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Das Grab der Scipionen ist eine antike unterirdische Grabanlage in Rom. Sie wurde zur Zeit der Römischen Republik etwa um 280/270 v.Chr. angelegt und beherbergte die verstorbenen Angehörigen der Familie der Scipionen, eines der patrizischen Zweige der Familie der Cornelier. Erst sehr viel später, in der Kaiserzeit, wurden auch Urnen mit der Asche verstorbenener Mitglieder der Familie der Lentuli, eines weiteren Zweigs der Cornelier, hier beigesetzt. Das Grab wurde im 17. Jahrhundert entdeckt, geriet erneut in fast völlige Vergessenheit und wurde im späten 18. Jahrhundert erneut endgültig wiederentdeckt. Die auf den Sarkophagen angebrachten Inschriften geben einen Einblick in die sozialen Verhältnisse der römischen Aristokratie zur Zeit der Republik. Zwei der Inschriften, die sog. Scipionenelogien, gehören zu den ältesten bekannten Texten in lateinischer Metrik.
Lage
Die Anlage wurde zu ihrer Entstehungszeit etwa eine römische Meile, etwa 1470 bis 1490 Meter, außerhalb der Servianischen Stadtmauer vor der Porta Capena an einer kleinen Traverse zwischen der ab 312 v. Chr. neu erbauten Via Appia und der Via Latina angelegt, näher zur Via Appia. Schon vor dieser Zeit, seit dem Zwölftafelgesetz aus dem 5. Jahrhundert v.Chr., waren Bestattungen innerhalb des römischen Stadtgebietes ausdrücklich verboten. Auch dies führte dazu, dass vom bereits vom späten 6. Jahrhundert v.Chr. bis zum 3. Jahrhundert v.Chr. vor den Toren Roms eine Reihe von Friedhöfen und Grabanlagen angelegt wurden.[1] Zu augusteischer Zeit lag die Grabanlage im Bezirk I (Porta Capena). Nach dem Bau der Aurelianischen Stadtmauer lag sie innerhalb des römischen Stadtgebietes, was aber kein Problem darstellte, da sie zum Zeitpunkt der Erbauung dieser Mauer schon seit etwa zwei Jahrhunderten nicht mehr genutzt wurde.
Das Ausgrabungsgelände gehört heute zum XIX. Römischen Rione Celio an der Via di Porta San Sebastiano, 9, und liegt etwa 250 Meter vor der Porta San Sebastiano, der antiken Porta Appia. Auf dem Gelände befindet sich auch das aufwändig dekorierte Kolumbarium des Pomponius Hylas aus dem 1. Jahrhundert n. Chr.
Baugeschichte
Es handelt sich beim Grab der Scipionen um eine der ältesten Formen der an der Via Appia auffindbaren Grabtypen,[2] den der sog. Kammergräber. Zu diesem Typ zählen auch die Gräber der Servilier sowie der Meteller und des Calatinus.[3] Zwar gilt Scipio Barbatus als Stammvater der cornelischen Scipionen[4], es ist jedoch nicht genau bekannt, warum er eine eigene Grabanlage für sich und seine Nachkommen anlegen ließ. Der Gedanke, für die eigene Familie eine größere Grabanlage zu errichten, ist allerdings nicht ungewöhnlich.[5] Da schon frühere Sarkophage der Cornelii Scipiones an anderen Stellen gefunden wurden, wird vermutet, Scipio Barbatus habe eine neue Generation begründen wollen[4]. Es ist möglich, dass die Cornelier Grundbesitz an dieser Stelle hatten, darauf würde das Grab des Publius Cornelius Scapula , er war Konsul ab 328 v. Chr., hindeuten, der ebenfalls in dieser Gegend sein Grab erhielt.[5] Die Anlage einer solchen Grabanlage für mehrere Generationen kann auch damit erklärt werden, dass sich Angehörige der Gens Cornelia zur Zeit der Republik so gut wie nie verbrennen ließen.[6] Der erste patrizische Cornelier, der – im Rahmen eines Staatsbegräbnisses – verbrannt wurde, war Sulla.[7] Die Nichtverbrennung der Angehörigen der Cornelier konnte durchaus mit symbolhaften Zügen einhergehen, so befahl der langjährige Widersacher von Scipio Aemilianus, Metellus Macedonicus, seinen Söhnen, die Bahre mit dem Leichnam seines Gegners zum Grab zu tragen.[8]
Unterirdische Anlage
