Böhmische Revolution 1848

Böhmische Revolution 1848
zeitgenössische Bilderreihe mit Szenen des Prager Pfingstaufstandes

Der Prager Pfingstaufstand vom 12. bis zum 17. Juni 1848 war ein Höhepunkt der Revolution von 1848 im damals österreichischen Kronland Böhmen. Es handelte sich dabei um einen Aufstand tschechischer Nationalisten gegen das Kaisertum Österreich.

Der vorausgehende Slawenkongress, der unter dem Vorsitz von František Palacký vom 2. bis 12. Juni ebenfalls in Prag stattgefunden hatte, und an dem Vertreter verschiedener slawischer Bevölkerungsgruppen des Vielvölkerstaates nebst Gästen außerösterreichischer Volksgruppen teilnahmen, darunter Polen aus der preußischen Provinz Posen und als einziger Russe der Anarchist Michail Bakunin, hatte als Ergebnis lediglich eine föderative Umwandlung Österreichs in einen Bund gleichberechtigter Völker gefordert. Die Aufständischen gingen mit ihren Forderungen weiter und verlangten die Unabhängigkeit der slawischen Kronländer von der österreichischen Monarchie – ähnlich wie dies zuvor bereits von ungarischen Revolutionären für ihre eigenen nationalen Interessen artikuliert worden war.

Der Pfingstaufstand war Bestandteil der Unruhen, die im Zuge der Revolutionen von 1848 seit Februar des Jahres von Frankreich ausgehend (vgl. Februarrevolution 1848) in weiten Teilen Mitteleuropas um sich gegriffen und im März die Staaten des Deutschen Bundes erreicht hatten, zu denen auch die österreichische Monarchie gehörte. Böhmen mit seiner Hauptstadt Prag war zu der Zeit eine Provinz unter österreichischer Zentralgewalt und ebenfalls Teil des Deutschen Bundes.

Der Aufstand wurde bereits nach wenigen Tagen von österreichischen Truppen unter dem Befehl von Alfred Fürst von Windischgrätz mit militärischer Gewalt niedergeschlagen.

Inhaltsverzeichnis

Entwicklung im historischen Kontext

Vorgeschichte

Historische Karte der Länder der böhmischen Krone

In den österreichischen Kronländern Böhmen, Mähren und Österreichisch-Schlesien lebten Mitte der 1840er Jahre neben den rund 2,6 Millionen deutschsprachigen Einwohnern circa vier Millionen Tschechen. Mit der Märzrevolution erkannten nationaltschechische Politiker eine Möglichkeit, diese drei Regionen zusammenzuschließen, und in einem noch zu bildenden böhmisch-mährischen Landtag die Herauslösung der slawisch dominierten Regionen aus dem Deutschen Bund voranzutreiben.

Die Ereignisse der Märzrevolution fanden in Prag ab dem 11. März 1848 ihren Niederschlag. Aufgeschreckt von den Nachrichten der bürgerlich-liberalen Februarrevolution in Frankreich wurde einerseits eine Kommission aus adeligen Standesvertretern gebildet, deren Mitglieder sich auf die spätmittelalterliche Tradition der Wenzelskrone des Königreichs Böhmen beriefen und die Anerkennung eines böhmischen Staatsrechts forderten; andererseits kam es nach einem Aufruf des geheimen − nach einer irischen Befreiungsorganisation benannten − „Repeal-Club“ zu einer Volksversammlung im Prager Wenzelsbad, in der bürgerlich-demokratische Intellektuelle die deutliche Mehrheit innehatten. Auf dieser von etwa 3.000 Teilnehmern besuchten Versammlung wurde in einem 14-Punkte-Programm revolutionäre Forderungen wie die Entlastung des bäuerlichen Grundbesitzes ohne Entschädigung der Großgrundbesitzer sowie Regelungen für die Entlohnung der Arbeiter gefordert; es wurde ein Ausschuss gewählt, der mit der Ausarbeitung einer Petition an Österreichs Kaiser Ferdinand I. beauftragt wurde. In dem von liberal-konservativen Ausschussmitgliedern abgeschwächten Forderungskatalog wurden jedoch die sozialrevolutionären Anliegen relativiert und stattdessen die nationaltschechischen Ziele wie zum Beispiel eine administrative Vereinigung der drei Kronländer Böhmen, Mähren und Österreichisch-Schlesien hervorgehoben.

