Cephalanthera damasonium

Cephalanthera damasonium
Weißes Waldvöglein
Weißes Waldvöglein(Cephalanthera damasonium)

Weißes Waldvöglein
(Cephalanthera damasonium)

Systematik
Familie: Orchideen (Orchidaceae)
Unterfamilie: Epidendroideae
Tribus: Neottieae
Untertribus: Limodorinae
Gattung: Waldvöglein (Cephalanthera)
Art: Weißes Waldvöglein
Wissenschaftlicher Name
Cephalanthera damasonium
(Mill.) Druce 1817

Das Weiße Waldvöglein oder Bleiches Waldvöglein (Cephalanthera damasonium) ist die Typusart der Pflanzengattung Waldvöglein (Cephalanthera) aus der Familie der Orchideengewächse (Orchidaceae). Im Vergleich zu vielen anderen heimischen Orchideen ist das Weiße Waldvöglein in einigen Gebieten noch häufig anzutreffen.

Inhaltsverzeichnis

Beschreibung

Weißes Waldvöglein
(C. damasonium),
untypisch weit geöffnete Blüte

Das Weiße Waldvöglein ist ein schlanker ausdauernder, krautig wachsender Rhizomgeophyt. Die waagrecht kriechenden Rhizome sind kurz, verzweigt und stark bewurzelt.

Am Grund des grünen Stängels, der eine Wuchshöhen von 8 bis 60 Zentimetern erreicht, befinden sich ein bis drei dunkelbraune, schuppenartige Blätter. Darüber folgen zwei bis sechs parallelnervige, eiförmige bis lanzettliche Laubblätter, die mehr oder weniger zweizeilig am Stängel angeordnet sind. Diese Laubblätter haben eine Länge von vier bis zehn Zentimeter und eine Breite von 1,5 bis 5 Zentimeter.

Der Übergang von den Laubblättern zu den Tragblättern der Blüten ist meist fließend. Das unterste Tragblatt ist deutlich länger als die Blüten, nach oben werden sie deutlich kleiner.

Der traubige Blütenstand ist lockerblütig mit zwei bis 20 Blüten besetzt.

Die zwittrigen, zygomorphen, dreizähligen, weiß bis cremegelb gefärbten Blüten stehen schräg aufwärts gerichtet oder senkrecht in den Achseln der Tragblätter und öffnen sich in der Regel kaum. Die Blütenhüllblätter des äußeren Kreises des Perigons sind eiförmig bis lanzettlich, 15 bis 23 Millimeter lang und vier bis zehn Millimeter breit. Die beiden oberen Blütenblätter des inneren Kreises sind etwas kürzer mit einer Länge von 14 bis 19 Millimeter. Die Lippe ist in zwei Glieder geteilt. Sie ist 10 bis 16 Millimeter lang. Die Hinterlippe (Hypochil) ist dreieckig mit einem gelben Mal in der Mitte und an den Seiten hochgebogen. Die Vorderlippe (Epichil) ist herzförmig und ebenfalls an den Seiten hochgebogen, die Spitze etwas nach unten gebogen. Auf der Lippe befinden sich drei bis fünf gelb bis orange gefärbte Längsleisten. Ein Sporn ist vorhanden.

Die Blütezeit erstreckt sich von Mai bis Juli.

Das Weiße Waldvöglein ist in der Regel wenig variabel. Bekannt sind:

  • Pflanzen ohne Chlorophyll
  • Albinos mit reinweißen Blüten
  • hellgelb gefärbte Blüten.

Die Blüten können zwar fremdbestäubt werden, doch ist Selbstbestäubung die Regel. Der Fruchtansatz ist dementsprechend sehr hoch und liegt bei 80 %. Die reifenden Samenkapseln sind deutlich größer als bei den anderen heimischen Waldvöglein-Arten. Sie sind steil aufwärts gerichtet, 23 bis 35 Millimeter lang und 8 bis 12 Millimeter breit. Durch die großen Kapselfrüchte lässt sich das Weiße Waldvöglein auch nach der Blüte und sogar im vertrockneten Zustand noch gut bestimmen.

Genetik und Mykotrophie

Das Weiße Waldvöglein hat einen Karyotyp von zwei Chromosomensätzen und jeweils 18 Chromosomen (Zytologie: 2n = 36).

Der Same dieser Orchidee enthält keinerlei Nährgewebe für den Keimling. Die Keimung erfolgt daher nur bei Infektion durch einen Wurzelpilz (Mykorrhiza). Die Pflanze ist auch im erwachsenen Stadium weiterhin auf die Mykorrhiza angewiesen. Indikatoren dafür sind die oft sehr dunklen Standorte und die gelegentlich auftretenden, gänzlich chlorophyllfreien Pflanzen.