Die Anlage wurde in eine Böschung[9] des dort vorhandenen Cappelacciotuffs gehauen. Eine vorherige Nutzung der Stelle, etwa für einen Steinbruch, gilt als unwahrscheinlich, es ist wohl davon auszugehen, dass die Kammern nur für das Grab entstanden sind.[10] Die Entstehungszeit der größeren der beiden Kammern ist durch das Auffinden des ältesten Sarkophages, den des Scipio Barbatus, auf den Beginn des 3. Jahrhunderts v. Chr. zu datieren.[11] Der kleinere Grabraum ist deutlich jünger, er entstand zwischen 150 und 135 v. Chr. Dies ist ableitbar aus der Tatsache, dass die älteste im kleineren Grabraum gefundene Inschrift von 135 v. Chr. stammt, während die letzte Bestattung in der größeren Grabkammer 150 v. Chr. vorgenommen wurde.[12] Die Anlage der zweiten Kammer wurde notwendig, weil die ursprüngliche Kammer zu dieser Zeit mit etwa 30 Sarkophagen vollständig belegt war. Vermutlich wurde sie von Scipio Aemilianus veranlasst, der hier als erster neben seiner Ehefrau Sempronia begraben wurde.[13]
Die Grabanlage mit einer Grundfläche von ca. 15 mal 17 Metern wurde fast quadratisch so angelegt, dass jeweils vier Längsgänge (einer davon, der südlichste, ist der der jüngeren kleineren Kammer, dieser weicht auch von der Ausrichtung her etwas ab) von zwei Quergängen durchschnitten werden. Die so übrigbleibenden vier großen Felspfeiler der Hauptkammer blieben zur Absicherung der Decke stehen. Um diese herum und auch an die Wände wurden die Sarkophage gestellt. Teilweise wurden aus Platzgründen auch Nischen in die Wände gehauen. Einen Hinweis auf die vollständige Belegung der größeren Grabkammer gibt auch die Wahl des Platzes für die Bestattung der Paulla Cornelia (Inschrift I), diese wurde hinter dem Sarkophag von Scipio Barbatus (Inschrift A) beigesetzt, wobei der Deckel mit der Inschrift direkt auf dem Sarkophag des Barbatus lag und die Rückwand dessen Sarkophages die Vorderseite ihres Sarkophages bildete.[14] Ob zwischen der älteren großen Kammer und der kleineren in der Antike eine räumliche Verbindung bestand, ist nicht bekannt.
Oberirdischer Bau
Die oberirdische Anlage entstand ebenfalls im 2. Jahrhundert v. Chr., wahrscheinlich im Auftrag des Scipio Aemilianus, der in der Zeit zwischen 146 und 133 v. Chr. eine führende Stellung in der römischen Aristokratie einnahm. Er wollte wohl eine Art „Museum zum Ruhm der Familie“[12] errichten oder in Zeiten politischer Rivalität mit anderen aristokratischen Familien ein Zeichen setzen.[15] Es wurden damals wohl auch im Inneren bauliche Veränderungen vorgenommen, hauptsächlich aber wurde die oberirdische Fassade über den Grabzugängen erbaut. Sie bestand aus Halbsäulen über einem Podium. Der Eingang des neueren Grabraumes ist in die Fassade einbezogen. Aus den Angaben von Titus Livius und Sueton (s. u.) ist bekannt, dass drei Statuen die Fassade verzierten. Die Fassade war bemalt, so fanden sich drei Schichten Malerei übereinander. Daher und aufgrund der Anlage der Fassade, die in das Felsmassiv getrieben und von großen Leerflächen an den Seiten umgeben war, muss das Grabmal „sich dem von Rom kommenden Passanten wirkungsvoll an der Via Appia dargeboten haben.“[16]
Erwähnung bei klassischen römischen Schriftstellern
Das Grab wird bei drei antiken römischen Schriftstellern erwähnt.[17] Bei Marcus Tullius Cicero heißt es:
- „Wenn du aus der Porta Capena heraustrittst und die Gräber des Calatinus, der Scipionen, der Servilier, der Meteller siehst, hältst du sie etwa für unglücklich?“[18]
Livius erwähnt das Grab wie folgt:
- „In Rom befinden sich außerhalb der Porta Capena im Grabmal der Scipionen drei Statuen, von denen zwei die des Publius und Lucius Scipio sein sollen, die dritte die des Dichters Quintus Ennius.“[19]
Schließlich schreibt Sueton über die Anlage:
- „Der Dichter Ennius starb mit 70 Jahren an einer Gliederkrankheit und wurde im Grabmal Scipios beigesetzt, noch vor dem ersten Meilenstein außerhalb der Stadt.“[20]
Aus diesen Erwähnungen geht hervor, dass die Lage des Grabes innerhalb der ersten antiken römische Meile vor der Porta Capena bekannt war. Über das zeitgenössische Erscheinungsbild der Anlage sind ebenfalls einige, wenn auch wenige, Informationen vorhanden.
