von Reichskanzler Bethmann-Hollweg formulierten Sätze trafen bei den Parlamentariern selbst von der oppositionellen SPD auf fast ungeteilte Zustimmung. Ein zentraler Grund dafür war, dass es der Regierung während der Julikrise gelungen war, die Öffentlichkeit zu überzeugen, dass das Deutsche Kaiserreich sich in einem Verteidigungskrieg gegen Russland befände. Dies galt auch für weite Teile der SPD und die ihnen nahestehenden Gewerkschaften. Das Parlament stimmte daher (bei zwei Enthaltungen) geschlossen für die zur Kriegsführung benötigten Kriegskredite.[1]

Die Generalkommission der Gewerkschaften Deutschlands, die Dachorganisation der den Sozialdemokraten nahestehenden freien Gewerkschaften, hatte schon am 2. August erklärt, während des Krieges auf Lohnbewegungen und Streiks zu verzichten. Ganz ähnlich äußerten sich auch die liberalen Hirsch-Dunckerschen Gewerkvereine und die christlichen Gewerkschaften.

Der Reichstag beschloss am 4. August, auf Neuwahlen nach Ablauf der Legislaturperiode und sogar auf mögliche Nachwahlen zu verzichten. Außerdem verzichtete er während des Krieges auf öffentliche Tagungen des Plenums.

Auch die Presse stellte für die Zeit des Krieges die öffentlichen Auseinandersetzungen mit der Regierung ein und übte Selbstzensur. Allerdings führte die Verhängung des Kriegszustandes nach Artikel 68 der Reichsverfassung dazu, dass während des Krieges die Pressefreiheit durch Zensurmaßnahmen eingeschränkt wurde.[2]

Auswirkung der Burgfriedenspolitik in der SPD

Hatte die SPD nur wenige Tage vorher noch Massendemonstrationen für den Frieden abgehalten, änderte sich ihre Position nach Kriegsbeginn stark. Pazifisten und Vertreter des linken Parteiflügels wie Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht gerieten in der Partei in die Isolation. Dagegen konnten entschiedene Vertreter des rechten Flügels wie Eduard David, Wolfgang Heine und Ludwig Frank in der kurzen Zeit vom Kriegsbeginn am 1. August bis zur Reichstagsentscheidung am 4. August 1914 die Zustimmung der Reichstagsfraktion zu den Kriegskrediten durchsetzen. Die SPD und vor allem ihr rechter Flügel nutzten die Gelegenheit, um den Vorwurf zu entkräften, Sozialdemokraten seien vaterlandslose Gesellen.[3]

Erst allmählich begann sich eine differenziertere Haltung in der Partei durchzusetzen und Gegenpositionen zu entstehen. So stimmte Karl Liebknecht bei der zweiten Sitzung gegen die Bewilligung der Kriegskredite und legte damit den Grundstein für die spätere Abspaltung der USPD (Unabhängige SPD) von der SPD. Der ebenfalls bereits öffentlich als Kriegsgegner aufgetretene Otto Rühle stimmte am 20. März 1915 bei der dritten Sitzung gemeinsam mit Liebknecht gegen die Kredite. Im weiteren Verlauf des Ersten Weltkriegs nahm die Anzahl der sich auch öffentlich gegen den Krieg aussprechenden SPD-Mitglieder zu.

Der Widerstand der Burgfriedensgegner gegen den Krieg, unter ihnen beispielsweise auch Rosa Luxemburg und Clara Zetkin, führte zum Parteiausschluss Liebknechts und anderer aus der SPD. Viele Burgfriedensgegner, auch Liebknecht und Luxemburg wurden 1916 zu langen Haftstrafen verurteilt, aus denen sie erst zum Ende des Krieges wieder entlassen wurden. Die revolutionären Burgfriedensgegner bildeten 1916 die "Gruppe Internationale", aus der 1917 die Spartakusgruppe (im November 1918 umbenannt in Spartakusbund) hervorging. Der Spartakusbund bildete bis zum Kriegsende den linksrevolutionären Flügel der USPD. Die USPD war, abgesehen von ihrer Antikriegshaltung, von sehr heterogenen Inhalten geprägt.

Zusammen mit anderen linksrevolutionären Gruppierungen wurde aus dem Spartakusbund nach dem Krieg im weiteren Verlauf der Novemberrevolution im Januar 1919 die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) gegründet. Damit war die endgültige Spaltung der Sozialdemokratie in eine revolutionäre (kommunistische) und reformorientierte (sozialdemokratische) Partei vollzogen. Die USPD wurde bis 1922 zwischen diesen beiden Polen zerrieben und spielte danach kaum noch eine wichtige Rolle in der Weimarer Republik.

Aufweichen der Burgfriedenspolitik

Mit der zunehmenden Dauer des Krieges und dem ausbleibenden Sieg begann der Burgfrieden allmählich zu bröckeln. Bereits seit 1915 führten Versorgungsmangel und Kriegsmüdigkeit zu ersten wilden Streiks und Demonstrationen. Das Ende des politischen Burgfriedens kam 1916, als die Kriegszielfrage nunmehr auch in der Öffentlichkeit diskutiert werden konnte. Neben den Vertretern eines Verständigungsfriedens traten Befürworter von Annexionen wie die rechtsgerichtete Deutsche Vaterlandspartei auf den Plan. Die soziale Unruhe insbesondere der Arbeiter verstärkte sich mit zunehmender Dauer des Krieges noch und die Gewerkschaften waren schließlich kaum noch in der Lage, die Belegschaften unter Kontrolle zu halten.

Metaphorische Verwendung der Begriffs

Die Metapher einer Burgfriedenspolitik wurde später immer wieder aufgegriffen, um in unterschiedlichen Situationen eine jeweils konsequentere Oppositionspolitik einzufordern.

Einzelnachweise

  1. Wilhelm Loth: Das Deutsche Kaiserreich. Obrigkeitsstaat und politische Mobilisierung. DTV, München 1997. ISBN 3-423-04505-1.
  2. Loth, S.144
  3. Loth, S.143

Literatur

  • Susanne Miller: Burgfrieden und Klassenkampf. Die deutsche Sozialdemokratie im Ersten Weltkrieg. (= Beiträge zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien, Band 53), Verlag Droste, Düsseldorf 1974.
  • Wolfgang Kruse: Krieg und nationale Integration. Eine Neuinterpretation des sozialdemokratischen Burgfriedensschlusses 1914/15. Verlag Klartext, Essen 1993, ISBN 3-88474-087-3.

Weblinks


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