Die nach dem Sturz des vormaligen Staatskanzlers Metternich im Zuge der Revolution in Wien neu eingesetzte gemäßigt liberale Regierung unter Franz Anton von Kolowrat-Liebsteinsky reagierte zunächst ausweichend. Darauf wurde eine neue Petition, statt an den “österreichischen Kaiser” nun an dessen Zusatztitel “König von Böhmen” adressiert. Diese zweite Petition war insofern erfolgreich, dass es zur Bewilligung eines eigenständigen böhmischen Landtags kam. Dieses Zugeständnis – von den tschechischen Nationalisten zunächst als “Böhmische Charta” bejubelt – stieß jedoch schnell auf Widerspruch: Die Vertretungen Mährens und Schlesiens sandten Protestnoten gegen eine Vereinnahmung durch Böhmen, und Vertreter der deutschsprachigen Minderheit in allen drei Kronländern gründeten eine „Vereinigung der Deutschen aus Böhmen, Mähren und Schlesien zur Aufrechterhaltung ihrer Nationalität“. Diese Vereinigung forderte ihrerseits beispielsweise, das Egerland an Bayern abzutreten und einen großen Teil des Erzgebirges mit dem Königreich Sachsen zusammenzufügen.

František Palacký, gemäßigt-liberalkonservativer Vertreter der tschechischen Nationalbewegung (Lithographie von Adolf Dauthage 1855)

Der Konflikt zwischen Deutschen und Tschechen wurde zunehmend offenkundig, nachdem Palacký sein Mandat für den Fünfzigerausschuss, der eine gesamtdeutsche Nationalversammlung in Frankfurt am Main vorbereiten sollte, abgelehnt hatte. Er forderte für die Länder der vormaligen Wenzelskrone einen Status außerhalb des Bundes, aber immer noch innerhalb des österreichischen Kaisertums, wie ihn beispielsweise Ungarn innehatte. Bei alledem zeigte die Wiener Staatsregierung weiterhin keine Bereitschaft, die böhmischen Länder aus dem Deutschen Bund auszugliedern.

Derweil wurden die Vorbereitungen für eine Landtagswahl in Böhmen, zunächst noch unter Beteiligung der deutschsprachigen Minderheit, durch einen nationalen Ausschuss vorangetrieben. Unter dem Namen „Svornost“ (Eintracht) wurde auch eine eigene böhmische Nationalgarde aufgebaut.

Nach der Absage Palackýs gegenüber dem Fünfzigerausschuss verließen die deutschen Mitglieder des böhmischen Nationalausschusses dieses Gremium. An der folgenden Wahl zur Frankfurter Nationalversammlung nahmen lediglich die 47 Wahlkreise der mehrheitlich deutschsprachigen Landesgebiete Böhmens teil, aus denen 61 Abgeordnete in das erste demokratisch gewählte gesamtdeutsche Parlament gewählt wurden.

Nachdem der Termin für die Einberufung eines böhmischen Landtags feststand, sollte Erzherzog Franz Josef, der im Dezember desselben Jahres nachfolgende Kaiser Franz-Josef I., als Statthalter nach Prag kommen. Der böhmische Gubernialpräsident Graf Leo von Thun-Hohenstein bildete eine provisorische Regierung für Böhmen, und stellte sich damit sowohl gegen das Wiener Revolutionskabinett als auch gegen den gemäßigt agierenden Nationalausschuss in Prag.

Slawenkongress und Pfingstaufstand

In dieser zugespitzten Situation wurde am 2. Juni 1848 ein Slawenkongress unter dem Vorsitz von František Palacký eröffnet. Die erneuten Forderungen dieses Kongresses nach der Herauslösung der slawischen (inkl. der slowenischen) Kronländer aus dem deutschen Bund wurden nun vom bis dahin lavierenden, vor den revolutionären Ereignissen in Wien nach Innsbruck geflohenen Kaiserhof offen abgelehnt. Der im Dienst der Monarchie stehende Prager Militärkommandant, Fürst Windischgrätz, drohte mit dem Einsatz militärischer Gewalt. Daraufhin radikalisierte sich die Stimmung in der böhmischen Hauptstadt. Eine unmittelbar nach dem Ende des Slawenkongresses einberufene nationaltschechische Studentenversammlung forderte die Absetzung von Windischgrätz.