Nutzungsdauer
Das Grab wurde insgesamt ca. 150 bis 170 Jahre für Körperbestattungen genutzt, und zwar von ca. 270 v. Chr., also zum ungefähren Todesjahr des Scipio Barbatus, bis etwa in die Mitte des 2. Jahrhunderts v. Chr. Erst in der Kaiserzeit fanden wieder Aschebeisetzungen von Mitgliedern der zu den Corneliern gehörenden, aber weniger bekannten Lentuli statt, die die Grabanlage von den ausgestorbenen Scipionen erbten. Vermutet wird, dass diese sich „aus einem gewissen snobistischen Ehrgeiz“ und „nicht frei von politischen Absichten“[21] im Scipionengrab beisetzen ließen. Gleichwohl ist der berühmteste Scipio, Scipio Africanus nicht in diesem Grab beigesetzt, nach Livius und Seneca wurde er bei seiner Villa in Liternum beigesetzt,[22] einer heute nicht mehr existierenden Stadt zwischen Volturnum (Castel Volturno) und Puteoli (Pozzuoli).
Wiederentdeckungen und Geschichte bis heute
Erste Wiederentdeckung 1614
Im Mittelalter wurde das Grab durch einen Kalkofen angeschnitten, in dem der größte Teil des Marmors der Fassade zu Kalk gebrannt wurde. In der Neuzeit wurde es 1614 wieder entdeckt und geöffnet.[23] Dabei wurden die Sarkophage B, des Sohnes des Barbatus, und des L. Cornelius Scipio, dieser war Quästor ab 167 v. Chr., gefunden. Aus dem Sarkophag B wurde die Inschrift herausgebrochen und an einen Steinmetz verkauft, bei dem sie wiederum ein Mitglied der Familie Barberini für 20 Scudi erwarb und in eine Wand des Palazzo Barberini einsetzte.[24] Sie verblieb dort lange Zeit und kam später, wie alle sonst aufgefundenen Fragmente, in die Vatikanischen Museen. Das Grab selbst verschwand abermals wieder aus dem öffentlichen Bewusstsein. Giovanni Battista Piranesi muss es allerdings gekannt haben, da er verschiedene Stiche, u. a. einen Grundriss, anfertigte.[25]
Zweite Wiederentdeckung 1780
Erst im Mai 1780 wurde es abermals ‚entdeckt‘, diesmal wurde jedoch die Bedeutung des Fundes rasch erkannt.[23] Die Eigentümer des Grundstücks, das als Weingarten genutzt wurde, die Brüder Sassi, wollten einen Keller vergrößern und stießen dabei auf die Anlage.[23] Hierbei wurden die Sarkophage C (Publius Cornelius Scipio) und E (Lucius Cornelius Scipio) aufgefunden. Im selben Jahr wurden der Bereich des vorderen Querganges (beim heutigen Zugang) sowie der rechte Gang der größeren Kammer freigelegt.[26]. Bis 1782 wurde die gesamte Anlage letztlich ergraben;[27] dabei gingen die Ausgräber allerdings mit „geradezu vandalischen Methoden“[28] vor, so wurden u. a. neue Mauern eingezogen, um die Anlage zu stützen, Inschriften wurden an falschen Stellen neu angebracht oder verkauft, auch verschwanden die Gebeine aus den bis dahin unberührten Gräbern. Lediglich die Überreste des L. Cornelius Scipio (Sohn des Barbatus) wurden von Angelo Quirino, Senator aus Venedig, in die Villa dell’Altichiero bei Padua überführt.[24].
Weitere Ereignisse bis heute
1831 führte Pietro Campana erneut eine Grabung durch, die der weiteren Erforschung des Grabes galt, dabei fand er das Columbarium des Pomponius Hylas[29]. Um 1900 besuchte Eugen Petersen die Anlage, er fand teilweise Originalsarkophage und Inschriften, teilweise Nachbildungen davon vor den Wänden.[30] Von 1926 bis 1929 führte die Stadt Rom eine umfassende Restaurierung und erneute, systematische Grabung durch, bei der soweit möglich der Originalzustand wieder hergestellt wurde.[28] Bei dieser Gelegenheit wurden alle noch verbliebenen Originalsarkophage bzw. die Inschriften durch Kopien ersetzt und soweit möglich zugeordnet. Dabei wurden weitere Gräber sowie eine kleine Katakombe auf dem Gelände gefunden. Außerdem wurde ein mehrstöckiges Wohnhaus identifiziert, das im 3. Jahrhundert n. Chr. über dem Grab der Scipionen errichtet wurde und dieses bereits beschädigt hatte.[24] 2008 und 2009 findet abermals eine Sanierung statt.
