Catherine Genovese

Catherine Genovese

Catherine Genovese (* 7. Juli 1935; † 13. März 1964), bekannter unter dem Namen Kitty Genovese, war eine New Yorkerin, die in der Nähe ihres Zuhauses in dem Stadtteil Kew Gardens von Queens erstochen wurde. Die Umstände ihrer Ermordung im Alter von 28 Jahren und die augenscheinliche Untätigkeit ihrer Nachbarn wurde durch einen Zeitungsartikel, der zwei Wochen später erschien, sensationslüstern wiedergegeben und regte Untersuchungen zu dem psychologischen Phänomen an, das als „Bystander-Effekt“ oder „Genovese-Syndrom“ bekannt geworden ist.

Inhaltsverzeichnis

Vorgeschichte

Genovese wurde in New York als ältestes von fünf Kindern geboren. Nachdem ihre Mutter Zeugin eines Mordes in der Stadt geworden war, entschied sich die Familie für einen Umzug nach Connecticut. Kitty dagegen, zu dem Zeitpunkt 19 Jahre alt, entschied sich zu bleiben; die lesbische Frau nahm schließlich eine Stelle als Managerin der Ev's 11th Hour Sports Bar an und lebte in einer Wohnung in Queens mit ihrer Partnerin Mary Ann Zielonko zusammen.

Der Angriff

Genovese war am frühen Morgen des 13. März 1964 nach Hause gefahren. Sie kam gegen 3:15 Uhr an und parkte etwa 30 m von ihrer Wohnungstür, als sich ihr ein afroamerikanischer Mann namens Winston Moseley näherte. Genovese könnte ihre Richtung zu einer Polizeinotrufstation in der Nähe hin gewechselt haben, doch Moseley holte sie ein und begann auf sie einzustechen. Genoveses Schreie wurden von mehreren Nachbarn wahrgenommen, aber da sie die Fenster in der kalten Nacht geschlossen hatten, nahmen nur wenige von ihnen die Laute als Hilfeschreie wahr. Als einer der Nachbarn den Angreifer anschrie, rannte Moseley davon, woraufhin Genovese sich zu ihrer Wohnung um die Ecke des Gebäudes schleppte. Sie war schwer verletzt, nun jedoch außerhalb der Sichtweite jener, die Grund zu der Annahme gehabt hätten, dass sie Hilfe benötigen könnte.

Andere Zeugen beobachteten Moseley, wie er in seinen Wagen einstieg und davonfuhr, fünf Minuten später aber zurückkehrte. Er suchte den Appartmentkomplex systematisch ab und folgte der Blutspur von Genovese, die – kaum bei Bewusstsein – in einem Flur auf der Rückseite des Gebäudes lag. Nun, da er sich außerhalb der Sichtweite der Straße und der Menschen befand, die etwas von dem ursprünglichen Angriff gehört oder gesehen haben könnten, schritt er dazu, sie zu vergewaltigen, auszurauben und schließlich zu töten. Der gesamte Angriff hatte (wenn auch mit Unterbrechung) etwa eine halbe Stunde gedauert.

Einige Minuten nach dem zweiten Angriff rief ein Zeuge, Karl Ross, die Polizei. Er mag nicht der erste gewesen sein, aber Aufzeichnungen aller früheren Anrufe sind undeutlich und ihnen wurde zweifellos keine hohe Priorität seitens der Polizei eingeräumt. Polizei und medizinisches Personal trafen Minuten nach Ross' Anruf ein; Genovese starb während der Fahrt zum Krankenhaus. Spätere Untersuchungen ergaben, dass mindestens 38 Personen in der Nähe Teile des Angriffs gesehen oder beobachtet hatten, obwohl niemand den ganzen Vorgang sehen oder sich dessen gewahr sein konnte. Viele hatten keine Ahnung, dass ein Übergriff oder Mord im Gange war; einige dachten, das, was sie sahen oder hörten sei ein Beziehungsstreit oder eine Gruppe von Freunden, die die Bar verließen, vor der Moseley das erste Mal an Genovese herantrat.

Der Täter

Winston Moseley, eine Bürohilfskraft (business machine operator), wurde später in Verbindung mit einem anderen Verbrechen festgenommen; er gestand nicht nur den Mord an Kitty Genovese, sondern auch zwei weitere Morde, die beide sexuelle Übergriffe beinhalteten. Anschließende psychiatrische Untersuchungen wiesen darauf hin, dass es sich bei Moseley um einen Nekrophilen handle. Er wurde wegen Mordes zum Tode verurteilt, die Strafe wurde später aber in eine lebenslange Gefängnisstrafe umgewandelt. 1968, während einer Reise zu einem Krankenhaus in Buffalo (New York) zwecks einer Operation, überwältigte er einen Wachmann und nahm fünf Geiseln, von denen er sich an einer sexuell vergriff, bevor er wieder festgenommen werden konnte. Der inzwischen Siebzigjährige befindet sich nach wie vor in Haft.

