- CICiv
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Das Corpus Iuris Civilis (CIC oder, zur besseren Unterscheidung vom kirchlichen Corpus Iuris Canonici, auch CICiv) umfasst das Gesetzeswerk, das von 528 bis 534 n. Chr. im Auftrag des oströmischen Kaisers Justinian I. aus älteren Kaisererlassen seit Hadrian (Codex Iustinianus, zuerst veröffentlicht 529, mit Wirkung vom 30. Dezember 533 in der Zweitauflage mit Gesetzeskraft ausgestattet), überarbeiteten älteren Lehrbüchern (Institutiones, veröffentlicht 533) und Schriften der römischen Juristen (Digesten oder auch Pandekten, veröffentlicht 533) unter Leitung des quaestor sacri palatii Tribonianus zusammengestellt wurde. Eine Neuausgabe des Codex Iustinianus wurde 534 veröffentlicht. Es handelt sich dabei um die uns bekannte Fassung. Zum Corpus Iuris Civilis gehören außerdem die Gesetze Justinians aus der Zeit nach Abschluss der Kodifikation (Novellae), die in privaten Sammlungen überliefert wurden.
Der Name Corpus Iuris Civilis ist nicht zeitgenössisch; er wurde erst im Mittelalter geprägt (Lit.: wohl um die Mitte des 13. Jahrhunderts, vergleiche dazu P. Weimar, Corpus Iuris Civilis).
Die Neukodifikation des Römischen Rechts stellte eine Meisterleistung dar, besonders angesichts der Kürze der Zeit. Ältere Codices wurden obsolet, und die Überarbeitung des Rechts erleichterte in Zukunft die Prozessführung ganz erheblich. In mancher Hinsicht (beispielsweise hinsichtlich der Rechtsstellung von Frauen und Sklaven) handelte es sich bei dem CIC um ein für damalige Vorstellungen fortschrittliches Gesetzeswerk.
Den historischen Hintergrund der Neukodifikation bildete der stetige und schon von den Zeitgenossen als unaufhaltsam wahrgenommene Einflußverlust der römische Kultur. Man beschloss deshalb, das hochdifferenzierte römische Recht, das in einer verwirrenden Vielzahl an Rechtsquellen (alte Gesetze, Kaisersprüche, Schriften von Juristen etc.) verstreut existierte, in einem Werk zusammenzufassen und zu bewahren. Dabei sollte dasjenige Recht ausgeschieden werden, das nicht mehr galt; zudem wurden die alten Rechtsquellen teils verändert und an die neue Rechtslage angepasst. Dies geschah, indem man bestimmte Regelungen wegließ oder die alten Rechtstexte etwas anders formulierte.
Inhaltsverzeichnis
Aufbau des Werks und Abfassungszeit
Die Teile des Corpus Iuris Civilis sind:
- Institutiones (= ein juristisches Lehrbuch zur Einführung in Codex und Pandekten, das vom Gesetzgeber gleich mit veröffentlicht wurde und somit besondere Autorität hat. Nicht zu verwechseln sind die Institutionen mit den Institutiones des Gaius. Die Institutionen orientieren sich lediglich an dem Werk des Gaius.)
- Pandekten | Digesta (lateinisch: geordnete Darstellung) oder Pandectai (griechisch: allumfassend), 533/534 (= Zusammenfassung des geltenden Rechts)
- Codex Iustinianus (= gesammelte noch gültige Kaisergesetze seit dem 2. Jhd. n. Chr.)
- Novellae, nach 534. Kaiserliche Gesetze, die nach dem Jahr 534 erlassen wurden (meist in griechischer Sprache), wurden in verschiedenen Novellensammlungen gesammelt und veröffentlicht. Im Mittelalter war das sogenannte Authenticum verbreitet, eine Novellensammlung mit 134 Novellen, die griechischen in lateinischer Übersetzung. Heute wird üblicherweise eine Novellensammlung mit 168 Novellen verwendet, die griechischen in der Originalsprache.
Die einzelnen Teile des Corpus Iuris Civilis sind in Bücher eingeteilt und jedes Buch wiederum in Titel. Jeder Titel wiederum ist in Leges (Einzahl: Lex, deutsch: Gesetz) unterteilt, die manchmal noch eine Untergliederung in Paragraphen aufweisen können.