Funde
Von den einstmals vorhandenen etwa 30 Sarkophagen alleine in der größeren Kammer sind nur wenige erhalten. Insgesamt neun Sarkophage haben im Ganzen oder teilweise die Jahrhunderte überdauert und lassen sich (bis auf eine Ausnahme, Inschrift G, s. u.) einzelnen Individuen zuordnen. Zu unterscheiden sind zwei Typen von Sarkophagen. Bei den ersten des älteren Typus, zu denen die Sarkophage A und B gehören, wurde der Sarkophag aus einem kompletten Gesteinsblock heraus gehauen. Die übrigen sieben gehören zum zweiten Typus, bei dem die Sarkophage aus einzelnen Platten bestehen, die zusammengesetzt wurden.
Sarkophage mit den Inschriften A und B
Lucius Cornelius Scipio Barbatus (Sarkophag und Inschrift A) wurde 298 v. Chr. römischer Konsul, der erste einer langen Reihe von Scipionen in diesem Amt. Sein Sarkophag[31] ist der mit Abstand am besten erhaltene aller Scipionensarkophage. Er wurde aus einem Block Tuffstein heraus gehauen und entstand um 270/280 v. Chr. Er stand in beherrschender Position direkt gegenüber dem Eingang und ist einer der ältesten bekannten und erhaltenen Sarkophage einer stadtrömischen Familiengrabstätte; die Ausmaße betragen 2,77 Meter Länge bei einer Höhe von 1,41 Meter und einer Breite von 1,11 Metern. Der Sarkophag ist nicht nur wegen des bekannten genauen Zeitpunktes seiner Entstehung von kunstgeschichtlicher Bedeutung, sondern auch weil er ungewöhnlich und reich geschmückt ist.[32] Der Sarkophag ist einem griechischen Altar desjenigen Typs nachempfunden, die in der Magna Graecia verwendet wurden.[33] Der sich nach unten verjüngende Korpus ist mit einem umlaufenden Band aus Triglyphen und Rosettenmetopen geschmückt, die obere Kante ist mit einem dorischen Fries abgeschlossen. Der Deckel läuft beiderseits in Voluten aus, denen Akanthusblätter vorangestellt sind. Bemerkenswert ist, dass der Sarkophag zwei Inschriften trägt. Die obere Inschrift wurde mit roter Farbe auf den Sarkophagdeckel geschrieben, sie entstand zum Zeitpunkt der Bestattung des Barbatus. Sie lautet „[L. Corneli]o(s) Cn. f. Scipio“. Die seitlich eingemeißelte Inschrift ist als eine der beiden Scipionenelogien bekannt.
Lucius Cornelius Scipio (Sarkophag und Inschrift B) war der Sohn des L. Cornelius Scipio Barbatus. Er wurde, wie sein Vater vor ihm, 259 v. Chr. Konsul und, ein Jahr später Zensor, das Jahr der Ädilität ist nicht überliefert. Auch sein Sarkophag trägt zwei Inschriften. Wie bei dem Sarkophag seines Vaters, wurde der Name des Scipionen zum Zeitpunkt seiner Bestattung mit roter Farbe auf den Deckel geschrieben „L. Cornelio(s) L. f. Scipio/aideles, cosol, censor“. Die zweite, eingemeißelte Inschrift ist als die zweite der Scipionenelogien bekannt.
Die Scipionenelogien (Zweitinschriften der Sarkophage A und B)
Die beiden zweiten Inschriften auf den Sarkophagen A und B, des Scipio Barbatus und dessen Sohn sind als die Scipionenelogien (CLE 6 und CLE 7) in die Literaturwissenschaft eingegangen[34].