Wie kürzlich gezeigt werden konnte, beziehen auch grüne Individuen des Weißen Waldvögeleins fast die Hälfte ihres Kohlenstoffs von ihren Wurzelpilzen. Unter diesen befanden sich mehrere Arten, die Ektomykorrhizapartner von Bäumen sind. Somit ist wahrscheinlich der umgebende Baumbestand die primäre C-Quelle des von den Orchideen aufgenommenen pilzlichen Kohlenstoffs (Epiparasitismus).[1] Das Weiße Waldvögelein steht also in seiner Ernährungsweise zwischen autotrophen grünen Orchideenarten (wie dem Frauenschuh) und myko-heterotrophen, bleichen Arten (wie der Vogel-Nestwurz und der Korallenwurz).[2] Eine solche „Mischernährung“ wird als partielle Mykoheterotrophie oder Mixotrophie bezeichnet.

Ökologie

Das Weiße Waldvöglein am Standort in einem Mischwald am südlichen Rand der Hohenloher Ebene).

Hauptsächlich besiedelt das Weiße Waldvöglein lichten bis dunklen Laub-, Nadel- und Mischwald auf trockenen bis frischen Böden. Auch in Gebüschen auf Halbtrocken- und Trockenrasen ist es zu finden. Nur selten wächst es auf Halbtrockenrasen ohne Schutz durch Gehölze.

Besonders in jungen Fichtenmonokulturen mit einem Alter von etwa 15 bis 20 Jahren kann es sich in kurzer Zeit sehr stark ausbreiten. Rund 1.500 Pflanzen oder mehr auf einer Fläche von 2.500 m² sind möglich. Nach nur wenigen Jahren nimmt diese Zahl wieder stark ab und es bleiben nur noch wenige Pflanzen übrig.

Es kommt in folgenden Pflanzengesellschaften vor:

  • Verband Cephalanthero-Fagenion, dessen Charakterart das Weiße Waldvöglein ist.
  • Verband Mesobromion

(Aufschlüsselung siehe: Pflanzensoziologische Einheiten nach Oberdorfer)

Verbreitung

Allgemein

Das Verbreitungsgebiet erstreckt sich von Südeuropa bis Südskandinavien, weiter bis Vorderasien, außerdem in Kaukasien und an der Westküste des Kaspischen Meer.

Es ist ein Florenelement der mediterranen, submediterranen, pannonischen, danubischen, süd- und mittelatlantischen, subatlantischen und zentraleuropäischen Florenzone, in geringerem Maß auch der pontischen und sarmatischen Zone.

Deutschland

In Deutschland meidet das Weiße Waldvöglein die Regionen mit weitgehend kalkfreien Böden. Daher ist es im norddeutschen Tiefland bis zum Rand der Mittelgebirgsschwelle, dem Bayerischen Wald, dem Schwarzwald und in Bayern zwischen Alpenvorland und Donau sehr selten bis fehlend.

Schweiz

In der Schweiz liegen die Hauptverbreitungsgebiete in der Nordschweiz und um die größeren Seen (Genfersee, Vierwaldstättersee, Neuenburgersee, Brienzersee und Thunersee), sowie entlang des Rhein- und des Rhônetals. In der restlichen Schweiz ist die Art bisher nur sehr selten nachgewiesen worden.

Österreich

In Österreich kommt das Weiße Waldvöglein in allen Bundesländern vor und nur in wenigen Gebieten gefährdet.

Naturschutz und Gefährdung

Trotz der noch stellenweise individuenreichen Vorkommen steht das Weiße Waldvöglein unter strengem Schutz europäischer und nationaler Gesetze.

Auch bei den ehemals häufigen Arten ist seit geraumer Zeit ein Rückgang feststellbar. Die Waldwirtschaft wurde ebenso wie die Landwirtschaft intensiviert, durch Kahlschläge können schnell größere Standorte verloren gehen. Eine Gefahr ist das besonders dort, wo das Weiße Waldvöglein bereits selten ist oder nur selten vorkommt. Der Stickstoffeintrag über die Luft macht sich ebenfalls in den Wäldern bemerkbar, Brombeeren und Brennnesseln machen sich breit und nehmen den Orchideen als konkurrenzschwächeren Pflanzen den Lebensraum.

Systematik

Das Weiße Waldvöglein wurde 1768 von Philip Miller als Serapias damasonium beschrieben. Dieser Name stellt das Basionym dar. Die Gattung Cephalanthera wurde zwar schon 1817 begründet, aber erst 1906 erfolgte die Überführung der Art durch George Claridge Druce zu dieser Gattung.