Alfred Fürst zu Windisch-Grätz, 1848 Oberbefehlshaber der österreichischen Truppen in Prag

Als sich am Folgetag, Pfingstmontag, dem 12. Juni, aus einer Freiluftmesse auf dem Prager Rossmarkt heraus ein Demonstrationszug gegen die österreichische Vorherrschaft formierte, liefen die meisten Angehörigen der Nationalgarde (Svornost), die zunächst für „Ruhe und Ordnung“ hätte sorgen sollen, zu den Demonstranten über. Unter jenen befand sich eine größere Anzahl von Arbeitern, insbesondere aufgebrachte arbeitslose Textilhandwerker, denen mit dem Hinweis auf ausländische Konkurrenz zuvor von ihren Arbeitgebern gekündigt worden war. Aus dieser Menge heraus wurden auch sozialrevolutionäre Parolen skandiert und die revolutionäre Stimmung angeheizt. Das Ziel der Demonstration war der Amtssitz von Windischgrätz. Als sich den Protestierenden österreichisches Militär entgegenstellte und ein Offizier niedergeschlagen worden war, wurde von den Soldaten das Feuer eröffnet. Dies war der Auslöser, der im folgenden Aufstand eskalierte.

An verschiedenen Orten der Stadt wurden Barrikaden errichtet. Bei den immer wieder von Verhandlungen unterbrochenen Kämpfen konnten die Revolutionäre zunächst die Oberhand gewinnen. Es gelang ihnen, Graf von Thun kurzzeitig festzunehmen. Nachdem die Ehefrau von Fürst Windischgrätz – durch einen Querschläger tödlich verwundet – ums Leben gekommen war, ließ der Oberkommandierende als Vertreter der Monarchie schließlich Kanonen gegen die Aufständischen einsetzen und kündigte die Belagerung der Stadt an. Angesichts der österreichischen Übermacht blieb den Revolutionären nach fünf Tagen wechselvoller Straßen- und Barrikadenkämpfe nichts anderes übrig als die am 17. Juni 1848 erfolgende bedingungslose Kapitulation.

Folgeentwicklung

Im Überblick der revolutionären Ereignisse in den Staaten des Deutschen Bundes waren die Prager Aufständischen der Pfingstwoche 1848 eher isoliert. Abgeschnitten von den Erhebungen in den anderen deutschen Staaten – auch von denen in Österreich selbst – wurden ihre Ziele selbst von der revolutionären Bewegung der Jahre 1848/49 als von separatistischen Sonderinteressen geleitet betrachtet und mehrheitlich abgelehnt. Dabei wurde in der Situation der Zeit allerdings verkannt, dass das Ende dieser Erhebung – noch eine Woche vor der Niederschlagung des Juniaufstandes der Arbeiter in Paris – auch den Siegeszug der reaktionären Gegenrevolution eingeleitet hatte, die ein Jahr später die anfänglichen Revolutionserfolge im ganzen Deutschen Bund zunichte machen sollte.

Auch die gemäßigten tschechischen Nationalisten, die nun ihre Vorstellung eines eigenen böhmischen Landtags aufgeben mussten, verurteilten den Aufstand. Stellvertretend für sie bezeichnete ihn František Palacký, in der Folgezeit Abgeordneter im österreichischen Reichstag – Bezug nehmend auf den Einfluss Bakunins – als „Werk fremder Agents provocateurs und der einheimischen Dummheit“.

Es sollten noch 70 Jahre vergehen, bis 1918 mit dem Zerfall der Habsburgermonarchie nach dem Ende des Ersten Weltkriegs – neben weiteren neuen Staatsgründungen in Ostmitteleuropa – durch die Ausrufung der Tschechoslowakei als Republik die eigenstaatliche Souveränität der im Wesentlichen tschechischen und slowakischen Gebiete aus den vormaligen österreichischen Provinzen Böhmen, Mähren und Österreichisch-Schlesien erreicht wurde.

Literatur

  • Emil Niederhauser: 1848 - Sturm im Habsburgerreich; Verlag Kremayr und Scheriau, Wien, 1990 ISBN 3-218-00514-0
  • Andreas Moritsch (Hg.): Der Prager Slavenkongress 1848; (aus der Buchreihe des Instituts für den Donauraum und Mitteleuropa; Bd. 7), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2000, 192 S., ISBN 3-205-99288-1 (Weblink: Rezension auf historicum.net)
  • Ralph Melville: Adel und Revolution in Böhmen. Strukturwandel von Herrschaft und Gesellschaft in Österreich um die Mitte des 19. Jahrhunderts (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte, 95); Mainz, Verlag Philipp von Zabern 1998, 368 S., ISBN 3-8053-1176-1 (Weblink: Rezension für H-Soz-u-Kult von Rene Schiller

Weblinks


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