Text der Inschrift bei Scipio Barbatus, A:
„[L(ucius)] Cornelio(s) Cn(aei) f(ilius) Scipio // (vacat) Cornelius Lucius Scipio Barbatus, Gnaiuod patre prognatus, fortis uir sapiensque, / quoius forma uirtutei parisuma fuit, / consol censor aidilis quei fuit apud uos, / Taurasia Cisauna Samnio cepit / subigit omne Loucanam opsidesque abdoucit[35].“
„Cornelius - Lucius Scipio Barbatus / Des Vaters Gnaevos Sohn - ein Mann so klug wie tapfer / Des Wohlgestalt war seiner - Tugend angemessen / Der Konsul, Censor war bei - Euch wie auch Aedilis / Taurasia, Cisauna - nahm er ein in Samnium / Bezwingt Lukanien ganz und - führet weg die Geiseln[36].“
Das Elogium auf seinen Sohn (Sarkophag und Inschrift B) lautet:
„[L(ucios)] Cornelio(s) L(uci) f(ilios) Scipio / aidiles cosol cesor. / honc oino ploirume cosentiont R[omani] / duonoro optumo fuise uiro / Luciom Scipione filios Barbati / c[o]nsol censor aidilis hic fuet a[pud uos]. / hec cepit Corsica Aleriaque urbe, / dedet Tempestatebus aide mereto[d][37].“
„Dieser ganz allein, so stimmen die meisten Römer überein / sei der allerbeste Mann gewesen / Lucius Scipio, der Sohn des Barbatus / Konsul, Censor, Ädil ist dieser bei euch gewesen / Dieser nahm Korsika und die Stadt Aleria / Den Wettergöttern gab er den Tempel nach Verdienst.[38]“
Die Datierung der Inschriften ist seit etwa 150 Jahren umstritten.[39]. Nachdem die ältere Forschung einzelne Zeitpunkte festlegen wollte, in denen die Inschriften entstanden sind, tendiert die neuere Forschung dazu, lediglich Zeiträume zu benennen, in denen die Inschriften entstanden sein könnten. Diese sind zur Zeit[40] für das Elogium des Vaters von circa 270 bis vor 150 v. Chr., bei seinem Sohn circa 230 bis circa 150 v. Chr. Allgemein wird (noch) die Ansicht vertreten, dass die würdigende Inschrift für den Sohn vor der des Vaters entstand, da man diesen jedoch nicht zurücksetzen wollte, erhielt auch er eine eigene Inschrift dieses Typs.[41]. Dafür könnte sprechen, dass eine kürzere, etwa eineinhalbzeilige Inschrift auf dem Sarkophag des Vaters zuvor entfernt wurde, um Platz für die neue ausführliche Inschrift zu geben.[42]
Beide Trauerreden wurden in Saturniern abgefasst und gehören damit zu den ältesten bekannten Texten in lateinischer Metrik. Insbesondere die Formulierung ein Mann so klug wie tapfer (an anderer Stelle als ein tapferer und weiser Mann, dessen Aussehen seinem Werte genau entsprach[33]) verweist abermals auf einen griechischen Zusammenhang, nämlich als eine Übersetzung des Konzeptes der Kalokagathia[33] (καλοκἀγαθία = „Vortrefflichkeit“). Es geht in beiden Elogien um die Darstellung der Erfüllung der sozialen Normen der römischen Oberschicht, quasi „des Kerns ihrer Nobilität“[43]. Das politische Konzept dieser Ansprachen liegt „in der Gegenüberstellung der traditionellen Formen der aristokratischen Regierung der Stadt und des Versuchs, die Macht in wenigen Händen zu konzentrieren.“[44].