Synonyme:

  • Serapias damasonium Mill. 1768 (Basionym)
  • Serapias latifolia Mill. 1768
  • Epipactis alba Crantz 1769
  • Serapias grandiflora Oeder 1770
  • Serapias tota-alba Gilib. 1792
  • Epipactis lancifolia F.W. Schmidt 1795
  • Serapias alba (Crantz) Salisb. 1796
  • Cymbidium pallens Sw. 1799
  • Serapias lancifolia (F.W. Schmidt) Roth 1799
  • Epipactis ochroleuca Baumg. 1817
  • Serapias ochroleuca (Baumg.) Steud. 1821
  • Cephalanthera lancifolia (F.W. Schmidt) Dumort. 1827
  • Serapias pallens (Sw.) S.B. Jundz. 1830
  • Cephalanthera ochroleuca (Baumg.) Rchb. 1831
  • Cephalanthera acuminata Ledeb. 1852
  • Cephalanthera alba (Crantz) Simonk. 1887
  • Cephalanthera latifolia Janch. 1907
  • Cephalanthera yunnanensis Hand.-Mazz. 1936
  • Cephalanthera damasonium lus ochroleuca (Baumg.) Soó 1970

 

Unterarten und Hybriden

Cephalanthera × schulzei

Als Unterart wird geglegentlich Kotschys Waldvöglein (C. kotschyana) als Cephalanthera damasonium subsp. kotschyana eingestuft.

Hybriden sind selten, obwohl die Arten sich ihre Standorte oft teilen. Bedingt ist dies beim Weißen Waldvöglein durch die sich kaum öffnenden Blüten und die damit verbundene Selbstbestäubung. Dennoch sind folgende Hybriden beschrieben worden.

  • Cephalanthera × schulzei (damasonium × longifolia)
Nicht einfach zu bestimmen ist die Hybride des Weißen Waldvöglein mit dem Schwertblättrigen Waldvöglein. Die Laubblätter sind dem Weißen Waldvöglein ähnlich, die Tragblätter der Blüten sind deutlich kleiner und mehr dem Schwertblättrigen Waldvöglein angenähert. Die Blüten sind in Form und Haltung intermediär.
  • Cephalanthera × mayeri (damasonium × rubra)
Meist deutlich intermediär zwischen dem Weißen Waldvöglein und dem Roten Waldvöglein ist diese Hybride.


Bildergalerie

Quellen und weiterführende Informationen

Einzelnachweise

  1. Thomas Julou, Bastian Burghardt, Gerhard Gebauer, Daniel Berveiller, Claire Damesin & Marc-André Selosse: Mixotrophy in orchids: insights from a comparative study of green individuals and nonphotosynthetic individuals of Cephalanthera damasonium. In: New Phytologist 166(2) 2005. Blackwell Publishing, S. 639-654, ISSN 0028-646X (PDF; 385 KB)
  2. Gerhard Gebauer: Partnertausch im dunklen Wald - Stabile Isotope geben neue Einblicke in das geheimnisvolle Ernährungsverhalten von Orchideen. In: Spektrum (Wissenschaftsmagazin der Uni Bayreuth), Heft 3/2004, S. 32-33. (PDF-Datei; 2,9 MB)

Literatur

  • Fritz Füller: Epipactis und Cephalanthera (Orchideen Mitteleuropas, 5. Teil). 4. Auflage (unveränderter Nachdruck der 3. Auflage von 1986). Westarp Wissenschaften, Hohenwarsleben 2005 (Die Neue Brehm-Bücherei, Band 329), ISBN 3-89432-310-8.

Standardwerke

  • AHO (Hrsg.): Die Orchideen Deutschlands. Verlag AHO Thüringen, Uhlstädt - Kirchhasel 2005, ISBN 3-00-014853-1.
  • Karl-Peter Buttler: Orchideen, die wildwachsenden Arten Europas. Mosaik Verlag 1986, ISBN 3-570-04403-3.
  • Robert L. Dressler: Die Orchideen - Biologie und Systematik der Orchidaceae. (1996) - gutes Werk zum Thema Systematik [deutsch]
  • Hans Sundermann: Europäische und mediterrane Orchideen. Brücke-Verlag, 2. Auflage: 1975, ISBN 3-871-05010-5.
  • J. G. Williams: Orchideen Europas mit Nordafrika und Kleinasien. BLV Verlag, ISBN 3-405-11901-4.

Weblinks

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