Geschichte des Corpus Iuris Civilis in Spätantike und Mittelalter
Die Rezeption des antiken Rechts im Mittelalter sollte sich als ein wichtiger Aspekt bei der Entwicklung des modernen Rechts erweisen. In der Spätantike zerfiel das Römische Reich faktisch (nicht staatsrechtlich) in zwei Reichsteile. Der Reichsteil im Westen ging im Verlauf der Völkerwanderung unter, während sich das Oströmische Reich noch jahrhundertelang halten konnte; bis ins 7. Jahrhundert blieb Ostrom dabei ein erkennbar römisch-spätantiker Staat. Kaiser Justinian I. hatte das Ziel, das alte Römische Reich wiederherzustellen. Er begann ein Restaurationskampagne (gegen Vandalen, Ostgoten und Westgoten), sodass die Oströmer im Westen wieder teilweise Fuß fassen konnten. In dieser Zeit des Aufbruchs wurde das Corpus Iuris Civilis geschaffen und demnach auch in den wiedergewonnenen Gebieten im Westen in Kraft gesetzt. Jedoch konnte das Oströmische Reich große Teile seiner 552 wiedergewonnenen Gebiete in Italien nicht lange gegen die seit 568 anrückenden Langobarden halten; Africa ging dann gegen Ende des 7. Jahrhunderts an die Araber verloren. Das Corpus Iuris Civilis galt in Italien zwar für die römischen Bürger weiter, doch war es von der weiteren Rechtsentwicklung weitgehend abgeschnitten. Diese erfolgte nur noch durch die Novellen der oströmischen Kaiser in Byzanz, wo sich das Griechische nach Justinian immer mehr durchsetzte. Das ist übrigens ein Grund, warum die meisten Novellen der Novellensammlungen (s. o.) nach 535 in griechischer Sprache abgefasst wurden - nur jene, die sich explizit auf die lateinischsprachigen Gebiete des Reiches bezogen, bilden eine Ausnahme.
Im westlichen Teil des ehemaligen Römischen Reiches blieb das Corpus Iuris Civilis noch eine gewisse Zeitlang bekannt. Jedoch vereinfachte sich dort das hochkomplexe klassische römische Recht; dies geschah nicht erst durch den Einfluss der germanischen Rechtsbräuche, sondern war schon in spätantiken Entwicklungen (Vulgarrecht) angelegt: Dem hochentwickelten Corpus Iuris Civilis fehlte nach der Völkerwanderung die Trägerschaft in Form entsprechend ausgebildeter Juristen, und es entsprach immer weniger den herrschenden gesellschaftlichen Verhältnissen und den damit verbundenen Rechtsvorstellungen. Die germanischen Herrscher der Nachfolgereiche erließen eigene Gesetzessammlungen, die meist eine Mischung aus römischen und germanischen Vorstellungen darstellten (Germanische Stammesrechte) und zudem eher auf dem Codex Theodosianus von 438 als auf dem Codex Iustinianus basierten. Man beschäftigte sich demzufolge auch immer weniger mit dem römischen Recht - dies umso eher, als die oströmischen Kaiser nach 600 ihren politischen Einfluss auf Westeuropa weitgehend einbüßten und ihr Reich in eine tiefe Krise geriet. Um diese Zeit verlor Latein im Osten endgültig den Status einer Rechts- und Verwaltungssprache, so dass die byzantinischen Gelehrten das Corpus Iuris fortan in der Regel nicht mehr verstanden. Der umfangreichste Teil des Corpus Iuris Civilis, die Pandekten, geriet daher Anfang des 7. Jahrhunderts in West und Ost völlig in Vergessenheit.
Die Wiederentdeckung des Corpus Iuris Civilis muss auf die Mitte des 11. Jahrhunderts datiert werden (sog. Littera Florentina). Die Auseinandersetzung mit diesen Textfragmenten wurde verstärkt in der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts durch Irnerius in Bologna vorangetrieben.
Wiederentdeckung und Rezeption
Die Wiederentdeckung der Digesten durch italienische Gelehrte machte den Weg frei für die Entstehung der modernen Jurisprudenz. Irnerius war der erste, der die Digesten in größerem Umfang wissenschaftlich bearbeitete. Er war wohl Rhetoriklehrer, also jemand, der sich mit antiken Texten (u.a. auch Rechtstexten) beschäftigte. In der Zeit des Irnerius waren Rechtstexte nicht von einem so hohen Niveau wie das, was in den Digesten stand. (Die germanischen Rechtsaufzeichnungen des frühen Mittelalters wurden im Vergleich zum wiederentdeckten römischen Recht von humanistischen Juristen gar als „Barbarengesetze“ abgetan.) Man nimmt an, dass Irnerius über die Güte der Digesten erstaunt gewesen sein muss und interessiert, sich in die unbekannte Materie einzuarbeiten. Weiter scheint er darüber Unterricht gegeben zu haben, zuerst wohl zu weiterführenden rhetorischen Zwecken, bald aber auch, um das Recht selbst, das in den Digesten niedergelegt ist, zu unterrichten.