Hinsichtlich der Inschrift des Scipio Barbatus gibt es historische Unstimmigkeiten. Der Inschrift nach hat er Siege in Lukanien und Samnium errungen, nach Livius (10, 11, 12) fand der Feldzug allerdings in Etrurien statt und die Fasti triumphales verzeichnen zwar einen doppelten Triumph für Siege in Samnium und Etrurien, aber nicht für den Scipionen, sondern für seinen Amtskollegen im Konsulat Gnaeus Fulvius Maximus Centumalus.[45] Ein Erklärungsansatz ist, dass bei der späteren Anfertigung solcher Grabinschriften entweder das entsprechende familiäre Detailwissen nicht mehr vorhanden war oder nicht genutzt wurde.[46]
Inschrift C, P. Cornelius Scipio
Die Grabinschrift für diesen Scipionen lautet:
„Quei apice insigne Dial[is fl]aminis gesistei / mors perfec[it] tua ut essent omnia / brevia honos fama virtusque / gloria atque ingenium quibus sei / in longa licuiset tibe utier vita / facile facteis superases gloriam / maiorum qua re lubens te in gremiu / Scipio recipit terra Publi / prognatum Publio Corneli.[47]“
„Der du die Kopfeszier des Flamen Dialis getragen / Der Tod hat bewirkt, daß alles Deine kurz sei / Ehre, Ruhm und Tapferkeit, Berühmtheit und Talent / wenn es dir vergönnt gewesen, diese in einem langen Leben zu verwirklichen / leicht hättest durch deine Taten du der Vorfahren Ruhm / überflügelt. Deshalb nimmt willig dich in ihren Schoß / Scipio, die Erde auf, Publius / des Publius' Sproß, Cornelius.[48]“
Man nimmt an, dass es sich bei diesem früh verstorbenen Mann um den älteren Sohn des älteren Scipio Africanus gehandelt haben könnte. Nach Cicero soll dieser schwächlich gewesen und früh verstorben sein.[49] Die Inschrift selbst verrät etwas von dem Druck, unter dem Angehörige aristokratischer römischer Familien standen, in der Republik eine (erfolgreiche) Karriere anzustreben.[50] Fast entschuldigend wird der Tod dafür verantwortlich gemacht, dass die hervorragenden Anlagen des jungen Mannes nicht zur Blüte kommen konnten, gleichzeitig wird darauf hingewiesen, dass, wenn er nicht gestorben wäre, er den Ruhm der Vorfahren hätte noch übertreffen können.[50]
Inschrift D, L. Cornelius Scipio
Die Inschrift lautet:
„L. Cornelius Cn. f. Cn. n. Scipio / Magna(m) sapientia(m) / multasque virtutes aetate quom parva / posidet hoc saxsum. Quoei vita defecit, non / honos honore(m), is hic situs. Quei nunquam / victus est virtutei, annos gnaetus XX is / l[oc]eis mandatus. Ne quairatis honore(m), / quei minus sit mandatus.[51]“
„Lucius Cornelius Scipio, der Sohn des Gnaeus, der Enkel des / Gnaeus. Große Weisheit / und viele Tugenden birgt dieser Stein zugleich / mit einem kurzen Leben. Im fehlte das Leben, nicht / die Ehre zur Auszeichnung. Er liegt hier, der niemals an / Begabung übertroffen wurde. 20 Jahre war er alt / Von den Manen (?) ist es bestimmt: Nicht sollt ihr nach Ehre fragen / weil er ja noch kein Amt bekleidet hat.[52]“
Auch hier, wie in der Inschrift C, muss erklärt werden, warum der Angehörige der Familie der Scipionen keine Gelegenheit hatte, sich in einem Amt auszuzeichnen. Es war offensichtlich wichtig zu versichern, dass nicht der Mangel an Fähigkeiten oder Werten dazu führte, sondern der frühe Tod, weshalb der junge Mann dem „außerordentlichen hohen öffentlichen Erwartungsdruck an einen Scipionen“[53] nicht gerecht werden konnte.
Sarkophagreste und Inschrift E, Lucius Cornelius Scipio
Die Übersetzung der Grabinschrift für Lucius Cornelius Scipio lautet:
„Lucius Cornelius Scipio, der Sohn des Lucius, der Enkel des Publius, Quästor, Militärtribun, ist, 33 Jahre alt, gestorben. Sein Vater unterwarf den König Antiochos[54].“
Sein Vater war Lucius Cornelius Scipio Asiaticus, er war Neffe des älteren Africanus.
Sarkophagreste und Inschrift F, Cornelius Scipio Asiagenus Comatus
Die Inschrift lautet in der Übersetzung:
„… Cornelius Scipio Asiagenus Comatus, Sohn des Lucius, Enkel des Lucius, gestorben im Alter von 16 Jahren.[55]“
Es handelt sich bei diesem Toten um den Sohn des L. Cornelius Scipio (Sarkophag E, s.o.). Er starb wohl vor dem Jahre 160 v. Chr.[12]
Sarkophag und Inschriftenfragment G, Unbekannter Scipione
Das Fragment lautet:
„----- [is / ----- Sc]ipionem / [... qu]o adveixei.[56]“
Es konnte bislang keinem Scipionen zugeordnet werden.