Die Reaktion

Die Geschichte von Genoveses Ermordung wurde praktisch augenblicklich zu einer Parabel auf die unterstellte Gefühlskälte oder zumindest Apathie der Not eines anderen Menschen gegenüber, sei es auf New York City bezogen oder Amerika im Allgemeinen. Diese Einschätzung des Ereignisses war zum Großteil eine Reaktion auf einen Artikel[1] in der New York Times, geschrieben von dem Journalisten Martin Gansberg und veröffentlicht am 27. März 1964, zwei Wochen nach dem Mord. Der Artikel trug die reißerische Schlagzeile Thirty-Eight Who Saw Murder Didn't Call the Police („38 sahen den Mord und riefen nicht die Polizei“); die öffentliche Meinung zu dem Ereignis wurde durch ein Zitat aus der letzten Zeile des Artikels geprägt, das einen unbekannten Nachbarn wiedergibt: I didn't want to get involved (deutsch: „Ich wollte nicht darin verwickelt werden“).

Während Genoveses Nachbarn durch diesen Artikel verunglimpft wurden, handelte es sich bei dem Gedanken der „38 Schaulustigen, die untätig waren“ um eine Irreführung. Der Artikel begann wie folgt:

“For more than half an hour thirty-eight respectable, law-abiding citizens in Queens watched a killer stalk and stab a woman in three separate attacks in Kew Gardens.”

„Mehr als eine halbe Stunde lang sahen 38 ehrbare, gesetzestreue Bürger in Queens einem Killer dabei zu, wie er eine Frau verfolgte und niederstach in drei einzelnen Angriffen in Kew Gardens.“

Dieser Einstieg ist dramatisch und faktisch falsch. Aufgrund des Grundrisses des Gebäudes und der Tatsache, dass jeder Angriff aufgrund von Genoveses Versuch, ihrem Angreifer zu entkommen, an einem anderen Ort stattfand, wäre es keinem Zeugen möglich gewesen, den gesamten Angriff mitzuverfolgen. Die meisten hörten nur Teile des Geschehnisses, ohne die Ernsthaftigkeit der Lage zu realisieren, einige wenige sahen nur einen geringen Anteil des anfänglichen Übergriffes, und es gab keine Zeugen, die die letztendliche Vergewaltigung und Angriff in dem äußeren Flur sahen, der zu Genoveses Tod führte.

Ungeachtet dessen führte die Aufmerksamkeit, die die Medien dem Mord schenkten, zu einer Reform des Telefonmeldesystems der NYPD; das System zum Zeitpunkt des Mordes war oft ineffizient und verwies Anrufer an die falschen Abteilungen. Die melodramatische Berichterstattung führte auch zu umfassenden Untersuchungen des Bystander-Effekts im Bereich der Psychologie. Zudem organisierten einige Gemeinden Neighborhood Watch-Programme und die Entsprechungen für Appartmentkomplexe, um Menschen in Notlagen zu helfen.

Künstlerische Reaktionen

Folksänger Phil Ochs spielt auf den Genovese-Mord in den ersten Zeilen seines Songs Outside a Small Circle of Friends an.[2]

In der gefeierten Comicserie Watchmen bestellt eine Frau ein Kleid aus einem neuartigen Material, das sie dann aber doch nicht kauft, woraufhin Walter Joseph Kovacs es mit nach Hause nimmt und damit experimentiert. Als er von Kitty Genoveses Tod und der behaupteten Gleichgültigkeit ihrer Nachbarn dem Verbrechen gegenüber erfährt, kommt er zu dem Schluss, dass sie die Frau war, die das Kleid bestellt hatte. Er schneidet den Stoff zu einer Maske zurecht und nimmt eine neue Identität als der Superheld Rorschach an, um machtlose Opfer von Verbrechen zu rächen.

Der Kultfilm Der blutige Pfad Gottes beginnt mit einem Priester, der die Geschichte Kitty Genoveses in einer Predigt verwendet um zu illustrieren, dass das tatenlose Beobachten einer schlechten Tat ebenso schlimm ist – oder sogar noch schlimmer – wie diese schlechte Tat zu begehen.

Ein Fernsehfilm von 1975 mit dem Titel Death Scream orientierte sich vage an dem Mord an Kitty Genovese.

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. Martin Gansberg: Thirty-Eight Who Saw Murder Didn't Call the Police. In: New York Times. 27. März 1964. Abgerufen am 24. Juli 2007.
  2. Text des Liedes von Phil Ochs: Outside of A Small Circle of Friends. Abgerufen am 24. Juli 2007.

Weblinks


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