Aus ersten Schülern, die die wissenschaftliche Beschäftigung mit den Digesten und dann auch den anderen Teilen des Corpus Iuris Civilis fortsetzten (vgl. Glossator), entstand eine Rechtsschule in Bologna. Bald war das Studium dort von so hoher Attraktivität, dass Studenten aus ganz Europa nach Bologna pilgerten, um dort zu studieren. Später entstanden auch an anderen Orten zunächst Oberitaliens, dann in ganz Europa Universitäten mit wissenschaftlichem Rechtsunterricht (vgl. Gemeines Recht).
Nach dem Studium gingen die Studenten als gelehrte Juristen wieder in ihre Heimatländer zurück, um dort zunächst hohe Ämter in der kirchlichen und in der weltlichen Verwaltung zu übernehmen. In der Ausübung ihrer Aufgaben konnten die Juristen ihre am römischen Recht erlernten Fähigkeiten anwenden, teils wendeten sie auch Rechtsinhalte des Corpus Iuris Civilis praktisch an. Später übernahmen gelehrte Juristen auch Ämter in der Rechtsprechung und verdrängten dort allmählich sog. ungelehrte Richter (Laienrichter), die nicht das römische Recht studiert hatten, sondern das Recht aufgrund lokaler Rechtsgewohnheiten sprachen. Ein Höhepunkt dieser Entwicklung ist die Schaffung des Reichskammergerichts, des höchsten Gerichts im Heiligen Römischen Reich, in dem die Hälfte der rechtsprechenden Assessoren gelehrte Juristen sein mussten. Das römische Recht (und damit auch das CIC) spielte aber bereits in der Reichspolitik der römisch-deutschen Kaiser ab Friedrich I. Barbarossa eine nicht zu unterschätzende Rolle. Der letzte Kaiser, der dann Gesetze in das CIC einfügen ließ, war Heinrich VII. zu Beginn des 14. Jahrhunderts.
Das Corpus Iuris Civilis bildete im kontinentalen Europa viele Jahrhunderte lang die maßgebliche Rechtsquelle (vgl. Gemeines Recht), wobei es in der Praxis zu einer Kombination von Römischem und einheimischem Recht kam, (vgl. usus modernus). Mit der Epoche des Naturrechts wurde es in vielen Ländern Europas von nationalen Rechtskodifikationen abgelöst, die jedoch auf dem wissenschaftlich bearbeiteten Recht des Corpus Iuris Civilis aufbauen und in seiner Tradition stehen (z.B. der französische Code Civil, das preußische Allgemeine Landrecht, das österreichische Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch). In Deutschland galt das Corpus Iuris Civilis in manchen Gebieten bis zum Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuchs am 1. Januar 1900. Auch das BGB hat seine Wurzeln im wissenschaftlich bearbeiteten (vgl. Pandektenwissenschaft) Corpus Iuris Civilis.
Ausgaben des Corpus Iuris Civilis
- Theodor Mommsen, Paul Krüger (Hrsg.): Corpus Iuris Civilis, Hildesheim 1988, ISBN 3-296-12101-3
- Okko Behrends, Rolf Knütel, Berthold Kupisch und Hans Hermann Seiler (Hrsg.): Corpus Iuris Civilis. Text und Übersetzung, Heidelberg 1995 ff., ISBN 3-8114-4533-2
Siehe auch
- Justinian I.
- Spätantike
- Rezeption des römischen Rechts
- Pandekten
- Römisches Recht
- Römisches Eherecht
- Codex Iustinianus
- Marcus Antistius Labeo
Literatur
- Mario Bretone: Geschichte des Römischen Rechts, München 1992, ISBN 3-406-36589-2.
- P. Weimar: Corpus Iuris Civilis, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 3, Sp. 270–277.
- Arnold Vinnius/Klaus Wille: Institutionenkommentar Schuldrecht, Heidelberg 2005 (erste Übersetzung in deutscher Sprache). ISBN 3-8114-5220-7
Weblinks
- Englische Übersetzung
- Deutsche Übersetzung
- The Roman Law Library – mit dem lateinischen Text des CIC (Yves Lassard, Alexandr Koptev)
- Ausschnitte aus dem Codex in englischer Übersetzung.
- Informationen zum römischen Recht.
- Knappe Informationen über das römische Recht. Besonders die Links am Ende sind interessant.
- Text 1889, Faksimiles (Stanford)
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