Inschrift H, Cn. Cornelius Scipio Hispanus
Die Inschrift für Gnaeus Cornelius Scipio Hispanus lautet:
„Cn. Cornelius Cn.f. Scipio Hispanus / pr(aetor) aid(ilis) cur(ulis) q(uastor) tr(ibus) mil(itum) II Xvir sl(itibus) iudik(andis) / Xvir sacr(is) fac(iundis) Virtutes generis miesis moribus accumulavi. / Progeniem genui, facta patris petiei. / Maiorum optenui laudem, ut sibei me esse creatum / laetentur: stirpem nobilitavit honor.[57]“
„Gnaeus Cornelius Scipio Hispanus, der Sohn des Gnaeus / Prätor, kurulischer Ädil, Quästor, zweimal Militärtribun / Dezemvir der Gerichtshöfe für Freiheit und Bürgerrecht / Dezemvir des Aufseherkollegs der sibyllinischen Bücher / Meines Geschlechts Verdienste habe ich durch gute Art gemehrt / Nachkommen habe ich mir gezeugt, des Vaters Taten angestrebt / Der Ahnen Ruhm habe ich behauptet, auf daß sie sich freuen über / ihren Sproß. Den meinen adelt meine Ehre[58].“
Es handelt sich bei diesem Scipionen um einen Bruder des mit zwanzig Jahren verstorbenen L. Cornelius Scipio (siehe Inschrift D). In dieser Inschrift ist festgehalten, worauf es bei einem Scipionen, wie jedem Angehörigen einer der berühmten aristokratischen Familien ankam, nämlich durch eigene Taten sich der Vorfahren würdig zu erweisen und das Ansehen der Familie zu steigern.[59] Daneben musste er noch für den Fortbestand der Familie sorgen, damit auch die Nachkommen ihrerseits sich der Verpflichtung der Vorfahren würdig erweisen können. Seine Inschrift ist die einzige, die in Distichen abgefasst ist, alle anderen sind in Saturniern verfasst.[12] Das kann mit der Einführung dieses Versmaßes durch den Dichter Quintus Ennius (s. u.) in der ersten Hälfte des 2. Jahrhunderts v. Chr. zusammenhängen.[12]
Sarkophag und Inschrift I, Paulla Cornelia
Die Inschrift[60] lautet in der Übersetzung:
„Paulla Cornelia, Tochter des Gnaeus und Frau des Hispallus.“
Es handelt sich um die Tochter des Gnaeus Cornelius Calvus und Frau des Gnaeus Cornelius Scipio Hispallus. Sie war (wahrscheinlich) auch die Mutter des L. Cornelius Scipio (s. o. Inschrift D) und des Gnaeus Cornelius Scipio Hispanus (s.o. Inschrift H).
Sogenannter „Kopf des Ennius“
Aus der Überlieferung ist bekannt, dass Quintus Ennius nach seinem Tod im Alter von etwa 70 Jahren in dieser Grabanlage seine letzte Ruhe fand und seine Statue die Fassade des Grabes zierte. Bei einer Grabung 1934 wurde ein aus Marmor gefertigter Kopf einer Statue gefunden, dieser wurde allerdings kurz nach dem Fund gestohlen. Es ist heute nur noch eine Fotografie davon bekannt.
Urnen der Lentuli
Im Grab wurden Urnen und Bruchteile davon gefunden, den Funden nach bewahrten diese die Asche der verstorbenen und verbrannten Angehörigen der Familie der Lentuli auf.
Rezeption
Wilhelm Friedrich Waiblinger verfasste während seines Romaufenthaltes von 1826 bis 1829 im Rahmen seiner Oden und Elegien aus Rom das Gedicht Das Grab der Scipionen[61]. Der italienische Schriftsteller Alessandro Verri schrieb nach der zur damaligen Zeit als „sensationell“[62]. empfundenen Wiederentdeckung des Grabes 1780 den Roman Le notti romane al sepolcro de Scipioni (Die römischen Nächte am Grab der Scipionen). Die Erstauflage erschien 1792, eine weitere umfangreichere 1804[62]. In dem Buch erscheinen Geister berühmter Persönlichkeiten der Antike wie Gaius Iulius Caesar oder Cicero u.a. und philosophieren vor dem Hintergrund des Scipionengrabes als Kulisse über die Vergänglichkeit irdischen Ruhmes[62]. Das Werk gilt als „eines der eindrucksvollsten literarischen Zeugnisse der vorromantisch-klassizistischen Beschreibungen heroischer Landschaft und Architektur“[62].
Literatur
Verwendete Literatur
- Alan E. Astin: Scipio Aemilianus. Clarendon Press, Oxford 1967.
- Ranuccio Bianchi Bandinelli: Die römische Kunst: von den Anfängen bis zum Ende der Antike. Beck, München 1975, ISBN 3406007341
- Marco Bussagli (Hrsg.): Rom – Kunst & Architektur. Könemann, Köln 1999. ISBN 3829022581
- Luigi Canina: La prima parte della Via Appia - Dalla Porta Capena a Boville. Band 1, Bertinelli, Rom 1853.
- Filippo Coarelli: Rom – Ein archäologischer Führer. Neubearbeitung von Ada Gabucci. Zabern, Mainz 2000, ISBN 3-8053-2685-8.
- Filippo Coarelli: Il sepolcro degli Scipioni a Roma. Palombi, Roma 1988, ISBN 8876213449.
- Jon Coulston and Hazel Dodge: Ancient Rome: The Archaeology of the Eternal City. Alden Press, Oxford 2000, ISBN 0947816542 (Oxford University School of Archaeology Monograph 54).
- W. E. Heitland: The Roman Republic. University Press, Cambridge 1923.
- Johannes Hösle: Kleine Geschichte der italienischen Literatur, Beck, München 1995 ISBN 3406374700
- Henner von Hesberg: Römische Grabbauten. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1992, ISBN 353402446X.
- Guntram Koch: Sarkophage der römischen Kaiserzeit, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1993, ISBN 3534104013.
- Peter Kruschwitz: Die Datierung der Scipionenelogien CLE 6 und 7. In: Zeitschrift für Papyrologie und Epigraphik 122 (1998), S. 273–285 (online, PDF).
- Fritz Heinz Mutschler und Peter Witzmann: Formen römischen Lebens im Spiegel der Grabinschriften. In: Forum Classicum 4/2002 (online, Stand 8. März 2009).
- Eberhard Paul: Antikes Rom. Koehler & Amelang, Leipzig 1972.
- Eugen Petersen: Vom alten Rom, Bedeutende Kunststätten No. 1. 2. Aufl., E. A. Seemann, Leipzig, 1900
- Vincenzo Saladino: Der Sarkophag des Lucius Cornelius Scipio Barbatus. Triltsch, Würzburg 1970.
- Leonella de Santis: I segreti di Roma sotterranea. Newton Compton, Roma 2008, ISBN 9788854112346.
- Wilhelm Friedrich Waiblinger: Gedichte aus Italien, Leipzig 1895
- Frank W. Walbank, Alan E. Astin, M. W. Frederiksen und R. M. Ogilvie: The Cambridge Ancient History. Second Edition, University Press, Cambridge 1989, ISBN 0521234468.
Weiterführende Literatur
- Andrea Faber (Hrsg.): Körpergräber des 1.–3. Jahrhunderts in der römischen Welt. Internationales Kolloquium Frankfurt/ Main, 19.–20. November 2004. Archäologisches Museum, Frankfurt 2007, ISBN 9783882705010 (Schriften des Archäologischen Museums Frankfurt Nr. 21).
- Peter Fasold: Bestattungssitte und kulturelle Identität: Grabanlagen und Grabbeigaben der frühen römischen Kaiserzeit in Italien und den Nordwest-Provinzen, Kolloquium in Xanten, 16.–18. Februar 1995. Rheinland-Verlag, Köln 1998, ISBN 3792716208.
- Guglielmo Ferrero und Corrada Barbagallo: Das alte Rom. Aus dem Italienischen von Wilhelm Weisser. Verlag Julius Hoffmann, Stuttgart 1927.
- Franz Dorotheus Gerlach: Der Tod des P. Cornelius Scipio Aemilianus – Eine historische Untersuchung. Seul & Meust, Basel 1839.
- Michael Heinzelmann (Hrsg.): Römischer Bestattungsbrauch und Beigabensitten in Rom, Norditalien und den Nordwestprovinzen von der späten Republik bis in die Kaiserzeit; Internationales Kolloquium Rom, 1.–3. April 1998. Reichert, Wiesbaden 2001, ISBN 3895000779.
- Anne Kolb und Joachim Fugmann: Tod in Rom: Grabinschriften als Spiegel römischen Lebens. Philipp von Zabern, Mainz am Rhein 2008, ISBN 9783805334839.
- Eberhard Paul: Antikes Rom. Koehler & Amelang, Leipzig 1972.
- Carlo Pavia: Guida di Roma sotterranea. Gangemi, Roma 1999, ISBN 8874489110.
- Stefan Schrumpf: Bestattung und Bestattungswesen im Römischen Reich: Ablauf, soziale Dimension und ökonomische Bedeutung der Totenfürsorge im lateinischen Westen. V & R unipress, Göttingen 2006, ISBN 9783899713312.
Einzelnachweise
CLE 6
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